Kristof Magnusson: Arztroman

  • Kristof Magnusson
    Verlag: Kunstmann 2014. 320 Seiten
    ISBN-13: 978-3888979668. 19,95€


    Verlagstext
    Anita Cornelius ist Notärztin an einem großen Berliner Krankenhaus und liebt ihren Beruf. Sich auf unerwartete Situationen einzustellen, entspricht ihrem Temperament. Auch wenn es bei ihren Einsätzen nicht immer so aufregend zugeht, wie man sich das vorstellt. Anita ist das recht. Sie kann helfen. Und ab und zu sogar jemandem etwas Gutes tun. Adrian, ihr Exmann, ist Arzt am selben Krankenhaus. Sie haben sich erst vor kurzem in bestem Einvernehmen getrennt, und Lukas, ihr vierzehnjähriger Sohn, lebt bei seinem Vater und dessen neuer Freundin Heidi. Hätte Anita Adrian nicht zufällig bewusstlos auf der Krankenhaustoilette gefunden, zugedröhnt mit einem Narkosemittel, und hätte Heidi nicht dauernd diese flotten Sprüche losgelassen, dass jeder seines Glückes Schmied ist, dass Arme und Kranke oft genug selbst an ihrem Zustand schuld sind, dann könnte sich Anita weiter vormachen: alles ist in bester Ordnung. Ist es aber nicht. Weder privat noch beruflich. Kristof Magnusson erzählt mit großer Kenntnis aus dem Alltag einer Notärztin und gleichzeitig aus dem Alltag ihrer Patienten. Vor allem aber erzählt er witzig und unterhaltend aus dem Leben einer Frau Anfang vierzig, die mehr will als Routine und 'schöner Wohnen'.


    Der Autor
    Kristof Magnusson, geboren 1976 in Hamburg, machte eine Ausbildung zum Kirchenmusiker, arbeitete in der Obdachlosenhilfe in New York, studierte am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Er lebt als Autor und Übersetzer aus dem Isländischen in Berlin. Sein Debütroman „Zuhause“ (2005) wurde mit dem Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet, sein Roman „Das war ich nicht“ war ein Bestseller. Die Verfilmung seiner Komödie „Männerhort“ (mit Christoph Maria Herbst, Detlev Buck und Elyas M Barek) kommt im Oktober 2014 in die Kinos.


    Inhalt
    Wer bereits etwas von Kristof Magnusson gelesen hat, wird von ihm keine von hübschen Krankenschwestern umschwirrten Halbgötter in Weiß erwarten und sich unter einem von ihm geschriebenen „Arztroman“ eher das Gegenteil vorstellen. Magnussons Notarzt ist eine Frau und sie ähnelt im Dienst äußerlich eher einem Feuerwehrmann. Anita Cornelius arbeitet am Notarztstützpunkt des Urban-Krankenhauses in Berlin-Kreuzberg. Sie rückt häufig gemeinsam aus mit ihrem Lieblingskollegen, dem Rettungssanitäter Maik. Mit 40 Jahren ist Anita an einem Punkt im Leben angekommen, an dem sie als erfahrene Notärztin zwar große Befriedigung im Beruf erfährt, sich aber auch fragen muss, was aus ihren Idealen geworden ist, aus denen sie sich für das Medizinstudium entschieden hat. Die meisten Notarzteinsätze in einer alternden Gesellschaft mit wachsender Anzahl von alleinlebenden Menschen entsprechen längst nicht mehr Anitas idealistischer Vorstellung vom Helfen. Zu oft flicken sie und ihre Kollegen in den Krankenhäusern nur notdürftig die Löcher, die eine kurzsichtige Sozial- und Gesundheitspolitik hinterlassen haben; zu viel Zeit verbringen sie mit sinnlosen bürokratischen Abläufen.


    Anitas Trennung von ihrem Mann Adrian ist Folge dieser Bestandsaufnahme in der Lebensmitte. Nicht nur beruflich hatten Adrian und sie sich auseinander entwickelt. Beide müssen auch die Weichen für die nächsten 25 Berufsjahre neu stellen. Anita und ihr Mann hatten ursprünglich auf der Intensiv-Station gearbeitet. Anita trifft Adrian dort in Abständen wieder, wenn sie einen Patienten einliefert. Der gemeinsame Sohn lebt mit Adrian und seiner neuen Partnerin. Oberflächlich gesehen sind Trennung und Sorgerecht für beide Seiten vernünftig geregelt. Anita kann jedoch nur schlecht damit umgehen, dass ihr 14-jähriger Sohn Lukas inzwischen eigene Wege geht und sie nicht mehr auf alle Entwicklungen in seinem Leben Einfluss hat. Als Anita eine Beziehung mit dem Bootsbauer Rio beginnt, kommt ihr die Idee, Adrian, Lukas und Heidi zu einer gruppendynamischen Bootsfahrt gemeinsam „in ein Boot zu holen“.


    Inhalt
    Magnusson hat die die Abläufe im Rettungsdienst und die Fachsprache sorgfältig recherchiert; sein Roman arbeitet mit den Mitteln der Reportage. Mit drastischen, unappetitlichen Szenen und Insider-Begriffen ist also zu rechnen. Seine Beschreibungen aus Anitas Berufswelt konzentrieren sich auf Beobachtungen im Milieu ihrer Patienten und auf äußere Abläufe. Als Leser erlebt man Anita als genaue Beobachterin der Lebensverhältnisse ihrer Patienten, seltener als glamouröse Retterin. Die Innenwelt einer Person im Schichtdienst ist mir dabei etwas zu kurz gekommen. Zwar wird am Rande gestreift, dass Anita bei Dienstende nur schwer abschalten kann und ihr Schlafzimmerfenster schwarz beklebt hat, um tagsüber schlafen zu können. Die besondere Lebenssituation einer Person, die gegenläufig zu anderen arbeitet und schläft, hätte m. A. deutlicher herausgearbeitet werden können. Kristof Magnusson zeigt in seinem „Arztroman“ die Sinnkrise Vierzigjähriger in der Lebensmitte und lässt seine Leser als Beifahrer im Notarztwagen hinter die Kulissen unseres Gesundheitssystems blicken.


    8 von 10 Punkten

  • Ein Schmarren!


    Lieber Kristof Magnusson,


    bitte verzeih mir, dass ich Dich einfach duze. Leute, die ich mit ihren Büchern in meine private Welt lasse, kann ich nicht siezen.


    Deinen zweiten Roman "Das war ich nicht" habe ich geliebt. Du hast mich vor vier Jahren mit dieser grandios erzählten Geschichte amüsiert, begeistert und fasziniert, und Du hättest es beinahe geschafft, Frank Schulz als meinen deutschen Lieblingsautor wenigstens vorübergehend vom Thron zu stoßen. Leider hat Schulz inzwischen "Onno Viets" vorlegt und seine Position wieder gefestigt.
    Und Du?
    Nun.
    "Arztroman".


    Erst dachte ich, es sei eine Satire, eine literarische Adaption, die - unter anderem - die Vorgaben der Groschenheftromane ironisch bricht, und als ich das erste Kapitel las, diesen fulminant und spannend geschilderten ersten Einsatz Deiner Heldin, der Rettungsärztin Anita, irgendwo in Berlin-Neukölln, wobei sie in Sekundenschnelle die Situation brillant analysiert und in alltäglicher Heldenhaftigkeit genau das Richtige tut, blieb ich vorläufig bei dieser Vermutung. Die Dekoration mit einigen Phrasen und Klischees unterstützte das: "Es fehlte nur noch eines: Zeit", ja. Ein Satz wie aus "GZSZ", aber im Kontext natürlich von ganz anderer Wertigkeit. Ich hoffte - Anitas zu erwartende Rückkehr ins Privatleben auf dem dramaturgischen Fahrplan - anschließend auf die Gegenzeichnung, das Diametrale, die Vertiefung zur Überhöhung, aber ich bekam ...
    Ja, was eigentlich?


    In bester Siebziger-Tradition, aber fast schon an Martin Walsers 1957 erschienenes und aus gutem Grund verstaubtes "Ehen in Philippsburg" erinnernd, schwafelst Du plötzlich, zwischen personaler und auktorialer Perspektive pendelnd, in ermüdender Erzählsprache von diesem lahmen Muttchen, dieser daherbehauptet-unsicheren, aber immerhin attraktiven Frau, die im Privatleben genau jene Fähigkeit vermissen lässt, die sie im Berufsleben auszeichnet. Die noch nach dem Problem sucht, während andere schon auf der Zielgeraden sind, an ihr vorbei, sie gar missachtend. Die nichts will und zugleich nicht nichts will, durch die eigene Belanglosigkeit mäandert und den Leser in ihren gummistiefeligen Sumpf zieht. Was kein schlechtes Motiv sein muss und auch ganz unterhaltsam sein könnte, wäre es packend erzählt. Aber zwischen den Rettungseinsatzkapiteln bricht Dein "Arztroman" komplett ein, wirkt zäh, fast klebrig - und, sorry for that, langweilt! Von der Satireidee hatte ich mich etwa nach einem Drittel verabschiedet, noch auf Witz und Lakonie hoffend, wenigstens eine würdevolle Studie, etwas literarisch Interessantes, das Bild hinter der Skizze, den Kick. Der jedoch reduziert sich auf den Moment der Wut fast am Ende des Buchs, stark gedehnt und zugleich eingepfercht zwischen nicht enden wollenden, nach Provinzmuff riechenden Episoden, die sich dramaturgisch wie sprachlich nur marginal über jenem Niveau bewegen, die das Genre, auf das der Romantitel verweist, vorgibt. Mit Verlaub: Ein Schmarren!


    Und dann die Kursiven, damit man Fachbegriffe erkennt - und nicht denkt, zu blöd fürs Buch zu sein. Oder die Exhumierung des vor 35 Jahren (!) von Samuel Shem geprägten Begriffs "Gomers" (mit "S" am Ende - und, lieber Kristof Magnusson, NICHT in Versalien!), der schon so oft zitiert wurde, dass nicht einmal sehr alte Ärzte noch darüber lachen können. Was soll das alles? Was ist die Geschichte, die Du da erzählen wolltest? Mit Verlaub, aber Deine Anita ist eine Marionette, die die fraglos exzellent recherchierten Szenen romantauglich umklammern soll, doch das misslingt ihr gründlich.


    Es gibt da einen Absatz, fast am Ende, da legst Du Deiner Hauptfigur den Begriff "Heidisierung" in den Mund, einen Neologismus, der darauf verweisen soll, dass es die Leute mit egoistischen Zielen sind, die Entscheidungen herbeiführen, koste es, was es wolle. Leider trifft das auf den gesamten "Arztroman" zu. Er ist heidisiert, nämlich vom Thema, zu dem Dir einfach keine Geschichte einfallen wollte.


    Immerhin, um etwas Gutes zum Abschluss zu schreiben, macht sich das hübsche Cover nett im Regal. Weiß ja keiner, wie sehr mich das Ding genervt hat. Nichts für ungut - und bis zum nächsten Roman! Denn obwohl mir dieser nicht gefallen hat, um es vorsichtig auszudrücken - das Guthaben von "Das war ich nicht" hat er nicht ganz aufgebraucht.


    Herzlich,
    Tom