Solomonica de Winter: Die Geschichte von Blue

  • Solomonica de Winter: Die Geschichte von Blue
    Verlag: Diogenes 2014. 288 Seiten
    ISBN-13: 978-3257300291.14,90€
    Originaltitel: Over the Rainbow
    Übersetzerin: Anna-Nina Kroll


    Verlagstext
    Welch ein Talent: Die erst 17-jährige Solomonica de Winter erzählt die Geschichte von Blue, die ihren Vater früh verloren hat, deren Mutter in ihrer eigenen Welt lebt und die sich in einen Menschen verliebt, der vom gleichen Buch besessen ist wie sie: dem ›Zauberer von Oz‹. Wie Dorothy im Buch macht sie sich auf, um jenseits des Regenbogens wieder eine Art Zuhause zu finden – und den Mörder ihres Vaters. Ein Roman mit doppeltem Boden, Drive, Chuzpe und einer völlig eigenen Poesie.


    Die Autorin
    Solomonica de Winter, geboren am 3. Juni 1997 in Bloemendaal bei Amsterdam Niederlande, wo sie auch aufwuchs. Nach mehreren Jahren in Los Angeles lebt sie heute mit ihrer Familie wieder in Bloemendaal und besucht dort die Internationale Schule. Sie schreibt auf Englisch.


    Inhalt
    Ein dreizehnjähriges Mädchen richtet einen schriftlichen Monolog an ihren Therapeuten. Einwände oder Rückfragen sind in dieser Textform nicht zu erwarten, die Verfasserin kann konsequent in der Welt ihrer Vorstellungen bleiben.


    Blue ist die Tochter von Daisy und hat sich schon immer ungeliebt von ihrer Mutter gefühlt. Blue ist bereit, jeden zu töten, der ihr in die Quere kommt. Zunächst will sie ihr Buch „Der Zauberer von Oz“ gegen vermeintliche Angreifer verteidigen. Blue trägt ihr Buch wie ein Schutzschild vor sich her. Nicht nur das Buch muss mit allen Mitteln verteidigt werden, auch die Ehre von Blues Vater. Die unerbittliche Konsequenz des Mädchens verursacht mir eine Gänsehaut. Offenbar hat das Mädchen an einem Punkt in der Vergangenheit aufgehört zu sprechen. Wegen der Lebensverhältnisse von Mutter und Tochter und Blues Weigerung zu sprechen wurde Blue als Soziopathin diagnostiziert. Jedenfalls behauptet Blue das. Meine Gedanken wandern. Eine diagnostizierte Soziopathin hätte praktisch Narrenfreiheit für ihre Impulse. Töten ist Blues Art Hindernisse zu beseitigen und wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Plant Blue einen Amoklauf? Wer mitten in der Pubertät aufhört zu sprechen, muss nicht erwachsen werden. Blue will keine Frau werden. Ihr beschränkter Blick auf die Welt macht mir jetzt endgültig Angst. Von den Ursachen für Blues Schweigsamkeit ganz zu schweigen. Eine einzige Person hält Blue für normal, Charlie, ein Typ, den sie im Minimart getroffen hat. Charlie könnte Blue retten. Aber will sie überhaupt gerettet werden?


    Fazit
    Eine siebzehnjährige Autorin aus prominenter Schriftstellerfamilie debütiert hier mit dem beklemmenden Psychogramm einer psychisch kranken Dreizehnjährigen und einer überraschenden Auflösung. Beeindruckend..


    ^^^^
    Zitat
    Und dann verschwand ihre Stimme aus meinem Kopf. Einfach so. Ich hörte sie nicht mehr, keinen einzigen Ton. Und ich fragte mich, warum sie wohl glaubte, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben und der einzige Mensch zu sein, der richtig und falsch unterscheiden konnte. Das konnte nur mein Buch. In dieser Welt wird mich niemand je stören. Niemand kann mich verurteilen oder mir Angst machen. Niemand kann mich anrempeln oder mich nach der Urzeit fragen. Dort gibt es keine Motelduschen mit Abflüssen voller Haare. Keine dreckigen Fingernägel. Keine schreienden Obdachlosen, die um den Block ziehen. Keine Schüsse. Keinen Mord. Keine kokainsüchtige Mutter, die sich über mich ärgert, die sich vor mir fürchtet. In meinem Buch bin ich sicher. Mein Buch ist die Droge, nach der ich mich sehne.“ (S. 56)


    9 von 10 Punkten

  • Ich kann mich Buchdoktors Begeisterung nur anschließen. :-]



    Klappentext:
    Eine ganz junge Frau, die sich bereits an ganz große Themen wagt: Liebe, Leben und Tod. Eine Geschichte mit doppeltem Boden, erzählt mit Drive, Chuzpe und einer völlig eigenen Poesie.


    „Mein Name ist Blue. Nicht blau wie Blaubeeren und nicht blau wie Nagellack. Sondern blau wie salzige Tränen, blau wie eine winzige Blaumeise, blau wie der Wind, das Meer, der Regenbogen. Das Dunkelblau in den aufziehenden grauen Wolken vor einem Gewitter. Mein zweiter Vorname ist Vanity. Meine Eltern haben mir diesen Namen gegeben, für sie war Eitelkeit das Einzige, das die Welt heutzutage noch zusammenhält.
    Sie fragen, wann ich beschlossen habe, diesen Mann zu töten, Doktor. Sie fragen mich, wann ich aufgehört habe zu sprechen. Ich werde Ihnen alles erkären. Ich muss ganz von vorne beginnen. Hören Sie sich die Geschichte an von dem dreizehnjährigen Mädchen, das einen Mann tötet. Und eine Frau.“ Aus: Die Geschichte von Blue



    Meine Meinung:
    Blue, ein dreizehnjähriges Mädchen, erzählt „Die Geschichte von Blue“, die Geschichte eines Doppelmordes, ihrem Therapeuten. Nach dem frühen Verlust des Vaters, verliert Blue auch noch ihre Mutter, die in ihrer eigenen, von Drogen bestimmten Welt lebt. Der Verlust des Vaters hat Blue sprachlos gemacht, und erschwert damit ihre Möglichkeiten mit Menschen zu kommunizieren, für die Sprache die Basis von Verständnis und Miteinander bildet. Blues einziger Halt im Leben ist das Kinderbuch „Der Zauberer von Oz“ des Schriftstellers Lyman Frank Baum (Originaltitel „The Wonderful Wizard of Oz“), von dem sie regelrecht besessen ist. Blue ist davon überzeugt, dass sich ihre Probleme lösen, wenn sie den Mörder ihres Vaters stellt, und sucht über diese Vorstellung einen Weg nach Hause, ähnlich wie Dorothy in „Der Zauberer von Oz“ im Land jenseits des Regenbogens nach einem Weg nach Hause sucht. Mit Charlie, einem jungen Verkäufer in einem Lebensmittelgeschäft, lernt Blue einen Menschen kennen, der regelmäßig die Verfilmung des Buches „Der Zauberer von Oz“ anschaut. Zunächst vom Film, der nicht ihrer Vorstellung entspricht, abgestoßen, fühlt sich Blue von Charlie angezogen, dem es gelingt eine Kommunikation mit Blue aufzubauen. Blue verliebt sich in Charlie. Die Suche nach dem Mörder ihres Vaters lässt sie jedoch nicht los…


    „Die Geschichte von Blue“ ist doppelbödig angelegt. Vordergründig erzählt die Autorin die Geschichte eines grausamen Doppelmords, sie erzählt von tiefen Enttäuschungen und Verletzungen, von Isolation, davon wie die grausamen, bösen Seiten in einem Menschen geweckt werden können, aber auch von erster Liebe und der Macht der Phantasie. Die Geschichte hat allerdings auch noch eine weitere Seite, auf die ich, um nicht zu viel zu verraten, an dieser Stelle nicht eingehen kann.


    Solomonica de Winter versteht es den Leser schnell in die Geschichte hineinzuziehen und zu faszinieren. Ihre Sprache ist dem Charakter der Geschichte und dem Alter der Ich-Erzählerin Blue angemessen. Lediglich manche der eingesetzten Bilder wirken in ihrer ungewöhnlichen Kombination ein wenig aufgesetzt, und erschienen mir, als wolle die Autorin mit brachialer Gewalt eine düstere Stimmung aufbauen.


    Dass ich Solomonica de Winters Roman „Die Geschichte von Blue“ gelesen habe, liegt vornehmlich an meiner eigenen langjährigen Begeisterung für Lyman Frank Baums „Der Zauberer von Oz“. Man muss „Der Zauberer von Oz“ nicht gelesen haben, um „Die Geschichte von Blue“ zu lesen und zu verstehen, allerdings ist es einfacher den eingestreuten Verweisen zu folgen, wenn man das Kinderbuch kennt.


    Zweifel, dass eine sechzehnjährige Autorin bereits über die Reife verfügt, einen derartigen Stoff in der geeigneten Art auszuarbeiten, kann ich nicht bestätigen – ohne Angabe des Geburtsjahres der Autorin, wäre ich nicht auf den Gedanken gekommen, dass sie so jung ist. Wer denkt, dass der Roman nur veröffentlicht wurde, weil die Autorin Tochter eines erfolgreichen Schriftstellers ist, könnte eventuell Recht haben; wer das Buch liest, wird aber schnell feststellen, dass dieser Gedanke einfach irrelevant ist.


    „Die Geschichte von Blue“ ist ein ungewöhnlicher, genreübergreifender Roman: Krimi, Psychothriller, Familiendrama, psychologische Studie und Zeitgenössisches zugleich, sowie eine Reminiszenz an Lyman Frank Baums „Der Zauberer von Oz“. So düster und bedrückend die Geschichte von Blue ist, wird sie mir in guter Erinnerung bleiben.


    8 von 10 Punkten

  • Der Tipp kam von Christine Westermann, die mich schön häufig auf Bücher aufmerksam machte, die ich ohne deren Empfehlung hätte links liegen lassen - so auch hier der Fall. Die Story klang zu sehr nach Jugendbuch, das vorrangig Mädchen/junge Frauen ansprechen dürfte. Hinzu kommt Solomonicas familiärer Hintergrund, beide Elternteile schreiben Bestseller. Da liegt die Vermutung natürlich nahe, dass dieses Buch nur aufgrund der familiären Begebenheiten seinen Weg in der Buchhandel fand. Zudem ist die junge Dame gerade mal 17 Jahre alt. Was soll man da schon großartig erwarten ... Aber das Buch ist super! Insbesondere der Erzählton gefiel mir ausgesprochen gut, immer wieder wechselnd von einem typisch jugendlich-schnoddrigen Ton ins nahezu Poetische. Und das aus dem Kopf einer 17-Jährigen - Respekt. Wobei ich schon nachvollziehen kann, wenn einigen der überwiegend düster angelegte Erzählton dann doch ein wenig zu viel war. So was ist nicht jedermanns Sache, kann bisweilen herunterziehen oder auch langweilen - wobei sich das Buch insgesamt recht flott und vor allen Dingen mit einer gehörigen Portion Spannung recht flott lesen lässt. So empfand ich es jedenfalls. Ein wirklich gut ausbalancierter Genremix, dessen Gesamtauflösung ich jetzt nicht unbedingt als ganz großen Knall empfand, aber lesenswert ist es allemal!


    8/10