Hier kann zu Kapitel 1 geschrieben werden.
'Nemesis' - Kapitel 1
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Ach je, da bin ich ausnahmsweise mal pünktlich und dann so ganz alleine hier? Na gut, dann fange ich mal an, der Roman liest sich ziemlich gut und schnell:
„Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam“ - so oder ähnlich lautete der Slogan in meiner Jugend, vermutlich immer noch. Man bekam ein Löffelchen voll Medizin und dann war man geschützt vor den bösen, kleinen, unsichtbaren „Tierchen“, die die Kinder krank machten und töteten. Als ich mich in Vorbereitung auf die Leserunde mit Polio – wieder – vertraut machte, las ich voller Schrecken, dass die Krankheit keineswegs eingedämmt ist, sondern immer wieder in Epidemien ausbricht, Afghanistan wurde genannt, Somalia und andere, Länder, denen wir das Anhängsel „Schwellenland“ oder „Entwicklungsland“ anheften. Länder aber auch, von denen in Reiseberichten oder Berichten von Touristen, so es sie denn dorthin verschlagen hat, über die mangelnde Hygiene, den Schmutz, den Dreck erzählt wird. Mangelnde Hygiene also, das scheint eines der großen Probleme zu sein, das auch in „Genesis“ durchscheint. Immer Hände waschen, immer dies tun, immer das tun, damit die Viren keine Chance haben. Immerhin aber wusste man, dass es Viren waren, die für dieses besondere Grauen verantwortlich waren. Und immerhin ahnte man, dass Hygiene zumindestens helfen konnte, auch 1944. Und wenn nicht, wie in dem Viertel, das Hauptschauplatz des ersten Abschnitts dieses Romans ist, ein jüdisches Viertel, dann ist der Hysterie, der Panik Tür und Tor offen, dann werden Verdächtigungen ausgesprochen, dann sucht man Schuldige, sei es ein Restaurant bzw. dessen Besitzer, der „Dorftrottel“ oder halt, weil auch das so einfach ist, Gott, schließlich erfindet der die Kinderlähmung ja nur und ausschließlich, damit Kinder sterben (u. a. Seite 102). Stemmt man sich dagegen wie Bucky Cantor, der Lehrer, wohl die personale Hauptfigur (der aber auch jemanden braucht, dem er diese Schuld zuweisen kann, und weil er das Menschen nicht zubilligen will, muss halt sein ganz persönlicher Gott herhalten), bekommt man irgendwann auch eine Ladung Hysterie ab, ganz bestimmt aber merkt man, wie das Nervenkostüm mehr und mehr angespannt wird, wie es zu reißen droht, wie die Fragen, die man nicht beantworten kann, weder er selbst noch irgendwer sonst, Wut und Zorn hervorrufen, aufkochen lassen. Die Gedanken kreisen und kreisen und es scheint fast, als gebe es keinen Raum mehr für anderes als die Frage nach dem „Warum“ und dem „Wer“. Misstrauen bahnt sich seinen Weg, gegen alles und jeden. Nährboden für „Hexenjagden“. Das klingt schon an in Roths Text, ebenso wie der Antisemitismus, der auch und auch zu der Zeit in Amerika nicht zu leugnen war.
Es gibt bisher viele Stellen, die mich sehr berühren (und nicht nur in positivem Sinn), beispielsweise, wenn das Kind Bucky die Ratte erschlägt (Seite 24) – da kommt nicht nur so etwas wie Ekel in mir auf, sondern in allererster Linie Mitleid mit dem Kind -, die Schilderung des einsamen Sterbens von Alan (Seite 40), die Ansprache des Onkels von Alan bei der Trauerfeier – hat man da nicht den Eindruck eines „Frühvollendeten“ (mit dem fast schon ketzerischen Gedanken daran, was aus ihm als Erwachsener geworden wäre)? -, oder die mir wunderschön erscheinende Beschreibung der Großmutter, ihres Gesichts (Seite 98, 99).
„Und wenn du den Preis bezahlen musst, … dann bezahlst du ihn eben“ (Seite 25), sagte der Großvater zu Bucky und ich werde den Verdacht nicht los, dass das einer der Schlüsselsätze, vielleicht der Schlüsselsatz in diesem Roman ist. Bucky wird ja eigentlich positiv gezeichnet, jemand, der seine Pflicht nicht nur kennt, sondern sie auch tut, der den Schwachen beisteht, zu trösten vermag, der die Kinder ernst nimmt (sh. auch das Gespräch mit Bobby Seite 91, 92) – trotzdem fehlt mir etwas an ihm, bei ihm. Vielleicht ist es sein überaus großes Pflichtbewusstsein, das in mir manchmal den Anschein erweckt, er tröste beispielsweise, weil das „sein Job“ ist, weil man Kinder zu schützen habe, weil man dieses oder jenes zu tun habe in seiner Situation. Vielleicht weckt das in mir den Anschein, es fehle ihm etwas, und sei es ein letzter Funke Empathie. Bemerkenswert finde ich übrigens die Gegenüberstellung der Stärke Buckys mit der Schwäche Kennys (der ja das Potential hätte, ein zweiter Bucky zu werden). Die Tränen des Jungen wirken auf mich ehrlicher als mancher Aktionismus von Bucky. Auf die Begegnung mit Marcia bin ich gespannt, ich glaube jedenfalls aus dem wenigen, was man bisher über sie lesen konnte, dass die Ehe interessant zu werden verspricht.
Verblüfft hat mich Seite 68 unten, der Erzähler offenbart sich. Bisher glaubte ich eigentlich an eine Art allwissender Erzähler, nun scheint es auf eine Ich-Erzählung hinauszulaufen. Aber woher weiß Arnie Mesnikoff all das, auch über die Gedanken Buckys? Haben sie Zeit miteinander verbracht, miteinander intensiv gesprochen? Was ist überhaupt "seines", was ist seine Interpretation?
Eine Frage, die sich mir immer wieder aufdrängt: Warum dieser Titel? Laut Duden gibt es zwei Variationen zur Erklärung, einmal steht der Begriff für die Göttin der Rache, andererseits für „ausgleichende Gerechtigkeit“. Gespannt bin ich, als was es sich für mich entpuppen wird. Gar zu gerne würde ich doch wissen, ob Roth derselben Meinung ist wie Bucky auf den Seiten 62, 63 (bezogen sind die Seitenangaben auf die Taschenbuchausgabe).
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Es freut mich sehr, dass es wieder eine Leserunde mit einem Buch von Philip Roth gibt. Ein wichtiger US-amerikanischer Autor.
Philip Roth über 50 Jahre lange Schriftsteller-Karriere hat er mit Nemesis beendet.
Roth Spätwerk von relativ kurzen Romanen umfasst
- Jedermann
- Empörung
- Die Demütigung
- Nemesis
die aufgrund thematischer Zusammenhänge eine Einheit bilden.
Inhaltlich haben sie natürlich nichts miteinander zu tun.
Mit Ausnahme von Die Demütigung haben mir alle gut gefallen.
Nemesis habe ich vor einigen Jahren nur als Hörbuch gehört, in der Buchfassung will ich es noch einmal genau betrachten.
Ich bin jetzt auf Seite 44.ZitatOriginal von Lipperin
... las ich voller Schrecken, dass die Krankheit keineswegs eingedämmt ist, sondern immer wieder in Epidemien ausbricht, Afghanistan wurde genannt, Somalia und andere, Länder, denen wir das Anhängsel „Schwellenland“ oder „Entwicklungsland“ anheften.
In Deutschland gab es lange keinen Poliofall mehr, trotzdem ist es wirklich erschreckend, dass die Krankheit weltweit noch besteht!
In Zeiten von Ebola kann man Ängste vor der nicht heilbaren Polio gut verstehen, auch wenn für uns die Gefahr normalerweise weit weg ist.Doch auch die Panikmache vor Schweinegrippe ist noch nicht lange her.
Newark ist Roth Geburtsstadt und er wuchs in der Zeit auf. Seine Beschreibungen sind sicher authentisch! Roth schafft auch mit Realismus eine dichte Atmosphäre.
Ungewöhnlich, wie viele verschiedene Namen der Protagonist hat.
Eugene, Ace, Bucky und Mr.Cantor. Diese Namensvielfalt zeigt ihn aus unterschiedlichen Sichten in verschiedenen Zeiten.
Bucky ist eigentlich ein ganz normaler, typisch amerikanische junger Mann seiner Zeit. Nur seine schlechten Augen bringen ihn in eine Sonderstellung.
Als Ausgleich, dass er nicht Soldat sein kann, will er eine wichtige Rolle in der Gesellschaft einnehmen, indem er als Sportlehrer und Trainer für Kinder wirkt.Die zu Anfang geschilderte Szenen mit den 10 Rüpeln aus dem italienischen Viertel wirkt so bedrohlich wie bizarr! Natürlich haben sie nicht übertragen, aber: Ein schlechtes Omen, wenn man so will.
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Ich bin noch nicht ganz durch mit dem Kapitel sozusagen am Anfang aber das Thema hat mich dann doch an meine Kindheit und die Schluckimpfung mit dem Zucker erinnert.
Die Impfmüdigkeit heutzutage kann aber ganz schnell wieder dazu beitragen, dass augenscheinlich nicht mehr vorkommende Krankheiten auch bei uns wieder auftreten.
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Zitat
Original von Lipperin
Eine Frage, die sich mir immer wieder aufdrängt: Warum dieser Titel? Laut Duden gibt es zwei Variationen zur Erklärung, einmal steht der Begriff für die Göttin der Rache, andererseits für „ausgleichende Gerechtigkeit“. Gespannt bin ich, als was es sich für mich entpuppen wird. Gar zu gerne würde ich doch wissen, ob Roth derselben Meinung ist wie Bucky auf den Seiten 62, 63 (bezogen sind die Seitenangaben auf die Taschenbuchausgabe).
Ich habe die Ausgabe der Büchergilde und konnte daher nicht finden, was Du meinst.
Aber siehst Du da echt einen Unterschied? Für mich ist beides dasselbe - Göttin der Rache oder ausgleichende Gerechtigkeit. Die Gefühle sind anders. Aber objektiv meint es dasselbe. Gerechtigkeit.
Könntest Du vielleicht bitte die ersten Sätze oder so schreiben, damit ich nachlesen kann, was Du damit meinst, ob Roth derselben Meinung ist wie Bucky? Ich weiß jetzt grad leider nicht, was Du meinst.
Aber Du sprichst damit DAS Thema des Buches schlechthin an. Ich muss aufpassen, weil ich das Buch schon kenne. Aber ich glaube, ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass es genau darum geht. Ist es Rache? Von wem an wem und weswegen auch immer? Oder doch nur "ausgleichende Gerechtigkeit"? Warum und an wem und weswegen auch immer? Oder ist es noch was ganz anderes?
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Ich bin zwar noch nicht ganz durch, bin aber schon fasziniert von Bucky.
Für einen kräftigen jungen Mann muss es sehr demütigend gewesen sein, nicht eingezogen zu werden. Ich könnte mir vorstellen, dass es bei ihm auch zu Schuldgefühlen führen kann: die anderen riskieren ihr Leben. Gerade wo er so extrem pflichtbewusst ist.An die Polioimpungen kann ich mich auch noch gut erinnern. Zumal es Anfang der 60er Jahre in der BRD noch einmal einen größeren Ausbruch gab. Es ist interessant nachzulesen, welche Querelen es um den Impfstoff gab.
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Dies ist, nach "Der menschliche Makel" mein zweites Buch von Philip Roth.
Auch, wenn es so dünn zu sein scheint, habe ich trotzdem das Gefühl eine geballte Ladung Inhalt zu bekommen, die dazu noch großartig erzählt ist.Über den Titel habe ich mir auch schon Gedanken gemacht. Mir kommt hier der Spruch "meine persönliche Nemesis" in den Sinn. Das bedeutet ja so viel wie eine gerechte Strafe, die ich zu ertragen habe, was ja mit der der ausgleichenden Gerechtigkeit gemeint sein dürfte. Nur um wessen "Nemesis" geht es hier? Ist die Poliomyelitis die Strafe?
Ich werde auch das Gefühl nicht los, dass die Szene mit den Italienern, die auf dem Schulhof auftauchen, eine der Schlüsselszenen ist und ich glaube auch nicht, dass Bucky der Krankheit wirklich entfliehen kann.Bucky ist eine interessante Figur und doch so typisch für die Zeit damals. Diejenigen Männer, die nicht einzogen wurden, hatten keinen leichten Stand in der Gesellschaft. Für ihn, der von seinem Großvater zu einem sehr pflichtbewussten Menschen erzogen wurde, muss das persönlich sehr belastend gewesen sein. Hier erfährt er das erste Mal, dass nicht alles steuerbar ist. Die Krankheit ist nun das nächste, dass ihn an seine Grenzen stoßen lässt.
Interessant finde ich Dr. Steinbergs Aussage auf S. 86 der Taschenbuchausgabe:
Zitat"Ich bin dagegen jüdischen Kindern Angst zu machen. Ich bin dagegen, Juden Angst zu machen. Das hat es in Europa gegeben, und darum sind die Juden von dort geflohen."
Dass diese Angst berechtigt war und Flucht, oft die einzige Möglichkeit zu überleben, lässt er hier gar nicht gelten. Sicherlich ist dies der Unwissenheit, was damals passiert ist, geschuldet. Aber ich habe mir auch die Frage gestellt, ob es wirklich immer richtig ist, sich der Angst zu stellen und zu bleiben? Kann man Ängste hinter sich lassen, wenn man flieht oder nimmt man sie nicht mit?
Was mir auch sehr gut gefällt, ist wie Roth die Menschen und ihre Ängste, die von dieser Katastrophe direkt oder indirekt betroffen sind, darstellt. Es MUSS einfach jemanden geben, der persönlich verantwortlich ist, für die Krankheit. Egal, ob nun das Fast-Food-Restaurant, der Sportlehrer oder der behinderte Junge beschuldigt werden oder sogar die Post. Das Verhalten der Menschen empfindet man als Leser vielleicht nicht als richtig, aber es zutiefst menschlich. Man fragt sich automatisch, wie man selbst wohl damit umgehen würde.
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Ich glaube, es ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft, für alles Gründe, Rechtfertigungen zu suchen und wenn möglich auch zu finden. Besonders für die unerklärlichen Schicksalsschläge.
Nicht umsonst wird dann immer wieder gefragt: Warum gerade ich? Warum gerade mein Kind?
Früher wurde das als Gottes Wille angesehen. Nach dem Motto, wen Gott liebt, den holt er früh zu sich. Oder man fragte sich, ob man nicht doch irgendwie schuldig geworden ist. -
Aber er konnte ja nichts dafür, dass er nicht eingezogen wurde, er wurde seiner Kurzsichtigkeit wegen eingezogen.
Ich fand die Szene so eindrucksvoll geschildert, als er hingeht um Alans Eltern sein Beileid zu überbringen. Das geht einem durch und durch, es ist nicht sehr emotional geschildert eher, beobachtend, aber umso erschütternder.
Zitatvon FrettchenAber siehst Du da echt einen Unterschied? Für mich ist beides dasselbe - Göttin der Rache oder ausgleichende Gerechtigkeit. Die Gefühle sind anders. Aber objektiv meint es dasselbe. Gerechtigkeit.
Ich finde aber wohl dass Rache keine Gerechtigkeit beinhaltet. Derjenige der sie ausübt hält sie vielleicht dafür begeht aber nur eine weitere Ungerechtigkeit.
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Ich bin auch der Meinung, dass Rache und Gerechtigkeit höchst unterschiedliche Dinge sind. Es mag in Einzelfällen mal vorkommen, dass Rache zu Gerechtigkeit führt. Häufiger dürfte es genau das Gegenteil sein.
Es ist natürlich immer die Frage, wie wir Gerechtigkeit definieren wollen. Nach welchen Kriterien sie bestimmt wird. Rache ist immer subjektiv, aus einem intensiven Gefühl heraus, einer Betroffenheit. -
Für mich ist es das erste Buch von Philip Roth, aber da bin ich mir ganz sicher, nicht das letzte! Der Schreibstil gefällt mir jedenfalls sehr gut. Man fühlt sich sehr gut in die damalige Zeit versetzt.
ZitatOriginal von Saiya
Was mir auch sehr gut gefällt, ist wie Roth die Menschen und ihre Ängste, die von dieser Katastrophe direkt oder indirekt betroffen sind, darstellt. Es MUSS einfach jemanden geben, der persönlich verantwortlich ist, für die Krankheit. Egal, ob nun das Fast-Food-Restaurant, der Sportlehrer oder der behinderte Junge beschuldigt werden oder sogar die Post. Das Verhalten der Menschen empfindet man als Leser vielleicht nicht als richtig, aber es zutiefst menschlich. Man fragt sich automatisch, wie man selbst wohl damit umgehen würde.Das kann ich für mich genauso übernehmen. Dinge, die man nicht begreifen kann, Vorfälle, die man nicht erklären kann, Krankheiten, deren Ursache man nicht kennt - das lässt einen als Betroffenen doch ganz verrückt. Man braucht doch immer ETWAS an das man seine Wut, seine Trauer auslassen kann - ob nun zurecht oder unrecht. Roth hat das schon sehr gut und mitfühlend beschrieben.
ZitatOriginal von Lipperin
Eine Frage, die sich mir immer wieder aufdrängt: Warum dieser Titel? Laut Duden gibt es zwei Variationen zur Erklärung, einmal steht der Begriff für die Göttin der Rache, andererseits für „ausgleichende Gerechtigkeit“. Gespannt bin ich, als was es sich für mich entpuppen wird.Nemesis ist die Göttin der Rache. Läuft es darauf hinaus, dass Polio Gottes Rache ist? Wofür? Wie wir mit der Welt oder miteinander umgehen?
Ich bin gespannt...ZitatOriginal von Lipperin Verblüfft hat mich Seite 68 unten, der Erzähler offenbart sich. Bisher glaubte ich eigentlich an eine Art allwissender Erzähler, nun scheint es auf eine Ich-Erzählung hinauszulaufen. Aber woher weiß Arnie Mesnikoff all das, auch über die Gedanken Buckys? Haben sie Zeit miteinander verbracht, miteinander intensiv gesprochen? Was ist überhaupt "seines", was ist seine Interpretation?
Mir ergeht es da wie Dir, Lipperin. Ich war auch sehr überrascht, als der Ich-Erzähler plötzlich auftaucht - zumal der Name vorher noch nicht fiel. Da er so viel von Bucky uns seinen Gedanken weiß kann es ja fast nur sein, dass sie noch näher aufeinander treffen und Zeit zum intensiven reden haben. Ob sie viellicht beide erkranken und sich zur Seite stehen???
ZitatOriginal von Saiya
Interessant finde ich Dr. Steinbergs Aussage auf S. 86 der Taschenbuchausgabe:Dass diese Angst berechtigt war und Flucht, oft die einzige Möglichkeit zu überleben, lässt er hier gar nicht gelten. Sicherlich ist dies der Unwissenheit, was damals passiert ist, geschuldet. Aber ich habe mir auch die Frage gestellt, ob es wirklich immer richtig ist, sich der Angst zu stellen und zu bleiben? Kann man Ängste hinter sich lassen, wenn man flieht oder nimmt man sie nicht mit?
Ich denke auch, dass damals nicht wirklich bekannt war, was in Europa mit den Juden passierte bzw. man das vielleicht auch einfach nicht als real ansehen konnte/wollte.
Irgendwie sieht jeder - egal ob jetzt Italiener, Amerikaner, Jude... - nur seine Sicht und dass Polio sich gegen ihre Kinder/Rasse richtet. Dass es alle betrifft wird ihnen nicht bewusst.
Ich glaube auch nicht, dass man vor seinen Ängsten fliehen kann... sie verschwinden nicht auch wenn man an einen anderen Ort zieht. Und ich denke Bucky wird es auch so gehen. Er flieht nun von Newark, aber ich befürchte er hat die Krankheit mit im Gepäck. -
Zitat
Original von Findus
Ich finde aber wohl dass Rache keine Gerechtigkeit beinhaltet. Derjenige der sie ausübt hält sie vielleicht dafür begeht aber nur eine weitere Ungerechtigkeit.
Sehe ich genauso! Allgemein ist Rache ist nicht gleich Gerechtigkeit! Das ist sie so wie Findus schon schrieb höchstens für denjenigen, der Rache nimmt.
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Wirklich viel weiter bin ich ja noch nicht. Es gibt so viele wunderbare Sätze, die ich eine Weile mit mir herumtragen will. So gefällt mir die Rede von Alans Onkel zu seiner Beerdigung sehr gut. Schöner kann man eines Menschen nicht gedenken.
Und dann Mr. Cantors Gedanken zu einem gerechten Gott. Ich kann das so gut nachvollziehen. Das Problem jedes gläubigen Menschen. Und vieler Philosophen seit Jahrhunderten. -
Zitat
Original von Frettchen
Ich habe die Ausgabe der Büchergilde und konnte daher nicht finden, was Du meinst.
Aber siehst Du da echt einen Unterschied? Für mich ist beides dasselbe - Göttin der Rache oder ausgleichende Gerechtigkeit. Die Gefühle sind anders. Aber objektiv meint es dasselbe. Gerechtigkeit.
Könntest Du vielleicht bitte die ersten Sätze oder so schreiben, damit ich nachlesen kann, was Du damit meinst, ob Roth derselben Meinung ist wie Bucky? Ich weiß jetzt grad leider nicht, was Du meinst.
Aber Du sprichst damit DAS Thema des Buches schlechthin an. Ich muss aufpassen, weil ich das Buch schon kenne. Aber ich glaube, ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass es genau darum geht. Ist es Rache? Von wem an wem und weswegen auch immer? Oder doch nur "ausgleichende Gerechtigkeit"? Warum und an wem und weswegen auch immer? Oder ist es noch was ganz anderes?
Ja, ich meinte wirklich nur den Romantitel. Was spiegelt der Romantext wieder: Rache? Von wem, für was? Oder ausgleichende Gerechtigkeit? Das sind für mich zwei vollkommen verschiedene Dinge: Rache fragt in meinen Augen eher selten nach Gerechtigkeit, nur nach der, die es selbst dafür hält. Gerechtigkeit würde ich als das ansehen, was die jeweilige Gesellschaft sich beispielsweise in Gesetzestexten normativ formuliert hat, auch wenn die Objektivität sicherlich manchmal nur scheinbar gegeben ist.
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Zitat
Original von Sonnschein
Ich denke auch, dass damals nicht wirklich bekannt war, was in Europa mit den Juden passierte bzw. man das vielleicht auch einfach nicht als real ansehen konnte/wollte.
Mich erinnerte es an das Entsetzen der britischen und amerikanischen Soldaten bei der Befreiung der KZs. Obwohl natürlich Berichte darüber ins Ausland gelangten, aber wollte man wirklich wahrhaben, was eigentlich nicht sein durfte? Und Antisemitismus, auch in seiner schlimmsten Art, gab (und gibt) es auch in den USA. Das ist wohl eines der Dinge, die unausrottbar sind. Warum auch immer. Was mich wieder zu meiner Frage nach dem Buchtitel bringt: Will Roth die Nemesis auf die jüdische Bevölkerung angewandt sehen, sprich: die Polio als was auch immer für irgendwelche Geschehnisse?
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Zitat
Original von Lipperin
Mich erinnerte es an das Entsetzen der britischen und amerikanischen Soldaten bei der Befreiung der KZs. Obwohl natürlich Berichte darüber ins Ausland gelangten, aber wollte man wirklich wahrhaben, was eigentlich nicht sein durfte? Und Antisemitismus, auch in seiner schlimmsten Art, gab (und gibt) es auch in den USA. Das ist wohl eines der Dinge, die unausrottbar sind. Warum auch immer. Was mich wieder zu meiner Frage nach dem Buchtitel bringt: Will Roth die Nemesis auf die jüdische Bevölkerung angewandt sehen, sprich: die Polio als was auch immer für irgendwelche Geschehnisse?
Als Dr. Steinberg diese Ausssage macht, dürften weite Teile der jüdischen Bevölkerung noch nicht über die Greuel informiert gewesen sein. Seine Aussage könnte sich aber auf die 30er jahre beziehen als die Juden noch die Möglichkeit hatten zu fliehen, soäter ging das ja schon garnicht mehr.
Warum es den Antisemitismus gibt, erschließt sich mir sowieso in keinster Weise. Aber schon zu Zeiten der Kreuzüge waren doch die Juden an allem Schuld. Und Warumfragen sind nicht lösungsorientiert. Also, allerdings war ich jetzt total entsetzt als ich am ende des Kapitels Buckys Aussage las.
Und das bringe ich jetzt eher mit Nemesis in Verbindung, denn er flieht vor seiner Verantwortung, vielleicht folgt die Rache ihm nach??? -
5. Buch Mose, 32.35: Die Rache ist mein. Ich will vergelten.
Mich beschäftigt sehr, wie Bucky mit seinem Gott hadert. (Die Szene beim Begräbnis).
Womöglich rächt sich Gott für solche Gedanken?Dr. Steinbergs Gedanken sind außergewöhnlich, jedenfalls für die damalige Zeit. Heute ist das anders, weil der Staat Israel seine Selbstverteidigung und die Bereitschaft, alle Mittel zur Verteidigung auch einzusetzen geradezu zur Staatsdoktrin gemacht hat.
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Zitat
Original von Rumpelstilzchen
5. Buch Mose, 32.35: Die Rache ist mein. Ich will vergelten.Mich beschäftigt sehr, wie Bucky mit seinem Gott hadert. (Die Szene beim Begräbnis).
Womöglich rächt sich Gott für solche Gedanken?Aber ist das nicht normal?? Jeder, dem Schlimmes widerfährt fragt sich doch, wie kann Gott zu etwas zulassen.
Man kann das aber auch auf die ganzen Katastrophen, Kriege, Völkermorde anwenden.
Nun, Bucky ist mir nicht der Typ, der global denkt, also nimmt er das, was ihn unmittelbar betrifft. -
Findus, ich wollte damit nicht sagen, dass es nicht normal ist. Sondern eher, dass ich gut verstehen kann, dass ihn das so umtreibt.
Vielleicht muss ich dazusagen, dass ich mich vor einer Weile mit Leibniz und seiner Rechtfertigung unserer Welt als die beste aller möglichen, die Gott erschaffen konnte, beschäftigt habe. Und einem Vortrag dazu von Susan Neiman. -
Zitat
Original von Findus
Als Dr. Steinberg diese Ausssage macht, dürften weite Teile der jüdischen Bevölkerung noch nicht über die Greuel informiert gewesen sein. Seine Aussage könnte sich aber auf die 30er jahre beziehen als die Juden noch die Möglichkeit hatten zu fliehen, soäter ging das ja schon garnicht mehr.
Warum es den Antisemitismus gibt, erschließt sich mir sowieso in keinster Weise. Aber schon zu Zeiten der Kreuzüge waren doch die Juden an allem Schuld. Und Warumfragen sind nicht lösungsorientiert. Also, allerdings war ich jetzt total entsetzt als ich am ende des Kapitels Buckys Aussage las.
Und das bringe ich jetzt eher mit Nemesis in Verbindung, denn er flieht vor seiner Verantwortung, vielleicht folgt die Rache ihm nach???"Zur Freiheit sind wir berufen" sagen die Christen und das ist durch und durch positiv gemeint. Ein französischer Philosoph formulierte es anders: "Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt" und das klingt in meinen Augen nach verflixt viel Eigenverantwortung. Für Bucky, so glaube ich, gilt die zweite Variante, nur dass er nicht hinnehmen kann, dass etwas einfach geschieht. Es muss einen Grund geben, es muss jemand damit etwas im Sinn haben, jemand muss schuldig sein. Mangels besserer Erkenntnisse überträgt er all das auf (seinen) Gott, den er zwar nicht zu fassen bekommt, dem er aber in aller Freiheit Vorwürfe über Vorwürfe machen kann. Und damit bindet er sich für mich gedanklich zu sehr, lässt nichts anderes zu. Will sagen: Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr sehe ich die Nemesis in Buckys Entscheidung, an Gott nicht nur Fragen zu richten, die per se nicht zu beantworten sind, sondern in seiner ganz eigenen und in aller Freiheit getroffenen Entscheidung, diesem Gott den Prozess zu machen, sich selbst damit in gewisser Weise ein Stück weit seiner eigenen Freiheit zu berauben, weil er sich zu sehr in diesen Gedankengängen verirrt und verwirrt. Wir sind verantwortlich für das, was wir tun, für unsere Gedanken, für alles, wir können das nicht auf andere abwälzen. Bucky ist für mich in der für ihn unangenehmen Situation, dass seine freie Entscheidung ihn in eine persönliche Unfreiheit geraten lässt.
Ich weiß, dass ist alles noch ein wenig unausgegoren, aber vielleicht versteht man ansatzweise, worum es mir geht?