Das nachtblaue Kleid – Karen Foxlee [14 - 17 Jahre]

  • Inhalt (lt. amazon.de):
    Etwas Schreckliches ist passiert. Ein Mädchen ist verschwunden. Es trug in dieser unerträglich schwülen Nacht das magische Kleid. Ist es Rose oder Pearl? Karen Foxlee erzählt in diesem Roman weit mehr als die Geschichte eines Mädchens, das seinen Platz in der Welt sucht. Eine Geschichte über Freundschaft, Liebe und Verrat vor der Kulisse des tropischen Regenwaldes von Australien. Ein Meisterwerk, bewegend und von großer Intensität. Rose Lovell braucht keine Freunde. Rose hat niemals irgendwo dazu gehört. Doch als sie mit ihrem Vater, der vor dem Leben flieht, in diesem Kaff an der Pazifikküste Australiens strandet, trifft sie auf die unvergleichliche Pearl Kelly, die alles überstrahlt. Von ihr lässt sich Rose überreden, auf dem Ball der Zuckerrohrernte mitzumachen, dem alle Mädchen entgegenfiebern. Und so lernt Rose die alte Edi Baker kennen, gemeinsam nähen sie das nachtblau schimmernde Traumkleid, mit dem Rose die Schönste sein wird. Stich für Stich hört Rose von Edis Geheimnissen und dem verborgenen Baumhaus, das einst ein Liebesnest war. Erst am Schluss dieses Romans erfährt man von dem Unglück, das passiert ist und alles verändert.






    Meine Meinung
    Als die 15jährige und sehr einsame Rose zusammen mit ihrem rastlosen Vater an der australischen Küste auf einem weiteren Campingplatz strandet und schon wieder eine neue Schule besuchen muss, freundet sie sich mit der extrovertierten Pearl Kelly an. Beinahe gegen ihren Willen gliedert sich Rose tatsächlich ein wenig ein und findet Freunde. Sie will sogar beim Fest der Zuckerrohrernte mitmachen, zu dem alle Mädchen gehen und wunderschöne Kleider tragen. Da sie selbst sich aber keines leisten kann, gerät sie an die alte Dorfhexe Edie Baker, die früher einmal eine sehr begabte Schneiderin war und näht tatsächlich zusammen mit ihr das Kleid ihrer Träume…


    “Das nachtblaue Kleid” war total anders, als ich es mir vorgestellt und auch erwartet habe. Anhand der Beschreibung hatte ich viel mehr Action und Spannung erwartet. Mehr Leichtigkeit und Oberflächlichkeit. All das brachte dieses Buch allerdings nicht. Im Gegenteil, es war eher tiefgründig und sehr ruhig. Dabei aber keineswegs langweilig.


    Rose ist die Hauptfigur in der Geschichte. Sie ist ein recht verschlossener, verbitterter und verbissener Teenager, was sie nicht besonders sympathisch macht, was man ihr allerdings auch nicht übel nehmen kann, je mehr man ihre Lebensumstände und ihre Vergangenheit kennen lernt. Mit Pearl scheint sie zum ersten Mal eine Freundin zu finden und auch wenn sie es zunächst selbst nicht wahr haben will, tut es ihr gut endlich jemanden zu haben und sich ab und an auch einfach mal den belanglosen Dingen des Lebens zu widmen. Rose taut in Pearls Gegenwart nach und nach auf.
    Pearl ist das komplette Gegenteil von Rose. Sie ist sehr offenherzig, lacht viel und sagt was sie denkt. Sie widmet sich gerne den angenehmen Dingen des Lebens. Pearl war mir trotz ihrer generellen Oberflächlichkeit recht sympathisch, denn gerade als Teenager sollte man sein Leben ruhig leben dürfen.
    Erwähnenswert ist sicherlich noch die verschrobene Edie Baker. Ihre Figur ist hier sehr gut gelungen, wie ich finde. Ihre Geschichte, die sie innerhalb der Geschichte erzählt, hat mich einfach mitreißen und berühren können. Aus dieser konnte man sich so richtig vorstellen und auch nachvollziehen, wie Edie zu dem Menschen geworden ist, den Rose in der Geschichte begegnet.
    Generell hat die Autorin hier wirklich eindrucksvolle Figuren erschaffen, ohne sich zu vieler Klischees zu bedienen. Das hat wirklich Spaß gemacht.


    Die Geschichte selbst spielt im Jahre 1986 in Australien. Diese fremdländische Stimmung wurde in der Erzählung auch gut eingefangen, spielt aber ansonsten keine außergewöhnlich große Rolle. Erzählt wird in zwei Zeitebenen. Zu Beginn eines jeden Kapitels gibt es nämlich eine kurze kursiv geschriebene Handlung, die das Ende des Buches bereits vorweg nimmt, allerdings natürlich nicht um zu viel zu verraten. Es werden immer nur so viele Informationen preis gegeben, dass man dringend weiter lesen muss, weil man unbedingt wissen will, was tatsächlich geschehen ist, bzw. noch geschehen wird. Der Rest des Kapitels erzählt die Geschichte von Anfang an.
    Jedes der zahlreichen Kapitel beginnt übrigens mit einem “Stich”. Ich wusste nicht, dass es so viele verschiedene Sticharten überhaupt gibt. Das fand ich sehr nett als Verknüpfung mit dem Inhalt.


    Karen Foxlee bedient sich hier einer sehr angenehmen und fast schon poetischen Sprache. Gerade Edies Erzählungen aus ihrer Vergangenheit luden einfach zum träumen und verweilen ein. Dabei ließ sich das Buch sehr flüssig lesen. Trotzdem ließ es mich oftmals ein wenig nachdenklich inne halten. Dies ist wohl wirklich der angenehmen Sprache und dem doch sehr berührenden Leben der Protagonisten zu verdanken.


    Mein einziger Kritikpunkt gilt dem Ende. So schön wie das Buch auch war und so sehr ich hier auch dafür bin, dass die Geschichte so einzigartig ist, dass sie fast schon ausreicht um das Buch zu etwas rundum besonderem werden zu lassen, so sehr hat mich aber auch das unbefriedigende Ende gestört. Das passte einfach irgendwie nicht in den Rahmen. Ohne zu viel verraten zu wollen, aber hier hätte ich mir entweder noch viel weniger gewünscht um alles komplett offen und der Fantasie des Lesers zu überlassen oder – und das wäre meine Wahl – wirkliche Aufklärung, was passiert ist. So bin ich mit diesem Ende leider einfach nur unzufrieden und ziehe dafür auch tatsächlich einen Stern ab, obwohl es mir ansonsten sehr gut gefallen hat.


    Fazit
    Insgesamt war “Das nachtblaue Kleid” einfach ganz anders, als ich es anhand der Kurzbeschreibung erwartet hatte. Es war aber etwas besonderes und hatte eindrucksvolle Figuren und das gewisse Etwas. Ein Buch mit einer wundervollen Sprache, einer einzigartigen Geschichte und bis auf das Ende einfach nur schön!

  • Erstmals erschienen 2013


    Mitten im heißen feuchten Hochsommer 1986 kommt Rose Lovell mit ihrem Vater in einer Kleinstadt in der Nähe von Cairns, im Norden Queenslands an. Die beiden sind nirgendwo zuhause, seit elf Jahren ziehen sie von einem Wohnwagenpark zum anderen. An ihre Mutter kann Rose sich kaum noch erinnern, ihr Vater, eigentlich Kunstmaler, schlägt sich mit Gelegenheitsarbeiten durch und lebt ansonsten von Sozialhilfe. Wenn er die braucht, meldet Rose sich in der nächstgelegenen Schule an, weil sie das als Nachweis brauchen. Die Schulen besucht sie aber selten für mehr als ein paar Wochen, meist zieht ihr Vater bald weiter. Rose hat sich angewöhnt, alle Beziehungen zu anderen zu vermeiden.


    Diesesmal scheint alles anders. Rose trifft Pearl und die läßt sich von schwarzem Nagellack und Lippenstift, einer seltsamen Frisur und abweisenden Blicken nicht beeindrucken. Mehr noch, sie scheint das gar nicht wahrzunehmen. Gegen ihre eigenen Regeln läßt Rose sich von Pearls überschäumender Lebendigkeit in ein normales Teenagerleben hineinziehen.


    Die kleine Stadt lebt von Zuckerrohr, die Ernte steht bevor und damit der jährliche Festumzug. Traditionell treten dabei die Schülerinnen der höheren Klassen der Highschool in besonders schönen Ballkleidern auf. Rose hat kein Kleid und auch kein Geld eines zu kaufen. Nähen kann sie auch nicht. Als Pearl ihr vorschlägt, sich ein Kleid von einer alten Schneiderin machen zu lassen, die in der Kleinstadt als Hexe verrufen ist, hält Rose das für eine der typischen albern-verrückten Pearl-Ideen. Aber sie kann der Verlockung nicht widerstehen. So lernt sie Edi Baker kennen und die hat ihre eigene Art mit einem wurzellosen und traumatisierten Teenager wie Rose umzugehen.


    Zugleich beginnt damit aber eine ganz eigene Verkettung von Gefühlsverwicklungen, die schließlich in einer Katastrophe münden. Am Tag nach der Parade wird ein Mädchen vermißt, es trug ein handgenähtes dunkelblaues Ballkleid.


    The Midnight Dress ist vor allem ein Jugend-Thriller. Er ist aber auf eine ganz besondere Art konstruiert und erzählt und deswegen ungewöhnlich. Er hat wesentliche Elemente eines Entwicklungsromans, die Autorin bedient sich der lokalen Natur zur Verstärkung ihrer Thematik und des Schneidereihandwerks, um ihr Konstrukt zusammenzuheften. Erzählt werden die traurigen Geschichten dysfunktionaler Familien. Niemand ist glücklich in diesem Buch, Glück gibt es nur für Augenblicke. Wer mehr will, begibt sich in Lebensgefahr, eine interessante Botschaft.


    Erzählt wird die Geschichte auf zwei Ebenen. Einmal, kursiv gedruckt, mit der Stimme einer allwissenden Erzählerin, vom Ende, dem Verschwinden eines Mädchens, bis zur Aufklärung und zum zweiten ab Roses Ankunft in der Stadt weitgehend aus Roses Augen bis zum eigentlichen Ende und ein Stückchen darüberhinaus.


    Foxlee gelingt es auf diese Weise, daß man beim Lesen sehr nah an Rose ist, aber trotzdem immer wieder Abstand bekommt, um sich auch auf die anderen Figuren zu konzentrieren. Alles, was sie tun, alles, was sie sagen, trägt sein Teil bei zum schrecklichen Ende. Wesentlicher Bestandteil der Geschichte ist der Regenwald, den Edi schon als Kind kannte, den Rose und mit ihr auch Pearl kennenlernt, vor dem alle warnen, dessen Anziehungskraft unwiderstehlich, aber auch gefährlich ist. Er wird bald zum Zauberwald, wunderschön und erschreckend, voller seltsamer Gewächse und Tiere und eigenen Geschichten.


    Verzaubert scheint auch Edis altes Haus, in das der wuchernde Regenwald schon eingedrungen ist und das seinerseits vollgestopft ist mit Gerümpel, Relikten von Edis Leben, aber auch Stoffen, Fäden, Knöpfen. Die Atmosphäre im Haus wie im Wald ist von Feuchtigkeit und Schimmel geprägt, vom häufigen Regen, der mehr Schwüle bringt als Abkühlung, von der Hitze, die alle erschöpft und zugleich aufregt.
    Der Text wiederum ist durchzogen von Hinweisen auf die eigentlichen Zusammenhänge, man muß aufmerksam lesen, man wird nicht bedient. Da es ein Thriller ist, gibt es auch Ablenkungsmanöver, falsche Fährten (die so falsch gar nicht sind, wenn man genauer hinsieht) und natürlich Nebel, was man bei dem Klima auch erwarten kann.


    So atemberaubend wie der Wald wird der Umgang mit Stoffen beschrieben, die Kleider, das Nähen. Jedes Kapitel trägt den Namen eines Nähstichs. Edis vollgestopftem Haus entspricht der Laden von Pearls Mutter, sie verkauft Kunstperlen, Glaskristalle und Halbedelsteine. Rose und Edi sind Edelsteine zugeordnet, Pearl trägt den Namen eines Juwels, ihre Marker, mit denen sie alles schreibt, von Hausaufgaben bis hin zu Briefen, leuchten in allen Regenbogenfarben wie die Ballkleider der Mädchen. Eine weitere Fährte sind die Worte, Rose schreibt Wörter auf, die ihr auffallen, deutet sie, liebt sie, findet sie häßlich. All das sind Formen von Magie, die in den Text eingewebt ist, die ihn wunderschön machen, komplex und nicht leicht konsumierbar.


    Magie, die aber auch ablenkt davon, daß das Buch vor allem ein Thriller ist. Der wiederum ist raffiniert gebaut und mit einem besonderen Kniff erzählt. Über weite Strecken rätselt man nämlich nicht, wer am Verschwinden des Mädchens schuld ist, sondern welches Mädchen eigentlich verschwunden ist. Der Schluß, es sind eigentlich drei Schlüsse, ist rundum stimmig. Überraschungen inklusive.


    Eine eigene Stimme, ein besonderes Buch.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus