Louise Erdrich - Das Haus des Windes

  • Titel: Das Haus des Windes
    OT: The Round House
    Autorin: Louise Erdrich
    Übersetzt aus dem Amerikanischen von: Gesine Schröder
    Verlag: Aufbau Verlag
    Erschienen: Februar 2014
    Seitenzahl: 384
    ISBN-10: 3351035799
    ISBN-13: 978-3351035792
    Preis: 19.99 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    Im Zentrum ihres gefeierten Romans steht der 14jährige Joe, der ein brutales Verbrechen an seiner Mutter rächt und dabei zum Mann wird. Im Sommer 1988 wird die Mutter des 14-jährigen Joe Coutts Opfer eines brutalen Verbrechens. Sie schließt sich in ihrem Zimmer ein und verweigert die Aussage. Vater und Sohn wissen nicht, wie sie sie zurück ins Leben holen können. Da sich der Überfall auf der Nahtstelle dreier Territorien ereignet hat, sind drei Behörden mit den Ermittlungen befasst. Selbst Joes Vater sind als Stammesrichter die Hände gebunden. So beschließt Joe, den Gewalttäter selbst zu finden. Mit seinen Freunden Cappy, Angus und Zack unternimmt er teils halsbrecherische, teils urkomische Ermittlungsversuche. Bei seiner aufreizenden Tante und im Kreis katholischer Pfadfinderinnen begegnet er der Liebe und in alten Akten dem Schlüssel des Verbrechens.


    Die Autorin:
    Louise Erdrich, 1954 in Little Falls, Minnesota als Tochter einer Indianerin und eines Deutschamerikaners geboren, wuchs in North Dakota auf. Sie wurde für ihre Romane und Lyrikbände mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Louise Erdrich lebt mit ihren fünf Kindern in Minnesota.


    Meine Meinung:
    Ein wirklich beeindruckender Roman. Dieses Buch gewährt einen Einblick in das Leben in einem Reservat in North-Dakota. Die Autorin schildert eine Lebenswirklichkeit die hier wohl kaum bekannt ist. Es geht auch um das Zusammenleben verschiedener Kulturen und die Probleme die daraus erwachsen. Es geht aber auch um Pubertätsprobleme die kulturunabhängig sind. Junge Menschen stehen – egal in welcher Kultur – in ihrer Entwicklung immer vor denselben Problemen. Louise Erdrich schreibt sehr einfühlsam und schafft es eine ganz besondere Atmosphäre zu schaffen.
    Das Buch bietet alles: Spannung, Action, gefühlvolle Momente, Szenen voller Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit und Optimismus.
    Es ist auch ein Buch über eine tiefe Jungenfreundschaft, eine Freundschaft auch voller tragischer Momente. Man kann dieses Buch ohne Frage als ein Highlight der amerikanischen Literatur bezeichnen. Es wurde ausgezeichnet mit dem „National Book Award“ für den besten Roman des Jahres.
    Dieses Buch bietet ein echtes Leseerlebnis. Ein Buch das herausragt aus der Masse so vieler nichtssagender Romane, ein Buch niveauvoll und großartig geschrieben. Louise Erdrich versteht ihr Metier und bestätigt mit diesem Buch ihr herausragendes schriftstellerisches Können.
    9 Eulenpunkte für eine sehr lesenswertes Buch.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Danke für den schönen Buchtipp, Voltaire! :kiss
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    Stell dir vor, ein Familienangehöriger wird Opfer einer Gewalttat und niemand fühlt sich für die Beweismittelsicherung und die Verfolgung des Täters zuständig. So passiert es dem jungen Indianer Joe, dessen Mutter brutal vergewaltigt und misshandelt wird und der als Icherzähler die Ereignisse im Rückblick Revue passieren lässt. Die Tat geschieht an einer abgelegenen Stelle, so dass Joe und sein Vater befürchten müssen, der Täter könnte ein Stammesangehöriger sein. Ob der mögliche Tatort auf Stammesgebiet, öffentlichem oder privatem Grund liegt, entscheidet darüber, ob und von welcher Behörde ermittelt wird. Joes Vater trifft es als Richter innerhalb seines Stammes besonders tief, dass die Justizorgane der Weißen an der Verfolgung von Gewalttaten auf Stammesgebiet kaum Interesse haben. Der Vater will seinen Sohn zwar möglichst vor den belastenden Einzelheiten der Tat schützen, doch es ist nicht zu übersehen, dass Joes Mutter sich völlig in sich zurückzieht und dabei ist, sich zu Tode zu hungern. Wie ihr Mann war die Mutter vor dem Verbrechen als Expertin für Abstammungsfragen eine Stütze ihres Stammes. Da von der Stammeszugehörigkeit nicht nur die indianische Identität abhängt, sondern ebenfalls, wer welchen Grund erben oder nutzen darf, wäre denkbar, dass die Tat in Zusammenhang mit dem Amt der Mutter steht. Nicht viel anders wie bei einem kindlichen Detektivspiel beginnt Joe, sich in die Denkweise des möglichen Täters zu versetzen und nach Beweismitteln zu suchen.


    Fazit
    Die Gewalttat selbst nimmt in Erdrichs Roman nur geringen Raum ein. Dafür beschreibt sie intensiv und gefühlvoll die Wirkung der Tat auf die Angehörigen, die Bedeutung der Strafverfolgung für das psychische Überleben des Opfers und die speziellen Verhältnisse in einem Indianerreservat. Die verschiedenen Ebenen werden mithilfe Erdrichs außergewöhnlicher Beobachtungsgabe geschickt miteinander verwoben. Sie lässt ihre Figuren nicht einfach durchs Gras gehen oder sich hinter einem Gebüsch verbergen, man erfährt immer, um welche Pflanzen es sich exakt handelt. Diese Sorgfalt in Details mag ich in Romanen sehr. Auch indianische Legenden, die dem eigenen Volk und außenstehenden Lesern indianische Kultur vermitteln, sind in die Geschichte eingearbeitet. Zu guter Letzt lässt sich “Das Haus des Windes“ auch als sehr berührender Entwicklungsroman eines Dreizehnjährigen lesen. Vielleicht ist es Erdrichs feine Ironie, mit der sie das Indianersein der Gegenwart betrachtet, die den Zugang zu den Emotionen ihrer Figuren für ihre Leser so leicht macht.


    Louise Erdrichs Botschaften erreichen ihre Leser auf leisen Sohlen. In ihrem Nachwort erinnert die Autorin daran, dass sich seit 1988, dem Jahr der geschilderten Ereignisse, bis zum Erscheinen der Originalausgabe des Buches2012 in den USA kaum etwas an der öffentlichen Wahrnehmung und juristischen Verfolgung der Gewalt gegen indianische Frauen geändert hat.


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    Zitate
    Er [Joes Vater] brachte einen Strauß Blumen aus dem Garten mit, den sie noch nicht gesehen hatte. Er stellte sie in eine kleine handbemalte Vase. Ich betrachtete den grünen Himmel auf dieser Vase, den Weidenbaum, das schlammige Wasser und die ungeschickt gemalten Steine. Diese ganze glasierte Szene sollte ich während der nächsten Abendessen mehr als gründlich kennenlernen, weil ich meine Mutter nicht ansehen mochte, wenn sie uns, auf Kissen abgestützt, so leblos anstarrte, als sei sie gerade erschossen worden, oder sich einrollte wie eine Mumie, die sich längst ins Jenseits verabschiedet hatte. Mein Vater versuchte jeden Abend, ein Gespräch in Gang zu halten, und wenn ich meine schmale Tagesration an Erlebnissen aufgebraucht hatte, gab er nicht auf, ein einsamer Ruderer auf dem endlosen See des Schweigens, oder vielleicht ging es sogar stromaufwärts. Ich bin fast sicher, dass ich ihn in dem kleinen schlammigen Flüsschen auf der Vase habe paddeln sehen.“ (S. 181)


    Aber als ich die Tür aufmachte und die neben dem Bett eingezwängte Nähmaschine sah, die Stapel gefalteter Stoffe und das Wandbrett mit Hunderten von leuchtenden bunten Garnrollen, als ich die Quiltstoffe sah und den Pappkarton mit der Aufschrift Reißverschlüsse und das gleiche herzförmige Nadelkissen wie zu Hause, bloß dass das von meiner Mutter mattgrün war, musste ich an meinen Vater denken, wie er jeden Abend in die Nähstube ging, wie die Einsamkeit unter der Tür der Nähstube durchgekrochen war und versucht hatte, über den Flur bis in mein Zimmer zu kommen. Ich fragte Clemence: Meinst du es würde Mooshum stören, wenn ich bei ihm penne?“ (S. 214)


    10 von 10 Punkten