Jennifer Clement - Gebete für die Vermissten

  • Gebundene Ausgabe: 229 Seiten
    erschienen am 15. September 2014 im Suhrkamp Verlag
    Originaltitel: Prayers for the Stolen


    zur Autorin: (Quelle: Suhrkamp-Verlag)
    Jennifer Clement, 1960 in Connecticut geboren, wuchs in Mexiko-Stadt auf, studierte in New York und Paris Literaturwissenschaft und hat Lyrik und zwei Romane veröffentlicht. Für Gebete für die Vermissten recherchierte sie über zehn Jahre lang in der mexikanischen Provinz und führte Hunderte Interviews mit vom Drogenkrieg betroffenen Mädchen und Frauen.


    Auf der Verlagsseite ist außerdem ein Buchtrailer eingebettet, der mMn die Stimmung des Buches genau trifft.



    zum Inhalt:
    Ladydi Garcia Martinez lebt mit ihrer Mutter in einem kleinen Dorf in Guerrero. Der Bundesstaat im Süden Mexikos hat nicht viel mehr zu bieten als trockenes Land, Gummibäume, Leguane und Skorpione. Er zählt zu den vier ärmsten Staaten des Landes. Die wenigsten Einwohner können die schönen Pazifikstrände um die Stadt Acapulco genießen. Viele Männer versuchen ihr Glück über die Grenze in die USA. Nur wenige von ihnen schaffen den Weg durch den Rio Grande. Von den wenigen, die es schaffen, kehren die wenigsten in die armselige Hütte zurück. Zurück bleiben die Frauen, die sich und die Kinder vor Übergriffen schützen müssen.


    In dem Dorf, über das Jennifer Clement schreibt, gibt es keine Männer mehr. Die Frauen schlagen sich mit Saisonarbeiten oder Dienstleistungen für die Reichen aus der Hauptstadt durch. Als Lebensgrundlage dient das, was auf dem Berg wächst. Da es kaum nennenswerte Wirtschaftszweige gibt, lebt vor allem die indigene Bevölkerung, zu der Ladydi gehört, in großer Armut. Die Mädchen leben zusätzlich in ständiger Angst vor Entführungen. Drogendealer kommen in ihren schwarzen Geländewagen angefahren und verschleppen die jungen Mädchen. Ladydis Mutter kleidet ihre Tochter zum Schutz in Jungensachen und richtet sie absichtlich hässlich her. Jede Hütte verfügt außerdem über ein schnell erreichbares Versteck. Nur eine einzige Freundin hat es bislang wieder zurück geschafft. Ihre Misshandlungen lassen sich nur erahnen. Sprechen kann sie darüber nicht.


    meine Meinung:
    Die Autorin beschreibt in treffenden Worten die Alltagssituation der Einheimischen. Sie lässt dabei das Leben mitsamt des Misstrauens, der Religiosität, des fehlenden Gesundheitssystems und der Allmacht der Drogenhändler zwischen den Zeilen spürbar werden. Ihre Protagonistin ist eine 14-jährige, die es gewohnt ist, sich in der Öffentlichkeit ihre Identität zu verbergen und sich absichtlich hässlich zu machen. Nur so hat sie eine Chance zum Überleben. Das Buch ruft latent eine Beklemmung hervor, ohne direkt anzuklagen. Jeder weiß, dass die Missstände in Bezug auf Schutz der Menschenrechte behoben werden müssen, doch niemand greift ein. Die wenigen sozialen Dienste, die in Abständen angeboten werden, scheinen wie Tropfen auf heißen Steinen. Die steigende Gewaltbereitschaft des organisierten Verbrechens und der Bevölkerung, die sich nicht anders zu helfen wissen, schwebt auch in diesem Roman wie eine unsichtbare Glocke über dem Berg. Die Autorin lässt ihre Leser im dritten und letzten Teil der Geschichte einen Blick in ein Gefängnis in Chilpancingo werfen. Auch in den staatlichen Einrichtungen herrscht Willkür und Folter. Fassungslos liest man Kapitel um Kapitel, um festzustellen, dass in Mexiko andere Gesetze gelten.


    Der Roman sticht durch seine plastische und farbige Darstellung der Lebensumstände um Ladydi hervor. Sie und ihr Umfeld stehen Pate für unzählige Familien in dieser Region. Ihre Mentalität und Denkweise sind treffend beobachtet. Die vernichtende Gewalt steht im krassen Gegensatz zur Barmherzigkeit und Nächstenliebe der Menschen. Eine langjährige akribische Recherche ließen die unzähligen Einzelschicksale und Ereignisse zu einer runden Geschichte werden. Fließend wie das Leben selbst reihen sich gute wie schlechte Eigenschaften, Liebe, Verlust, Vertrauen und Missbrauch aneinander. Es rüttelt auf, ohne mit dem Finger auf bestimmte Gruppen zu zeigen. Wünschenswert wäre es, wenn diese Gebete für die Vermissten erhört werden.

  • Ich habe dieses Buch (sehr hübsches Cover übrigens) bereits vor einigen Wochen gelesen und musste es erst einmal sacken lassen. Ich wundere mich, dass es hier nur eine Stimme dazu gibt.

    Zum Inhalt kann ich gar nicht mehr viel beitragen, außer vielleicht, dass die Autorin über 10 Jahre lang Interviews mit mexikanischen Frauen/Gefängnisinsassen geführt hat, was alles Erlebte von Ladydi, wenn hier auch nur Fiktion, in noch real-höllischerem Licht erscheinen lässt.

    Ich kann nur sagen, dass es mich mental umgehauen hat.

    Nach dieser Geschichte erkennt man, dass man hier selbst in der Corona-Krisen-Zeit immer noch mit Luxus-Problemen zu kämpfen hat!

    Nach der Lektüre habe ich noch so einige andere Bücher gelesen oder Filme geschaut, die auch kein Spaziergang waren, aber jedes Mal dachte ich: ein Scheiß ist das gegen das, was in Mexico abgeht. Ich will da niemals hin.


    Eigentlich ein 10-Punkte-Buch. Traurige 10 Punkte.

    Definitiv keine Wohlfühllektüre. Ich wünsche dem Buch trotzdem noch viele Leser/innen!


    Meine gebundene Ausgabe:

    ASIN/ISBN: 3518424521


    Taschenbuchausgabe:

    ASIN/ISBN: 3518466402

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • In einem Dorf ohne Männer wächst Ladydi auf. Eine große Gefahr für die Bewohner sind die schwarzen Geländewagen der Drogendealer und Menschenhändler, dann werden die Mädchen in Erdlöchern versteckt oder die Mütter verkleiden die Mädchen als Jungen. “Am besten ist es sich hässlich zu machen, damit man nicht auffällt“ ist eine Lebensweisheit der Mutter.


    Das Leben am Berghang im Dschungel ist für alle nicht einfach, umso wichtiger ist die Gemeinschaft, die aber nach und nach zerbricht. .So ganz abgelegen ist das Dorf nicht, denn man kommt mit Bus und Taxi über die Schnellstrasse nach Acapulco , wo auch einige Bewohner ihren Lebensunterhalt verdienen. Viele versuchen ihr Glück auch jenseits der Grenze.

    Man erlebt mit Ladydi die soziale Struktur im Ort, Entführung, Korruption, die Misere der Schulbildung und dadurch den Vorteil von Satellittenschüsseln , steht mit dem Handy auf der Lichtung,sitzt mit im Erdloch und kämpft gegen Ameisen.

    Lebensweisheiten der Mutter und wie diese die Welt sieht begleiten Ladydi auf ihren Weg und der Leser schmunzelt manchmal über diese Ansichten.

    Die Schicksale der einzelnen Protagonisten sind eindrucksvoll geschildert.

    Der Roman erzählt einen Lebensabschnitt von Ladydi und ihrem Umfeld, indem die Autorin alle Brennpunkte anspricht, die sie in ihren zahlreichen Interviews erhalten hat. Durch die vielen Berichte der Medien ist die Problematik nicht unbekannt .

    Der Schreibstil der Autorin hemmt manchmal den Lesefluss.

    Ein sehr dicht geschriebener Roman über Mexico, wo das Leben einzelner nicht viel wert ist.


    8 Eulenpunkte


    Ich habe diesen Roman damals bei Vorablesen gewonnen und mußte erstmal die Rezi suchen. :gruebel

    So ganz konnte mich der Roman nicht überzeugen, wenn man bedenkt, dass die Autorin zehn Jahre dafür recherchiert hat.

    Wesentlich mehr beeindruckt hat mich damals Tage der Toten von Don Winslow.

  • Bei Amazon schreiben ja einige, dass sie Probleme hatten mit den Zeitsprüngen und den fehlenden Anführungszeichen. Diese Schwierigkeiten hatte ich persönlich Gottseidank nicht. Aber das Buch fordert definitiv Aufmerksamkeit beim Lesen, das stimmt schon.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“