Wir brauchen neue Namen – NoViolet Bulawayo

  • OT: We Need New Names 2013, übers. von Miriam Mandelkow


    Darling lebt in Paradise, einer halb illegalen Blechhüttensiedlung in Zimbabwe. Sie ist zehn, wichtig in ihrem Leben sind ihre Freundinnen, alle zwischen zehn und zwölf, allesamt arm, halbverhungert, eins der Mädchen ist schwanger. Sie spielen ihre Kinderspiele, zum Beispiel ‚Bin Laden fangen‘. Das ist lustig, spannend und man kann von den Reichtümern träumen, die man bekommen würde, wenn ….
    Wenn der Hunger Überhand gewinnt und die Jahreszeit paßt, rennen die Kinder nach Budapest, in das benachbarte Viertel der Wohlhabenderen, wo sie Guaven von den Bäumen stehlen. Sie sind AbenteurerInnen, laut, frech, unangreifbar, wenn sie als Gruppe unterwegs sind.


    Tatsächlich sind angreifbar, hilflos und fast schutzlos. Sie sind nicht in Armut aufgewachsen. Sie sind die Kinder derjenigen, die die Unabhängigkeit des Landes erkämpft haben. Aber die politischen Verhältnisse haben sich geändert. Die Häuser ihrer Eltern wurden zerstört, wer sich gegen das Regime zur Wehr setzt, ermordet. Es gibt keine Arbeit für sie. Viele Erwachsene gehen illegal über die Grenze nach Südafrika, darunter Darlings Vater. Doch die Reichtümer, von denen er geschwärmt hat, bringt er nicht zurück, im Gegenteil kommt er noch ärmer und todkrank, um in Paradise zu sterben.
    Das Traumland für alle ist ‚Amerika‘. Darling hat eine Tante dort, die sie einlädt. Doch der Preis für Sicherheit und einen vollen Magen ist hoch, er kostet die Heimat.


    Bulawayo läßt Darling nur das erzählen, was für eine Zehnjährige wichtig ist bzw. das, was sie wahrnimmt und wie sie es wahrnimmt. Die eigentliche Bedeutung dessen, was geschildert wird, einschließlich der Kinderspiele, erschließt sich beim Lesen erst nach und nach. Eingeteilt ist das Buch in einzelne Geschichten, Episoden aus Darlings Leben, die Stück für Stück die wesentlichen Informationen liefern. Entworfen wird ein ganzes Panorama, das Leben der Ausgeschlossenen und der Privilegierten, die Probleme zwischen Schwarzen und Weißen, die Korrumpierung der klassischen Befreiungsideologie. Der Blick der Weißen auf die Schwarzen, die klägliche Rolle von Hilfsorganisationen, christlicher Fundamentalismus und die Rolle traditioneller Religionen. Die Fragen werden sehr deutlich und hart gestellt, der Blick afrikanischer Menschen ist nicht der Blick der Weißen.


    Der zweite Teil stellt eben diese Fragen vor dem Hintergrund der modernen USA. Darling ist jetzt vierzehn. Das Wunderland ist ebensowenig ein Paradies, wie Paradise es war. Der Blick der Vierzehnjährigen ist schärfer. Die westliche Zivilisation erweist sich ebenso als barbarisch, wie die Diktatur in Zimbabwe. Das Buch ist sehr genau aufgebaut, einzelne Themen aus dem ersten Teil werden in veränderter Form wiederaufgenommen.


    Thema ist auch im zweiten Teil die Vertreibung und es stellt sich dann als Hauptthema heraus. Bulawayo ist illusionslos und kompromißlos. Der Verlust der Heimat ist ein lebenslanger. Er zerstört Menschen, selbst wenn sie nach außen erfolgreich sind.
    Versöhnlich ist Darlings Geschichte an keiner Stelle. Er bietet einen sehr anderen Blick auf Auswanderung, Vertreibung und die Suche nach einem neuen Leben als den üblichen. Was Darling aufzeigt, ist beunruhigend, ein fehlerbehaftetes, zu kurz gedachtes Modell von einem allseitigen Happy Ending, ein schöner Schein. Die Lektüre verunsichert gezielt in allen Überzeugungen, die man über den gesamten Bereich zwischen Asyl, Ein – und Auswanderung, Heimatlosigkeit bis hin zu Spenden und NGOs haben mag.
    Der Klappentext wirbt mit ‚Reizen, denen man sich nicht entziehen kann‘, mit ‚fröhlich‘ und ‚Lust am Leben‘ und zeigt damit nur den rosarot-arroganten Blick der Weißen, den Darling so zielsicher entlarvt.


    Gelesen habe ich das Buch auf deutsch, in diesem Fall ist es nicht unbedingt von Bedeutung, es in der Originalsprache zu lesen, weil amerikanisches Englisch auch nicht die Muttersprache der Autorin ist. Die fremde Sprache betont noch das Moment der Entfremdung, das für die Geschichte so wesentlich ist.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Wir brauchen neue Namen - NoViolet Bulawayo


    Verlag: Suhrkamp


    Aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow


    Über die Autorin:
    NoViolet Bulawayo, geboren 1981 in Simbabwe, zog im Alter von achtzehn Jahren in die Vereinigten Staaten. 2011 gewann sie den Caine Prize for African Writing. Ihr Romandebüt Wir brauchen neue Namen ist ein weltweiter Erfolg.


    Über die Übersetzerin:
    Miriam Mandelkow, 1963 in Amsterdam geboren, lebt als Übersetzerin in Hamburg. Zuletzt erschienen in ihrer Übersetzung u.a. die Werke von Martha Gellhorn, Patrick Hamiltons Romane Hangover Square und Sklaven der Einsamkeit, Michael Frayns Roman Gegen Ende des Morgens und Tobys Zimmer von Pat Barker sowie Wellenschläge von Anne Landsman.


    Mein Eindruck:
    Eigentlich hat Magali schon alles Wichtige treffend zu dem Roman gesagt.


    Dennoch auch noch ein paar Worte von mir!
    Ich war vom dem Roman inhaltlich und sprachlich beeindruckt!


    Mit der Anfangs 10-jährigen Darling lernt man eine so lebendige und ausdrucksstarke Erzählstimme kennen, wie sie selten in der Literatur zu finden ist. Es ist eine Kinderperspektive, aber sie ist nie kindisch, das lässt die harte Realität nicht zu.


    In der ersten Hälfte befinden sich Darling und ihre Freunde in ärmlichsten Verhältnissen in Simbabwe nach der Unabhängigkeit, ungefähr 2007, schätze ich.


    Darling erzählt in einem vordergründig unbekümmerten und forschen Ton auf ganz subjektive Weise, was sie sieht und denkt.
    Es ist Aufgabe des Lesers, zu werten und zuzuordnen.


    Ein paar Fakten über Simbabwe sind daher nicht schlecht zu wissen.
    Simbabwe grenzt an Südafrika. Nach langer Kolonialherrschaft der Briten wurde das Land 1980 unabhängig. Es wird diktatorisch von Mugabe geführt.
    Vorgeblich freie Wahlen sind offensichtlich nicht fair und möglicherweise Wahlbetrug.
    Arbeitslosigkeit und Armut herrschen vor, Krankheiten wie Cholera und HIV verbreitet.
    Die Wirkung der Arbeit von Entwicklungshelfern ist minimal.
    Wer kann, verlässt das Land auf der Suche nach einem besseren Leben.


    Das soziale Elend kennen auch Darling und ihre Familie. Sie leben in Blechhütten, ohne Perspektive.
    Deswegen hofft auch Darling das Land verlassen zu können. Ihre Tante lebt in den USA und holt sie zu sich.


    Die zweite Hälfte des Buches spielt in den USA. Jetzt in Darling ungefähr 14.
    Darlings außergewöhnliche Erzählstimme bestimmt weiterhin das Buch, denn genau beobachtet sie die Verhältnisse und ihr Urteil ist auch in den USA nicht kritiklos. Hinzu kommt das Thema Heimatverlust.


    Sprachlich ist das Buch manchmal eine Herausforderung. Ich habe das Gefühl, dass die deutsche Übersetzung von Miriam Mandelkow sehr gelungen ist,. Sie erhielt für dieses Buch erfreulicherweise den Hamburger Förderpreis für literarische Übersetzungen.


    Der Roman ist für den LiBeraturpreis 2015 nominiert und dürfte aufgrund seiner Themen und der sprachlichen Besonderheiten mit zu den Favoriten gehören.

  • Ehe ich es mit eigenen Augen gesehen habe, konnte ich mir nicht vorstellen, wie eine Regierung ein Land wie Zimbabwe derart ruinieren kann, indem sie u. a. seine weißen Farmer enteignet und vertreibt, die bis dahin zumindest schwarze Arbeitskräfte in der Landwirtschaft beschäftigt haben. Wer kann, verlässt das Land und sucht in Südafrika oder Namibia Arbeit. Zurück bleiben auf sich gestellte Kinder, deren Mütter sich damit durchschlagen, an der Landesgrenze bescheidenen Handel zu treiben. Geld ist zum wertlosen Haufen Papier geworden. Die zehnjährige Darling geht längst nicht mehr zur Schule; die Lehrer haben das Land längst verlassen. Wofür sollten Kinder sich anstrengen, woher sollten die Schulhefte kommen? Als Bande stromern Darling und ihre Freunde durch ein ehemals gutbürgerliches Stadtviertel, in dem noch Obst von den Bäumen zu stehlen ist. In Darlings Alter werden Mädchen schwanger, ehe sie begreifen, was dabei mit ihrem Körper passiert. Darling ist die Chronistin dieser Verhältnisse, ihr Blick beschränkt auf die Sicht einer Zehnjährigen. Charakteristische Versatzstücke afrikanischer Realität setzen beim Leser Vorkenntnisse voraus, um z. B. einzuordnen, warum chinesische Kapitalanleger in einem verarmten Land ein Luxus-Einkaufszentrum errichten, damit jedoch keine Arbeitsplätze für Einheimische schaffen.


    Im zweiten Teil des Buches lebt Darling nach einem radikalen Schnitt vier Jahre später bei ihrer Tante Fostalina in den USA. Ihr Teenagerleben mit Fernsehen, Facebook und Blingbling steht in krassem Gegensatz zum Überlebenskampf ihrer Tante und auch zur kindlich-fordernden Sichtweise der in Afrika zurückgebliebenen Verwandten. So mancher Afrikaner rackert sich im Ausland mit mehreren Jobs ab, um Geld an die Familie schicken zu können. Einen Besuch in Afrika können sich die Auswanderer aus verschiedenen Gründen nicht leisten. Die „neuen Namen“, unauffällige amerikanische Vornamen, die Darlings Generation den eigenen Kindern gibt, stehen stellvertretend für die Entfremdung zum Heimatland und den Angehörigen dort.


    Die 1981 geborene Autorin beschränkt sich auf eine sehr kindliche Perspektive ihrer Icherzählerin und verlangt ihren Lesern damit ein selbstständiges Fortdenken eines Erwachsenwerdens als Flüchtling ab.


    7 von 10 Punkten

  • Herr Palomar


    ich freue mich, daß Dir der Roman auch so gut gefallen hat. :-)


    Buchdoktor


    über die 'neuen Namen' grüble ich ehrlich gesagt, immer noch. Ich würde gern wissen, wer den Titel gewählt hat, Autorin oder Verlag. Das Kapitel im Buch, das genau dieses 'Wir brauchen neue Namen' als Überschrift hat, hat einen recht kruden und ganz anderen Inhalt.
    Ich neige inzwischen eher zu der Asnicht, daß es darum geht, Menschen, die geflohen sind, vertreiben wurden, in einer völlig fremden Welt neu anfangen müssen zu leben, die sind, die einen neuen Namen brauchen.
    Sie sind nicht Afrikanerinnen, nicht Shona, Ndebele oder andere, nicht Flüchtlinge, nicht Amerkanerinnen, sondern alles zusammen und auch wieder nicht, weil sie im Nichts leben. Ihre eigene Kultur verloren haben, aber keine andere so recht finden, sie sind immer die Anderen, egal, was sie tun, wo sie sind, immer falsch, wenn sie nicht in ihrer Heimat sind. Dort sind sie aber auch falsch, weil das gnaze Land falsch geworden ist.
    Das ganze Buch handelt ja vom Verlust der Heimat.
    Wie gesagt, ich grüble noch.


    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Das ist ein schönes Thema. Die neuen Namen sind viel einfacher, ohne Klicklaute und andere Schikanen. Wenn ich meinen afrikanischen Namen vereinfache zu Tom, Dick & Harry, enthält das evtl. die Botschaft: ich mache es euch anderen leicht; denn ich traue euch nicht zu, dass ihr meinen Namen je aussprechen könnt. ;-)

  • Das ist richtig, gute Ergänzung.
    Aber Bulawayos Figuren sind keine Siegerinnenfiguren. Sie sind Geschlagene. Ihr Problem ist, daß sie sich nciht abgrenzen können, ihnen fehlt etwas, sie leben den Verlust. Und als Menschen, die diesen Verlust in sich haben, an sich, mit sich tragen, brauchen sie einen neuen Namen.


    Es ist das Kapitel 10, das mich darauf brachte., 'Wie sie gingen'. Es ist ja kurz, anderthalb Seiten. Es hat etwas Alttestamentarisches und ruft zugleich das Bild der heutigen Flüchtlingsströme wach.
    Es ist der Versuch, Verlust spürbar zu machen, ein Klagelied.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Es ist das Kapitel 10, das mich darauf brachte., 'Wie sie gingen'. Es ist ja kurz, anderthalb Seiten. Es hat etwas Alttestamentarisches und ruft zugleich das Bild der heutigen Flüchtlingsströme wach.
    Es ist der Versuch, Verlust spürbar zu machen, ein Klagelied. :wave
    magali


    Da geht mir auch so mit den Flüchtlingsströmen.


    Zuerst warten, ob Nachrichten kommen, ob jemand Geld schickt, warten auf die Einladung der "reichen Verwandten", warten auf Jobs und Papiere und sich dabei nicht die Frage stellen dürfen, ob man das überhaupt so gewollt hat.


    Im Vergleich zu Adichie finde ich die Vermittlung eines Lebens in Wartestellung hier durch die Beschränkung auf die jugendliche Erzählerstimme viel schwerer zugänglich, (nicht weil der Text das nicht könnte, sondern weil der nordeuropäische/weiße Leser innerlich so weit weg von den angeschnittenen Fragen ist).

  • Die Perspektive hier heißt 'Fremdheit' und die ist bewußt gewählt. Bulawayo geht es um Distanz. Das ist Thema, das ist Mittel.
    Daher die 'Kinderaugen'.


    Ich fand es deswegen so überzeugend, weil der Text so fordernd ist. Weil ich dauernd ins 'Erwachsene' übersetzen mußte, sozusagen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus