Iris Radisch - Camus: Das Ideal der Einfachheit

  • Der Autor
    Iris Radisch, geboren 1959 in Berlin. Studium der Germanistik, Romanistik und Philosophie in Frankfurt am Main und Tübingen. Tätig als Literaturkritikerin; seit 1990 Literaturredakteurin der ZEIT, seit 2013 dort Leiterin des Feuilletons. Daneben Tätigkeit als Fernsehmoderatorin. 2008 wurde sie mit dem Medienpreis für Sprachkultur der Gesellschaft für deutsche Sprache ausgezeichnet. 2009 ernannte die französische Kulturministerin Iris Radisch zum «Chevalier des Arts et Lettres».


    Das Buch (Quelle Amazon):
    Unterm Strich - Camus, wie ihn kaum jemand kennt: Ein Mann, der zum Mörder wird, weil ihn die Sonne blendet – bis heute ist "Der Fremde" eine der berühmtesten literarischen Figuren der Welt. Albert Camus, sein Schöpfer, ist der Philosoph des Absurden, in das der Mensch hineingestellt ist, der Denker der Revolte, die den Menschen ausmacht – und immer der Anwalt der Einfachheit, die dem Algerienfranzosen das Grundgegebene unter der Sonne und zugleich das am stärksten Gefährdete war.


    «Aktueller denn je», lautet der Befund von Iris Radisch, einer der führenden deutschsprachigen Literaturkritikerinnen, die uns aus Anlass seines 100. Geburtstages auf eine faszinierende Reise mitnimmt: von Belcourt, dem ärmlichen Viertel Algiers, in dem Camus mit einer stummen Mutter aufwächst, in das graue Paris, das unter deutscher Besatzung die Moral der jungen Existenzialisten herausfordert. Vom konkurrierenden Großbürger Sartre als «algerischer Gassenjunge» abgetan, ist Camus, der erklärte Antifaschist, Antikommunist und Europäer, selbst ein Fremder – und hellsichtiger als alle.


    Emphatisch vermittelt uns Iris Radisch diesen von karger mittelmeerischer Landschaft geprägten Mann in allen seinen Lebenskämpfen, als Liebhaber der Frauen und eines Denkens, das sich engagiert. Iris Radisch beherrscht die große und seltene Kunst, ihren Gegenstand angemessen, genau und differenziert darzustellen und zu bewerten, und ihre Sprache zeichnet sich durch eine kreative Wortwahl, durch Originalität und Witz aus.


    Meinung


    Der Autorin ist gelungen, was selten gelingt: Als ob der Leser in Camus Wohnzimmer säße und dessen Kühle, Zwiespältigkeit und Weitsicht hautnah erfahren würde. Man erfährt eine ganze Menge über die Motive des Mannes, der Weltliteratur geschrieben hat.


    So liegt „Der Fremde“ in seiner Kinderstube verborgen. Das Absurde des „Sisyphos“ entspringt der nordafrikanischen Kontenance seiner Herkunft. Und „Der Mensch in der Revolte“ ist seinem anarchistischen Charakter geschuldet.
    Camus war seiner Zeit weit voraus. Als die Pariser Intellektuellen und Hofschranzen Sartres noch das Morden der sowjetischen Schreckensherrschaft rechtfertigten, war es Camus, der gegen jedweden Totalitarismus anschrieb. Während man die Errungenschaften der Technik feierte, war es Camus, der die Schattenseiten der Industrialisierung kritisierte. Damals wurde ihm vorgeworfen, außerhalb der Moderne zu leben, doch letztendlich hat ihm die Geschichte recht gegeben.


    Zum Schluss wird die Biographie abgerundet mit den Besuchen der Autorin bei Camus Kindern. Die Zerrissenheit des Autors überlebt in seinem Nachwuchs: Die Tochter hat seinen mediterranen Gleichmut konserviert, während sein Sohn den Pariser Schatten seines Charakters symbolisiert.


    Man kann sich nur wünschen, dass Iris Radisch noch viele Biographien über große Geister des 20. Jahrhunderts schreibt. Volle Punktzahl!

  • Eine sehr gelungene Buchvorstellung, lieber Kollege Beisswenger. Und es scheint mir angebracht, wenn ich diesem Buch dann relativ zeitnah nähertreten werde. Danke für deinen Beitrag.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.