'Untreue' - Seiten 165 - 229

  • Viele Aspekte des Themas werden jetzt noch verstärkter auf eine analytische Ebene gebracht.
    Linda fängt an, ihren Zustand gründlicher zu untersuchen, indem sie verschiedene Psychiater aufsucht, schließlich sogar einen kubanischen Schamanen.


    Ich habe mich inzwischen ganz gut damit abgefunden, mit Linda eine Antiheldin als Hauptfigur zu haben und komme damit jetzt besser zurecht! Was ich an ihr mag ist, dass sie sich ständig Gedanken macht, die Dinge von allen möglichen Seiten aus betrachtet.
    Dem Leser wird damit auch eine ganze Palette an Ansichten angeboten, denen er sich anschließen kann oder auch nicht.




    Tatsächlich finde ich gerade in diesem Abschnitt einige Passagen gut geschrieben. Das sich das gut liest, ist bestimmt auch mit der Verdienst der Übersetzerin Maralde Meyer-Minnemann.
    Sie hat schon viele Bücher von Paulo Coelho übersetzt und ist auch die Übersetzerin des anspruchsvollen Werrkes von Antonio Lobo Antunes.

    Über die Übersetzerin:

    Zitat

    Maralde Meyer-Minnemann, geboren 1943 in Hamburg, erhielt 1992 den "Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzungen", 1997 den Preis "Portugal-Frankfurt", 1998 den "Helmut-M.-Braem-Preis" und wurde 2005 für den "Preis der Leipziger Buchmesse" nominiert.

  • Danke, Herr Palomar! :anbet
    Für mich genau die richtigen Worte zur rechten Zeit, denn sie ermutigen mich, nun doch weiterzulesen. Ich hatte wirklich schon mit dem Gedanken des Abbrechens gespielt.
    Dieses "Ständig Gedanken machen" ist natürlich, wenn der sog. "Leidensdruck" wirklich stark ist, einem "Unter den Teppich-Kehren" erheblich vorzuziehen.
    Gleichzeitig wünsche ich mir aber, dass sie, wenn es ihr möglich ist, nicht im Auf-sich-selbst-Reflektieren verharrt, sondern sich vielleicht auch irgendwie sozial/karitativ engagiert, wenn sie sich schon nicht um die eigenen Kinder selbst kümmern möchte. Damit täte sie einerseits Gutes und könnte andererseits gleichzeitig Zufriedenheit erleben, die wieder ihrem Selbstbewusstsein und Daseinsberechtigungshinterfragen helfen könnte.
    Wenn Herr Coelho schon Jahre lang in der Schweiz lebt, spricht er möglicherweise auch ein wenig deutsch. Und wenn sein Verlag ihn von dieser Leserunde in Kenntnis setzt ... und er vielleicht hier mitliest...
    Mich würde brennend interessieren, wie er darauf kam, so eine Protagonistin zu kreieren. Gleichzeitig fürchte ich, dass es eine ganze Menge solcher Menschen gibt.
    :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Zitat

    Original von maikaefer
    ....
    Mich würde brennend interessieren, wie er darauf kam, so eine Protagonistin zu kreieren. ....


    Coelho verarbeitet in seinen Romanen ( u.a. auch in "Veronika beschließt zu sterben) Erlebnisse und Erfahrungen, die er während seiner Aufenthalte in einer psychiatrischen Klinik (1966, 1967,1968 ) gemacht hat. ( siehe Wikipedia)
    Ich kann mir vorstellen, dass eine psychisch gestörte und behandlungsbedürftige Frau wie die Protagonistin Linda Coelho schon einmal im wahren Leben begegnet ist.

    Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne. (Jean Paul)



  • Zitat

    Original von maikaefer
    Wenn Herr Coelho schon Jahre lang in der Schweiz lebt, spricht er möglicherweise auch ein wenig deutsch.


    Coelho ist ziemlich viel unterwegs und sicher nur einige Monate im Jahr in der Schweiz. Ich glaube nicht, dass er deutsch spricht. Er spricht aber gut englisch!



    Zitat

    Original von maikaefer
    Und wenn sein Verlag ihn von dieser Leserunde in Kenntnis setzt ... und er vielleicht hier mitliest...


    Davon würde ich nicht ausgehen.


    Paulo Coelho ist ein gefragter Mann, an den sicher nicht jeder so ohne weiteres herankommt und der vermutlich wenig Zeit hat.
    Auf der Buchmesse diesen Monat war er zu einem exklusiven Gespräch mit dem Direktor der Buchmesse da. Da konnte nur geladenen oder speziell für diese Veranstaltung akkreddidierte Journalisten rein. Es gab aber einen Livestream nach Außen, glaube ich!

  • @ Donaldduck: Meine "Veronika"-Lektüre liegt etwas zurück, aber ich meine mich jetzt dunkel zu erinnern, da auch schon so etwas gelesen zu haben.
    @ Herr Palomar: Höchstwahrscheinlich hast du Recht, war ja auch nur so eine von Wunschdenken geprägte Idee von mir. Wolke organisiert ohnehin dankenswerterweise öfter Leserunden mit Autorenbegleitung.
    :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Was mir an diesem Buch außerordentlich gut gefällt, ist die Art, wie der Autor kleine Begebenheiten in die Geschichte einstreut. Zum Beispiel der Abschnitt auf Seite 173 über den in Genf gestorbenen Jean Calvin.


    Dessen Haltung z.B. bei seiner kompromisslosen Befürwortung der Hexenverfolgung und Hexenverbrennung war wirklich schlimm!


    Linda (vielleicht auch eher der Autor) nimmt oft eine kritische, von der im allgemeinen akzeptierten Meinung, abweichende Haltung ein!


    Diese Abschnitte kommen auch nicht aus dem Nichts, sondern haben Bezug zu Linda. Hier steht sie z.B. vor der Mauer der Reformatoren, wo man den Begründer des Calvinismus als Statue sehen kann.

  • Zitat

    Original von maikaefer
    Gleichzeitig wünsche ich mir aber, dass sie, wenn es ihr möglich ist, nicht im Auf-sich-selbst-Reflektieren verharrt, sondern sich vielleicht auch irgendwie sozial/karitativ engagiert, ...


    Gerade sie als erfolgreiche Journalistin hätte ja Möglichkeiten, mit einer Artikelserie auf soziale Missstände aufmerksam zu machen.
    Bei dem Artikel mit dem Schamanen konnte sie ihr Thema auch vorschlagen.
    Warum also nicht etwas mit mehr Substanz?

  • Genau! (Bezieht sich auf "Substanz")
    Mit Twitter und Facebook hab ich es nicht so.
    Mir stellt sich gerade eine Frage. Der Originaltitel heisst doch "Adulterio". Rechne ich das mal von der Übersetzung aus dem englischen "Adult" hoch, sollte es irgendwas mit "erwachsen" zu tun haben. Einen Bezug zum Buchinhalt sehe ich nicht. Oder es ist genau das fehlende Erwachsensein gemeint? :gruebel
    :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Ich sehe Lindas Verhalten ganz anders. Anstatt sich ernsthaft um sich und ihren Zustand zu kümmern, geht sie von einem Psychiater zum anderen.
    Einen Psychotherapeuten sucht sie vorsichtshalber nicht auf. Dafür einen Heiler, der möglicherweise auch irgendwelche Qualitäten hat, der ihr aber letztlich auch nicht weiterhilft und den sie auch erstmal unter dem Vorwand journalistischer Recherche aufsucht.


    Sehr seltsam finde ich auch ihre Darstellung Calvins. Sie erklärt uns, welche dunklen Seiten er hatte, die heute niemand mehr sehen will. Auf der anderen Seite betont sie ihre strenge protestantische Erziehung, die sie an ihre Kinder weitergeben will. Was denn jetzt?

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Ich habe keine Probleme mit einer Protagonistin, die ich so gar nicht sympathisch finde. Aber noch immer weiß ich nicht, was dieses Buch eigentlich soll.....


    Da bin ich ganz einer Meinung mit dir, Rumpelstilzchen. Aber noch sind wir nicht am Ende, kommt vielleicht noch ;-).



    So ein wenig informativer Hintergrund gefällt mir in der Regel auch, wenn er sich stimmig in die Geschichte einfügt.
    Und ja, ich gebe dir recht, es gibt meist einen gewissen Bezug, doch der kommt jedes Mal aus heiterem Himmel und fühlt sich für mich pseudointellektuell und aufgesetzt an, und eben nicht stimmig eingefügt. Mir erscheint es einfach nicht glaubwürdig, dass Linda vor dieser Mauer steht und ihr die Gedanken zu Calvin in dieser Ausführlichkeit in den Sinn kommen. Dazu kommt, dass Coelho diese Informationen in einer dozierenden und langweilenden Form darbringt. Ich versuche ihnen konzentriert zu folgen, doch irgendwann werden meine Augen glasig und ich lese quer ;-).


    In dieses Schema fällt auch das Beispiel mit den "tricoteuses" S. 167. Ist zwar zu kurz um zu langweilen ;-), aber wie passt das in den Zusammenhang ?(?


    S. 180 wieder eine Aussage, voller Pathos und sehr klangvoll:" Wenn wir keine Angst vor der Dunkelheit haben, dann nur, weil wir Gefährten des Lichts sind". Mit so was kann ich leider nichts anfangen, aber das empfindet sicher jeder Mensch anders.
    Von Meditation z. B. halte ich sehr viel, auch wenn ich sie nicht beherrsche - aber ich würde es gern können.


    Und S. 183 gibt es einen Ansatz, den ich jetzt interessant finde:" Animieren wir zu ungesetzlichen Praktiken, wenn wir junge Menschen zu übermäßigem Konsum ermuntern, indem wir Produkte vorstellen? Animieren wir sie dazu, Unfälle zu verursachen, wenn wir neue Automodelle anpreisen, die bis zu 250 km/h fahren könne?...."
    Leider wird das nicht weiter ausgeführt und endet mit dem Satz, der Chefredakteur hat keine große Lust auf Diskussionen. :-(


    S. 189 bis 193 musste ich dann wieder quer lesen - gruselig :rolleyes.


    Was die Sexszene mit Jacob betrifft, passen für mich Lindas Worte von S. 218: "Es war irgendwie widerlich, egoistisch, finster".


    Dennoch fand sie es wunderbar! Na ja, jedem das seine, Linda ist ja wohl nicht alleine mit ihren Vorlieben. Verstehen muss man das nicht.


    S. 216 gibt es eine kleine Anspielung an Coelhos "Elf Minuten". :grin

  • Und auf Seite 217/218 kommt ganz konkret eine Anspielung auf das 6. Gebot: Du sollst nicht ehebrechen


    Interessant fand ich die Bibel-Episode auch. ich kannte den Abschnitt bisher nicht. Das David solch zwielichtige Züge trug, überrascht mich.


    Linda ist sich also der möglichen Folgen ihres tun also mehr als bewusst, aber das hält sie nicht ab!


    Zu diesen Zeitpunkt muss ich sagen, dass ich es nicht für realistisch halten würde, wenn die Ehe zwischen Linda und ihren Mann über das Ende des Romans hinaus Bestand haben würde.

  • Irgendwie ist und bleibt Lindas Verhalten für mich nicht so richtig nachvollziehbar. Auf der einen Seite möchte sie an dem, was sie sich "mühevoll erkämpft hat" festhalten, auf der anderen Seite gefährdet sie all das, um mit Jacob eine Affäre zu haben, die ihr emotional eigentlich nichts mehr bedeutet... dabe war sie doch am Anfang ganz besessen von dem Kerl und davon, ihn für sich zu erobern. Ist 31 nicht in ein bisschen früh für eine Midlife-Crisis???


    Und dann kommt es mir so vor, als ob sie von anderen Leuten Bestätigung dafür erhalten möchte, dass sie eigentlich keine Verantwortung für das trägt, was sie da tut.


    Bin mal gespannt, was sich im letzten Abschnitt noch so tut.

    "Ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns."

    Franz Kafka, Brief an Oskar Pollak, 27. Januar 1904






    :lesend

  • Zitat

    Original von Lumos
    S. 216 gibt es eine kleine Anspielung an Coelhos "Elf Minuten". :grin


    Diese Anspielung ist mir auch aufgefallen.
    Aber während die Brasilianerin Maria aus 11 Minuten durch Naivität und äußere Umstände in ihre Lage getrieben wurde, begibt sich Linda vergleichsweise unnötig in "Gefahr".
    Gemeinsam ist Maria und Linda, dass ihre Gedanken und Vorstellungen oft sehr intensiv und langsam, fast minutiös geschildert werden.


    Deswegen sehe ich bei Untreue inzwischen eher eine Nähe zu diesem Roman und weniger zu "Veronika beschließt zu sterben".