Postman, Neil: Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie.
»Problematisch am Fernsehen ist nicht, daß es uns unterhaltsame Themen präsentiert, problematisch ist, daß es jedes Thema als Unterhaltung präsentiert.« Neil Postman
Verlag: S.Fischer
Seitenzahl: 207
ISBN: 3-596-11233-8
Orwell konstruierte in 1984 den Archetypus des totalitären Staates, nicht zuletzt die Brillanz seiner Arbeit nötigte den Leser, in der Sowjetunion wohl zurecht die Entsprechung Ozeaniens zu finden. Als der sowjetische Machtblock im Räderwerk der Geschichte zerstob, atmete die westliche Welt auf: Orwell gebannt, das Gespenst des Kommunismus besiegt? Wäre da nur nicht Orwells prophetischer Bruder, kein Geringerer als Aldous Huxley, der dieser Leichtfüßigkeit einen Strich durch die Rechnung macht; die Gefahr unserer Freiheit liege nicht etwa im Totalitarismus, sondern daran, daß die Gesellschaft zu einem Rummelplatz verkomme, argumentiert Postman, ganz im Stile einer Brave new world.
Auf den deutschen Leser wirkt es zunächst ernüchternd, daß Postman seine Analyse auf die amerikanische Medienlandschaft, explizit: das Fernsehen, beschränkt. Das hat zwei gute Gründe. Erstens war er selbst Amerikaner, zweitens ist der amerikanische Markt der Prototyp der Unterhaltungsindustrie und war zum Zeitpunkt der Veröffentlichungen von den kontinentaleuropäischen Entwicklungen verschieden. Der deutschen Leser darf aber unbesorgt sein, finden sich doch in der Analyse Postmans allerlei Extrema, auf die unsere heutige, deutsche Gesellschaft prallt.
Medien bestimmen den Diskurs, heißt es. Der öffentliche Austausch in einer Kultur sei also gebunden an das vorherrschende Medium, an die Quelle der Information, an das Mittel, mit dem die Leute untereinander in Kontakt treten. Das war schon immer so: in Kulturen, die sich auf mündliche Überlieferung fixierten und in Kulturen, die sich der Druckerpresse bedienten. In Letzterem erkennt Postman den entscheidenden Fortschritt der Zivilisation: die Gliederung der Schriftsprache, ihre Logik und Kontinuität, das Innehalten in der Abfassung von Gedanken, habe die Auffassungsgabe und schließlich die Art des öffentlichen Austauschs erheblich beeinflusst, belebt und zum Guten hin verändert. Man will nun meinen, daß ein Schritt zu televisuellen Medien gleichsam ein ähnlich bedeutender Fortschritt sei, wie derjenige von mündlicher Überlieferung zum Buchdruck - weit gefehlt, sagt Postman, das sei vielmehr ein Rückschritt sondersgleichen!
Die Welt des Fernsehens sei eine “Und-jetzt”-Welt, eingespannt in Erzählstrukturen, Dramatik und Show-Einlagen. Nichts sei vor derlei Inszenierungen sicher: Religion, Politik, Nachrichten fügen sich stramm in Reih’ und Glied des Show-Business. Etwas anderes gebe es auf der Mattscheibe gar nicht, was zwinge die Menschen denn sonst, stundenlang auf den Schirm zu glotzen, wenn nicht die Unterhaltung? Die ist in Postmans Augen nicht das große Problem, das Fernsehen sei, so hält er es erstaunlicherweise, gerade dann am besten, wenn es schlecht ist, das heißt, wenn es nur unterhalten möchte. Das ist natürlich kein Grund, die Glotze einzuschalten.
Viel schlimmer sei es allerdings, wenn es unterrichten will, Informationen übermitteln möchte. Dabei würden diese kurzerhand in das Mieder der Unterhaltung gepresst und verkümmerten deswegen. Überhaupt verkümmere alles: unsere Fähigkeit zu denken, zu sprechen, zu argumentieren, Wahrheit und Aufrichtigkeit verkümmere. Das Fernsehen habe schlichtweg nicht die Zeit, zu erläutern, die Menschen im Fernsehen nicht die Zeit zu denken, klar und sachlich zu reden (Anmerkung: in der Online-Ausgabe einer renommierten Wochenzeitschrift fand sich ein überaus lesenswerte Artikel über die Struktur der Sendung ’Sabine Christiansen’) und die Menschen vor dem Fernseher nicht die Lust, sich ausufernde Argumentationen, Erläuterungen, Gedanken anzuhören, anbei sei ohnehin jedes derartige Format gescheitert, weil es fast kein Mensch sehen wolle. Daneben zimmerten wir durch das Fernsehen eine zweite Wirklichkeit auf, säßen auf dem Pulverfass seines suggestiven Charakters (schließlich erlauben Sendeformate keine Fragen und sind in sich abgeschlossen, sie servieren uns und wir nehmen dankend entgegen) und beteten schlussendlich den Götzen Unterhaltung an: es ließe sich nicht mehr lernen, wenn es keinen Spaß mehr mache, es ließe sich nicht mehr arbeiten, wenn es keinen Spaß mehr mache, es ließe sich nicht mehr glauben, wenn es keinen Spaß mehr mache, diese Liste ließe sich beliebig weiterführen, wenn es denn Spaß macht.
Das alles ist gar kein Problem, wäre da nicht das Schlimme: unser Leben ist vom Fernsehen durchsetzt, wir benützen es als Informationsquelle, als Informationsautorität, es sagt uns neuerdings, wie wir zu sein haben, es ist normativ, es ist überall, es ist Teil unserer Wirklichkeit. Postman verneint abschließend die Vernichtung des Fernsehers, er verneint es mit Hinblick auf den utopischen Anstrich dieser Forderung, er verlangt stattdessen den höchst kritischen Umgang mit dieser Form des Mediums. Am besten ist es natürlich, es gar nicht erst einzuschalten.
Was dieser Mann in seiner einfachen Sprache mit seinen zahlreichen Belegen ablieferte, veränderte mich, bestimmt seitdem meinen Umgang mit dem kleinen Diktator im Wohnzimmer, vielleicht hat es mich so sehr verändert, wie kein Buch in den letzten Monaten. Auch wenn sich seit der Erstveröffentlichung viel getan hat, an Postmans Stelle noch kritischere, noch schärfere Augen getreten sind, wenn, wie neueste Beobachtungen zeigen, Orwells Prophezeiung nur totgeglaubt wurde und in die einstige Vorzeigedemokratie einkehren könnte, wenn Huxley und Orwell wider Erwarten im Gleichschritt marschieren und beide Recht hätten: Postman trägt mit diesem und seinen anderen Büchern die Stimme der Vernunft an die Öffentlichkeit, selbst wenn es für die Spaßgesellschaft die Stimme eines Rufers in der Wüste ist.