Im Hause Longbourn
Jo Baker
Übersetzerin: Anne Rademacher
ISBN: 978-3813506167
Albrecht Knaus Verlag
448 Seiten, 19,99 Euro
Über die Autorin: Jo Baker wurde in Lancashire geboren und studierte an der Oxford University und der Queen´s University in Belfast, wo sie ihre Leidenschaft fürs Schreiben entdeckte. Seither veröffentlichte sie fünf Romane, die ihr in der Presse viel Lob einbrachten. Mit "Im Hause Longbourn" gelang ihr der internationale Durchbruch. Jo Baker lebt mit ihrer Familie in Lancaster.
Klappentext: Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ ist einer der meistgelesenen Romane der Weltliteratur. Zahlreiche Verfilmungen verhalfen ihm in den letzten Jahren auch in Deutschland zu noch größerer Popularität. Nun erzählt Jo Baker die Geschichte um die Familie Bennet, Mr. Bingley und Mr. Darcy aus der Sicht der Dienstboten auf dem Familienanwesen Longbourn – und zeigt, dass hinter jeder gekochten Mahlzeit, jedem geflickten Rock und jeder überbrachten Nachricht Menschen aus Fleisch und Blut stecken, deren Dramen jenen der Herrschaften in nichts nachstehen.
Meine Meinung: Was für eine tolle Idee, sich noch einmal der Mitglieder des Hauses Longbourn anzunehmen, aber dieses Mal alles aus einem ganz anderen Blickwinkel zu beleuchten. Jo Baker hat in einem Interview zu ihrem Buch gesagt, dass sie es nicht als Neuerfindung des bekannten Klassikers „Stolz und Vorurteil“ sieht, sondern als Erweiterung und das trifft auf diesen Roman auf jeden Fall zu. Die Familie Bennet und auch die Herren Mr. Darcy und Mr. Bingley rücken in den Hintergrund und machen die Bühne frei für das Haushälter-Ehepaar Mr. und Mrs. Hill, Polly, das jüngste Hausmädchen und Sarah, die junge Hausangestellte, die eigentliche Hauptperson neben dem später hinzukommenden Hausdiener James.
Sie alle bekommen die Befindlichkeiten bei den Bennets zwar hautnah mit, aber sie haben eben auch ihr eigenes Leben und das ist ziemlich hart. Sehr gut recherchiert wird hier der Alltag in solch einem großen Haushalt beschrieben. Viele schwere und unterschiedliche Aufgaben sind zu bewältigen und beim Lesen wird deutlich, was zum Beispiel der Waschtag für die Hausangestellten bedeutete – ein buntes Kleid musste damals vor der Wäsche aufgetrennt werden, damit sich nichts verfärbte und danach wieder zusammengenäht werden. Blutige und rissige Hände waren an der Tagesordnung und wenn den jungen Damen die Haare mit der Brennschere aufgedreht werden mussten, dann kamen noch Verbrennungen hinzu. Eine feine Abendgesellschaft bedeutete viel mehr Arbeit für das Personal und meist auch schlaflose Nächte, denn die Herrschaften wollten bei ihrer Rückkehr empfangen und versorgt werden. Schmutz, Blut, Gestank, tiefe Erschöpfung – das, was Jane Austen nie erwähnte, wird hier zur alltäglichen Begleitung des Personals und zeigt auf, dass eine perfekte Welt für die Herrschaften einen Preis hat, den ihre oft von ihnen ignorierten Angestellten bezahlen müssen.
Viele kleine interessante Details tauchen auf, die ein sehr plastisches Bild dieser Zeit aufzeichnen und die aus Sicht des Personals dieser so bekannten Familie plötzlich ein viel runderes und realistischeres Bild von dem Leben im Hause Longbourn abgeben. Das Hausmädchen Sarah, eine der Hauptfiguren, ist ein sehr intelligentes Mädchen und sie mag sich nicht auf Dauer mit der schweren und eintönigen Arbeit abgeben. Innerlich sucht sie nach Alternativen, doch in der Zeit, in der sie gelebt hat, gab es fast keine Möglichkeiten für junge unverheiratete Frauen ohne gut situierten Familienhintergrund.
Jo Baker zeigt anhand von Sarah auf, wie wenig Möglichkeiten es damals für Mädchen und Frauen aus einfachen Verhältnissen gab, dem sozialen Umfeld, in das sie hineingeboren waren, zu entkommen. Aber auch Männer hatten es schwer, gesellschaftlich eine Stufe höher zu kommen, doch bei ihnen waren die Chancen wenigstens etwas höher - durch James erhält man als Leser einen interessanten Einblick in das Leben eines Hausdieners, aber auch was es damals bedeutete, einfacher Soldat, sprich Kanonenfutter zu sein. Das alles wird recht ruhig erzählt, doch hat Jo Baker sich nicht nur auf die Darstellung der Hausarbeit begrenzt, sie hat noch ein paar Zutaten hinzugefügt, die im Hause Longbourn nicht unbekannt waren; Liebe, Hass und Intrigen und damit ihrem Buch die nötige Spannung verpasst.
So kann ich diesen eher ruhigen aber sehr interessanten Roman allen Jane Austen-Fans empfehlen, denn er ist keine Kopie des Klassikers, sondern eine wunderbare Ergänzung, ein bisher fehlendes Puzzleteil, das das Gesamtbild von „Stolz und Vorurteil“ perfekt abrundet.