Das Memorial - Jose Saramago

  • Autor
    José Saramago (* 16. November 1922 in Portugal; † 18. Juni 2010 auf Lanzarote) war ein portugiesischer Romancier, Lyriker, Essayist, Erzähler, Dramatiker und Tagebuchautor. 1998 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. "Die Stadt der Blinden" (1995) ist einer seiner berühmtesten Romane.
    Mit "Das Memorial" erzielte er 1982 seinen internationalen Durchbruch.


    Handlung
    Im absolutistischen Portugal der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts sollen zwei sehr unterschiedliche Projekte realisiert werden, ein zukunftweisendes und ein eher rückwärtsgewandtes. Einerseits entsteht versteckt vor den Augen der Inquisition ein fantastisches Fluggerät und andererseits ein die Macht von König und Kirche repräsentierendes Kloster, das Palácio Nacional de Mafra, an dem unzählige Arbeiter, teils unfreiwillig, schuften und viele zu Tode kommen.


    Meinung
    Man muss sich dieses Buch erarbeiten. Die Sprache klingt antiquiert, mit ungewohnten Formulierungen, reichlichem Genitiv und lupenreinem Konjunktiv. Das passt natürlich in die Zeit der Handlung. Der Autor liebt es, von der eigentlichen Geschichte weitläufig abzuschweifen, und packt die Nebenhandlung in einen einzigen Satz, der sich geschachelt und gereiht durchaus über mehrere Buchseiten erstrecken kann. Dadurch entstand bei mir jedoch gerade anfangs ein Gefühl der Atemlosigkeit und Gehetztheit. Das Buch hat etwas von einem Plauderton von Menschen, die ohne Punkt und Komma reden, abgebrochene Sätze werden nach etlichen Nebensätzen und Einschüben wieder aufgenommen.
    Anführungszeichen für die wörtliche Rede fehlen vollständig.
    Was anfangs sehr gewöhnungsbedürftig ist (manche Passagen las ich durchaus dreimal), wird mit der Zeit jedoch immer leichter.


    Häufig wechselt Saramago die Erzählperspektive. Mal gibt er den Blickwinkel des kleinen Mannes wieder, mal ist er Erzähler als unsichtbarer Teilnehmer in der Geschichte, mal Autor der Gegenwart, der seinen Text kommentiert und Ausblicke in die Zukunft gibt. Er erzählt auch aus der Sicht von Mitgliedern der Königsfamilie, die dadurch auf die Ebene von ganz normalen Menschen mit ihren alltäglichen Sorgen herabsteigen.


    Den Leser erwartet nicht viel Handlung. Dafür aber bekommt er ein detailreiches Bild der Zeit:
    ausführlich beschreibt der Autor mit seiner sehr bildreichen Sprache Lebensart und Bräuche, die Bautätigkeit und naturwissenschaftliche Kenntnisse der Zeit. Ein ganzes Kapitel lang lässt er den Leser dem Transport eines Steinblocks von 30 Tonnen zusehen, mit all den technischen Schwierigkeiten und den menschlichen Sorgen.
    Er schildert die makabre Volksfeststimmung beim Autodafe (Verkündigung und Vollstreckung eines Urteils der Inquisition) und der Fronleichnamsprozession. Die Parallelen zum Stierkampf sind genial.


    Herrlich ironisch lässt er sich über Wundergläubigkeit, Reliquienwahn, Aberglaube und Doppelmoral dieser Zeit aus. Man muss schon genau aufpassen und zwischen den Zeilen lesen, sonst merkt man es nicht immer. Mal laut, mal leise versetzt er kirchen- und religionskritische Seitenhiebe. Er kennt die Menschen mit seinen Schwächen. Genau diese erfrischenden und treffenden Formulierungen belohnten mich reichlich dafür, die anstrengenden Beschreibungen durchzuhalten. Jammerschade, wenn mir eine solche Perle entgangen wäre!


    Das Glanzlicht dieses Romans ist für mich die Liebesgeschichte von Baltasar und Blimunda. So schlicht wie ihre "Hochzeit" war, ohne Zeremonie, ohne Worte, nur kleine Gesten und Gedanken und doch so tief und vielsagend, so ist ihre Rolle im weiteren Roman, eher am Rand, ohne große Verwicklungen, ohne viel Worte, aber ihre Liebe innig, selbstverständlich und ohne Zweifel bis zum Schluss. Poesie zum Genießen!


    Fazit
    Warum der Autor den Lesern seinen gewöhnungsbedürftigen Satzbau antut, habe ich nicht verstanden. Wenn man sich aber mit Ruhe und Konzentration darauf einstellen will, wird man reichlich belohnt.