'Der Sommer der Freiheit' - Seiten 531 - 593

  • Gero ist tot! Was ich fast erwartet hatte, ist nun eingetreten. Doch sein Tod wird eher stiefmütterlich behandelt, man erfährt ihn in einem Nebensatz. Das finde ich schade. Auch die Reaktion Selmas auf den Tod ihres Ehemannes ist verstörend ruhig, aber dennoch verständlich. Wie sollte sie auch um einen Mann trauern können, den sie nicht wirklich geliebt und in den letzten Jahren auch kaum gesehen hat?


    Dafür scheint ihre Karriere als Autorin anzulaufen. Und ganz im Sinne der Großmutter schreibt Selma unter einem Pseudonym. Aber warum befürchtet sie ihre Entdeckung? Es ist doch eine tolle Sache zu schreiben und zu veröffentlichen.


    Constanze und Robert treffen sich ebenso wieder. Aus ihrem Verhältnis zueinander werde ich nicht schlau. Constanze scheint immer noch was für ihn zu empfinden, während Roberts Herz für Selma schlägt.


    Der Krieg ist nun auch vorbei, es herrscht Waffenstillstand. Hedda kann damit irgendwie nicht umgehen, für sie ist es immer noch ein Unding, dass die Upper-Class Verzicht üben musste. Eine typische Lady in meinen Augen.

  • Wie hätte ich Geros Tod Deiner Ansicht nach schildern sollen? Ich finde, jede weitere Einzelheit wäre da zu viel gewesen. Die Tatsache, dass er fortgeht, weil er weiß, dass er das "normale Dasein" jenseits der Front nicht mehr ertragen kann, weil es dieses Normale nicht mehr für ihn gibt, er an der Front aber wenigstens seine Pflicht erfüllt (für die er von Anfang an erzogen wurde), finde ich stark genug. Da kann sich jeder selbst ausmalen, was da geschehen ist.

  • Geros Tod an sich hättest du gar nicht schildern müssen, ich glaube, das hätte auch nicht gepasst. Ich hätte es toll und passend gefunden, wenn du Selma beim Empfangen des Schreibens gezeigt hättest. Sie hat zwar immer damit gerechnet, aber allein die Zeit von 3 Tagen, bis sie es jemanden erzählt, zeigt, dass sie doch sehr an Gero gehangen hat.

  • Ja, vielleicht hätte ich das tun sollen. Ich hatte auch schon angefangen. Aber da kam ich dann gar nicht mit Selma klar. Der Abstand von 3 Tagen hat den Vorteil, dass sich das alles schon ein bisschen gesetzt hat. Heulend und verzweifelt hätte ich sie nicht zeigen wollen, eher grübelnd und sinnierend, sich selbst SChuld zuweisend, zugleich der Versuch, sich damit zu arrangieren, um weiterzuleben, schon allein des Kindes wegen. Das passt meiner Meinung nach eher zu Selma und das kommt glaubwürdiger rüber, wenn sie die Nachricht schon drei Tage lang "verdaut" hat, also schon einen Schritt weiter mit der Verarbeitung ist....

  • Danke, dass du uns so einen Einblick gibst. Wäre ja auch blöd, wenn du eine Szene schreibst, bei der du dann merkst, dass sie nicht zur Figur und zum Roman passt und sie dennoch drin lässt. Jetzt ist es für mich nachvollziehbar.


    Hach, wäre das schön, wenn man sich bei jedem Buch direkt mit dem Autor austauschen könnte. Wobei diese dann wahrscheinlich zu nix mehr kämen :lache

  • Zitat

    Original von logan-lady
    Und ganz im Sinne der Großmutter schreibt Selma unter einem Pseudonym. Aber warum befürchtet sie ihre Entdeckung? Es ist doch eine tolle Sache zu schreiben und zu veröffentlichen.
    Hedda kann damit irgendwie nicht umgehen, für sie ist es immer noch ein Unding, dass die Upper-Class Verzicht üben musste. Eine typische Lady in meinen Augen.


    Zum ersten Abschnitt: Einerseits mag es die Angst sein, sich zu blamieren. Außerdem ist ihr Vater ein Politiker und die Familie angesehen. Also würde ein Fehlschlag nicht nur sie selbst treffen, sondern auch deren Ansehen möglicherweise schaden.
    Zu Hedda: Kommt drauf an, was du unter Lady verstehst. Früher gab es mal den Ausdruck "Every inch a lady/Jeder Zoll eine Dame". Soll heißen, dass eine Dame/Lady sich stets und überall unter welchen Umständen auch immer untadelig verhält. Eine wahre Lady hätte sich nicht anmerken lassen, dass der Verzicht sie trifft. Das tun eher Möchtegern-Diven. (Das sind auch die Leute, die in jedem Restaurant und jedem Hotel glauben, wenn sie am Essen oder anderen Dingen rummeckern, zeigen sie, wie vornehm sie sonst zu speisen bzw wohnen pflegen. Wobei man oft den gegenteiligen Eindruck bekommt!)
    Ich glaube, Hedda ist nur ein wenig exaltiert, aber im Innern "okay".

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Danke, Maikäfer, dass Du die Frage nach dem Pesudonym nochmal aufgreifst. Sorry, die ist mir gestern durchgerutscht.
    Selma hat sich da wohl vor allem an Meta orientiert, die ihre Romane - wenn auch aus anderen Gründen - unter Pseudonym veröffentlichen musste. Selma hält es, wie Maikäfer schon schrieb, vor allem deshalb für notwendig, weil sie ja einen großen Teil ihrer eigenen Geschichte im Roman verarbeitet, und es einfach fürchtet, dass man sie "enttarnt". Ihr Vater ist Politiker, ihr verstorbener Mann ein bekannter Anwalt, diese Art von Öffentlichkeit kann sie sich zunächst nicht vorstellen. Dazu ist sie (noch) zu sehr in ihrer alten Denkwelt gefangen. Aber das kann sich ändern....


    Stimmt, Hedda ist in gewisser Hinsicht eine Diva. Das ist auch ein Versäumnis von Meta: ihr ist es nicht gelungen, der Tochter ihre eigenen Wertvostellungen zu vermitteln. Hedda ist ganz in "ihre" Welt der upper class entschwunden....

  • Auch die Art wie Hedda mit Grischas Verwundung umgeht zeigt, wie sehr sie auf Äußerlichkeiten gepolt ist. Als wäre die Welt untergegangen, weil man ein Auge verloren hat.
    Grischa scheint das ja deutlich besser wegzustecken und auch bereit zu sein, sich der Zukunft zu stellen.


    Zu Selmas Reaktion auf Geros Tod: Ich denke sie wusste, dass er nicht aus dem Krieg zurückkommt, von daher trifft jetzt nur etwas ein, was sie schon lange erwartet hat. Die Konsequenzen daraus überblickt sie dabei ja nicht wirklich. Es stellt sich ja auch die Frage, wie sie sich und Alma finanziell über Wasser halten will.
    Ich denke es hätte ihrem Ruf schon geschadet, wenn bekannt geworden wäre, dass sie schreibt. Ich glaube für eine Frau ihrer Gesellschaftsschicht war es einfach nicht üblich sein Geld selbst zu verdienen und schon gar nicht mit schreiben. Meta hat ja auch deswegen ein Pseudonym gewählt.

  • Du hast Recht, streifi, Selma ist sich über die gesamten Konsequenzen, was Geros Tod für sie bedeutet, zunächst noch nicht so ganz im Klaren. Andererseits stammt sowohl sie wie auch Gero selbst aus vermögenden Verhältnissen. Die Familien hätten sie gewiss aufgefangen. Mögliche "Witwenrenten" wird es in der heutigen Form wohl noch nicht gegeben haben, nach allem, was ich bislang von der großen Not der Hinterbliebenen gelesen habe. Aber da habe ich leider auch noch nicht explizit nach recherchiert.


    Nach 1918 ist die ganze Gesellschaft im Umbruch. Zunächst war es für eine Frau wie Selma noch undenkbar, unter ihrem Namen zu schreiben. Aber das ändert sich dann ganz schnell. Mit dem Untergang des Kaiserreichs sind viele alte Wertvorstellungen mit verschwunden. Insofern ist es typisch, dass sie sich 1920 dann entschließt, künftig ihren eigenen Namen zu verwenden.

  • Gero ist tot. Ich glaube wirklich, dass besser so ist, für alle Beteiligten.
    Hedda hat immer noch nicht verstanden, dass eine neue Zeit angebrochen ist, wohin gegen Selma dies langsam zu realisieren scheint.
    Aber aus Constanze und Robert werde ich nicht schlau. :gruebel
    Meine Lieblingsszene war übrigens die Szene mit Grischa und der kleinen Alma. Grischa wäre bestimmt ein toller Vater.
    Auf zum Endspurt!

  • Eliza08 : Ja, zwischen Grischa und Alma gibt es eine ganz besondere Verbindung. Er wäre ein toller Vater, da gebe ich Dir Recht!


    Hedda wird noch lange brauchen, um zu begreifen, was geschehen ist. Erkenntnis führt sicher zu einem großen Teil auch über den Willen, Erkenntnis in sich reifen zu lassen, und der geht ihr einfach ab.


    Constanze und Robert aber werden so schnell aus sich auch noch nicht schlau. Es war eine sehr aufwühlende Zeit und jeder brauchte einfach, um damit klarzukommen. In allen Bereichen. Alle waren zu lange in Ausnahmesituationen, die existenziell bedrohlich waren.

  • Zitat

    Original von Eliza08
    Aber aus Constanze und Robert werde ich nicht schlau. :gruebel


    Ich mittlerweile schon. Bei dem Treffen im Kranzler ist mir klar geworden, dass Constanze immer noch in Robert verliebt ist. Vielleicht wäre aus den beiden sogar ein Paar geworden, wenn Constanze Robert nicht berichtet hätte, dass Gero tot ist. Ab da denkt Robert nur noch an Selma und er verdeutlicht Constanze, dass sie für ihn nur eine gute Freundin ist. Constanze scheint direkt froh zu sein, dass Robert mehr oder weniger für klare Verhältnisse gesorgt hat und denkt seit langem mal wieder an Grischa.

  • Man vertraut sich nicht mehr. Constanze trifft Robert. Selmai ist in Bonn. Sie wissen nichts über Grischa. Jetzt will Constanze ihn suchen.
    Ich dachte schon der Mann in der zerschlissenen Uniform wäre Grischa, Constanze erkennt ihn nur nicht. Aber er ist ja wohl seit dem Absturz in Bonn. Er muss wohl ein zweites Mal abgeschossen worden sein. :gruebel

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Ihr Lieben,


    in diesem Sommer 1918 in Berlin scheint eine lähmende Agonie
    über allem zu liegen, eine Art Stillstand - die alten Vorkriegszeiten
    sind endgültig vorbei, eine neue Ordung in Politik und Gesellschaft
    muss sich erst langsam entwickeln.
    Dazu passt auch, dass Selma`s Eltern zurück nach Bonn ziehen wollen.


    Letztendlich ist Gero`s Tod für alle die beste Lösung, nicht zuletzt für ihn selber.
    Innerlich war er schon lange gestorben und ich freue mich, dass er nun endlich seine
    Ruhe hat. Der Welt, wie er sie mal kannte, hat er nicht mehr angehört und eine neue zu
    erschaffen, fehlte ihm die Kraft.


    Luise hat sich tatsächlich mit Ansgar verlobt - ach du Schreck, das kann ja was werden.. :gruebel


    Immer noch betreiben Constanze und Selma ihr Versteckspiel und ihre latenten Eifersüchteleien
    mit Robert - die eine hat ihn da heimlich getroffen und nichts erzählt, die andere weiß irgendwas usw.
    das ist ein richtiger Kindergarten mit den dreien - obwohl gerade Constanze so großen Wert darauf legt, einen modernen Frauentypus zu verkörpern
    mit ihrem Studium und ihrer Selbstständigkeit.

  • Ja, so bitter es ist: Gero hat seine Ruhe gefunden. So wie ihm ging es viel zu vielen....


    Selma und Constanze sind auf dem Weg, aber, wie Du schreibst, in jenem Sommer/ Herbst 1918 ist alles im Umbruch und keiner weiß, wie es weiter geht. In allen Bereichen. Constanze sieht sich gar nicht so bewusst als Verkörperung der modernen Frau. Sie hat einfach ihr Ziel - das Ingenieurstudium abzuschließen -, andere Überlegungen hat sie noch gar nicht angestellt. Da braucht sie noch etwas Zeit, um erwachsen zu werden.
    Selma geht es ähnlich. Ein großer SChritt ist durch die Geschichte mit Gero sicherlich getan, aber es fehlt noch der Nächste....