Zehntausend Stunden

  • Eben habe ich einen Fred eröffnet mit der Frage, inwieweit Interesse besteht, hier Probleme des Schreibhandwerks zu diskutieren.


    Damit es gleich konkreter wird, ein erster Themenvorschlag:


    Eine Theorie besagt, um etwas zu beherrschen, ganz gleich ob eine Sportart, eine Fremdsprache, ein Musikinstrument oder eine andere Kunstfertigkeit, brauche man ungefähr zehntausend Übungsstunden. Es sei denn, man fängt sehr jung an oder ist ein Genie (oder beides).


    Ist das eine provokante These?


    Zehntausend Stunden also, um Kreatives Schreiben zu erlernen?

  • Zehntausend Stunden?
    Eine in meinen Augen eher willkürliche Angabe.


    Und diese zehntausend Stunden können auch nicht ausreichend sein, wenn kein Talent vorhanden ist. Denn ohne Talent geht gar nichts - da würden wahrscheinlich auch vierzigtausend Stunden nicht ausreichen.


    Trotzdem: Üben - egal in welchem Bereich ist immer wichtig.


    Aber was nützt das Üben wenn man nicht auch bereit ist, Ratschläge, Tipps und Kritik anzunehmen, wenn man nicht bereit ist von einer oftmals völlig falschen Selbsteinschätzung herunterzukommen?


    Viele dieser Nachwuchs-(Möchtgern-können-aber-nicht)-Autorinnen und Autoren sind unfähig zur Selbstkritik, sind unfähig sich selbst zu hinterfragen; denn sie können alles, wissen alles - meinen sie wenigstens und dabei wissen sie gar nichts und können noch viel weniger.


    Zehntausend Stunden?
    Mag sein, dass es so viele Stunden sind - nur sollte man diese Lebenszeit auch nur dann investieren, wenn wenigstens etwas Talent vorhanden ist.
    Wobei der Kauf eines PC's nicht schon als als Talent-Grundlage anzusehen ist.


    Man darf gespannt sein, wieviele der untalentierten Nichtskönner hier wieder aufschlagen und über das Schreiben klugscheissen - als gebe es kein Morgen. Sie haben nichts veröffentlicht - wahrscheinlich will niemand ihre Ergüsse lesen - tun aber so, als stünde nur ihnen der Literatur-Nobelpreis zu.


    Wenn man etwas erreichen will, dann braucht es Talent, Durchhaltevermögen und den unbedingten Willen etwas leisten zu wollen. Eine große Klappe dagegen braucht es nicht.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Neugierige Fragen einer Nichtautorin:
    (die nicht beantwortet werden müssen, da ich hier eigentlich überhaupt nichts zu fragen habe)


    Was genau bedeutet üben im Schreibhandwerk? Vermutlich schreiben, schreiben und nochmals schreiben... Was aber sagt euch, daß ihr "besser" werdet? Und wodurch? Rechtschreibung und Grammatik?


    Wer entscheidet, ob besser oder schlechter? Es sind doch immer nur Meinungen, die sich da äußern (z. B. Leserkritik)? Und wenn es 10.000 Leute schlecht finden - ist es dann schlecht oder nur entgegen dem Mainstream? Wenn es 20.000 Leute gut finden - ist es dann gut oder nur der Mode entsprechend?


    Kann ein Autor selbst entscheiden, ob sein zweites Buch besser (oder schlechter) ist als das davor? Wenn ja, woran macht ihr das fest?


    Ist es hilfreich für einen Autor, andere Autoren zu lesen? Oder behindert es eher, weil es Einflüsse auf Stil und Ideen erzeugt?


    Danke für alle eventuellen Antworten.

  • @Nadja: was nun, Theorie oder These? Ist diese Zahl Zehntausend willkürlich oder steht das wirklich irgendwo?
    Meinen ersten Kreativschreiberfolg hatte ich in der Schule, als ich eine Eins für einen Aufsatz über mein schönstes Tiererlebnis erhielt. Reine Erfindung, in fünfzehn Minuten auf Papier gebracht, eine Eins und als bester Aufsatz vor der Klasse hochgelobt und vorgelesen.
    Ich muss also ein junges Genie gewesen sein, denn geübt habe ich nie.
    Voltaire kommt jetzt bestimmt gleich mit der Bleistiftkeule um die Ecke, haut sie mir über meinen genialen Kopf mit der Bemerkung: Und genau so schreibst Du heute noch, Marlowe :lache.
    Aber immerhin hat dieses Erfolgserlebnis mich dazu gebracht, an mich zu glauben. Nicht Voltaires Schlag, die Eins in der Schule!


    @ANDROMEDA: Deine Frage trifft genau den wunden Punkt: wer entscheidet das? Letztendlich der Autor wohl selbst. Ich habe einmal für einen Absatz in einer Kurzgeschichte fast vier Wochen gebraucht, bis ich mit dem Text (3 Sätze) so zufrieden war, dass ich weiterschreiben konnte.
    Schreiben ist ein verdammt einsames "Handwerk".

    Schon der weise Adifuzius sagte: "Das Leben ist wie eine Losbude, wenn Du als Niete gezogen wurdest, kannst Du kein Hauptgewinn werden.":chen

  • Es gibt diverse markige Zahlen. Etwa jene Behauptung, es würde ab der ersten belletristischen Veröffentlichung ungefähr zehn Jahre dauern, bis man vom belletristischen Schreiben leben kann. Die zehn ist eine magische Zahl für Autoren.


    Ich bin immer wieder irritiert, wenn ich den Begriff "Schreibhandwerk" lese oder höre. Was genau soll das eigentlich sein? Die Beherrschung der Schriftsprache, in welcher Form auch immer? Intime Kenntnis der dramaturgischen Kniffe?


    Beim Schreiben geht es darum, sehr gute Geschichten sehr gut zu erzählen. Das kann man oder man kann es nicht. Man kann es verbessern, wenn man es noch nicht so gut kann, zumindest einen Teil davon (gut erzählen). Wie man an gute Geschichten kommt, das kann einem definitiv niemand beibringen. Und was "gut erzählen" bedeutet, das lässt sich auch nicht definieren. Weil das gleiche "Gut" nur bei der einen Geschichte wirklich gut ist - und bei der anderen völlig unangebracht.


    Viele Autoren arbeiten sehr lange daran, ihre Sprache, ihren Stil, ihre Themen zu finden, und nicht wenigen gelingt das nie. Diejenigen, die ich kenne, und die auf dieser Suche waren oder sind, haben zumindest nach meinem Eindruck längst beherrscht, was ich als "Schreibhandwerk" bezeichnen würde, nämlich die Fähigkeit, sich erzählerisch auszudrücken. Damit ist aber noch nicht einmal ein Fünftel der Miete eingefahren.

  • Mist, Marlowe! Da hast Du mich erwischt. Ja, ja, ich gebe es zu: Wissenschaftlich betrachtet geht es bei den "Zehntausend Stunden" weder um Theorie noch These, allenfalls um eine Faustregel. Die wir hier aber auch gleich links liegen lassen können, denn ich habe sie bloß als Aufhänger missbraucht.


    Voltaire, Deinem Satz über Talent, Willen und Durchhaltevermögen stimme ich selbstverständlich zu.


    Nun aber zu Andromedas Fragen, an die ich mich mal wage - ohne Anspruch auf vollständige Antworten und mit der der Bitte um Ergänzung und Widerspruch.


    Zunächst mal: Meiner Meinung sagt das Leservotum nicht unbedingt viel darüber aus, ob das Schreibhandwerk stimmt. Auch Bücher in zweifelhafter
    Schreibe können megagut ankommen. Aber das muss ja niemanden davon abhalten, beim Schreiben eine solide Qualität anzustreben (Ich beziehe mich hier übrigens immer auf Unterhaltungsliteratur.)


    Lesen! Ja, unbedingt! Lesen, lesen lesen! Auch Autoren und Genres zu denen man sich weniger hingezogen fühlte. Keine Angst vor falscher Beeinflussung. Niemand wird sich dauerhaft einen Stil aneignen, in dem er sich nicht wohl fühlt.


    Rechtschreibung und Grammatik sollten sitzen. Dass man immer mal wieder nachschlagen oder -fragen muss, ist normal.


    Und jetzt zur m.E. schwierigsten Frage: Kann ein Autor (m/w) selbst entscheiden, ob er besser wird? Ich glaube, er lernt mit der Zeit, es zu erfühlen. Allerdings braucht er immer wieder eine konstruktiv-kritische und kompetente Rückmeldung von außen, an der er seine eigene Entwicklung festmachen kann.

  • Zitat

    Original von Marlowe
    Schreiben ist ein verdammt einsames "Handwerk".


    Ich denke, das kann ich nachvollziehen - die eigenen Ansprüche sind manchmal wesentlich schwerer zu erfüllen als die anderer.


    Nadja Quint
    Erstmal vielen Dank. Aber gute Antworten haben ja die Angewohnheit, neue Fragen zu generieren :learn, daher:


    Zitat

    Original von Nadja Quint
    beim Schreiben eine solide Qualität anzustreben


    Wie ist deine Definition von solider Qualität?
    Für mich bedeutet es (immer vorausgesetzt, solide ist im Sinne von fehlerlos, ideal verstanden:
    Die Architektur einer Geschichte muß stimmen
    Rechtschreibung und Grammatik müssen auf einem Standard sein, der einen nicht holprigen Lesefluss ermöglicht - es sei denn natürlich, eine Abweichung wurde als Stilmittel eingesetzt (wie z. B. bei Flowers for Algernon)


    War das gemeint? Und/oder gehört noch mehr dazu?


    Zitat

    Allerdings braucht er immer wieder eine konstruktiv-kritische und kompetente Rückmeldung von außen, an der er seine eigene Entwicklung festmachen kann.


    Wer sind diese Kompetenten? Lektoren/Verleger?
    Heißt kompetent hier auch objektiv? Und wer kann das wirklich sein - vor allem bei Büchern?


    Wenn es nervig wird mit den Fragen: einfach sagen - oder nicht mehr antworten :zwinker

  • Andromeda: beste Rückmeldungen sind immer hohe Verkaufszahlen, aber bedenke den Satz des weisen Adifuzius :grin:


    Auch der größte Mist kann der beste Dünger für anspruchslose Geister/Leser sein!

    Schon der weise Adifuzius sagte: "Das Leben ist wie eine Losbude, wenn Du als Niete gezogen wurdest, kannst Du kein Hauptgewinn werden.":chen

  • Zitat

    Original von Andromeda



    Wer sind diese Kompetenten? Lektoren/Verleger?
    Heißt kompetent hier auch objektiv? Und wer kann das wirklich sein - vor allem bei Büchern?


    Ja, Andromeda, Deiner Definition von "solider Qualität" kann ich gut zustimmen.
    Im Kreativen Schreiben gibt es handwerklichen Regeln, die m. E. jeder Autor zunächst erlernen muss. Dabei bilden Rechtschreibung und Grammatik die
    unabdingbare Grundlage, darüber hinaus geht es um den Aufbau einer Geschichte, um generelle Fragen der Erzählweise, um Figurenzeichnung, Dialoge und noch einiges mehr.


    Kompetente Rückmeldung gibt es bei Buchmanuskripten von Verlagslektoren, aber bis zum Buch ist es ja ein verdammt weiter Weg.


    Üblicherweise schreibt ein Autor zunächst kürzere Texte und feilt daran.
    Dozenten in Kursen und Seminaren oder (schon weiter fortgeschrittene) Autorenkollegen können dabei unterstützen, und ja: Meiner Ansicht nach bedeutet kompetent im idealen Fall auch objektiv. Ehrlich und deutlich, aber eben nicht demotivierend. Vor allem aber sollte der "Rückmelder" wirklich was von der Sache verstehen.

  • Zitat

    Original von Nadja QuintVor allem aber sollte der "Rückmelder" wirklich was von der Sache verstehen.


    Nochmals danke. Eine letzte (denke ich :grin) Frage noch: Wenn ich das richtig verstehe, was ich im Web so über den Lektoratsberuf fand, kann sich jeder Depp, der lesen kann, Lektor nennen? Ich denke (hoffe), daß sich die größeren Verlage schon ordentliche Leute leisten - aber wie macht das ein Kleinverlag? Die werden doch eher mit Freiberuflern arbeiten? Dann wäre es pure Glückssache, wenn man bei jemandem landet, der sein Handwerk versteht? Ich fange an, mich zu beglückwünschen, daß ich keinerlei Autorenambitionen habe...

  • Über die Ausbildung zum Lektor/zur Lektorin weiß ich nicht viel, da finden sich bestimmt kundigere Eulen.


    Soweit ich weiß, ist die Berufsbezeichnung nicht geschützt.


    Ich kenne eine junge Frau, die Lektorin für Belletristik werden möchte, jetzt den Bachelor in Germanistik macht und dann eine Ausbildung anschließt. Früher hieß das Verlagskauffrau, heute gibt es dafür einen moderneren Begriff.


    Nach dieser Ausbildung will sie sich intern zur Lektorin weiterbilden.


    Aber wie gesagt: Da solltest Du kompetentere Leute als mich fragen.


    :wave

  • Meine Frage zielte auch eher auf deine/eure Erfahrungen mit solchen Lektoraten ab. Ist aber ein bißchen ab vom eigentlichen Thema dieses Threads, daher ziehe ich mich (und die Frage) hier mal zurück.
    Vielen Dank für deine/eure Antworten auf meine neugierigen Fragen. :roeslein

  • Gern, Andromeda.


    Wegen Deiner Fragen zu Lektoraten und zur Ausbildung von LektorInnen lohnt es sich ja vielleicht für Dich, einen gesonderten Thread aufzumachen.


    Soweit ich das beurteiloen kann, gibt es Eulen, die davon richtig viel Ahnung haben. Meine eigenen Erfahrungen beschränken sich auf die Lektorate in meinem alten und neuen Verlag.


    :wave