Dave Eggers: Der Circle

  • Dave Eggers: Der Circle
    Verlag: Kiepenheuer&Witsch 2014. 560 Seiten
    ISBN-13: 978-3462046755. 22,99€
    Originaltitel: The Circle
    Übersetzer: Ulrike Wasel, Klaus Timmermann


    Verlagstext
    Das Kultbuch jetzt auf Deutsch
    Leben in der schönen neuen Welt des total transparenten Internets: Mit »Der Circle« hat Dave Eggers einen hellsichtigen, hochspannenden Roman über die Abgründe des gegenwärtigen Vernetzungswahns geschrieben. Ein beklemmender Pageturner, der weltweit Aufsehen erregt.
    Huxleys »Schöne neue Welt« reloaded: Die 24-jährige Mae Holland ist überglücklich. Sie hat einen Job ergattert in der hippsten Firma der Welt, beim »Circle«, einem freundlichen Internetkonzern mit Sitz in Kalifornien, der die Geschäftsfelder von Google, Apple, Facebook und Twitter geschluckt hat, indem er alle Kunden mit einer einzigen Internetidentität ausstattet, über die einfach alles abgewickelt werden kann. Mit dem Wegfall der Anonymität im Netz – so ein Ziel der »drei Weisen«, die den Konzern leiten – wird es keinen Schmutz mehr geben im Internet und auch keine Kriminalität. Mae stürzt sich voller Begeisterung in diese schöne neue Welt mit ihren lichtdurchfluteten Büros und High-Class-Restaurants, wo Sterneköche kostenlose Mahlzeiten für die Mit-arbeiter kreieren, wo internationale Popstars Gratis-Konzerte geben und fast jeden Abend coole Partys gefeiert werden. Sie wird zur Vorzeigemitarbeiterin und treibt den Wahn, alles müsse transparent sein, auf die Spitze. Doch eine Begegnung mit einem mysteriösen Kollegen ändert alles …
    Mit seinem neuen Roman »Der Circle« hat Dave Eggers ein packendes Buch über eine bestürzend nahe Zukunft geschrieben, einen Thriller, der uns ganz neu über die Bedeutung von Privatsphäre, Demokratie und Öffentlichkeit nachdenken und den Wunsch aufkommen lässt, die Welt und das Netz mögen uns bitte manchmal vergessen.
    »Das ›1984‹ fürs Internetzeitalter« Zeit online


    Der Autor
    Dave Eggers hat bislang sechs Bücher veröffentlicht, darunter „Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität“, für das er 2001 Pulitzer-Preis-Finalist war. Für „Zeitoun“ wurde ihm unter anderem der American Book Award und der Albatros-Preis der Günter-Grass-Stiftung verliehen. Dave Eggers ist Gründer und Herausgeber von McSweeney’s, einem unabhängigen Verlag mit Sitz in San Francisco. Der Autor stammt aus Chicago und lebt heute mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Nordalifornien.


    Inhalt
    Mae braucht einfach nur irgendeinen Job, um ihren Studienkredit von über 200 000$ abzahlen zu können. Eine Stelle bei “The Circle“ scheint der Himmel auf Erden für jede Berufsanfängerin zu sein. Maes neuer Arbeitgeber ködert seine Mitarbeiter mit einem Rundum-Sorglos-Campus-Leben, das eigene Aktivitäten überflüssig macht. Die Firma verkauft die Bequemlichkeit einer allumfassenden Internet-Identität und übernimmt dafür im Gegenzug die Kontrolle über sämtliche Daten im Leben eines Amerikaners. Zukünftig soll es nur noch eine überprüfte Identität für alle Aktivitäten im Internet geben, „True You“, das wahre Selbst. Kaufen, Bezahlen, Wählen, Gesundheits-Versorgung, soziale Kontakte, die Datenkrake verknüpft alles und wertet alles aus. Jeder und jede Aktivität wird rund um die Uhr bewertet, optimiert und von Neuem bewertet. In einem System, in dem man vor lauter Mitteilen und Folgen kaum dazu kommt, alle Kommunikationsebenen mit ihren "Smiles" und "Zings“ zu checken, ersetzt die Metakommunikation das wirkliche Leben. Wer dem Tempo nicht folgen kann, etwa soziale Events schlicht verpasst oder Zeit außerhalb des Campus verbringen will, macht sich damit verdächtig. Der bisher noch nicht komplett vollendete Kreis soll einmal die Daten aller User von Facebook, Twitter, amazon, PayPal, Apple, Microsoft und Google miteinander verknüpfen. Als gutgläubige Gallionsfigur wird Mae ihr Gesicht der schönen neuen Internetwelt für ihre Werbekampagne zur Verfügung stellen, indem ihr Leben rund um die Uhr aufgezeichnet und online gestellt wird. Sie wird dafür einen hohen Preis zahlen müssen.


    Den sektenartigen Charakter des datenhungrigen Konzerns werden vermutlich viele Menschen als notwendiges Übel hinnehmen. Hat man ihnen doch zuvor ein Leben als gläserne Bürger schmackhaft gemacht, das Sicherheit suggeriert und verspricht, gechipte und getrackte Personen einem möglichen Entführer wieder abjagen zu können. Verurteile Straftäter werden für jeden sichtbar gekennzeichnet werden. Völlige Kontrolle wird die Menschen besser machen, verspricht der „Circle“ seinen potentiellen Kunden.


    Fazit
    Jung, unbedarft und kritiklos steht Mae dem überbordenden Pathos eines allumfassenden Internetkonzerns mit seinem USA-weiten Big Brother-System gegenüber. Die ohne erzählerische Finesse erzählte Geschichte, ohne Nebenhandlungen und mit eindimensionalen Figuren funktioniert allein durch die naive Sicht Maes, der sich die Leser von Beginn an überlegen fühlen können. Verknüpft werden in diesem Roman schlicht ein paar absehbare Trends der Gegenwart, ohne eine wirklich utopische neue Welt zu schaffen. Der zeitliche Abstand zwischen Eggers Blick in die gedachte Zukunft und den technischen Möglichkeiten der Gegenwart ist vermutlich einfach zu gering, um die Faszination einer neuen Welt entfalten zu können. Das Bewerben des Buchtitels in einem Atemzug mit Orwells "1984" hat dem amerikanischen Autor einen denkbar schlechten Dienst erwiesen. Von Orwells Visionen und seiner erzählerischen Kraft ist Eggers weit entfernt. Sprachlich und inhaltlich flach.


    4 von 10 Punkten

  • Buchdoktor, ist diese kritiklose Unbedarftheit der Mae nicht ein Merkmal des postmodernen Menschen? Sind die eindimensionalen Figuren und ihre Naivität nicht ein gutes Abbild unserer Big-Brother & xy-sucht-den-Supertrottel-iPhone-Generation? Hat Eggers nicht bewusst "beschrieben", anstatt erzählt und hat er nicht, obwohl er es gut kann, die Figuren mit Absicht so konturlos gezeichnet?
    Und ist dir die Story zu wenig utopisch, weil die Utopie unsere Gegenwart bereits eingeholt hat?


    Ich werde das Buch noch lesen. Ich glaube, ich habe bisher mehr als 1000 Seiten Kritiken, Rezis, Buchbeschreibungen etc. über dieses Buch gelesen. Ich finde das Thema sehr interessant und würde mich freuen, wenn du meine Fragen beantworten könntest.

  • Eine unbedarfte Figur zu schaffen zeugt für schriftstellerisches Können. Ich kritisiere nicht Maes Eigenschaften, sondern nehme sie wie sie ist. Mir ist die Geschichte einfach zu simpel runtererzählt. Es gibt unkritische Idealisierer als Figuren in diesem Roman, die alles ganz toll finden, an deren Lippen Mae fasziniert hängt, und eher schwach ausgeprägte Skeptiker. Letztlich lauscht man im Roman ständig jemandem, der Mae und damit einem selbst kluge Vorträge hält.


    Ich wünsche mir von jedem Roman, dass er mir keine vorgefassten Meinungen suggeriert (schau her, wie schlimm das alles ist und du, Leser, bist auch Schuld daran, weil du mitmachst), sondern mich meine eigenen Schlüsse ziehen lässt. Dazu müsste es aber mehr Nebenhandlungen geben, mit deren Hilfe ich Maes Position für mich einordnen und zu denen ich eigene Gedanken entwickeln kann.


    Außerdem wünsche ich mir von Romanen, dass sie mich mit ihrer Sprache ansprechen und überraschen, dass es irgendeine Szene gibt, die stimmungsvoll beschrieben ist oder bei der ich noch einmal ein paar Sätze im Text zurückspringe, um den tollen Absatz noch einmal zu lesen. Sprachlich ist das Buch für mich völlig reizlos. Mir drängte sich der Gedanke auf, dass es ein schlichter Text für den amerikanischen Markt ist, der bei uns als US-Bestseller vermarktet wird.


    Zitat

    Und ist dir die Story zu wenig utopisch, weil die Utopie unsere Gegenwart bereits eingeholt hat?


    Eindeutig, mir ist die Handlung viel zu nah an dem, was jetzt schon möglich ist. Ich fürchte, das ist ein Buch, von dem Erwachsene oder IT-Skeptiker Jugendlichen sagen werden: Lies das, schau wie schlimm alles ist - und du bist auch Teil davon als einer, der stundenlang vor XY hängt.


    Mich hat an den Kritiken gestört, die ich bisher gelesen habe, dass sie meiner Ansicht nach nur äußerst dezent dazu äußern, ob es sich um einen gelungenen und dabei auch sprachlich zu empfehlenden utopischen Roman handelt. Sie drehen sich m. A. zu stark darum, dass es ein wichtiges Buch ist und man über Qualität dann nicht mehr reden muss. Lies es selbst. :wave

  • Mae Holland, 24 Jahre, einen Haufen Schulden durch ihr Studium am Hals, bekommt durch ihre Freundin Annie die Gelegenheit, bei "The Circle" anzufangen, einem Internet-Konzern, der mittels True You alles verknüpft, Anonymität im Internet aufhebt, und mit immer weiteren Entwicklungen zu Trage tritt, überall Kameras, Chips, Kommunikation verbreitet. Nach kurzen Anlaufschwierigkeiten stürzt sich Mae voll hinein in das neue Leben und wird zu einem wichtigen Rädchen in der Maschinerie.


    Mich hat schon lange kein Buch mehr derartig gefesselt wie dieses. Ich habe es allerdings auf englisch gelesen, bevor die deutsche Ausgabe rauswar, und daher war das sprachliche für mich zweitrangig - vielleicht konnte es mich ja auch deshalb so fesseln. Ich habe hier keinen "Utopieentwurf" erwartet, ganz im Gegenteil, wenn dann ist das für mich eher die Dystopie. Ich fand das spannend zu sehen, wie Mae immer tiefer hineinrutscht, und in ihrer Naivität gar nicht merkt, wohin das steuert, während ihre Freundin Annie - am Anfang ebenfalls der totale Vertreter von The Circle - ja später durchaus auf einmal merkt, dass es doch nicht so gut ist, wenn alles transparent wird. Für mich kennzeichnet das eben auch die aktuellen Entwicklungen, für mich sind die sogenannten "digital natives" eigentlich eher "digital Naive", die offenbar gar nicht sehen, wohin das führt, völlig kritiklos alles mitmachen und das wird in diesem Buch für mich schön veranschaulicht.


    Von mir 8 von 10 Punkten.

  • Ich schließe mich Buchdoktors Rezi an. Die Zukunftsvisionen waren irgendwie nicht ausreichend weit genug von dem was heute schon möglich ist weg, um mich wirklich zu faszinieren.


    Und die Hauptfigur Mae war einfach nur unglaublich nervig und naiv. Dazu gehörte für mich auch, dass sie mit jedem dahergelaufenen Mann gleich erst mal einen Quickie haben musste. Keine Ahnung, ob der Autor da seine Phantasien ausgelebt hat.


    Ansonsten hatte ich das Gefühl, dass ich die Hauptfigur dabei beobachte, wie sie einen Vortrag nach dem anderen von irgendeinem durchgeknallten Sektenheini anhört, der/die immer am Ende die rethorische Frage stellt, ob das Ganze sich für Mae gut anhört und sie immer schön - ohne mit der Wimper zu zucken - nickt.


    Ach so, ich habe es auf Englisch gelesen. Sprachlich ist es eher schlicht.


    Ich geb 3 von 5 Sternen, weil es sich immerhin schnell las (= 6 von 10 Eulenpunkten ;-))


    Dass der eine Typ seine sexuelle Performance lieber in Punkten auf einer Skala von 1-100 als in Worten bewertet haben möchte, erinnert mich ja an was, jetzt wo ich gerade Punkte verteile. :lache
    .

  • Zitat

    Original von Delphin
    Dazu gehörte für mich auch, dass sie mit jedem dahergelaufenen Mann gleich erst mal einen Quickie haben musste. Keine Ahnung, ob der Autor da seine Phantasien ausgelebt hat.


    Amerikaner eben. Träumen von rauschenden Orgasmen in Toilettenkabinen . :chen

  • Ich bin heute fertig geworden und noch halb im Bann des Circle.
    Das Buch gehört nicht in den Bereich SF, eher in Thriller. In ein paar Jahren vermutlich in History :rolleyes


    Die Story hat mir ganz gut gefallen, das Unternehmen Circle jagte mir Gänsehaut über sämtliche Körperstellen. Diese - zugegeben - einseitige Zukunftsvision bekommt von mir mindestens 7 von 10 Punkten.


    Aber die Figuren, vor allem Mae, sind katastrophal. Mae, ein weiblicher Hodor, verfügt zwar über einen größeren Wortschatz als jener, aber dieser Wortschatz beschränkt sich auf Sätze wie "Ja, ich sehe es ein, das hätte ich nicht verheimlichen sollen" etc.
    Die Dummheit des Menschen ist bekanntlich grenzenlos, aber für Mae müsste ich ein neues Wort erfinden. Sie stürzt sich kopfüber in den Circle, lässt zu, dass ihr jeder eigene Gedanke ausgetrieben wird, opfert Familie und Freunde der Transparenz und ist nicht zu Zweifeln fähig. Ich meine, jeder Mensch zweifelt an irgendeinem Punkt seines Lebens an dem, was er gerade tut, oder nicht? Aber Mae nicht, sie ist voll dabei. Sie ist keinen Argumenten gegen den Circle zugänglich.
    Ihre Viewer und Mit-Circler sind aber nicht besser. Niemandem von ihnen scheinen je Zweifel zu befallen. Alle arbeiten sie fleißig an der Perfektionierung der Transparenz. Ist das die Zukunft? Hilfe!
    Die wenigen - zwei! - kritischen Stimmen gehen in der Handlung fast unter und bewirken rein gar nichts.


    Fazit: Handlung - ja, Figuren - nein.


    Hier regt sich noch jemand über Mae auf. Gemeingefährlich, das trifft es gut, wie ich finde.
    (Achtung, enthält Spoiler!)


    Insgesamt würde ich dem Buch 4 bis 5 von 10 Eulenpunkten geben.
    Wer sich vor Überwachung gruseln möchte, ist mit Glenn Greenwald besser bedient. Oder - wer lieber einen Roman liest - "Ready Player One" ist ein ausgezeichneter, spannender, sehr unterhaltsamer Thriller.


    ***
    Aeria


    /edit: Fehler und Buchtipp

  • Na toll. Ich habe die englische Ausgabe bereits vor 2 Wochen bestellt und inzwischen ist es auch unterwegs zu mir :rolleyes. Da es nun einmal kommen wird, werde ich es wohl auch lesen. In der Frankfurter Rundschau war heute sogar eine Kolumne über das Buch. Der Autor meinte, das das Buch zwar schlecht, die Thematik aber wichtig wäre. Nun denn.

  • Zitat

    Original von Aeria
    Darcy
    Die Thematik ist schon wichtig, aber sie allein macht noch kein gutes Buch...


    Da hast du gewiss recht. Nunja, inzwischen ist das Buch hier und ich werde es mir denn mal demnächst zu Gemüte führen. Zumindest habe ich ja das englische Original, da empfinde ich sprachliche Mängel nicht ganz so gravierend wie in meiner Muttersprache Deutsch :grin

  • Danke für Euren kontroversen Austausch hier. Ich hatte auch mit dem Buch geliebäugelt, nachdem ich eine sehr ansprechende Rezi (ich weiß aber nicht mehr wo) gelesen hatte... Nun bin ich etwas skeptischer. Werde mich doch zurückhalten.

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Also ich bin jetzt halb durch das Buch. Und ich finde es überraschend gut. Ich lese das englische Original, deswegen kann ich zum Schreibstil weniger sagen. Er ist einfach, das stimmt, aber im Englischen empfinde ich das weniger schlimm als im Deutschen.


    Ansonsten finde ich es durchaus gut und lese es gerne. Es herrscht für mich eine düstere Stimmung. Nun gut, es passiert wenig, wird viel geredet. Aber eigentlich passiert unterschwellig sehr viel. Mae wird zurechtgebogen und in den Drang, alles teilen zu müssen, was ihr passiert, reingezogen. Ihre Naivität erklärt sich für mich aus den Arbeitsbedingungen, wie sie halt in Amerika herrschen. Sie ist halt ein eher schlichter Mensch., anders würde dieser Roman auch nicht funktionieren. Trotzdem finde ich es interessant genug, um weiter zu lesen. Es gibt durchaus bizarre Ereignisse, wie etwa den verpassten portugisischen Brunch und die Reaktion des Veranstalters ( :lache) oder auch die Kritik an ihrer mangelnden sozialen Integration beim Circle. Ich finde das aber unterschwellig sehr bedrohlich. Vielleicht habe ich aber einfach auch noch nicht genug (bzw keinen) anderen Roman in dieser Richtung gelesen, so das ich einfach noch unbeleckt von der Thematik bin. Ich fühle mich jedenfalls überraschend gut unterhalten bis zur Mitte.

  • Ich habe schon vor einiger Zeit das englische Original gelesen und fand das Buch wahnsinnig gut. Die Protagonistin ist gerade im späteren Storyverlauf zwar eher Haß-Projektionsfläche als Identifikationsfigur, aber das tut der Geschichte keinen Abbruch, im Gegenteil, sie funktioniert dadurch vielleicht sogar noch besser.
    Mae mag vielen Lesern als übertrieben naiv erscheinen, aber ich finde, sie ist der sehr gut gezeichnete Prototyp einer jungen, idealistischen Generation Silicon Valley, die ihre Firmenbosse und technologischen Vordenker wie Götter anbetet und deren Visionen vollkommen kritiklos nachstürmt, wie eine große Schafherde. Man mache sich einfach mal den Kult bewusst, der um Steve Jobs und jeden seiner öffentlichen Auftritte zelebriert wurde. Das grenzte an religiösen Fanatismus. Und in klein gibt's das vielfach auch in anderen Firmen.
    Gerade in dieser Industrie arbeiten viele junge, hoch idealistische Menschen, die ihre Firma als großen Wohltäter empfinden und sich vollkommen mit der Firmenideologie identifizieren, egal in welche Richtung sie schlägt. In den USA vielleicht noch sehr viel stärker als in Deutschland. Natürlich überzeichnet der Autor, aber er muss gar nicht weit dafür ausholen. Die Mechanismen, mit denen die jungen, hippen, mit Investorengeldern gut ausgepolsterten eCommerce- und Medien-Unternehmen ihre Mitarbeiter an sich binden, sind genau die, die Egers beschreibt. Der Wir-haben-uns-alle-lieb-Kuschelfaktor mit der unterschwelligen Drohung, das alles verlieren zu können, wenn man quer schießt. Das hippe Pseudo-Rebellentum als Gruppenidentifikation, das nur eine andere Form der Angepasstheit ist. Der Selbstdarstellungszwang und die vielen tollen, nicht-freiwilligen Socialising- und Freizeit-Events, die dazu führen, dass man als Mitarbeiter einer solchen Firma nach kurzer Zeit keinen Freundeskreis und kein Sozialleben mehr außerhalb der Firma hat, was die Bindung (und damit die Verlustängste aus Fehlverhalten) umso stärker macht ... und dass sich das Ganze schön geredet wird (und damit das Band noch einmal stärkt), ergibt sich als logische Folge.
    Ich hatte selbst meine zwei Jahre Silicon Valley Experience und würde sagen, solche Leute wie Mae laufen da in Scharen herum.


    Doch, dieses Buch ist nicht nur ein ausgesprochen spannender Thriller, sondern auch eine ziemlich zutreffende Sozialkritik und eine Zukunftsvision, die, nimmt man die Überzeichnung einmal raus, so abwegig nicht ist.


    Für mich war es eines der besten und mitreißendsten Bücher der letzten Jahre.

  • Jetzt, wo Du das schreibt, glaube ich, dass es gar nicht mal so war, dass mich gestört hat, dass Mae so naiv war, sondern dass ich ihr Verhalten als nicht glaubwürdig empfunden habe. Es war mehr "tell" als "show". Ich fand Annie weitaus glaubwürdiger dargestellt als zunächst begeisterte Anhängerin des Personen- und Firmenkults und später als Zweiflerin.

  • Titel: Der Circle
    Autor: Dave Eggers
    Übersetzt aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
    Verlag: Kiepenheuer und Witsch
    Erschienen: August 2014
    Seitenzahl: 559
    ISBN-10: 3462046756
    ISBN-13: 978-3462046755
    Preis: 22.99 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    Die 24-jährige Mae Holland ist überglücklich. Sie hat einen Job ergattert in der hippsten Firma der Welt, beim "Circle", einem freundlichen Internetkonzern mit Sitz in Kalifornien, der die Geschäftsfelder von Google, Apple, Facebook und Twitter geschluckt hat, indem er alle Kunden mit einer einzigen Internetidentität ausstattet, über die einfach alles abgewickelt werden kann. Mit dem Wegfall der Anonymität im Netz so ein Ziel der "drei Weisen", die den Konzern leiten wird es keinen Schmutz mehr geben im Internet und auch keine Kriminalität. Mae stürzt sich voller Begeisterung in diese schöne neue Welt mit ihren lichtdurchfluteten Büros und High-Class-Restaurants, wo Sterneköche kostenlose Mahlzeiten für die Mitarbeiter kreieren, wo internationale Popstars Gratis-Konzerte geben und fast jeden Abend coole Partys gefeiert werden. Sie wird zur Vorzeigemitarbeiterin und treibt den Wahn, alles müsse transparent sein, auf die Spitze. Doch eine Begegnung mit einem mysteriösen Kollegen ändert alles.


    Der Autor:
    Dave Eggers, geboren 1971, wuchs in der Nähe von Chicago auf und besuchte die Universität von Illinois. Er gründete 1998 einen Verlag, in dem er seine Bücher veröffentlicht, ein vierteljährliches Literaturmagazin und eine Monatszeitschrift. 2012 wurde Dave Eggers mit dem "Albatros", dem Preis der "Grass-Stiftung", ausgezeichnet.


    Meine Meinung:
    Eine Bedrohung ist dann ganz besonders perfide – wenn diese Bedrohung nicht als Bedrohung empfunden wird. In einem beklemmenden und sehr nachdenklich machenden Roman beschreibt Dave Eggers auf fast geniale Art und Weise wie wir Menschen uns freiwillig in eine Abhängigkeit begeben aus der wir uns kaum noch lösen können. Ein hochpolitischer Roman – sollte Pflichtlektüre für all diese Freaks sein, die ohne das Internet und ihre Smartphones u.ä. nicht mehr leben können.
    Dave Eggers macht deutlich, dass das Internet mehr Fluch als Segen ist.
    Die Menschen sind einfach intellektuell nicht in der Lage dieses Medium zu beherrschen. „Die Geister die ich rief......“.
    Leider habe ich den Eindruck, das viele Leser dieses Buches überhaupt nicht begreifen werden worum es eigentlich geht. Es geht um die Bedrohung der Individualität, des Datenschutzes und der Privatsphäre. Es geht darum die eigene Persönlichkeit zu bewahren, es geht darum zu verhindern, dass das Netz zu unserem alles beherrschenden Gurus wird.
    Ein Buch das mich überlegen lässt, bei Facebook, Google oder auch Amazon einfach mal den Stecker zu ziehen. Sich auf das wirklich Wesentliche und Wichtige des Lebens zu konzentrieren und sich ein wenig zurückzubesinnen.
    Dieses Buch soll offensichtlich eine Fiktion sein – aber wenn man genau überlegt, dann ist es eher eine Situationsbeschreibung, denn eine Fiktion ist eine Utopie – Dave Eggers Buch scheint aber bereits die Realität, wenn auch etwa überzeichnet, zu beschreiben.
    Eggers schafft es Menschen so zu beschreiben wie Menschen schlichtweg handeln und handeln würden. Grandios.
    Ein großartiges Buch. Unbedingt lesenswert. 10 Eulenpunkte.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Danke, Voltaire, du bist mir um einige Stunden zuvor gekommen mit deiner Rezi. Ich kann mich in weiten Teilen nur anschließen.


    Wie ich schon zwischendurch schrieb, hat mir das Buch ausserordenltich gut gefallen. Gerade in seiner einfachen Art und seiner scheinbar naiven Hauptperson Mae kommt das Grauen und der Horror nur umso schlimmer daher.


    Viele Leser schrieben, es passiert nichts zu beginn. Dabei werden wir genau wie Mae an diese vielen so wunderbaren Ideen und durchaus noblen Ausgangsüberlegungen herangeführt. Auch ich, der ich doch aufwuchs ohne Internet und Handy und mir heute überhaupt nicht mehr vorstellen kann, ohne zu sein, könnte mich wie Mae blenden lassen von dem schönen Schein auf dem Campus. Natürlich ist Mae ein unkritischer Geist. Kritisch sind andere. Es ist aber auch ein sehr amerikanisches Buch, deswegen mag es hier in Deutschland vielleicht mehr Kritik einstecken müssen. Unsere Arbeitssituation ist völlig anders als in den USA, und so kann man sich Maes Dankbarkeit und Ergebenheit vielleicht nicht so erklären. Alleine, das man aufgehalten wird vom Chef von der Mittagspause, die dann selbstverständlich kürzer ausfällt, ist für uns fast undenkbar.


    Für mich ist "Der Circle" ein Horrorbuch. Ich fand gerade zum Ende einige Dinge wirklich zum Fürchten. Das Ende ist dann folgerichtig und absolut furchtbar.


    Für mich hat "Der Cirlce" wunderbar funktioniert. Ich fand es durchgängig spannend, da ich die vielen Beschreibungen und Erklärungen in der ersten Hälfte als passend und einführend empfand. Ich war Mae, sah durch ihre Augen. Das ich selber anders denke, spielt da keine Rolle. Ich habe sie begleitet, sah ihre kleinen Freuden bei Kajaken und die Besuche bei ihren Eltern. Und wurde ebenso Zeuge, wie diese Dinge für sie entbehrlich und fremd wurden. Und ich fand es absolut beängstigend.


    Ich schließe mich Voltair an, für mich war das Buch ein Leseereignis.