Das Halsband der Tauben - Raja Alem

  • Raja Alem


    Das Halsband der Tauben
    Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich
    Unionsverlag
    Taschenbuch, 578 Seiten


    Raja Alem ist in Mekka geboren und hat in Dschidda englische Literatur studiert. Sie lebt in Dschidda und Paris.


    In einer Gasse in Mekkas Altstadt wird eine unbekannte Tote gefunden, nackt, mit entstelltem Gesicht. Die Bewohner sind in Aufruhr, und allmählich kommen verborgene Geheimnisse an den Tag: verbotene Liebesbeziehungen, Familientragödien, aber auch zwielichtige Geschäfte inmitten dieser aufgewühlten Stadt, in der religiöse Tradition und brutale Spekulation aufeinanderprallen. Inspektor Nassir wird mit der Untersuchung beauftragt. Er taucht ein in die Lebensgeschichten von zwei vermissten Frauen, die an den Hindernissen ihrer Umgebung zerbrochen sind. Bald stößt er auf bedrohliche Mächte: Korruption und Immobilienprojekte bedrohen die alte, ehrwürdige, heilige Stadt Mekka.


    Meine Meinung:
    Es könnte ein Krimi sein. Tatsächlich ist die Ermittlung von Inspektor Nassir nur ein Gerüst, an dem sich die unzähligen Puzzlesteine, aus denen dieser Roman besteht, festklammern und immer weiterwuchern.
    Schon die Erzählperspektive ist ungewöhnlich: Von den Ereignissen berichtet die Vielkopfgasse, Abu-I-Rus. Sie scheint ein Eigenleben zu haben, ihre Bewohner zu manipulieren, ihre Geheimnisse plaudert sie mal aus, mal vergräbt sie sie in ihren düsteren Winkeln.
    Mekka, die Ehrwürdige ist die eigentliche Hauptperson, ihre Geschichte voller Mythen und Kriege, ihre Gegenwart als Heilige Stadt, voller Pilger und Gebete, die Zerstörung ihrer historischen Stadtteile durch die Erfordernisse des modernen Lebens, die Gier nach Gewinn.
    Vier Männer sind des Mordes verdächtig: Jussuf, der Journalist, der von dem Mädchen Asa genauso besessen ist wie von der Geschichte seiner Heimatstadt und sein Leben in Tagebucheinträgen festhält. Muadh, der als Sohn eines Imam eigentlich sein Nachfolger werden soll, aber heimlich als Fotograf arbeitet. Chalil war früher Pilot und arbeitet jetzt als Taxifahrer . Und „der Bock der Moscheediener“, der Pflegesohn eines Kochs.
    Zwei Frauen, Asa und Aischa sind verschwunden. Ist eine von ihnen die Ermordete?
    Im zweiten Teil des Buches ist die Vielkopfgasse verschwunden, so wie ihre Bewohner. Sie ist Opfer des Baubooms geworden.
    Ich bin regelrecht verlorengegangen in der farbigen, detailreichen Schilderung von Lebenswirklichkeiten, die mir fremd sind. Die Empfindungen und Wünsche von Frauen, deren Leben von harten, einschränkenden Regeln beherrscht werden, werden ebenso ausführlich beschrieben wie die der Männer, die zwar größere Freiheiten genießen, aber in den religiösen Vorschriften genauso gefangen sind. Was Realität, was Traum oder Phantasie ist, es ist und bleibt unklar, es ist auch nicht sonderlich wichtig. Dieses Buch lesen ist wie der ständige Blick durch ein Kaleidoskop. Jede Buchseite bietet einen neuen Blick, eine andere Facette, strahlend, bunt, erschreckend, vor allem aber rätselhaft.
    Das Buch enthält ein Glossar, das für meinen Geschmack gerne etwas ausführlicher hätte sein dürfen und ein Nachwort des Übersetzers.
    Es ist sicher kein Roman für eilige Leser. Wer sich allerdings darauf einlassen mag, in ein unbekanntes Universum zu versinken und sich verzaubern zu lassen, der wird viel Freude daran haben.