was spricht gegen sogenannte *seichte* Literatur

  • Zitat

    Was mich noch sehr interessiert: wir hatten hier am Anfang zwei Wortmeldungen, eine von Findus, daß einer *seichte* Lektüre nichts gibt.
    Dazu hätte ich gern mehr gehört, weil es um Erwartungen an Lektüre geht.
    Schreibt jemand mal was dazu? :-)


    :wave


    magali


    Na, dann will ich mal:


    Ich möchte beim Lesen im Geiste auf Reisen gehen (das hat nichts mit der Realität entfliehen zu tun!) und Eindrücke von Charakteren, Situationen, Gedanken, Geisteshaltungen, Motivationen, Welten etc. bekommen, Neues, Fremdes entdecken, Bekanntes wiederentdecken und ggf. in neue Bezüge setzen, indem ich eine gute Geschichte erzählt bekommen.


    Und wenn die Geschichte gut erzählt wird, kann es sogar eine alte Geschichte sein, die mir da erzählt wird (Mr. Pelican sagt ja immer, daß nach so vielen Jahren des Geschichte Erzählens mittlerweile doch alle Geschichten erzählt sein müßten). In diesem Fall kann das gute Erzählen in der handwerklichen Kunst bestehen, oder noch besser indem gute handwerkliche Kunst damit zusammen kommt, daß ich bei der gleichen alten Geschichte neue Facetten entdecken kann.


    Manchmal habe ich den Eindruck, daß "leicht" mit "seicht" synonym gesetzt wird. So sehe ich das nicht. Eine Lektüre die obenstehende Erwartungshaltung erfüllt, kann auch durchaus leicht sein.


    Seicht ist eine Lektüre für mich dann, wenn sie vorhersehbar ist, mit bekannten Versatzstücken und Klischees arbeitet und mir nichts zu entdecken bietet (egal, ob dabei die "Heile Welt"-Klischees bedient werden oder ob es sich um einen Thriller / Krimi handelt, der alles andere als "Heile Welt" beinhaltet, aber nach Schema F gestaltet ist, oder, oder...).

  • Zitat

    Original von Teresa
    Warum gelten Romane über Vampire automatisch als seichte Literatur? Ist das nicht ein Vorurteil?


    :write :write :write :write Genau!



    "Dracula" von Bram Stoker ist ganz gewiss nicht seicht!
    Ein echter Klassiker.


    Oder die Vokabel "seicht" müsste neu definiert werden.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Genau, "Dracula" ist ein Meisterwerk, das seinesgleichen sucht!


    Darum haben wir das vermutlich auch in der Schule in der achten Klasse gelesen, weil es so anspruchsvoll etc. ist.

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

  • Zitat

    Original von Teresa
    Warum gelten Romane über Vampire automatisch als seichte Literatur? Ist das nicht ein Vorurteil?


    Das liegt wohl eher an dem Vampierbuchype der letzten Jahre und hat mit den Klassikern des Genres eben so wenig zu tun wie mit den diversen Neuinterpretationen dieses alten Mythos.


    Vielleicht ist es nächstes Jahr ein Typ vom Pizzabringdienst - da würde zumindest keine literarische Tradition drunter leiden!

  • Es mag schon sein, dass es in den letzten Jahren so viele "seichte" Romane mit Vampiren gegeben hat, aber ich finde dieses Schubladendenken auch bedenklich.

    --------------------------------
    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

  • Es mag bedenklich sein, aber so lange kein überzeugender neuer Ansatz mit Vampir auf den Markt kommt, wird sich da wenig ändern.
    Die SPlerInnen machen das nicht eben besser, weil sie kiloweise Actionthriller und Pornos mit Vampir ausschütten.
    Das Urteil 'seicht' wird täglich bestätigt. Die Schublade gefüllt.


    Die Frage ist vor allem, was man dieser Sagengestalt noch abgewinnen kann. Vom Ungeheuer bis zum Kuscheltier ist doch alles da.
    Manchmal muß man etwas für eine Generation in den Schrank stellen und in Vergessenheit geraten lassen.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Für mich bedeutet "seicht" unwichtig, man nimmt es zur Kenntnis, es unterhält vielleicht manchmal sogar, aber wenn man sich umdreht, ist es vergessen. Das gilt für Literatur genauso wie für Konversation. :-)

    Schon der weise Adifuzius sagte: "Das Leben ist wie eine Losbude, wenn Du als Niete gezogen wurdest, kannst Du kein Hauptgewinn werden.":chen

  • Zitat

    Original von magali
    Die Frage ist vor allem, was man dieser Sagengestalt noch abgewinnen kann. Vom Ungeheuer bis zum Kuscheltier ist doch alles da.


    Alles? Unsinn. Wie wäre es mit einem Drama über den sozial engagierten Vampir, der mit sich und seiner Leidenschaft für fremdes Blut hadert, dem aber aus biologischen Gründen der letzte Ausweg (Suizid) verwehrt ist? Oder man macht da eher eine religöse Geschichte draus - "Die unheimliche Pilgerreise des Dracula" oder so.


    Ich finde jedenfalls, daß man die ganze Vampirproblematik aus einem viel zu engen Blickwinkel sieht und hoffe, daß sich jemand des Themas auf verantwortungsvolle Weise annimmt, vielleicht winkt dann schon im nächsten Jahr der deutsche Buchpreis. :grin

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Du hast offenbar 'Twilight' nicht gelesen. :grin
    Edward und seine Familie haben einen sozialen Touch und ernähren sich aus Überzeugung nicht von Menschenblut. Religionsdiskussionen gibt es auch.
    Es gibt auch einen Detektiv aus den späten 1990ern, eine ganze Serie, irgendwas US-amerikanisches, der bloß Tierblut trinkt und hadert, wenn er Hunger hat und ein Mensch allzu nahe ist. Kommt fast in jedem Band vor der 'Konflikt'.
    Vampire mit Todeswunsch gibt es z.B. bei Anne Rice.
    Religiöse Probleme haben sie auch öfter mal. Und daß sie nicht sterben können, außer wenn einer sie abmurkst, plagt auch viele.


    Das fällt mir so ein und ich kenne mich in dem Bereich kaum aus.
    Das Genre muß einfach mal eine Zeitlang im Sarg bleiben.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Du hast offenbar 'Twilight' nicht gelesen. :grin


    Nein, hab ich nicht. Und überhaupt seit Anna + Rüdiger nix mehr aus der Vampirecke.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Zitat

    Original von magali
    Dann hast Du noch alles vor Dir.


    Theoretisch ja, aber solange auf dem Klappentext von Twilight "romantische Liebesgeschichte" steht und nicht das oben von mir beschriebene Szenario, lasse ich die Finger davon.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • LeSeebär


    für den Konsum von seichter Literatur muß man entweder sehr jung und naiv oder sehr mutig sein.
    Da Du Ü18 bist, bleibt nur letzteres.
    Allerdings gibt es so ein, zwei, drei Dinge, bei denen der Einsatz von Mut besser angebracht ist.
    ;-)

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Vampire mit Todeswunsch gibt es z.B. bei Anne Rice.


    Interview mit einem Vampier! So eine schöne Geschichte und ein noch besserer Film. Einfach toll! Muss ich unbedingt mal wieder gucken, danke für die Erinnerung! :-]

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • "So finster die Nacht" ist, glaube ich, ein Vampir-Roman mit Anspruch.


    Wikipedia


    Das Buch hat mich ja nicht vom Hocker gehauen, ich stehe bei Vampiren mehr auf die innerlich zerrissene vegetarische Variante, meinetwegen auch mit Glitzerhaut, und dieses schwedische Zeug macht mich eher depressiv. Aber zur Verfilmung habe ich folgende Interpretation gefunden:


    Zitat

    Der Regisseur: „Die Gesellschaft ist der eigentliche Vampir.“ Davon scheint auch Tomas Alfredson überzeugt: Die Außenseiter Eli und Oskar verlieben sich, ihre Beziehung wirkt wie eine Utopie im Vergleich zum entseelten Rest. So finster die Nacht ist ein allegorischer Entwicklungsroman, der die Lage der Hauptfiguren anbindet an eine breitere gesellschaftliche Malaise: Schlagworte von Entsolidarisierung bis Isolation schwingen mit. Der Vampir passt in jede Generation, in jedes Land, in jede Epoche, hat alles gesehen, vieles erlebt. Er ist ewig. Und ewig traurig. Quelle


    Das klingt doch nach Anspruch.
    .


  • Sehr guter Post!!!
    Kann ich voll und ganz :write


    Mir ist es heute wieder mal bewusst geworden - hab einen sogenannten "Chicklit"-Roman gelesen und es tut mir furchtbar leid, weil ich die Autorin, die die Leserunde begleitet hat, total sympathisch finde, aber das ist einfach absolut nichts für mich, einfach zu "seicht" - im Sinne der obigen Beschreibung.


    Ich möchte aber ausdrücklich betonen, dass ich keinesfalls die Liebhaber dieser "sogenannten seichten Literatur" verurteile, auf sie herabschaue, verachte oder sonstiges. Im Gegenteil, ich finde es absolut nicht schön, dass die Leser/innen, die diese Art von Unterhaltung gerne mögen, oft so bisschen von oben herab behandelt oder belächelt werden (das ist jetzt eine allgemeine Feststellung, bezieht sich auf kein Posting in diesem Thread und auch auf keinen bestimmten User hier!! Das nur gleich zur Vermeidung etwaiger Missverständnisse, Unterstellung o.ä.)!!


    Ich wär ja froh, wenn ich der sogenannten "seichten" Literatur mehr abgewinnen könnte, aber mich nervt es einfach :anbet


    Es soll aber jeder, der Gefallen daran findet, wirklich gerne diese Bücher lesen und sich nicht schämen für "unzureichend ausgeprägten literarischen Anspruch bei der Auswahl seiner Lektüre"!!!


    :knuddel1