Das Seelenhaus - Hannah Kent

  • Das Seelenhaus
    Hannah Kent
    Übersetzer: Leonie Reppert-Bismarck
    Droemer
    ISBN: 3426199785
    384 Seiten, 19,99 Euro


    Die Autorin: Hannah Kent, 1985 in Adelaide, Australien geboren, hat während eines Schüleraustauschs in Island zum ersten Mal die Geschichte von Agnes Magnúsdóttir gehört. Sie ist die Mitbegründerin und Herausgeberin der Literaturzeitschrift Kill Your Darlings und studiert an der Flinders University. 2011 gewann sie den 'Writing Australia Unpublished Manuscript Award' für 'Das Seelenhaus'. Der Roman ist mittlerweile in 25 Länder verkauft. In ihrer Heimat Australien und in England stürmte ihr Erstling die Bestsellerlisten.


    Kurzbeschreibung: Island 1828. Agnes ist eine selbstbewusste und verschlossene Frau. Sie wird als hart arbeitende Magd respektiert, was sie denkt und fühlt, behält sie für sich. Als sie des Mordes an zwei Männern angeklagt wird, ist sie allein. Die Zeit bis zur Hinrichtung soll sie auf dem Hof eines Beamten verbringen. Die Familie ist außer sich, eine Mörderin beherbergen zu müssen – bis Agnes Stück um Stück die Geschichte ihres Lebens preisgibt.


    Meine Meinung: Die Autorin hat bei einem Aufenthalt auf Island von der Geschichte der Agnes Magnúsdóttir gehört, die wegen des Mordes an zwei Männern als letzte Frau auf Island zum Tode verurteilt wurde. Zu ihrem Buch sagt sie, dass diese Geschichte sie nicht mehr los ließ und dass nur wenig über Agnes bekannt ist, die zusammen mit einem jungen Paar zwei Männer erschlagen, erstochen und dann verbrannt haben soll. Hannah Kent wollte nichts beschönigen, doch es war ihr ein Anliegen, Agnes als menschliches Wesen darzustellen und ihr ein bisschen etwas von der einseitigen negativen Darstellung und dem Ruf des Monsters zu nehmen.


    Agnes ist eine sehr schweigsame Frau. Bereits als kleines Kind von der Mutter verlassen, verdingt sie sich hart auf verschiedenen Höfen als Magd. Sie ist sehr intelligent und das, obwohl sie keine Schulbildung genossen hat. Immer wieder wechselt sie die Arbeitgeber und oft muss sie wegen der bitteren Armut ihrer Herren weiterziehen. Als sie zum Tode verurteilt wird, soll sie ihre Zeit bis zur Hinrichtung als Magd auf dem Hof eines Dienstmannes verbringen und so kommt sie auf den Kornsáhof.
    Die Hofbewohner begegnen ihr misstrauisch und zuerst nicht gerade freundlich, doch trotz dieser Bedingungen freut sie sich, nach einer langen Zeit in einer dunklen Zelle, wieder arbeiten zu können. Der junge Vikar Thorvadur soll sie in der Zeit bis zu ihrem Tod besuchen und sich um ihre Seele kümmern und ganz allmählich wird ihm und der Hausherrin Margret klar, dass Agnes alles andere als eine kaltblütige und grausame Mörderin ist.


    Noch eine ganze Zeit nach dem Lesen haben mich die Bilder dieser faszinierenden Geschichte begleitet. Ich habe dieses Buch gelesen, kurz nachdem ich auf Island war und so spielte sich die Handlung in dem Buch für mich vor einer überwältigenden Kulisse ab. Hannah Kent hat mit Agnes einen komplexen Charakter erschaffen wollen und das ist ihr absolut gelungen. Auch Margret, die Hausherrin und Thorvadur sind sehr lebensecht gezeichnet. Im Buch finden sich viele Briefe und Dokumente, die sich um den Fall Agnes drehen und die zusammen mit den teilweise fiktiven Einschüben ein etwas anderes Licht auf die Person der Agnes, aber auch auf ihre Mitmenschen werfen. Ich war immer wieder überrascht, wie dicht das Ganze erzählt wird und wie gut es der Autorin gelingt, in sehr plastischen Bildern ihre Figuren zum Leben zu erwecken, aber auch die damaligen von schlimmer Armut geprägten Lebensumstände so erschreckend beklemmend zu schildern.


    Mein Fazit: Hannah Kent hat einem "Monster" sein menschliches Antlitz zurück gegeben, indem sie Agnes Magnúsdóttir als eine ganz normale Frau mit Fehlern und Schwächen schildert und hat dabei einen grandiosen Roman geschrieben, der mit seiner Sprache, seinen Bildern und mit seinen Figuren einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlässt.

  • Ich habe kürzlich das Hörbuch gehört und kann mich der guten meinung nur anschließen, sprachlich war es wundervoll und die Hörbuchumsetzung meiner Meinung nach sehr gelungen (mit zwei Sprechern für Agnes und den Erzähler)

    :lesend Anthony Ryan - Das Heer des weißen Drachen; Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
    :zuhoer Tad Williams - Der Abschiedsstein

  • Manche Geschichten hinterlassen bei den Lesern Spuren und bleiben im Gedächtnis haften. In diesem Buch habe ich so eine packende Geschichte gefunden die unter die Haut geht und meine Seele berührt hat. Es ist eine Erzählung voller Tragik bei der schon bei Lesebeginn klar ist, wie sie ausgehen wird. Wie beim Film "Titanic" hofft man dennoch, dass das Ende vielleicht anders verlaufen wird aber das Unvermeidliche nimmt seinen verhängnisvollen Lauf.


    Die Handlung spielt zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Island. Der Inselstaat nahe des nördlichen Polarkreises wird von vielen kleinen und einigen grösseren bäuerlichen Gutsbetrieben geprägt. Es ist eine entbehrungsreiche Zeit in der harte körperliche Arbeit den Tag ausfüllt. Wer nicht das Glück hat in eine Familie geboren zu sein, die im Besitz eines landwirtschaftlichen Gehöfts ist verdingt sich als Magd oder Knecht. Nicht selten zieht das Gesinde, ähnlich den Wanderarbeitern, von einem Bauernhaus zum nächsten. Rechte haben sie kaum und sie werden als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. Agnes Magnúsdóttir ist so eine Magd und als ihr Dienstherr ermordet aufgefunden wird, wird sie als Komplizin des Täters vom Landrat zum Tode verurteilt. Jedes Todesurteil muss vor der Vollstreckung vom dänischen König bestätigt werden. Da diese Amtshandlung zu dieser Zeit etliche Monate in Anspruch nahm, war man der Meinung, die Verurteilten könnten auf einem Bauernhof arbeiten und bis zu ihrer Hinrichtung zu etwas nütze sein. Island ist verhältnismässig karg besiedelt und eine allfällige Flucht ist von vornherein erfolglos und so landet Agnes auf dem Kornsahof. Um das Seelenheil von Agnes kümmert sich ein junger Pfarrvikar und es kommt wie es kommen muss, die fleissige und stille Agnes fügt sich nach und nach ins Familienleben ein. Bis eines Tages die schlimme Botschaft mit dem definierten Tag eintrifft, an dem das Urteil vollzogen werden soll …


    Nein, ich verrate nicht zu viel da dies alles in ähnlichen Worten der Kurzbeschreibung zu diesem Roman steht. Was kann man von einer Erzählung erwarten, bei der es um die letzte Hinrichtung in Island geht? Gewiss kein Happy end. Da der Schluss von vornherein klar ist, ist es die Zeitspanne zwischen Urteilssprechung und Vollstreckung samt Rückblenden in die Vergangenheit die im Blickpunkt steht. Man könnte es auch mit dem geflügelten Wort "der (Lebens-) Weg ist das Ziel" beschreiben. Ich habe rund dreissig Seiten gebraucht, um mich an den schlichten Erzählstil und die für mich ungewöhnlichen nordischen Namen zu gewöhnen. Dann hat mich diese an und für sich einfache und düstere Geschichte auf der emotionalen Ebene gepackt und mich zum Schluss nicht mehr losgelassen. Auf Seite 300 habe ich kurz überlegt, ob ich die letzten 75 Seiten überhaupt lesen soll … ich hab das Buch dann schnell ausgelesen und es nicht bereut.


    Von dieser schicksalhaften Geschichte geht eine melancholische Aura aus. Einerseits ist es die poetische Sprache die sich kraftvoll im Gemüt der Leser einnistet und zur Naturverbundenheit der Isländer passt und andererseits sind es die harten Lebensumstände die vor knapp 200 Jahren herrschten die authentisch geschildert werden die einem innerlich aufwühlen. Dann sind da die eindringlichen Passagen in denen man in die Gedankenwelt von Agnes eintauchen kann die ich als unheimlich intensiv und zutiefst menschlich empfunden habe. Es gibt ein paar Abschnitte in denen nicht allzu viel geschieht aber selbst in diesen Phasen verliert die Geschichte nichts von ihrer Anziehungskraft.


    Ich hoffe, die talentierte Schriftstellerin Hannah Kent schreibt nach diesem beeindruckenden Debütroman weitere Bücher so dass es nicht bei einem "One Hit Wonder" bleibt. Wertung: 10 Eulenpunkte


    Edit: Das Taschenbuch ist seit Oktober 2015 erhältlich