Wind aus West mit starken Böen von Dora Heldt

  • Broschiert: 496 Seiten
    Deutscher Taschenbuch Verlag
    erschienen am 1. Oktober 2014


    zur Autorin:
    Dora Heldt, bzw. Bärbel Schmidt, wie sie im wahren Leben heißt, ist gelernte Buchhändlerin und seit 1992 als Verlagsvertreterin unterwegs. Auch wenn sie heute in Hamburg lebt, ist die 1961 auf Sylt geborene Autorin nach wie vor ein großer Fan der Nordseeinsel – und dort hat auch ihre Großmutter gelebt, deren Namen sie als Pseudonym gewählt hat. Mit ihren kurzweiligen Familienromanen rund um Christine und Papa Heinz und ihren spritzig-unterhaltenden Frauenromanen hat sie sämtliche Bestsellerlisten erobert, die Bücher sind zudem fürs Fernsehen verfilmt und in etliche Sprachen übersetzt worden.


    zum Inhalt:
    Katharina Johannsen ist 48 Jahre und lebt ihr Leben äußerst diszipliniert und ordentlich. Unvorhergesehenes existiert bei ihr nicht. Seit einigen Jahren hat sie mit Jens eine Beziehung, der wegen ihr sogar von Berlin nach Bremen gezogen ist. Eine gemeinsame Wohnung möchte Katharina dennoch nicht. Auch mit ihrer Familie hat Katharina keinen engen Kontakt. Ihre Eltern sind schon vor Jahren nach Mallorca ausgewandert und ihre Schwester Inken trifft sie nur selten. Im Gegensatz zu Katharina ist Inken chaotisch, stets gutgelaunt und patent im Umgang mit ihren Kunden bei der Segelschule. Als Katharina den Auftrag bekommt, für den Bestsellerautor Bastian de Jong einige Recherchen auf Sylt zu machen, ist das eigentlich die Gelegenheit, Inken und ihre früheren Freunde wiederzutreffen. Gerade das will Katharina aber nicht. Immer noch nagt die Trennung ihrer einstigen großen Liebe an ihr. Doch zufällig ist auch Hannes auf Sylt.


    meine Meinung:
    Bücher von Dora Heldt haben immer ein zentrales Thema, über das es sich Nachzudenken lohnt. Mit Humor und vor allem einem klaren Schreibstil bringt uns die Autorin die mehr oder weniger großen Probleme des Alltags näher. Dieses Mal beschäftigt sie sich mit der Frage, ob die einstige große Liebe auch nach 25 Jahren noch attraktiv scheint. Wie weit können Wunden verheilen? Ist alles, was danach kommt, nur noch ein Kompromiss? Am Beispiel von Katharina verdeutlicht sie, wie schwer es ist, ein Leben aufzubauen, nachdem die Wunschträume zerplatzt sind. Katharina flieht aus ihrem Leben, fängt ein neues am anderen Ende der Republik an und hat dennoch eine unterschwellige Sehnsucht nach dem Alten. Die ehemalige Lehrerin wird in diesem Roman wegweisend eingesetzt. Sie verkörpert Lebenserfahrung und kann die alten Zeiten nochmals vor Augen führen. Katharina traut sich mit ihrer Hilfe, vom durchorganisierten Weg abzubiegen und ihre eigenen Wünsche neu zu entdecken. Da niemand nur isoliert betrachtet wird, schafft Dora Heldt mal wieder ein lebensnahes Umfeld, das trotz des nachdenklich stimmenden Themas auch zum Lachen ist.


    Nebenbei fließen natürlich jede Menge Beschreibungen der Nordseeinsel ein. Das Flair von Sylt findet sich immer wieder und lässt die frische Brise förmlich aus den Seiten wehen. Im Gegensatz zu den Büchern um unsere liebgewordenen Figuren wie Papa Heinz, ist diese Geschichte ernsthafter, tragischer aber immer unverkennbar. Durch die langsame Entwicklung hat der Leser Zeit, sich in Katharina hineinzudenken. Gerade die rational denkende Protagonisten kommt nicht sofort sympathisch an und zwingt den Leser zu einem genaueren Blick. Den fordert allerdings auch ihre Schwester, die nur scheinbar ihr Herz auf der Zunge trägt. Auch bei ihr bläst der scharfe Westwind unangenehm ins Leben. Allein diese belletristisch verarbeitete Menschlichkeit macht dieses Buch lesenswert.

  • Auch ich habe das Buch gerade gelesen. Späte Liebe oder Große Liebe im zweiten Anlauf. Schön fand ich, wer die besten Ratschläge gab.
    Ein interessantes Thema, Jugendliebe, Wiederauffinden der Jugendliebe, Leichtigkeit leben, und dann immer wieder die schöne Insel Sylt.


    8 Punkte

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Katharina Johannsen, Ende 40, lebt in Bremen und arbeitet als Rechercheurin. Sie ist fast zwanghaft kontrolliert, organisiert, kaum zu beeindrucken und hält nichts von Spontaneität. Auch ihren Freund Jens hält sie auf Abstand.
    Eines Tages erhält sie den Auftrag, für den neuen Roman eines Bestsellerautors, zu recherchieren. Dazu muss sie für einige Wochen in ihre alte Heimat, nach Sylt. Dort begegnet sie Inken, ihrer 10 Jahre jüngeren Schwester, und wie der Zufall es will, hält sich auch Hannes, ihre erste große Liebe, mit dem sie einige Jahre zusammenlebte, gerade auf der Insel auf.


    „Wind aus West mit starken Böen“ ist ein Schmöker mit ernsten Untertönen, dennoch fehlte mir das gewisse Etwas, ein wenig mehr Schwung hätte der Geschichte sicherlich gut getan.


    Die Handlung um Katharina, Inken, Hannes und der ehemaligen Lehrerin Dr. Martha wirkte auch mich etwas schwunglos, lange Zeit dreht sie sich im Kreis und es gibt immer ein paar Zufälle zu viel. Der Wortwitz aus früheren Romanen blitzt nur ganz selten auf.


    Das Geschehen ist vorhersehbar und ohne große Überraschungen, auch die Personen blieben etwas farblos und langweilig.


    Die letztendliche Wandlung von Katharina konnte ich dann überhaupt nicht nachvollziehen, dadurch wirkte das Ende leider ein wenig kitschig und zu sehr auf Familienidylle pur ausgerichtet.
    Schade, hier hätte viel mehr draus gemacht werden können.

  • Dora Heldt: Wind aus West mit starken Böen, München 2014, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-423-26039-8, Klappenbroschur, 491 Seiten, Format: 3,5 x 3,8 x 21,1 cm, Buch: EUR 15,90 (D), EUR 16,40 (A), Kindle Edition: EUR 13,99. Auch als Hörbuch-Download und Audio-CD erhältlich.


    „Ich rede nicht davon, dass du deine Miete und deine Krankenversicherung selbst bezahlen kannst.“ Marthas Tonfall war spöttisch. „Ich meine eine innere Unabhängigkeit. Die Kunst, sein Leben zu leben, ohne darüber nachzudenken, was andere darüber denken.“ (Seite 434)


    Dank ihrer Hippie-Eltern Joe und Mia hatten die Johannsen-Schwestern eine bunte, chaotische und unberechenbare Kindheit auf Sylt. Die jüngere Schwester, Inken (38), hat damit kein Problem. Sie hat einfach in diesem Stil weitergewurstelt. Mit 17 hat sie die Schule abgebrochen, Schiffsmechanikerin gelernt und nach einigen … hm … Episoden eine Segelschule auf der Insel eröffnet.


    Das Geld reicht bei ihr nie, und ohne die unentgeltliche Hilfe ihrer Rentner-Gang - Gertrud Schneider und den Brüdern Piet und Knut - käme Inken kaum zurecht. Sie helfen ihr im Haushalt, in der Segelschule und bei der Buchhaltung. Keiner der drei dienstbaren Geister hat eigene Kinder. Sie scheinen Inken als eine Art Ersatztochter angenommen zu haben. Mit ihrem Ex-Gatten, dem Dänen Jesper Madsen, pflegt sie seit 20 Jahren eine unkonventionelle on- und off-Beziehung. Und irgendwie ist sie mit diesem Durcheinander ganz zufrieden.


    „In ihrer Erinnerung sprang Inken die Düne hinunter, sie hatte immer viel zu viel Schwung und sich fast jedes Mal überschlagen. Unten angekommen, hatte sie sich nur mal kurz geschüttelt, den Sand ausgespuckt und war wieder nach oben geklettert. Genauso lebte sie heute noch.“ (Seite 451)


    Katharina Johannsen (48) dagegen hat frühestmöglich das Weite gesucht und sich auf dem Festland komplett neu erfunden.


    In ihrer Kindheit hat sie es gehasst, Mama Mias knallbunte Kleiderkreationen tragen zu müssen. Viel lieber wäre sie herumgelaufen wie alle anderen, statt eine schrill gewandete Außenseiterin zu sein. Dass ihre Eltern es gar nicht erwarten konnten, endlich mit „der Brutpflege“ durch zu sein und nach Mallorca auswandern zu können, fand Katharina auch nicht so prickelnd. Die Höhe war, dass Joe und Mia die Haushaltsauflösung und die Abwicklung des Hauverkaufs den Töchtern überlassen hatten.


    Die schmerzliche Trennung von ihrer Jugendliebe Hannes Gebauer hat Katharina dann den Rest gegeben. Damals hat sie sich geschworen: Nie wieder soll es (Gefühls-)Chaos und Unordnung in ihrem Leben geben! Sie möchte bitte alles kontrollierbar und verlässlich haben. Keine großen emotionalen Ausschläge nach oben und nach unten, lieber ein bisschen Langeweile. Und nie mehr würde sie ein bunter Vogel sein!


    Seit 20 Jahren ist sie nicht mehr auf Sylt gewesen. Nach einer Karriere im Hotelgewerbe und einem Zwischenspiel beim Fernsehen arbeitet sie jetzt für ein Recherchebüro, lebt in Bremen und ist seit drei Jahren mit dem Lektor Jens Weise liiert. Mit ihrer Familie hat sie praktisch keinen Kontakt.


    Vor allem, was mit ihrer Vergangenheit zu tun hat, hält sie sich möglichst fern. Doch dann besteht der Bestseller-Autor Bastian de Jong darauf, dass sie als gebürtige Sylterin vor Ort die Recherchen für seinen nächsten Roman übernimmt. Diesen Auftrag kann sich das Büro nicht entgehen lassen, das sieht Katharina ein. Also fährt sie auf die Insel.


    Ihr Vorsatz, den Kontakt mit ihrer Familie auf ein Minimum zu beschränken, wird durch unglückliche Umstände torpediert. Sie muss vorübergehend bei ihrer Schwester im Gästezimmer unterschlüpfen. Und auch bei ihrer Arbeit im Inselarchiv kann sie ihrer eigenen Geschichte nicht entfliehen, denn dort arbeitet ihre rüstige ehemalige Lehrerin Dr. Martha Jendrysiacz mit. Die müsste jetzt über 70 sein, kann sich aber noch gut an Katharina erinnern. Mit ihrer Meinung hält sie nicht hinter dem Berg: „Du warst (…) ein besonderes Mädchen, aber du hast geglaubt, du wärst falsch. Nur weil du sein wolltest wie die anderen. Das fand ich schade. (…) Du hast das Kind von früher komplett wegkontrolliert. Dabei war es ein besonderes Kind.“ (Seite 482)


    Katharina sei beruflich hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben, findet Martha. Sie habe sie immer als Schriftstellerin gesehen, nicht als Zuarbeiterin für andere Autoren. Und dass sie und Hannes Gebauer sich seit über 20 Jahren aus dem Weg gehen, das sei doch Unsinn. Wenn sie wie zivilisierte Menschen miteinander reden könnten, würden die damaligen Ereignisse vermutlich auch in die richtige Perspektive rücken.


    Als die pensionierte Lehrerin ihre ehemaligen Schüler Katharina und Hannes zum Essen einlädt, ohne dass der eine Gast vorher vom anderen weiß, richtet sie damit ein größeres Chaos an als sie beabsichtigt hat. Aber auch das ist für Martha in Ordnung. Sollen doch alle kopfstehen! Dinge wie Verlässlichkeit, Verbindlichkeit, Spießigkeit und Langweile stehen ihrer Meinung nach ohnehin dem „richtigen Leben“ entgegen. Was einen nicht wundert, wenn man ihre eigene aufregende Lebensgeschichte kennt. Aber wie sehen und verkraften das Katharina und die anderen, deren Wünsche und Pläne jetzt so gründlich durcheinandergewirbelt werden?


    WIND AUS WEST … ist kein Schenkelklopfer wie Dora Heldts Papa-Heinz-Romane. Es passiert auch nichts atemberaubend Spannendes. Es ist ein leiser und ernster Roman über das Leben. Wie lebt man es „richtig“? Ist es besser, auf die Vernunft oder auf das Gefühl zu hören? Martha hat’s in ihrem langen Leben auf die knackige Formel gebracht: „Richtig ist, was sich richtig anfühlt“. Und am allerwenigsten sollte die Meinung fremder Leute eine Rolle spielen.


    Nach und nach erfährt man die Lebens- und Liebesgeschichten der verschiedenen Haupt- und Nebenfiguren. Es ist sehr interessant und berührend, welche Entscheidungen sie getroffen haben und was daraus wurde. Okay, es ist vielleicht ein bisschen viel „wir kommen im mittleren Alter wieder mit unserer Jugendliebe zusammen“, aber die Geschichten von Inken, Gertrud und insbesondere die von Martha sind wunderschön. Martha und ihren Maler könnte man sich sehr gut als Helden eines eigenen Romans vorstellen.


    Eine tragische Figur ist Katharinas Auftraggeber, der Erfolgsautor Bastian de Jong. Sein Problem bringt der einfache Seemann Piet geradezu philosophisch auf den Punkt: „Alt werden ist nicht so einfach, wie immer alle denken. Das muss man wollen.“ (Seite 462)


    Am Schicksal der Romanfiguren nimmt man Anteil wie an dem von Freunden und Bekannten. Und man hofft für jeden, dass er die besten Entscheidungen treffen und glücklich werden möge. Fieslinge, denen man das Gegenteil wünscht, gibt es hier keine. Wie im wahren Leben ist der eine oder andere selbst sein größter Feind. Das sieht Martha ganz richtig. Ein paar ihrer klugen Gedanken werden einem noch lange im Gedächtnis bleiben.


    Die Autorin
    Dora Heldt, bzw. Bärbel Schmidt, wie sie im wahren Leben heißt, ist gelernte Buchhändlerin und seit 1992 als Verlagsvertreterin unterwegs. Auch wenn sie heute in Hamburg lebt, ist die 1961 auf Sylt geborene Autorin nach wie vor ein großer Fan der Nordseeinsel – und dort hat auch ihre Großmutter gelebt, deren Namen sie als Pseudonym gewählt hat. Mit ihren kurzweiligen Familienromanen rund um Christine und Papa Heinz und ihren spritzig-unterhaltenden Frauenromanen hat sie sämtliche Bestsellerlisten erobert, die Bücher sind zudem fürs Fernsehen verfilmt und in etliche Sprachen übersetzt worden.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Mir hat das Buch gut gefallen - es war ja auch zum Glück ohne den nervigen Papa Heinz. Es dauerte seine Zeit, mit den Figuren warm zu werden - aber letztendlich haben sie mich dann doch überzeugt. Mit Katharina konnte ich noch am wenigsten anfangen, kontrollierte Personen mag ich eh nicht. Aber ich fand ihre Wandlung doch nachvollziehbar und eigentlich auch gelungen.


    Genauso wie mit Inken und Jasper - irgendwann stellt man einfach fest, dass man genug verantwortungsloses Nebeneinander hatte und man endlich genug erlebt hat, um zu wissen, was man möchte. Ich mochte Jasper sehr gerne, für mich war er zwar ein Hallodri, aber einer, der auch erwachsen werden konnte.


    Bastian de Jong fand ich sehr fordernd und einnehmend, ihm ist es egal, ob Katharina in einer Beziehung ist, er will sie. Was mit ihm wirklich ist, konnte man auch sehr früh erahnen, subtil hat Dora Heldt ihre Hinweise gesetzt.


    Es wurde zwar viel hineingepackt in die Geschichte, natürlich gab es auch Kitsch und komische Zufälle, aber manchmal ist das Leben halt so. Oft war klar, in welche Richtung der Plot gehen sollte, man konnte eigentlich nur noch rätseln zwischen Möglichkeit A oder B - was dann wiederum nicht überraschend war, welche es dann nun wurde.


    LG
    Patty

  • Ich fand das Buch gut. Allerdings hätte ich nichts gegen eine Handlung mit den bekannten Personen inklusive des hier gescholtenen Papa Heinz gehabt. aber auch mit neuen Figuren kommt schöne Inselstimmung auf, auf wenn sich darunter ernste Töne mischen (Stichwort Demenz). Trotzdem wieder ein gelungener Roman von Dora Heldt, der auch etwas für das Herz ist.
    ELB