Wildauge - Katja Kettu

  • Verlag: Galiani-Berlin, 2014
    Gebunden,
    416 Seiten


    Originaltitel: Kätilö
    Aus dem Finnischen von Angela Plöger


    Kurzbeschreibung:
    Eine unmögliche Liebe in einer unmöglichen Zeit.


    Katja Kettus großer Roman – archaisch, sinnlich, erdig, rau. Lappland im Sommer 1944. Als Johannes Angelhurst ihr zum ersten Mal begegnet, ist sie gerade dabei, der Tochter des Schnapshändlers bei einer schweren Geburt zu helfen. Ihr Blick ist so frei und ungestüm – fast wie der eines wilden Tieres. Sie ist die Hebamme von Petsamo. Die meisten Dorfbewohner finden sie seltsam und begegnen ihr mit zwiespältigen Gefühlen, weil sie zu viel über das Geheimnis von Leben und Tod weiß. Johannes ist deutscher Offizier, er soll als Fotograf die finnischen Verbündeten porträtieren. »Wildauge« – so der Spitzname der Hebamme – fühlt sich sofort zu dem schweigsamen Mann in seiner schwarzen Uniform hingezogen. Sie ist sich sicher: Er ist ihr Mann. Überallhin würde sie ihm folgen, so stark sind Bestimmung und Begehren. Und so lässt sie sich, als er in ein Kriegsgefangenenlager abkommandiert wird, dort als Krankenschwester einschleusen. Zwischen beiden entbrennt eine bedingungslose, wilde Leidenschaft. Doch im Lager passieren grauenvolle Dinge.


    Über die Autorin:
    Katja Kettu, Jahrgang 1978, gehört zu einer Gruppe junger Autoren in Finnland, die sich der deutschen Besatzungszeit mit einem neuen, freien Blick nähern. Ihr Roman Wildauge beruht auf den Aufzeichnungen ihrer Großmutter. Er wurde hoch gelobt und stand wochenlang auf Platz 1 der finnischen Bestsellerliste. Er wird in 13 weitere Sprachen übersetzt.


    Über die Übersetzerin:
    Angela Plöger ist eine der renommiertesten Übersetzerinnen aus dem Finnischen. Sie promovierte an der Uni Hamburg und lebte lange Zeit als Deutschlektorin in Helsinki. Angela Plöger übersetzt auch die Bücher von Sofi Oksanen, Leena Lander, Aki Kaurismäki u. v. a. ins Deutsche.


    Mein Eindruck:
    Wildauge ist der Roman einer jungen finnischen Autorin, die als Einstimmung zur kommenden Frankfurter Buchmesse taugt. Da wird Finnland Partnerland sein.


    Es ist ein kraftvoller Text, der viel vom Leser fordert.
    Das liegt zum einen an dem harten Thema, zum anderen an der drastischen Sprache.
    Wildauge ist eine Hebamme, die sich in Lappland in den vierziger Jahren in einen deutschen Offizier verliebt und ihm sogar in ein Gefangenenlager folgt, wo sie als Krankenschwester arbeitet.
    Einige Szenen sind sehr explizit, das gilt auch für die Sprache.


    Ich habe den Roman mit Bewunderung für den Stil gelesen, doch aus Gründen des Selbstschutzes auch mit Distanz zu den Figuren.


    Das schön gestaltete Cover, die enthaltende Karte und das erläuternde Nachwort der Übersetzerin möchte ich lobend erwähnen. Angela Plöger erklärt die geschichtlichen Zusammenhänge zum Lapplandkrieg (es gibt am Ende des Buches auch Literaturempfehlungen zum Thema) und die herausfordernde Arbeit beim Übersetzen, da die Autorin einen “überbordenden sprachlichen Reichtum besitzt“ und auch so manche neue Wortbildungen erfindet und Dialekt einfließen lässt.


    Es ist ein beeindruckendes Buch, aber auch eines, das man erst einmal bewältigen muss und inhaltlich ist es nicht immer einfach zu verdauen.
    Doch der Mut und das Können der Autorin belohnen das Bewältigen der Leseherausforderung.


    ASIN/ISBN: 354828616X

  • Ach, Herr Palomar, da hab ich dieses Buch heute Nacht zu Ende gelesen und mir eine Rezension für Sonntag vorgenommen, und nun kommt hier schon deine. Und dann auch noch mit vielen Aussagen, die ich nicht anders getroffen hätte.
    Also spare ich mir die Aufgabe, nahezu dasselbe in neue Worte kleiden zu wollen, und schließe mich deinen Ausführungen zustimmend an.


    Kurz aus meiner Sicht zusammengefasst: Ein brutal forderndes, ein überaus saftiges, packendes Werk mit spannenden sprachlichen Impulsen, bemerkenswert reif für ein Debüt. Oftmals schmerzhaftes, literarisch genussvolles Leseerlebnis!

  • Inhalt: Ein Buch über die Liebe zwischen einer finnischen Hebamme und einem deutschen SS-Offizier in den Kriegswirren Ende 1944 / Anfang 1945 in Lappland.


    Die Autorin: Katja Kettu, Jahrgang 1978, arbeitete nach dem Studium an der Kunstakademie in Turku als Animateurin beim Film und produzierte Musikvideos. 2005 trat sie mit ihrem Debütroman "Surujenkerääjä" erstmalig als Romanautorin an die Öffentlichkeit und wurde für diese Arbeit im Heimatland mehrfach mit Preisen geehrt. In ihrem dritten Roman "Käitilö" (Wildauge, 2011) setzt sie sie sich nicht nur mit einem unaufgearbeiteten Kapitel der finnischen Geschichte sondern auch mit ihrer eigenen Abstammung auseinander. Der Roman wurde zunächst ein nationaler Erfolg. Im Rahmen der Frankfurter Buchmesse 2014, in der Finnland als "Ehrengast"-Land fungierte, erreichte er auch in Deutschland große Beachtung.


    Die Übersetzerin: Angela Plöger, Jahrgang 1942, anerkannte und ausgezeichete Übersetzerin aus dem Finnischen, Ungarischen und Russischen.


    Meine Meinung: Es fällt schwer, das Leseerlebnis "Wildauge" in adäquate Worte zu fassen. Die Vergangenheitsbewältigung Kettus findet in der drastischsten Form statt, die man sich vorstellen kann. Schonungslos führt die Autorin dem Leser die Abgründigkeit der menschlichen Seele vor Augen die sich besonders in Extremsituationen offenbart, wie sie in den letzten Monaten des zweiten Weltkrieges millionenfach durchlebt wurden. Wie dicht können eigentlich Menschlichkeit und Grausamkeit beieinander liegen? Wie schmal ist der Grat zwischen Solidarität mit Gepeinigten und dem Egoismus des eigenen Wohlergehens, der Sicherung der eigenen Existenz? Wie weit kann eine Liebe gehen, zu welchem Wahnsinn ist der Mensch fähig, wenn er sich ihr bedingsungslos ausliefert? Kettu schont weder das Wesen Mensch als solches noch ihr eigenes Volk. Sie sucht nicht nach einer Entschuldigung für die Kollaboration der Finnen mit den Nazis, für die wechselnden Loyalitäten und Bündnisse, die ihr Land einging, um seine stolze Eigenständigkeit zu bewahren und auf der Bühne der Weltpolitik nicht zerrieben zu werden. Kettu konfrontiert uns in so verstörender Art und Weise mit ihren Figuren und deren Handlungsweisen, dass einem häufig der Atem stockt. Die Identifiktation damit fällt schwer, ist nahezu unmöglich und doch muss man davon ausgehen, dass alles plausibel ist, denn die geschilderten Ereignisse basieren auf historisch belegbaren Wahrheiten.


    Die Sprache des Romans ist äußerst bild- und wortgewaltig. Sie strotzt einerseits nur so vor Obszönitäten und Vulgarismen, offenbart andererseits aber auch eine feinfühlige fast lyrische Komponente. In diesem Zusammenhang ist besonders auch die Übersetzungsarbeit hervorzuheben. Im Nachwort beschreibt Angela Plöger, vor welchem Herausforderungen diese Arbeit stand. Nicht nur Redewendugnen und Wörter des Finnischen sondern auch die grammatikalischen Feinheiten mussten in ein deutschsprachiges Äquivalent gegossen werden, in eine Sprache die unterschiedlicher kaum sein könnte. Die Übersetzerin ist dem Anspruch, die Intonation des Originals möglichst authentisch einzufangen, mit langjähriger Erfahrung, reichaltigem Wissen, großem Fleiß und enormen sprachlichem Können angegangen. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass der deutsche Text in diesem Bemühen ein wenig über das Ziel hinaus schießt. Aber das nur in ganz wenigen Momenten und dann auch nicht so, dass es das Leseerlebnis stört.


    Neben einem intensiven Leseerlebnis ist die Lektüre auch eine Geschichtsstunde. Zahlreiche Anmerkungen klären den unkudigen Leser über örtliche und geschichtliche Zusammenhänge auf. Diese Fußnoten hätten für meinen Geschmack aber deutlich reduziert werden können. Manche Erklärungen wiederholen sich, andere sind komplett überflüssig, da sie aus dem Text verständlich sind, wieder andere für das Verständnis unerheblich. Hier wäre weniger meines Erachtens mehr gewesen.


    Im Gesamtfazit ist "Wildauge" eines der intensivsten Bücher, die ich jemals gelesen habe, eine Lektüre die lange nachhallen wird. Aus diesem Grunde ganz klar volle 10 Punkte.

  • Zitat

    Original von arter


    Im Gesamtfazit ist "Wildauge" eines der intensivsten Bücher, die ich jemals gelesen habe, eine Lektüre die lange nachhallen wird. Aus diesem Grunde ganz klar volle 10 Punkte.


    Freut mich sehr, arter, dass du das so siehst. Genauso (s. o.) habe ich auch empfunden. :wave