Echt - Christoph Scheuring (14-17 Jahre)

  • Klappentext:


    Albert sammelt Abschiede. Tag für Tag fotografiert er am Bahnhof Umarmungen, Trennungen und Tränen. Denn Abschiede, das sind für ihn Momente, in denen der Mensch wahrhaftiger ist als jemals sonst. Eines Tages lernt er Kati kennen. Sie sieht aus wie ein Engel, ist gleichzeitig abgezockt und verletzlich. Und sie ist wie gebannt von seinen Bildern, vor allem von seinem Lieblingsbild, auf dem Schmerz und Glück völlig selbstvergessen miteinander verschmelzen. Doch Kati behauptet, das Foto sei eine einzige Lüge. In den Tiefen des Bahnhofs machen sich die beiden daran, die Wahrheit hinter dem Foto zu finden.


    Meine Meinung:


    “Sie war ungefähr siebzehn, schätze ich mal, und so brutal schön, dass ich mich gar nicht traute, sie überhaupt anzusehen. Jedenfalls nicht länger als eine Zehntelsekunde. Wobei ich sagen muss: So richtig brutal schön war sie doch nicht, aber sie hätte es sein können, wenn sie gewollt hätte. Wollte sie aber wahrscheinlich nicht.” (S. 20)


    Als Albert Kati kennenlernt, verliebt er sich Hals über Kopf in sie und kann sich ihr nicht entziehen. Doch mit Kati kann man nicht einfach so befreundet sein. Sie hält sich nicht an Verabredungen, taucht manchmal tagelang unter, um dann wieder – kurz bevor Albert seine Hoffnung aufgibt – wieder aufzutauchen. Und so gerät er, stets und ständig auf der Suche nach Kati und ihrem Geheimnis immer weiter in den Strudel des Hamburger Hauptbahnhofs.


    Christoph Scheuring ist Reporter, hat zum Beispiel für “Spiegel” und “Stern” gearbeitet. Er ist es also gewohnt zu recherchieren. Bevor er dieses Buch geschrieben hat, verbrachte er selber drei Wochen mit den Straßenkindern am Kölner Hauptbahnhof – damals ursprünglich nur für eine Reportage. Doch das reichte ihm nicht: „Ich habe schon damals gedacht: Diese Jugendlichen verdienen viel mehr als nur ein paar Seiten in einem Magazin.“


    Man merkt diesem Buch einfach an, dass es mit viel Herzblut, aber auch einem realistischen Blick auf die Jugendlichen geschrieben wurde, die Geschichte fühlt sich einfach ECHT an. Und als Leser kann man gar nicht anders, als ein Auf und Ab der Gefühle mitzumachen.


    “Es ist nämlich so, dass ich finde, dass es keinen intensiveren Augenblick gibt als einen Abschied. Also, ich meine, so einen Abschied von einem Menschen, der einem alles bedeutet, und wo sich das Herz schon verklemmt, wenn man nur daran denkt, dass er vielleicht irgendwann nicht mehr da ist.” (S. 13)


    Mit “Echt” ist Christoph Scheuring ein richtig gutes Buch gelungen: er hat starke und authentische Figuren geschaffen, erzählt eine stellenweise berührende, teilweise aber auch sehr nüchterne Geschichte, die mit dem Hamburger Hauptbahnhof ein perfektes Setting gefunden hat. Absolut lesenswert! Ich vergebe 8 von 10 Sternen!

  • "Es ist nämlich so, dass ich finde, dass es keinen intensiveren Augenblick gibt als einen Abschied. Also, ich meine, so einen Abschied von einem Menschen, der alles bedeutet, und wo sich das Herz schon verklemmt, wenn man nur daran denkt, dass er vielleicht irgendwann nicht mehr da ist."


    Albert fotografiert Abschiede. In Hamburg am Bahnhof. Heimlich, denn nur nicht gestellte Fotos sind echt. Zeigen echte Gefühle, das was Menschen in Momenten des Schmerzes, der Trauer der Trennung wirklich fühlen. Oder zumindest das, was Albert hinein interpretiert. Denn schließlich ist es immer nur ein kleiner Augenblick aus einer großen Lebensgeschichte, den er mit seiner Kamera festhalten kann. Albert glaubt an die große Liebe, auch, wenn er durch die Trennung seiner Eltern erfahren musste, dass diese nicht bis ans Lebensende hält.


    Auf einer seiner Fototouren trifft er auf Kati. Eine Schönheit, zumindest auf den zweiten Blick. Auf den ersten wirkt sie eher zottelig, ein bisschen verrucht, aber auch ein bisschen verloren. Diese Wirkung hat sie nicht nur auf Albert, sondern auch auf den Leser. Wo Kati genau lebt, lässt sich nur schwer in Erfahrung bringen. Der Bahnhof ist der Ort an dem sie sich häufig aufhält. Zusammen mit einer kleinen Gruppe Jugendlicher, die entgleist sind, in deren Leben kaum etwas eine Rolle spielt, außer die Beschaffung von Drogen. Kein guter Umgang für Albert, der aus einem sehr behüteten Umfeld stammt. Aber eben auch noch nichts erlebt hat. Nicht einmal die erste Liebe.


    "Das Mädchen nähert sich ihm wie ein ängstlicher Hund, der mit eingeklemmtem Schwanz um ein bisschen Zuneigung bettelt. Geduckt und vorsichtig, als würde sie damit rechnen, jederzeit einen Tritt zu kassieren. Sie zog ihn am Ärmel und fragte irgendwas, aber der Typ wischte sie weg wie einen Krümel auf der Jacke. Sie tat mir so leid, wie sie danach dastand und ihn mit leeren Augen anschaute."


    Liebe in verschiedene Facetten ist einer der Leitgedanken dieses Jugendromans der sich auf ganz unaufgeregte Weise, ganz klar und damit sehr echt, mit einer harten Thematik auseinandersetzt. Kinder ohne Zuhause, Drogenkonsum, Leben auf der Straße, all dem begegnen die beiden Protagonisten, die einen sehr unterschiedlichen Blickwinkel darauf haben. Kati, die schon vor langer Zeit ihre Familie verloren hat, im Heim gelebt hat und jetzt auf irgendeine Art am Abgrund zu stehen scheint und Albert, der zwar Scheidungskind ist, aber all diese Dinge bisher nur mal im Fernsehen gesehen oder darüber gelesen hat. Kontroverse Sichtweisen bedingt durch eigene Erfahrungen, Erlebnisse, vom Autor Christoph Scheuring, deutlich dargestellt und harmonisch miteinander verbunden. Erfahrungen, die unberechenbar machen, die dazu führen, dass Kati und viele andere Jugendliche den Blick für Werte und Wertigkeit aus den Augen verloren haben. Was ist noch von Wert, wenn man das wertvollste schon verloren hat? Weder materielle Dinge, noch Geld können das wiederbringen. Welchen Wert hat das Leben noch? Ein sehr trister Gedanke, der viele Jugendliche im Roman so sehr beschäftigt wie im "echten" Leben eben auch. Schicksale, die so oder so ähnlich täglich geschehen. Kinder, die allein sind, denen der Wert des Lebens entfallen ist und die sich hinter Mauern aus Lügen, hinter selbst zusammen gesponnenen Schutzwällen, hinter der Flucht in den Rausch, hinter Verhaltensauffälligkeiten und Gewalt verstecken, um nicht vor ihrer eigenen Haustür kehren zu müssen. Die eine Momentaufnahme stricken ähnlich der Fotos, die Albert macht.


    " 'Liebe ist doch kein Gefühl. Das ist ... wenn der andere kotzen muss, dass du dann auch über der Schüssel hängst ... und dass du weißt, was der andere denkt, bevor er es denkt. Und dass du seine Höhle bist, wenn er Schutz braucht, und dass du ihn gegen jeden und alles verteidigst, auch wenn er im Unrecht ist.'"


    Neben all der Schwere der Thematik, hat "Echt" auch etwas Leichtes. Albert, den Jungen, der etwas naiv, wie durch eine Kamera die Welt betrachtet, noch an das Gute und die große Liebe glaubt und beweist, dass auch ein kleiner Stein eine Lawine ins Rollen bringen kann. Wir begleiten ihn auf seinen ersten Schritten ins Erwachsenleben, schauen dabei zu, wie er seine eigenen Erfahrungen macht und wie er dadurch die Möglichkeit bekommt den Lebensweg einzuschlagen, der für ihn passend sein könnte. "Echt" ist echt harter Tobak, in Kombination mit dem Kontrast echt lockere Schreibe, echt gut umgesetzt. Inhalt und Buchoutfit passen perfekt zusammen, denn der vom Magellan gewählte Buchdeckel aus Pappe ist ohne Schnörkel, ohne Zusätze so klar und unverfälscht wie die Geschichte.

  • Meine Meinung zum Buch:


    Titel: Gibt es den perfekten Moment?


    Ich bin auf dieses Buch durch die Nominierung für den Jugendliteraturpreis aufmerksam geworden.


    Albert ist 16 Jahre alt und fotografiert leidenschaftlich gern. Soweit nichts besonderes, doch als Motiv wählt er stets Abschiede am Bahnhof. Dort trifft er eines Tages auf Kati, die sein Leben mächtig umkrempelt. Kati behauptet, dass auf seinem Lieblingsbild eine Lüge abgebildet sei. Ob das wirklich stimmt, können sie wohl nur gemeinsam herausfinden…


    Albert als Charakter ist jemand, den Jungen und Mädchen gleichermaßen mögen werden, da er so erfrischend unkompliziert ist. Er ist nicht von Vorurteilen zerfressen und lässt Ereignisse auf sich zukommen. Man könnte ihn fast als naiv bezeichnen, was aber wohl von seiner Erziehung herrührt. Trotz der Trennung seiner Eltern hat er ein intaktes Familienleben kennengelernt. Umso mehr fasziniert ihn da natürlich das Leben der Kids am Bahnhof. Je häufiger er mit Kati und ihren Freunden zusammen ist, desto mehr lernt er das Leben der anderen kennen, welches alles andere als Sonnenschein beinhaltet.


    Kati ist zu Albert der absolute Gegenpart. Ihr Leben hat sie hart werden lassen und das lässt sie ihre Mitmenschen auch spüren. Doch beide zusammen ergänzen sich und erden den jeweils anderen.


    Hier gefiel mir vor allem, dass der Autor nichts beschönigt, sondern frei heraus die Tatsachen schildert und auf Missstände aufmerksam macht. Man glaubt das Geschilderte zu jeder Zeit, es wirkt wie aus dem echten Leben gegriffen. Doch nicht nur harte Fakten bestechen das Geschehen, denn alsbald ist da mehr zwischen Albert und Kati. Je intensiver die Gefühle werden, desto mehr bricht Albert aus seinem alten Leben aus. Das Leben der anderen nimmt immer mehr Einfluss auf sein eigenes. Man muss Fehler machen, um das Leben kennenzulernen und sich selbst zu finden.


    Der Schreibstil von Christoph Scheuring ist dermaßen fesselnd, dass man gar nicht genug davon bekommen kann.


    Fazit: Ein bewegendes Jugendbuch, das zum Nachdenken anregt und beim Lesen aufwühlt. Ungemein lesenswert, von mir gibt es daher eine klare Leseempfehlung!


    Bewertung: 10/ 10 Eulenpunkten

  • Nur kurz:
    Ich habe Echt gestern begonnen und heute beendet. Wow! Ein Roman, an dem alles stimmt, vom ersten bis zum letzten Satz. Nicht nur für Jugendliche, sondern vor allem über Jugendliche. Das Thema ist nicht neu, doch das wirkte sich nicht nachteilig aus. Christoph Scheuring kann einfach gut erzählen. Er trifft den Ton, erschafft wirklich tolles Kopfkino und geht virtuos damit um, von Anfang an Spannung aufzubauen und diese zu halten, ohne dass dabei die Tiefe verlorengeht.


    Unbedingt lesenswert!
    10 Eulenpunkte