Stephanie Bart - Deutscher Meister

  • Titel: Deutscher Meister
    Autor: Stephanie Bart
    erschienen: 12. August 2014
    Seiten: 384 Seiten
    Verlag: Hoffmann und Campe


    Klappentext:
    Berlin, 9. Juni 1933: Der Führer favorisiert das Boxen. Begeisterung im Verband Deutscher Faustkämpfer. Die Funktionäre werden zu Vorreitern der Gleichschaltung. Sämtliche jüdischen Boxer, Trainer und Promoter werden von den Mitgliederlisten gestrichen. Trotzdem gelingt es dem Sinto Johann Rukelie Trollmann, im Juni um den Titel des Deutschen Meisters zu kämpfen.-
    Stefanie Bart erschafft ein virtuoses und vielstimmiges Panorama der Reichshauptstadt.


    „Nun war Trollmann in seinem Refugium. Nirgendwo und nirgendwann sonst war er so sicher vor feindlichen Attacken wie während des Kämpfens im Ring. Hier war er unangreifbar, weil vor dem Leder allein das zählte, was man konnte, und nicht irgendwelche Herkünfte und Rassen.“


    Über die Autorin:
    Stephanie Bart, geboren 1965 in Esslingen am Neckar, studierte Ethnologie und Politische Wissenschaften an der Universität Hamburg. Seit 2001 lebt sie in Berlin. Für die Arbeit an ihrem Roman Deutscher Meister erhielt sie das Stipendium des Deutschen Literaturfonds 2011 und 2012.


    Meine Meinung:
    Der Prolog katapultiert den Leser gleich eindrucksvoll in die Denkart des Nationalsozialismus. Die Autorin lässt Hitler darin einen Teil der Schrift „Mein Kampf“ diktieren. Diese Passage betrifft den Boxsport, den der Führer zum arischen Nationalsport erklärt.
    Eifrig, ja fast übereifrig, setzt der Erste Vorsitzende des Verbandes deutscher Faustkämpfer als ein Vorreiter diese Denkweise um und eleminiert jüdische Boxer, aber auch Trainer und Funktionäre aus dem Verband.
    Nur den Publikumsliebling Rukelie Trollmann wagt er nicht, von der Verbandsliste zu streichen, fürchtet er doch massiven Widerstand. Da müssen schon subtilere Methoden her, um sich des Zigeuners zu entledigen. Sukzessive wird die Karriere dieses außergewöhnlichen Talents zerstört.
    Gekonnt stellt Bart ihre beiden Hauptfiguren gegenüber. Auf der einen Seite steht der charismatische und sympathische Sportler Trollmann, ein Vorbild und ein Sexsymbol, beliebt bei Bertold Brecht und der Dietrich, ein Publikumsmagnet und Siegertyp. Auf der anderen Seite der übereifrige, pedantische und obrigkeitshörige Nazi, der sich im Laufe der Romans als äußerst feige entpuppt. Da der Sportler, der einen ganz eigenen Boxstil entwickelt und damit seiner Zeit weit voraus ist, der leichtfüßig und tänzerisch seine Gegner mit Intelligenz und Schnelligkeit austrickst und ihnen dadurch überlegen ist-
    dort der kurzsichtig und unbedacht handelnde Emporkömmling. Mit spitzer Feder gelingt es der Autorin, die Figur des Ersten Vorsitzenden herrlich sarkastisch zu überzeichnen. Damit entblößt Bart den Machthunger dieser Figur, der lediglich durch die Umstände legitimiert und auslebbar wird.
    Verwirrend fand ich anfangs das Auftauchen einer nicht unbeträchtlichen Zahl an Nebenfiguren, die allesamt lediglich mit Nachnamen genannt werden und dadurch ein Stück anonym bleiben. Das hat mir den Einstieg in das Buch etwas erschwert. Diese Menschen stellen einen Querschnitt der Berliner Bevölkerung dar, von der Bäckereiverkäuferin über den SA-Quartierswart, dem homosexuellen Salonlöwen bis hin zum Gemüsehändler. Fragmentarisch erfährt der Leser etwas über alltägliche Begebenheiten dieser Personen. Das verwirrte mich am Anfang, doch dann setzt Bart all diese Figuren an den Rand des Boxrings, führt sie in der Boxhalle zusammen. Sie sind Verehrer Trollmanns und begleiten ihn, werden Zeugen von Sieg und Niederlage, sind Zeugen der systematischen Zerstörung. An ihnen wird die Wirkung des nationalsozialistischen Gedankenguts sichtbar.
    „Deutscher Meister“ ist natürlich auch ein Roman über das Boxen. Nie hätte ich gedacht, dass es jemandem gelingen könnte, vor meinen Augen einen Boxkampf heraufzubeschwören und mir diesen Sport näher zu bringen. Bart gelingt es. Ihr gelingt es auch, die gedankliche Verseuchung und den intelligent betriebenen Widerstand im Boxring gegeneinander antreten zu lassen. Im Mikrokosmos Boxring zeigt Bart die Willkür und die ganze Brutalität des Systems, zeigt, wie die nationalsozialistischen Mechanismen greifen und funktionieren konnten. Und sie zeigt den mutig geführten Widerstand in der Person Trollmanns, der die Übermacht einen kurzen Moment aushebeln, vorführen und der Lächerlichkeit preisgeben kann.
    Mit diesem Roman setzt Bart Johann Rukelie Trollmann ein Denkmal und trägt dazu bei, dass sein Schicksal nicht ganz in Vergessenheit gerät. Es ist ein kunstvoll geschriebenes Denkmal, ein sehr lesenswerter Roman.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Berlin, 1933: der Sinto Johann Trollmann boxt im Profibereich und ist bereit für den Titel. Schon seit über 2 Jahren will er endlich um die Meisterschaft boxen, doch immer wurde ihm der Zugang verwehrt. Nun hat der Führer Deutschlands Boxen zu DER Sportart des Reiches ausgerufen. Und was der Führer will, das geschieht auch. Der Vorsitzendes des Verbandes zieht die Säuberung kategorisch durch. Nur Trollmann bleibt. Doch kann er auch weiterhin boxen?


    "Deutscher Meister" ist das Debüt von Stephanie Bart und für mich ein Stück gehobene Literatur, die zeigt, wie es im 3. Reich zuging. Begeisterung über das Werk verspüre ich nicht, aber ich bin beeindruckt.


    Die Geschichte wird aus der Erzählerperspektive wiedergegeben, wobei man zum Großteil Trollmann und seinen Kämpfen beiwohnt. Die Kämpfe und auch die Vorbereitungen darauf werden von der Autorin sehr akribisch und genau beschrieben. So konnte ich jede einzelne Bewegung der Boxer, ja sogar jeden Schlag genau nachvollziehen und mir bildlich vorstellen.


    Die Politik, die 1933 geherrscht hat, ist eher ein Hintergrundrauschen, als das sie vorrangig in dem Roman diskutiert wird. Natürlich kommt Stephanie Bart nicht umhin, die Säuberung im Verband und die Ablehnung Trollmanns zu erklären, jedoch tut sie das oberflächlich, ja fast abwertend. Sie zeigt nicht mit der Holzhammermethode, was damals seinen Lauf nahm, sondern weist leise darauf hin.


    Denn im Vordergrund stehen der Boxer und sein Kampf. Und genau dort, während Runde um Runde vergeht, erkennt man, wie die Politik ihren Lauf nimmt. Stephanie Bart bedient nicht die schlimmsten Bilder von Verfolgung, Denunzierung und ähnlichem, sondern zeigt allein durch die Kämpfe, welches Gedankengut zu der Zeit herrschte. Das hat mich beeindruckt, da die Autorin ihren Lesern nicht die Erkenntnis aufzwingt, sondern ihnen genug Zeit gibt, um selbst darauf zu kommen.


    Die Geschichte indes verläuft eher gemächlich, zwischendrin fast langweilig. Der große Kampf, auf den Trollmann hinarbeitet, wird in epischer Breite erzählt. Jede Runde umfasst mehrere Seiten, jeder Schlag wird detailliert beschrieben. Am Ende war mir diese Art der Erzählung zu lang, sie verlor ihren Zauber und auch die Zwischentöne wiederholten sich. Hier hätte eine leichte Straffung dem Werk gut getan.


    Der Stil von Stephanie Bart unterscheidet sich stark von dem, was ich sonst gewöhnt bin. Dennoch war es für mich keine Qual, das Buch zu lesen. Die Autorin wird an manchen Stellen poetisch ausladend, während sie bei anderen Augenblicken distanziert und kühl bleibt. Diese Mischung passt sehr gut zu der Thematik.


    Fazit: "Deutscher Meister" ist beileibe kein einfacher Roman, aber zeigt dennoch, was in der damaligen Zeit abgelaufen ist. Wer gern mal ein Buch nicht nur zur Unterhaltung liest, sollte zugreifen.

  • Ein sehr guter Roman!



    Es geht um einen Boxer, der in der 'Herrenmenschen' - Denke der NS -Zeit quasi seine Daseinsberechtigung verloren hat, denn er ist Sinto und nach damaliger perverser Denkart daher "nicht arisch". Es ist sehr wichtig, dass solche Bücher nach wie vor publiziert werden, und dass man nicht denkt - was geht mich das an, ist 50 Jahre her. So gestrig ist das Ganze leider nicht, man denke nur an den aktuellen NSU-Prozeß gegen B. Zschäpe.
    Da die wenigsten Menschen Sachbücher lesen, ist dieser Roman besonders dazu angetan, einen Denkanstoß zu liefern und die Schicksale der Menschen, die plötzlich und grundlos zu "Untermenschen" gemacht wurden, im öffentlichen Bewusstsein zu halten.
    Den realen und nicht nur den literarischen Wert von "Deutscher Meister" kann man nicht hoch genug ansetzen.


    Verlagsinfo:


    ' Berlin, 9. Juni 1933: Johann Rukelie Trollmann ist ein talentierter, unkonventionell kämpfender Boxer und charismatischer Publikumsliebling. Er steht im Kampf um die Deutsche Meisterschaft. Seinem Gegner ist er überlegen. Doch Trollmann ist Sinto. SA steht am Ring. Funktionäre und Presse tun alles, um seine Karriere zu zerstören und ihn endgültig auf die Bretter zu schicken.


    Stephanie Barts Roman Deutscher Meister führt ins Innerste der nationalsozialistischen Machtentfaltung und an ihre Grenzen.'


    Mein Fazit:


    Meine Leseerwartung wurde erfüllt.


    Den Stil der Autorin fand ich flüssig & mitreißend, gar nicht kompliziert oder "einseitig". Über die feine Ironie und die sarkastischen Untertöne musste ich schmunzeln.
    So redlich wie ein Sachbuch, so mitreißend wie ein fiktionaler Roman ist das Werk geschrieben.
    Die Lektüre an sich war jedoch eine bedrückende, da ich immmer im Hinterkopf hatte, dass es sich eben nicht um eine fiktive, sondern um eine reale Geschichte handelt. Was andererseits für "Deutscher Meister" spricht, denn der Roman hat mich wirklich berührt, wenn auch auf traurige Art und Weise. Obwohl ich mit den Finessen des Boxsportes nicht vertraut bin, konnte ich der Erzählung folgen, das Buch ist also auch etwas für Sportmuffel.
    Man sieht, wieviel Vorarbeit zur Erstellung des Buches nötig war, und dass die Autorin den Roman nicht en passant verfasst hat, dafür meinen Respekt.
    Die Thematik ist keine leichte Kost, aber gerade deshalb ist es ein wertvoller Roman, der es absolut verdient, gelesen zu werden.

    "Literatur ist die Verteidigung gegen die Angriffe des Lebens."


    "...if you don't know who I am - then maybe your best course would be to tread lightly."