Schreibwettbewerb April - Thema "Dumm gelaufen"

  • Thema April 2005:


    "Dumm gelaufen"



    Vom 01. April bis 21. April 2005 könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb April 2005 zu o.g. Thema per Email an webmistress@buechereule.de oder über das Kontakt-Formular (s.o. im Forum) zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym eingestellt.


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    Wir wünschen Euch viel Spaß und viel Erfolg!

  • von Frosch1


    Wohlgefällig betrachtete er sich im Spiegel.
    Auf seinem solariumgebräunten Körper waren noch die Spuren des großzügig verspühten "Aramis" zu sehen. Während die letzten Tröpfchen verschwanden, legte er sich sein Goldkettchen um und freute sich wieder einmal, das Krokodil günstig am Strand von Antalya erstanden zu haben. Jetzt noch das Hemd und die Jeans, seine Papiere und seine Brieftasche - fertig.
    Fröhlich pfeifend, immer drei Stufen auf einmal nehmend, würdigte er die mühsam mit ihren kleinen Einkaufsbeuteln die Treppe hinaufkeuchende Rentnerin aus der seiner Behausung gegenüber liegenden Wohnung kaum eines Blickes. Seine Gedanken waren bereits bei seiner Verabredung. Heute würde er Bianca zum Essen einladen. Natürlich nicht in ein wirklich gutes Restaurant, so etwas würde diese Vorzimmerschnepfe ohnehin nicht zu würdigen wissen und wirklich viel ausgeben wollte er auch nicht. Er war sicher, auch so zum Ziele zu kommen. Freilich, auch für das Schmuddellokal - gegenüber dem Stehimbiss, in dem sie sich sonst getroffen hatten, immerhin eine Steigerung - reichte seine Barschaft nicht. Aber deshalb machte er ja auch noch den Abstecher ins Altenwohnheim.
    Tante Malwine würde sich bestimmt freuen, wenn er sie wieder einmal besuchte und sich, die Ohren innerlich auf Durchzug stellend, ihre immergleichen Geschichten von ihrem Dasein im Krieg, als Trümmerfrau, kinderlose Kriegswitwe, Putzfrau und nun seit Jahren Heiminsassin scheinbar interessiert anhörte.
    Und sicher würde sie auch wieder aus lauter Dankbarkeit ein, zwei Scheinchen rüberrücken.
    Wofür sollte sie denn auch sonst ihre bescheidene Rente ausgeben? Was brauchte sie noch, was sie da nicht schon hatte, die alte Frau, die sich ihr Zimmer mit 2 anderen Omas teilte? Er hingegen war jung und hungrig. Damit sie auch ja Zeit genug hatte, das Geld zu besorgen, hatte er ihr seinen Besuch extra 2 Wochen vorher per Postkarte angekündigt. Jetzt noch schnell zu Aldi, für 3,99€ einen Blumenstrauss besorgt. Nicht mehr ganz frisch? So gut waren Tante Malwines Augen zum Glück nicht mehr...


    Jens unterdrückte ein Gähnen. Jetzt keinesfalls schlapp machen! Eine halbe Stunde musste er schon durchhalten, dann würde sie ihre Börse zücken und dann hielte ihn nichts mehr ab, Bianca genügend in Stimmung zu versetzen, damit sie nicht länger Sperenzchen machte.
    Er schrak zusammen. Schon eine Weile war der Redefluss der Alten versiegt.
    "Wie interessant du immer zu plaudern verstehst, liebes Tantchen" rang er sich ab und lächelte strahlend. "Aber jetzt muss ich leider. Ich treffe mich heute noch mit einigen Studienkollegen. Du weisst ja..."
    "Da werdet ihr sicher einige Biere trinken und du kannst bestimmt auch sonst einen kleinen Zuschuss gebrauchen, nicht wahr?" fragte Tante Malwine, von seinen Augen gierig verfolgt in ihrem uralten Handtäschchen nach der Börse greifend. Da, zwei Hunderter hatte sie in der Hand. Das war ja mehr, als er zu hoffen gewagt hatte, das würde auch noch für Susi und Marianne reichen. Und für eine neue Solariums10erkarte obendrein.
    "Aber das ist doch nicht nötig, Tantchen..." wehrte er zum Schein ab, die Hand schon in Richtung auf die Spende hinbewegend.
    "Nein? Da bin ich aber froh! Ich habe zur Zeit so hohe Medikamentenkosten, da wäre es mir wirklich sehr schwergefallen," sagte Tante Malwine - und steckte mit einem dankbaren Lächeln ihre Börse wieder weg.

  • von Angelcurse


    Es war Hochsommer und die Sonne knallte unbarmherzig auf die geteerte Straße vor dem Autohaus hinab. Auch wenn es unendlich heiß war, machten Tom all die glitzernden Mercedes regelrecht an. Vor kurzer Zeit erst war sein Lebenstraum in Erfüllung gegangen: Er hatte eine Million Euro im Lotto gewonnen und konnte sich damit endlich ein lang ersehntes Geschenk für sein Selbstwertgewühl machen: ein Mercedes, Farbe metallic, mit lauter kleinen Spielereien, wie 8fach-Cd-Wechsler, Navigationssystem, eingebautem Telefon, selbstverständlich Freisprecheinrichtung – einfach klasse!
    Er unterschied den Vertrag, der freundliche Verkäufer wünschte ihm noch einen schönen Tag und innerlich machte auch sein Herz einen Sprung, als er all das Geld vor seinem geistigen Auge sah, dass er für diesen Verkauf kassieren würde.
    Als Tom sich zum ersten Mal in sein eigenes PS-Wunder setzte, stellte er fest, dass dieses Gefühl geiler war als alles, das er bisher erlebt hatte – sogar besser als Sex, und das will bei einem Mann schon etwas heißen! Aber es kann sich ja nicht jeder Mann so ein bombastisches Fahrgestell unterm Arsch leisten, dachte Tom grinsend.
    Er fuhr los und die Sporteinstellung veranlasste den Motor zu Rekorden, vor allem was die Lautstärke betraf. Nachdem er eine Weile recht vorsichtig durch den Berufsverkehr der Innenstadt getingelt war, konnte er die bewundernswerten Blicke der Frauen und die neidischen Gesichtsausdrücke der Männer kaum noch zählen.
    Er hielt vorschriftsmäßig an einer roten Ampel und dachte über sein Leben nach: Es war eigentlich nie richtig schlecht gewesen, sein Leben, aber eigentlich war er immer schon seit langem ein armer Schlucker ohne Selbstwertgefühl und ohne Anerkennung anderer – doch das habe ich mir ja jetzt erkauft, stellte er mit geschwollener Brust selbstgefällig fest. Sofort verdüsterte sich sein Gesicht wieder – das einzige, was ihm in seinem Leben jetzt noch fehlte für sein Glück war eine gut aussehende Frau, die ihm jeden Wunsch von den Augen ablas... er erstarrte.
    Gerade, als er diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, hielt eben diese Traumfrau neben ihm an der Ampel. Ok, ein hässliches Auto – aber hey, dieser Mund... fast wie geschafften für... , dachte Tom und fühlte, wie es in seiner Lendengegend wohlig zu kribbeln begann. Sie war blond, schlank, hatte feine Gesichtszüge, tolle Zähne, weiche Haut und eine kokette Sonnenbrille aufgesetzt – sie war scheinbar eine Karrierefrau, also genau sein Stil, fand er. Wenn auch ein bisschen alt... um die 40 musste sie schon sein, aber Tom stand sowieso auf ältere, reifere Frauen. Er grinste sehr anzüglich.
    Sie schaute zu ihm hinüber und Tom machte ihr ein sehr zweideutiges Handzeichen, was sie zu einem empörten Blick reizte. Na warte, dachte Tom, und legte einen Kavaliersstart hin, wie er im Buche stand: Der Motor heulte auf, die Reifen quietschten – und los ging es! Langsam kam die blonde Schönheit hinterher. Das wäre doch gelacht, frohlockte der junge Mann, und trat noch einmal kräftig auf das Gaspedal.
    In genau diesem Moment – der Tacho zeigte 130 km/h an – blitze es und Tom ging voll in die Eisen. Was war das? Einhundert Meter weiter standen bereits die Polizisten an der Straße und zogen ihn aus dem Verkehr. Tom fluchte.
    Nach zwei Wochen erhielt er den Bescheid: Er war nicht nur viel zu schnell gewesen, sondern auch noch bei Rot über die Straße gefahren. Das wiederum konnte eine blonde Frau bezeugen, die ihn als ihren ehemaligen Schüler Tom Döring erkannt und – weil er sowieso andauernd frech zu ihr gewesen war – sofort angezeigt hatte.
    Langsam packte er seine Sachen und machte sich für die zwei Wochen ohne Bewährung fertig – seinen Fahrzeugschlüssel hatte er bereits der Polizei ausgehändigt. Dumm gelaufen – und der Führerschein war auch weg. Für eine lange Zeit.

  • von Doc Hollywood


    „Irgendeiner muss diese verdammte Tasche holen!“, brüllte Franz seine Kameraden an. Eine Maschinengewehrgarbe schlug wieder knapp über ihren Köpfen in die Sandsäcke ein. Sie zuckten zusammen und duckten sich noch tiefer in den Schützengraben. Ein Heulen von hoch droben kündigte eine Artilleriesalve an, die kurz darauf weit entfernt von ihnen einschlug. „Dann geh’ doch selbst, wenn Dir diese Scheißbefehle so wichtig sind!“, fuhr ihn Johann in einem kurzen Moment der Stille an. Im nächsten Augenblick explodierte wieder eine Granate.


    Sie kauerten nun schon vier Tage in dem vorgeschobenen Posten. Die eigenen sicheren Linien waren rund fünf Kilometer hinter ihnen und die Franzosen und Briten hockten nicht einmal fünfhundert Meter gegenüber. Die Ablösung hätte schon längst eintreffen müssen. Ihr kommandierender Offizier bekam bereits am ersten Tag seine Abberufung durch das feindliche Sperrfeuer, als er unvorsichtigerweise seinen Kopf zu weit aus dem Graben reckte. Der Unteroffizier ließ auch nicht lange auf sich warten. Ihn erwischte es am zweiten Tag, als er eine kurze Gefechtspause dazu nutzen wollte sich hinter dem Graben in einem Gebüsch erleichtern zu wollen. Die Granate schlug unmittelbar in dem Strauch ein und als sich der Rauch verzog, waren gnädigerweise Erde, Blattwerk und die Reste des Unteroffiziers in einem kleinen Krater unterpflügt worden. Seitdem waren sie ohne Führung. Keiner wagte es den Marsch zurück anzutreten, bevor nicht die Ablösung da war. Sie konnten den Vorposten keinesfalls einfach so dem Feind überlassen.


    Gestern überflog dann ein Albatros die französisch-britische Linie. Der Doppeldecker war bereits schwer beschädigt und dichter schwarzer Qualm quoll unter ständig wiederkehrenden Motoraussetzern aus dem Propellerblock. Die Franzosen ließen es sich nicht nehmen das deutsche Flugzeug weiter zu beharken, daß so angeschlagen natürlich leichte Beute war. Mit einem letzten Spotzen und einer unüberhörbaren Fehlzündung setzte der Motor endgültig aus und der Doppeldecker raste in einer langgezogenen Kurve auf den Schützengraben des Vorpostens zu. Franz und die anderen Männer hielten den Atem an und hofften, daß es der Pilot noch über den Graben schaffen würde. Ihre Hoffnung wurde nicht erfüllt. Der Aufprall im Niemandsland war gespenstisch leise. Die Nase des Albatros bohrte sich in den matschigen Acker, ein Flügel brach und dann war es vorbei. Sekunden später eröffneten die Franzosen das Feuer auf das Wrack, aus dem sich zu Franz Erstaunen tatsächlich der Pilot befreien konnte und nun im geduckten Zick-Zack-Kurs auf ihren Graben zurannte. Franz, Johann und die anderen luden durch und jagten eine Salve nach der anderen in Richtung der Franzosen. Nach nur knapp hundert Metern brach der arme Kerl aber getroffen zusammen, riss sich eine Umhängetasche vom Körper und schleuderte sie mit letzter Kraft in Richtung seiner Kameraden. Und dort, noch gut und gern hundert Meter vom sicheren Graben entfernt, lag sie jetzt im Acker.


    Franz, Johann und die anderen fingen an sich über die Tasche Gedanken zu machen. Sie musste wichtig sein, wenn der Pilot das verdammte Ding unbedingt in Sicherheit bringen wollte. Franz versuchte seit dem Tod der Offiziere die Jungs zusammenzuhalten. Die Spekulationen wurden immer wilder. Geheimdokumente? Neue Befehle? Sie nahmen sich vor die Dunkelheit abzuwarten, um dann zu versuchen die Tasche zu bergen.
    Auf die Nacht zu warten erwies sich als miserable Idee. Es war stockfinster. So dunkel, daß man nicht einmal mehr die genaue Position des Wracks ausmachen konnte, geschweige denn die einer kleinen braunen Tasche, die irgendwo auf diesem Acker im Dreck lag.


    Der vierte Tag im Graben brach an, wie die vorhergehenden. Die herbstliche Morgensonne hatte nicht mehr viel Kraft die dichten Wolken zu durchdringen. Feuchter Dunst kroch über die Felder. Die Männer um Franz herum stöhnten, als sie versuchten die Kühle der Nacht abzuschütteln. „Sie liegt dort drüben.“, deutete Johann mit einem kurzen Nicken in Richtung der Leiche des Piloten. „Ja, ich kann einen Teil davon erkennen.“, erwiderte Franz. Kurz darauf deckte die britische Artillerie sie ein und die französischen Maschinengewehre beharkten wieder unablässig ihre Stellung.


    „Wir losen!“, schlug Johann vor. Die Männer kauerten dicht gedrängt um Franz und Johann. Franz riss ein paar Halme aus dem aufgewühlten Boden, zählte sie und kürzte einen davon. Er nahm sie fest in seine Faust, so daß nur noch die Spitzen zu sehen waren. Reihum zogen die Männer und alle atmeten erleichtert auf, als sie die langen Halme erwischten. Jetzt waren nur noch zwei übrig. Franz hielt Johann die Faust hin und schaute dabei in sein dreckverschmiertes Gesicht. Mit zitternder Hand zog Johann den vorletzten Halm heraus. Alle Blicke ruhten nun auf Franz. Der Gefechtslärm um ihn herum drang plötzlich nur noch gedämpft an sein Ohr. Sein Herz pochte so laut, daß es sogar die britischen Granaten zu übertönen schien. Aus seiner kraftlos geöffneten Faust fiel der kurze Halm zu Boden.


    Johann klopfte Franz noch einmal auf die Schultern, „Du bist gleich wieder bei uns, ja?“. Franz nickte ihm zu und versicherte sich, daß er seinen Karabiner gut gesichert über den Rücken geschnallt hatte. Es wird schon gutgehen, er würde diese verdammte Tasche holen. Seine Finger gruben sich in die aufgeschüttete weiche Erde, als er sich bereit machte nach oben zu klettern. Er brauchte nur wenige Sekunden, dann hatte er die niedrige Sandsackbarriere überwunden und fing an über das offene Feld zu hasten. Die ersten Schüsse peitschten schon gefährlich nahe in den Boden um ihn herum. Franz heftete seinen Blick auf die Ackerfurche, bei der ein kleines Stück der Tasche zu erkennen war. Er hatte es gleich geschafft. Die Kugel traf ihn am Oberschenkel. Es war ein höllischer Schmerz, der ihn zusammensacken ließ. Eine Hand presste sich reflexartig auf die Wunde, während die andere nach der Tasche griff. In den Acker gepresst riss er am ledernen Verschluss und griff hastig hinein. Seine Hand zog ein schwarzes ledergebundenes Büchlein hervor, aus dem ihm das Foto eines hübschen Mädchens entgegenfiel. „Du meine Güte, eine Bibel!“, keuchte Franz schweratmend. Es dauerte fast eine halbe Stunde bis er im Niemandsland zwischen den Gräben verblutet war.

  • von Tom Liehr


    Ein Tatsachenbericht. Erster Teil.


    Nennt mich Michael.


    Wenn mein verrotteter Körper auf einer Müllhalde gefunden wird, meine Zahnprothesen in der Schlacke einer Verbrennungsanlage auftauchen, dann wird die Zeit gekommen sein, meine Identität zu enthüllen. Bis dahin ist es zu gefährlich.


    Meine Recherchen reichen zurück bis in das Jahr 1946, als sich die Gruppe in einem Wilmersdorfer Gewerbe-Hinterhof gründete und den geheimen Namen „Beseitigt sämtliche Regierungen“ gab, den sie mit „BSR“ abkürzte – beachtenswert die Großschreibung des mittleren „S“, abgelöst durch das falsche große „R“ im späteren Offizialnamen.
    Die Ziele der Gruppe lassen sich kurz zusammenfassen: Störung der öffentlichen Ruhe, Vernichtung der Privatsphäre, Terror und Anarchie. Eine staatliche Ordnung fehlte in den Nachkriegsjahren in der besetzten ehemaligen Hauptstadt Berlin, weshalb die „BSR“ ohne nennenswerten Widerstand mit der Arbeit beginnen konnte. Sie konnte auch uniformiert auftreten - und die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen. Diese war durch die Untaten so geschockt und verstört, dass niemand wagte, den Straßenterror zu kommentieren. Otto-Normalmüllerzeuger ertrug die gezielten Demütigungen – und die Methoden waren alles andere als freundlich. Vor allem ging es um Lärmproduktion zu Extremzeiten. Lärm konnte vielfältig erzeugt werden: Durch Maschinen, Utensilien und vor allem die Stimmen der ausgebildeten Freischärler die – perfiderweise – verharmlosend „Berliner Stadtreinigung“ genannt wurden, was angeblich dem BSR-Gründungsmitglied und späteren Ehrennadelträger Harald Kremkow nach einer durchzechten Nacht einfiel. Vor allem also die Stimmgewalt der „BSR“-Männer sollte die Berliner Bevölkerung treffen. Dokumente beweisen, daß der Schlachtruf „Müll-ab-fuuuaaahr!!!“, vorzugsweise um sechs Uhr morgens aus zwei Zentimetern Entfernung in eine Gegensprechanlage gebrüllt, schon im Gründungsjahr zur Anwendung kam. Aus den frühen Fünfzigern stammen die ersten Beweise für Klingelseminare, durchgeführt an Klingelschild-Attrappen fünfundzwanzigstöckiger Hochhäuser. Ein Ehemaliger, der nach dem Interview verstarb, berichtete, wie es einzelne Teilnehmer schafften, in einer kurzen Handbewegung hundert Klingelknöpfe gleichzeitig zu betätigen, um in Fortsetzung dieser Aktion Sekunden später „Müll-ab-fuuuaaahr!!!“ in die Mikrofonöffnung zu schmettern – und mit der anderen Hand das große Schlüsselbund zu schütteln. Der Zeuge wirkte noch immer ehrfürchtig und erschüttert.


    Bezüglich der Farbgebung für die Uniformen, Fahrzeuge und waffenartigen Utensilien existieren widersprüchliche Quellen; fest steht, daß man sich für das Färbemittel Cadmiumsulfoselenid entschied, vermutlich wegen des Giftgehalts. Sicher ist, daß die in den Achtzigern an den Uniformen angebrachten Reflektionsstreifen auf einen Scherz zurückgehen; zu diesem Zeitpunkt trat ich in die Gruppe ein (dazu mehr im zweiten Teil), um meine verdeckte Recherchetätigkeit aufzunehmen.
    Wir hatten eine Containerbewegungsschulung, die intern „Polterseminar“ genannt wurde. Bauweise, Form und Rollenausstattung der Müllcontainer waren dafür optimiert, maximale Resonanz zu erzeugen, wobei die praktisch unlenkbaren, unflexiblen und steinharten Rollen dafür sorgten, daß kleinste Bodenunebenheiten zu Erschütterungsgeräuschen führten, darüber hinaus der Container von selbst seitlich an Türen und Wänden anschlug, ohne daß der Bewegende aktiv werden mußte. Die Struktur der Klappen sollte höchstmögliche Geräuschpegel auch bei kompletter Befüllung ermöglichen. Das damals gängige Modell Ohrinator 17b war dazu in der Lage, einen gerade noch meßbaren Schalldruckpegel von 147 dB(SPL) zu erzeugen (vergleichbar mit dem Schalldruck im Inneren des Motors einer startenden Rakete), sogar im ruhenden Zustand ging ein leicht-summendes Vibrieren von ihm aus. Dieses Wunderwerk mußte aus dem Verkehr gezogen werden, weil viele Müllerzeuger - wie wir sie nannten - körperliche Schäden davontrugen und die Gruppe aufzufliegen drohte. Das modifizierte Modell 17c konnte notfalls mit wenigen Handgriffen in den Vorgänger verwandelt werden. Diese Variante kommt heute noch in Hochhaushöfen und in ländlicheren Gegenden zum Einsatz.
    Wir feierten den „Morgenkönig“, wie der lauteste Containerbeweger genannt wurde, indem wir „Morgenstund hat Müll im Mund“ gröhlten, „Müll-ab-fuuuaaahr!!!“ schrien und dabei mit den Containerdeckeln klapperten. Es herrschte ein herzliches Gemeinschaftsgefühl, dem auch ich mich nicht entziehen konnte. Über allem lag der Müllduft, der natürlich nicht vom Abfall erzeugt wurde, sondern als aromaangereichteres Methylhalogenidgemisch über einen komplizierten Sprühmechanismus (am Wagen) in die entleerten Container verbracht wurde. Hausmüll stinkt nicht, jedenfalls nicht von selbst.
    In der anschließenden Runde gaben Teilnehmer Anekdoten zum besten, und man versuchte, sich gegenseitig mit Einbahnstraßen-Sperrzeiten zu übertrumpfen. Ein Team aus Zehlendorf hatte es geschafft, einen Rückstau über drei Stunden aufrechtzuerhalten, bis Anwohnern auffiel, daß die entleerten Container bereits zum siebten Mal gegen die Hauswände geschlagen wurden. Eine andere Einsatzgruppe berichtete von einer Hausgemeinschaft die Rasen im Hof angesät hatte. Der gleichzeitige Einsatz von zwei Containern hatte der Ruhe ein jähes Ende gesetzt.
    Dann kam das immerwährende Lieblingsthema – Mülltrennung. In den Annalen der „BSR“ und assoziierter Gruppen (Alba - „Alternatives Lärmerzegungs-Bündnis der Anarchisten“, DASS - „Doppelte Anarchie Sorgt für Stress“) des Netzwerks gilt diese Entwicklung als Wende- und Höhepunkt. Die – vollkommen sinnlose – Abfalltrennung hatte den Einsatzteams die Möglichkeit eröffnet, täglich (in verschiedenen Aufmachungen) Heimsuchungen durchzuführen, zudem eröffneten insbesondere Glascontainer neue Dimensionen der Lärmerzeugung. Auf subtile Weise waren hier die Müllerzeuger in das Spektakel eingebunden, da sie nun Flaschen – zuweilen mehrfach – durch die Einfüllöcher schnippten, oder lautstark Kartons zerrissen, Verpackungsmüll knüllten oder Scherben von einem (Buntglas) in den anderen Container (Grünglas) umsortierten. Die internen Statistiken bewiesen, daß derlei vorzugsweise sehr früh morgens geschah, um vor der vermeintlichen Entleerung gegen sechs fertig zu sein.
    Jemand kam im Rahmen dieses Gespräches auf die Idee, die Ausfahrzeiten auf vier Uhr morgens vorzuverlegen. Dieser Vorschlag ist bereits in den sechziger Jahren dokumentiert, aber immer wieder als zu gefahrenträchtig eingestuft worden. Der Kernleitsatz, vom Prinzip her unantastbar bleiben zu müssen (zivilisationstragende Tätigkeit), wäre gefährdet gewesen, da diese Änderung kaum öffentlich zu vermitteln war. Der Vortragende, ein Fahrer (ein komplexes Aufgabengebiet, das strategische Entscheidungen und große Voraussicht bedingt, zudem verfügen Fahrer über ein umfangreiches Instrumentarium für Lärmerzeugung, das ständig verbessert wird), wollte seinen Vorschlag zurückzuziehen, als ein Gruppenleiter sagte: „Wir können das nicht tun, aber wir können latent drohen – indem wir Reflektionsstreifen an den Uniformen anbringen, die das Gefühl vermitteln, wir wären jetzt auch nachts unterwegs.“
    Es war als Scherz gemeint, aber es gab einhellige Zustimmung. Tatsächlich gilt diese subtile Drohung als schlagkräftigstes Einschüchterungswerkzeug der Organisation, wie gruppeninterne Psychologen herausgefunden haben. Die Furcht vor einem noch früheren Eintreffen der Gruppen sitzt der Bevölkerung tief in den Knochen.


    Ende Teil eins.


    In der Fortsetzung: Der Umlaut im Müll, Waffe gegen die CIA-Verfolgung;; Müll-Rücktransporte und Nichtentleerungen; das Recycling-Paradoxon; das Kommando Orange und nationale sowie internationale Verflechtungen.

  • von Marlowe


    Seit meiner Jugend habe ich mich mit allen Aufzeichnungen über Telekinese beschäftigt. Nur der Wille konnte die Kraft erzeugen, die nötig war, um Taten zu vollbringen, die auch den größten Gegner von meiner Theorie überzeugen mussten. Vielleicht bedurfte es nur eines winzigen Anstoßes, diese Kräfte zu wecken.


    Nur - diesen Anstoß zu finden. Ich begann mit einfachen Konzentrationsübungen, versenkte mich in absolute Tiefen und suchte nach der Quelle der Kraft, aber ich versagte.


    Also begann ich sofort mit dem zweiten Schritt. Ich legte eine Vogelfeder auf meinen Schreibtisch und versuchte sie durch meine geistigen Kräfte zu bewegen. Natürlich aus größerem Abstand, ich wollte mich durch zu heftiges Atmen nicht selbst betrügen. Allerdings war der Erfolg auch nicht viel besser. Wie dem auch sei, damals versuchte ich mich sofort an ein schwereres Objekt, einer Bleikugel von einem Zentimeter Durchmesser. Heute weiß ich, ich war ein Narr, als ich glaubte, die Schwere des Gegenstandes hätte irgendeine Bedeutung.


    Den Anstoß bekam ich auf einer Feier, zu der mich ein Freund mitnahm. Von den Anwesenden war mir niemand bekannt. Es ging zwanglos zu, jeder stellte sich bei Bedarf selber vor. Einer der Gäste hieß Professor Seitzing, ein anerkannter Experte für übernatürliche Phänomene, soweit man auf diesem Gebiet von einem Experten überhaupt sprechen darf.


    Fast immer löste er die angeblichen Phänomene als Schwindel auf. Und, wie er spöttisch hinzufügte, die nicht gelösten Fälle waren ebenfalls Betrug, doch so raffiniert gemacht, dass er die Lösung noch nicht gefunden hatte.


    Das war nun eine Erklärung die mir überhaupt nicht behagte. So begann unser Streit. Wir ereiferten uns im gleichen Maße, nur stand er bei den Anwesenden wegen seines Rufes glaubwürdiger da. Den Höhepunkt erreichte er, als mich der Professor als einen Narren beschimpfte. Unter dem Gelächter der Gäste und des Professors verließ ich wütend das Haus.


    Doch das war der Anstoß, auf den ich gewartet, an den ich geglaubt hatte. Mein Hass! Oh ja, ich hasste diesen Mann. Während der Hass in mir wuchs, stürzte ich nach Hause. Meine Hände zitterten. Doch ich spürte, wie der Hass immer mehr die Oberhand gewann.


    Wieder an meinem Schreibtisch ließ ich den Hass in mir frei, benutzte ihn als Verstärker meiner Konzentration. Mein Hass galt jetzt auch der Kugel, dieser dreimal verfluchten Bleikugel auf der Schreibtischplatte vor mir, die - was war das? Deutlich erkannte ich die Spur der Kugel in der leichten Staubschicht auf der Tischplatte.


    Ich hatte es geschafft, der Hass hatte den Anstoß gegeben, eine Tür geöffnet, die sonst wohl auf ewig für mich verschlossen geblieben wäre. Gerne hätte ich noch einen zweiten Versuch unternommen, doch ich war zu erschöpft. Von da an verging allerdings kein Tag, an dem ich meine Übungen nicht vollzog und ich hatte weiterhin Erfolg. Sichtbaren Erfolg!


    Nachdem ich merkte, was für Fortschritte meine täglichen Übungen erzielten, kündigte ich meine Stellung bei einem kleinen Verlag. Dank meiner Ersparnisse konnte ich es mir leisten, einige Zeit ohne Arbeit auszukommen. Nach meiner Abrechnung mit dem Professor würde ich meine neue Fähigkeit finanziell für mich ausnutzen.


    Mit kleinen Bosheiten gegenüber den Professor und einigen der Gäste, die so laut gelacht hatten, eröffnete ich das Spiel. Anfangs begnügte ich mich damit, sie stolpern zu lassen oder ihnen die Stühle wegzuziehen. Ganz lustig vielleicht, aber auf Dauer nicht befriedigend. So wurden meine Aktionen immer verwegener.


    Einen der Gäste, der sich am unverschämtesten an dem Streitgespräch beteiligt hatte, ließ ich mit seinem Wagen gegen einen Alleebaum fahren. Das war schon besser, er ist bis heute nicht aus seinem Koma aufgewacht.


    Doch meine Aktionen kosteten Kraft. Ich beschloss, das Spiel mit einem gewaltigen Finale zu beenden. Am nächsten Tag flog Seitzing zu einer Tagung nach Amerika.


    Gleich in der Frühe wartete ich versteckt hinter einem Gebüsch. Bald darauf kam der Professor mit seiner Familie aus dem Haus. Ganz kurz hielt ich, sozusagen als Test, sein Herz an. Er taumelte kurz, wurde aber sofort von seiner Tochter gestützt. Sie war ihm dann auch beim Einsteigen behilflich und setzte sich selber hinter das Steuer. Hochzufrieden lief ich zu meinem Wagen, ich wollte vor ihnen am Flughafen sein und fuhr schnell zu meinem Ziel. Dort spazierte ich am Zaun entlang, bis ich freie Sicht auf die Startbahn hatte. Ich kannte den Abflugtermin und bereitete mich auf meinen Sieg vor.


    Als sich die Maschine endlich in Bewegung setzte war ich entschlossen, kühl und ruhig. Nur mein Hass brodelte in mir. Die Maschine erhob sich in die Luft und stieg langsam auf. Im letzten Augenblick änderte ich meinen Plan. Ein kleines Sportflugzeug erregte meine Aufmerksamkeit. Ich konzentrierte mich auf diese kleine Maschine. Ohne Anstrengung übernahm ich die Kontrolle, zwang es immer näher an die Passagiermaschine um es dann mit einem gewaltigen Hassausbruch mitten in dessen Flugbahn zu lenken.


    Dantes Inferno durch meine geistigen Kräfte - und eine erfüllte Rache.


    Ich war müde und hatte Schwierigkeiten, mich auf den Verkehr zu konzentrieren. Zu Hause angekommen, führte mich mein erster Weg vor den Spiegel. Wie der leibhaftige Tod sah mich mein Gesicht an. Ich spürte meine körperliche Schwäche, den immer schneller voranschreitenden körperlichen Verfall. Jeder Versuch, jedes Attentat, jede geistige Anstrengung hatte mir Monate gekostet. Monate meines Lebens, zu Jahren vervielfacht.


    Geschwächt ließ ich mich auf mein Bett fallen. Stündlich hörte ich mir im Radio die Nachrichten an. Immer wieder hörte ich die Meldungen: Größtes Flugzeugunglück, über hundert Tote, ungeklärte Ursache. Geschwächt genoss ich meinen befriedigten Hass. Endlich brachten sie im Radio einen ausführlicheren Bericht und als der Name des Professors fiel, hörte ich aufmerksam zu.


    "Dass Professor Seitzing diesem Unglück nur knapp entging, verdankt er einer kleinen Herzattacke, als er zum Flughafen fahren wollte".


    Ich weinte, ich versuchte zu schreien. Alles umsonst, ich konnte es nicht fassen. Aber meine Rache will ich trotzdem, deshalb schreibe ich alles so auf, wie es sich zugetragen hat.


    Gebt ihm diese Seiten. Er soll erfahren, was er mit seinem Streit ermöglicht hat, er soll es wissen und leiden.

  • von BabyJane


    Wie hätte sie das ahnen sollen. Total unvorbereitet auf so ein Wiedersehen waren sie heute mittag zu diesem Empfang aufgebrochen. Sie in ihrem kleinen Schwarzen, nett herausgeputzt, wie immer in der Hoffnung doch einmal ein wenig Anerkennung von ihrem Mann wenigstens für ihr Äußeres zu bekommen oder seine gierigen Blicke von den Flittchen abzulenken. Er in einem teuren Anzug, sein ehemals trainierter Körper nur noch eine Karikatur seiner selbst. Sein feister Bauch, Wampe sagte sie, wenn er nicht da war, hing über dem Gürtel. Sein schütteres Haar war pomadig zurück gegelt und wie so oft, fragte sie sich, wie es soweit hatte kommen können.


    Er war rasch an der Bar verschwunden und hielt sich an seinem Glas fest. Sie stand einsam am Fenster und sah hinaus. Sie hatte sich gerade in einen kleinen Erker zurückgezogen, als ihr Gatte als erster seine Krawatte, vom Hals riß. Sie nestelte an ihrer Handtasche. Irgendwo mußten die Scheißkippen doch sein. Ah, ja da waren sie. Gelangweilt schlug sie die Schachtel gegen den Handballen und schüttelte zwei Zigaretten heraus. Eine rollte über den Boden. Ziemlich ungraziös bückte sie sich danach und steckte sie zurück in die Schachtel. Als sie wieder aufsah hielt ihr jemand ein brennendes Streichholz vor die Nase. „Feuer?“ Schon wollte sie schnippisch etwas entgegnen, von den feisten Bigbossen, die ihren langweiligen Ehen auf die gleiche Art entfliehen wollten, wie es ihr Mann ständig tat, indem sie nämlich gelangweilte Gattinnen der anderen Bigbosse oder billige Kellnerinnen vögelten, hatte sie die Schnautze voll. Aber irgendwas an den blauen Augen vor ihr kam ihr bekannt vor, also bedankte sie sich, nickte kurz und sah wieder aus dem Fenster.


    Wo hatte sie diese blauen Augen schon mal gesehen. Dieser wissende Blick, so als könne er in sie hinein sehen. Ihre Einsamkeit spüren, ihre Traurigkeit sehen und ihre Resignation schmecken. Sie wandte sich rasch um. „Cel?“ Er hatte sich gerade entfernen wollen und sah über die Schulter zurück. Warf ihr unter seinem in die Stirn fallenden Haar einen traurigen Blick zu. Schüttelte dann den Kopf und wie es schien auch die Traurigkeit ab und lächelte. „Ja?“ Sie merkte wie sie dahin floß, wie ihre Knie weich wurden. Cel, hallte es in ihrem Hirn, immer wieder, Cel, meine Rettung, meine Liebe, CEL.sie zwang sich zur Ruhe.


    „Wie kommst du, ich mein was machst du....“ Sie stockte, irgendwas lief hier falsch. Früher war er es gewesen der ins Stottern geriet, er dem die Röte in die Wangen schoß. Sie sah zu Boden. Hinter Cel konnte sie sehen wie ihr Mann seine wurstigen Finger auf den wohlgerundeten Po einer höchstens 18 jährigen Bardame legte. Sie schwieg, versuchte den Kloß im Hals los zu werden. Er schob seine Hand in ihre Tasche, zog sie mit der Schachtel Kippen wieder raus. „Immer noch West?“ Sie nickte. „Aber nicht mehr light" Er drehte die Schachtel in der Hand. "ich brauchte was stärkeres sie." Sie lachte und merkte selbst wie künstlich und hohl ihr Lachen klang.


    Er deutete mit dem Daumen hinter sich. „Hat sich nicht so entwickelt, wie du dir das vorgestellt hast, oder?“ Sie wußte was oder viel mehr wen er meinte. „Hm..so schweigsam heute? War auch mal anders.“ Er lächelte wieder unter seinen Locken hervor. Am liebsten würde sie im Boden versinken, jetzt gleich und sofort. „Weißt du noch, damals?“ Er klopfte mit der gleichen Bewegung, wie sie zuvor, eine Kippe aus der Schachtel. Sie starrte aus dem Fenster, versuchte seine Stimme auszublenden. „Als, ich es rausgefunden und dir vorgehalten hab?“ Sie spürte die Röte in ihrem Nacken aufsteigen. Blickte starr an ihm vorbei. „Na, ich muß zugeben, er hat ordentlich was hergemacht, damals. Sah gut aus, hatte Asche ohne Ende und dann dieser Porsche. Jetzt hat er nur noch Asche, der Alte Kokser.“ Fast dachte sie er würde vor Abscheu auf den Boden spucken, aber er tat es nicht. Sie wollte sich rechtfertigen etwas sagen, irgendwas. Aber kein Wort verließ ihre Kehle Er sprach weiter, fixierte sie. Nahm jede kleinste Regung in sich auf. Sie spürte, daß er sich auf diesen Moment vorbereitet hatte, daß er sich darauf gefreut hatte, daß er ihn genoß. Er zuckte mit den Achseln. „Nun Geld hab ich jetzt auch. Wer hätte auch ahnen können, daß die Spinnereien eines kleinen Kfz-Mechanikers, ihn zum Millionär machen.“


    Sie knetete ihr Kleid in den Händen, strich es glatt, knetete wieder. „Weißt du noch was du gesagt hast?“ Sie nickte stumm, sah weiter zu Boden und bohrte ihre Fingernägel in die Handflächen. Wie könnte sie das vergessen. Er schob seine Hand unter ihr Kinn, gerne hätte sie die Hand weggeschlagen. Aber sie konnte nicht, ihre Arme waren bleischwer. Sie merkte wie sich Tränen in ihren Augen sammelten, als er sie zwang ihn anzusehen. „Weißt du Cel,“ er imitierte ihre Stimme, „Ich muß es einfach ausprobieren. Er ist so verlockend. Wenn es nicht funktioniert, nun dann......Dumm gelaufen, Das hast du gesagt. Hast dich in seinen kleinen Porsche gesetzt und bist davon gerauscht." Er machte ein Pause, wartete "Wann saßt zuletzt du auf dem Beifahrersitz seines Porsche und nicht irgendeine dumme Schnepfe?“


    Er drehte sich kurz und schwungvoll um und schwenkte den Arm auf ihren Mann zu, der das Gör mittlerweile auf dem Schoß sitzen hatte. Sie biß sich auf die Zunge. Spürte ihre Tränen über die Wangen rinnen. Wollte sie weg tupfen, konnte nicht und ließ sie laufen. „Ich hab dich geliebt!“ Leise sagt er das, trotzdem hört es sich an, als hätte er gebrüllt. Er dreht sich um, geht weg und sieht sie dann doch noch mal an. „Ich glaube so würde ich es bezeichnen, oder? Dumm gelaufen.“ Er geht. Sie sieht ihm hinterher. Wie er durch den Raum marschiert. Mit geradem Rücken, straffen Schultern, aufrecht. Sie sieht wie er ihrem Mann zu prostet und dann sein Glas in einem Zug leert, bevor er den Raum verläßt. Sie wendet sich wieder dem Fenster zu. Sieht hinaus in die Bäume. Die Wolken formen sein Gesicht, im Kopf hallt sein Name immer noch wieder, CEL.

  • von Polli


    Dem Leibdiener des Königs war langweilig. Jahraus, jahrein hatte er des
    Abends die königlichen Kleidungsstücke entgegengenommen, sie
    ausgebürstet und über die königliche Stuhllehne gehängt. Er ging ein
    wenig gebeugt und die Hofdamen sahen ihn schon lang nicht mehr
    bewundernd an.
    Eines Tages geschah es, dass der Leibdiener die Hose des Königs vom
    Staub des Tages befreien wollte, als eine dünne Stimme rief: „Halt,
    schüttle mich nicht ab! Verschone mich, ich will es dir reich vergelten
    und dir einen Wunsch erfüllen.“
    Überrascht hielt der Diener inne und beugte sich über den rubinroten
    Samt. Dort saß eine Ameise. Er rieb sich ein wenig die Augen und die
    Ohren gleich mit, denn eine sprechende Ameise war ihm noch nie
    begegnet. Er presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.
    „Hab keine Scheu. Sprich deinen Wunsch aus“, ermunterte ihn das
    Tierchen. Da fasste er sich ein Herz und flüsterte: „Ich wär’ so gern
    mal König, wenigstens für einen Tag.“
    Die Ameise verzog ihr Gesicht zu einem winzigen Lächeln. „Dein Wunsch
    wird in Erfüllung gehen.“ Mit einem Kichern ließ sie sich auf den Boden
    fallen und verschwand zwischen den Holzdielen.


    Am nächsten Morgen war die Aufregung im Schloss groß. Der König war
    verschwunden und nur ein leiser Duft von Ameisensäure erinnerte daran,
    dass etwas Ungewöhnliches geschehen sein musste. Die königlichen
    Berater waren besorgt und zogen sich wie immer zur Beratung zurück.
    Schließlich entschieden sie, dass das Volk einen Herrscher brauchte,
    und so steckten sie kurzerhand den Erstbesten in die königlichen
    Kleider. Das war der Leibdiener. Beklommen sah der Diener an sich
    herunter. Und jetzt? Noch ehe er grübeln konnte, kam die Königin
    herein. Als sie ihn erblickte, wurde sie grün vor Ärger und stampfte
    mit dem Fuß auf. „Das hat mir keiner gesagt. Ich will diesen neuen
    König nicht haben. Ich will selber regieren, schließlich bin ich eine
    Königin!“
    Der Leibdiener wand sich verlegen und antwortete: „Frau Königin, Ihr
    müsst es auch nur einen Tag mit mir aushalten. Ich bin sicher, alles
    wendet sich wieder zum Guten für euch. Und damit uns die Zeit nicht
    lang wird, könnten wir ein hübsches Fest geben.“
    Seine Worte besänftigten die Königin, und sie befahl ihren Bediensteten,
    alle Vorbereitungen für ein prächtiges königliches Gartenfest zu
    treffen.


    Als das Fest mit Fanfarenklängen begann, hatten sich die Königin und der
    Leibdiener aneinander gewöhnt. Einträchtig saßen sie an der Tafel und
    steckten einander Leckerbissen zu. Die Hofdamen betrachteten
    wohlgefällig die schmucke Gestalt des falschen Königs und lachten
    bereitwillig über seine Scherze. Das Regieren hätte immerzu so
    weitergehen können, als plötzlich der wahre König auf einem
    rabenschwarzen Pferd herangaloppierte, vor der Tafel hielt und zornig
    rief: „Schert euch zum Teufel, ihr Lumpenpack! Kaum bin ich einen Tag
    fort, da spielt sich mein Diener als König auf und meine Gemahlin macht
    ihm schöne Augen! Hinweg!“
    Die Bediensteten hielten einen Moment inne, dann entschieden sie sich
    weise, dem Mächtigen zu dienen. Und das war der echte König. Sie
    vertrieben die Königin und den Leibdiener von der Festtafel. Ach, auch
    die Königin besann sich weise. Mit schmeichelnden Worten stellte sie
    sich dem König in den Weg und es gelang ihr, ihn mit süßen
    Versprechungen umzustimmen. Gemeinsam verschwanden sie in den
    königlichen Schlafgemächern.
    Der Leibdiener blieb ratlos zurück. Er hatte nur noch das, was er auf
    dem Leibe trug. Wohin sollte er sich wenden? Da beschloss er, in die
    nächste Stadt zu wandern, die kostbaren Kleidungsstücke auf dem Markt
    feilzubieten und von dem Erlös zu leben, bis ihm etwas Besseres
    einfallen würde. Achtlos schüttelte er eine lästige Ameise ab, die auf
    seinem Ärmel saß, und dann zog er singend in den Wald:


    „Wer die Macht hat, hütet sie
    wie der Bauer all sein Vieh.
    Will ein Diener König werden,
    gibt es Ärger auf der Erden.“

  • von Smarana


    Grete hielt das Lenkrad krampfhaft umklammert. Es war mitten in der Nacht und in der regennassen Straße spiegelten sich die Lichter von Leibzig. Links von ihr saß ihr Beifahrer und hielt ihr einen Revolver ins Gesicht. Minutenlang starrte Grete in den Lauf und die kalte Angst kroch ihr den Rücken hinauf, als sie mit quietschenden Reifen um eine Kurve bog. „Na beeil dich doch und bleib gefälligst auf der linken Seite!“ herrschte der Mann sie mit dunkler, harscher Stimme an. Vor ihnen tauchte von einem kalten Vollmond bestrahlt die stählerne Brücke auf. Grete musste abbremsen, weil eine Frau mit ihrem Kinderwagen den Zebrastreifen überqueren wollte. Ein kühler Wind wirbelte Herbstblätter über die schattigen Gehwege am Ufer des Flusses.
    Der Mann zwang sie mitten auf der Brücke zum Anhalten. Ihr langes Kleid flatterte im Wind als sie ihm mit dem Rücken zum Geländer ins Gesicht starrte. „Du kannst mir keine Angst machen!“ stieß sie mit bebender Stimme hervor. Sein jungenhaftes Antlitz verzerrte sich im strömenden Regen zu einer Fratze. Grete konnte das strudelnde Wasser in der Tiefe erkennen. Das Geräusch der U-Bahn ließ die Brücke vibrieren. „Du wirst jetzt über das Geländer steigen und springen. Du kannst entscheiden, ob du ertrinken willst oder eine Kugel in den Kopf kriegen willst.“ blaffte er sie an. Langsam schwang sie ein Bein über das Geländer und riss sich dabei die Hose auf. Auf dem Geländer sitzend sah sie grübelnd in die Ferne. Plötzlich breitete sie die Hände aus, lachte gellend über das blaue Wasser in dem sich die Sonnenstrahlen verfingen, hinweg und schrie ihm entgegen: „ Dumm gelaufen mein Lieber, du kannst mich nicht umbringen. Hast du schon mal die Fakten in dieser Geschichte überprüft?“ Und mit einer schadenfrohen Geste schwang sie sich in die Luft und flog dem glühenden Rot des Abendhimmels entgegen.

  • von Wilma Wattwurm


    Noch ein einziges Mal will ich es tun. Die vom Wetterdienst haben einen Temperatursturz vorhergesagt. Der Winter wird bald seinen Einzug halten. Heute abend ist die letzte Gelegenheit, danach ist es zu kalt dafür.


    Der Ort ist ideal, mein Lieblingsplatz sozusagen. Hier hatte ich meine größten Erfolge. Eine abgelegene, schlecht beleuchtete Bushaltestelle am Stadtrand, von der Straße aus durch eventuell vorbeifahrende Automobilisten kaum zu sehen. Da kann doch gar nichts schiefgehen.


    Obwohl….


    Beim letzten Mal bin ich noch glimpflich davongekommen. Wie konnte ich auch ahnen, daß das dumme Luder zum Anfall übergehen würde. Beinahe wäre ich garstig in die Klemme geraten. Gottseidank stolperte sie im entscheidenden Augenblick und verrenkte sich den Knöchel.
    Dennoch, kein Grund für eine derart lächerliche Beschreibung: “Ein älterer Mann, untersetzte Statur, graumelierte Haare mit Stirnglatze, rundliches Gesicht, Glubschaugen…” stand in der Zeitung. Geradezu beleidigend!
    Die Schmierfinken lassen sowieso kein gutes Haar an mir. Dabei tue ich niemandem was zuleide. Abgesehen davon, woher sollte ich wissen, daß die Kleine erst 13 ist. Die Gören wirken doch heutzutage alle viel älter.


    Still, was höre ich da?
    Das Staccato-Geklapper von hohen Absätzen, und es nähert sich. Oh Gott, wie aufregend! Mein Herz schlägt Purzelbäume und ich wage kaum zu atmen. Da erscheint sie, im bleichen Licht des beinahe vollen Mondes: eine zierliche junge Frau mit wehenden silberblonden Haaren. Perfekt!
    Bei dem Wartehäuschen bleibt sie stehen, noch keine zehn Schritte weit weg von dem Strauch, hinter dem ich kauere. Als ob sie meine Anwesenheit riechen kann, dreht sie sich um und späht in meine Richtung. Sie wird doch keinen Argwohn schöpfen?
    Was macht sie jetzt? Ah, sie zündet eine Zigarette an. Sie hat mich scheinbar nicht bemerkt. Was für ein Goldstück! Ich gebe ihr noch ein paar Minuten.


    Wie sie wohl reagieren wird?
    Ich hoffe, sie hat eine ganz hohe, gellende Stimme; ein Schrei der durch Mark und Bein geht, das törnt mich so richtig an.


    He, was ist das? Shit, da kommt jemand!
    Gebell in der Ferne, das hat mir gerade noch gefehlt. Jemand am Gassi-Gehen sicher, aber warum ausgerechnet hier in “meinem” Revier?
    Aha, ein Radfahrer, und der doofe Kläffer hoppelt an der Leine hinter ihm her. Das Scheusal bekommt scheinbar Witterung von mir; oh Gott, er rückt sich los, kommt geradewegs auf mich zu.
    Ksch…, weg, hau ab, du blödes Biest!


    “Joschka, komm! Bei Fuß!”
    Verflixt, Herrchen steigt ab und kommt jetzt auch noch her. Wie soll ich dem erklären, was ich hier tue?


    “Ganz ruhig, Joschka, da ist nichts!”
    Aber Joschka ist nicht so schnell überzeugt. Wütend blafft er den Strauch an, hinter dem ich mich versteckt halte.
    Nur gut, daß Herrchen sich nicht intimidieren läßt. Resolut zieht er den Köter zurück auf den Fahrradweg. Kläffend und rufend verschwinden sie in der Ferne. Blödes Biest!
    Da hab ich ja noch mal Glück gehabt!


    Ist die Blonde mißtrauisch geworden? Ab und zu wirft sie einen forschenden Blick in meine Richtung. Ich muß jetzt doch ein bißchen Tempo machen, gleich kommt der Bus und dann ist es zu spät. So einen Leckerbissen bekomme ich kein zweites Mal.
    Der Vorfall mit dem Hund hat meine Erregung noch geschürt; Risiko gibt mir immer einen Extra-Kick.
    Oh, was schaut sie nervös auf ihre Armbanduhr. Sie fühlt sich doch nicht ganz wohl in ihrer Haut. Stets wieder dieser argwöhnische Blick über die Schulter. Geil!
    Bong kabong, trommelt mein Herz, und mein Blut sprudelt unkontrollierbar, wird zum Wasserfall. Ich kann nicht mehr warten. Gleich explodiere ich.


    Auf die Plätze, fertig, … Kuckuck, da bin ich!


    Sie schreit. Laut und durchdringend.
    Jedoch nicht so, wie ich es erwartet habe, nicht entsetzt oder erschrocken. So einen Schrei habe ich nie zuvor mitgemacht. Er klingt wie eine Mischung aus Wut, Angriffslust und Vergeltung, und auch etwas wie Schadenfreude meine ich darin zu hören.


    Und was ist das?
    Männerstimmen, eilende Tritte, hinter mir, aber auch von links, sie kommen näher, kreisen mich ein.
    Oh nein, das darf nicht wahr sein! Das passiert nicht! Mir doch nicht!
    Bin ich denn in die Falle gelaufen? Das sind Polizisten.
    Weg, nur fort von hier! Aber erst noch rasch das Corpus Delicti wieder eingepackt!


    “Halt, bleiben Sie stehen!”
    Shit, das ist doch tatsächlich eine Pistole, was da bei dem Kerl am Gürtel baumelt. Das gibt’s doch nicht. Bin ich vielleicht in Dreharbeiten zu einem Film geraten?
    Wie gelähmt bleibe ich stehen. Das Kaninchen, das mir neulich überraschend vor mein Auto lief und im Scheinwerferlicht erstarrte, kommt mir in den Sinn. Ich bin verloren.


    “Darf ich mal Ihren Ausweis sehen?”
    Der Beamte, der diese Frage an mich richtet, ist kaum älter als mein Sohn.
    Aufregung schnürt mir die Kehle zu, sodaß ich vergeblich nach einer Antwort ringe. Ich habe das Gefühl, ohnmächtig zu werden.


    “Nun, dann kommen sie mal mit!”
    Ich werde in ein Auto hineinbugsiert. Um mich herum schwirren Stimmen. Ich höre Wortfetzen, aber es gelingt mir nicht zusammenhängende Sätze zu erkennen. Das Gehirn weigert sich, die von den Ohren aufgenomme Information zu entschlüsseln.
    Mein Herz klopft beängstigend schnell, alles dreht sich vor meinen Augen. Mit offenem Mund versuche ich, so viel Luft wie möglich einzusaugen, aber davon wird mir nur noch schwindliger.
    Bin ich das wirklich, da auf dem Rücksitz, eingezwängt zwischen zwei Polizeibeamten? Mein Gott, wie soll ich mich hier noch heraus retten?
    Sie haben mich absichtlich in die Falle laufen lassen. Die Blonde war der Köder, eine Polizistin wahrscheinlich. Oder gar ein verkleideter Mann? Nein, das glaub ich nicht. Nicht phantasieren, Mensch, reiß dich zusammen!
    Daß ausgerechnet mir das passieren muß!


    Wie muß ich das jetzt Sonja erklären? Und den Kindern?
    Wird die Kripo mich überhaupt noch nachhause lassen, oder stecken die mich gleich in eine Zelle?


    Und die Kollegen. Oh Gott, die… was wird das für ein Geklatsche geben. Die werden mich durch den Dreck ziehen und kein gutes Haar an mir lassen.
    Und meine Karriere kann ich natürlich vergessen. Nicht auszudenken.


    Oh mein Gott, und ich sehe es auch schon in der Zeitung, mit großen fetten Buchstaben auf der Titelseite:
    “Stadtrat Kammermeier festgenommen wegen Exhibitionismus”.

  • von PeterB


    Die dünnen, seitlich wegspreizten Hinterbeine des Hündchens zitterten vor Anstrengung. Dennoch war das Ergebnis der kurzen Plage ein beträchtlicher Haufen am Gehsteig.


    „Sagen Sie, kann er das nicht am Straßenrand machen? Muss das hier, mitten am Gehsteig sein!“, ereiferte sich Max mit leicht bebender Stimme. Die elegant gekleidete Hundeführerin würdigte ihn keines Blickes. Ganz gegen seine Gewohnheit wiederholte Max seinen Vorwurf mit dem vulgären Zusatz: „Jede Woche steige ich einmal in so eine Scheiße!" In der Tonstärke jetzt noch etwas lauter als vorhin.


    „Regen Sie sich nicht auf!“, erwiderte spitz die Angesprochene. „Ich habe es eilig, da kann ich nicht endlos nach Plätzen für sein Geschäftchen suchen! Und außerdem geht Sie das gar nichts an, wo wir beide äußerln gehen!“ Sprach’s und entschwand mit dem entleerten Hund um die nächste Ecke. Max wurde mit offenen Mund und erhöhtem Adrenalinspiegel zurückgelassen.


    Noch ziemlich verärgert, kaufte er beim Bäcker sein tägliches bescheidenes Frühstück. Kipferl und Buttermilch. Dann beeilte er sich ins Büro zu kommen. Heute war endlich der alles entscheidende Tag. Die Vertragsverhandlung mit jenem Unternehmen, das sich für das neue Produkt seiner Firma interessierte. Etwas gehetzt, er war etwas spät dran, schlang er sein Morgenkipferl hinunter, packte seine Unterlagen zusammen und hastete zum Sitzungszimmer. Wenn heute nur alles gut ginge. Das wäre seine ganz große Chance. Wo er doch so viel Vorarbeit geleistet hatte. Die vielen Überstunden.


    Als er die Tür zum Besprechungszimmer öffnete, war die Gesprächsrunde schon vollzählig versammelt. Auf der eine Seite des Tisches sein Chef und zwei seiner Kollegen. Ihnen gegenüber saß eine kleine Abordnung des möglichen Kunden. Mit diesen Leuten hatte er bisher nur telefonischen Kontakt gehabt.


    Mit einer Ausnahme. Ein Gesicht war ihm seit kurzer Zeit nur allzu bekannt! Umgeben von ihren Mitarbeitern saß, elegant gekleidet, die Geschäftsführerin des Unternehmens, am Schoß ihr kleines Hündchen, das sie zärtlich streichelte.

  • von Heaven


    Heute war der Tag der Tage. Wie lange hatte er darauf gewartet, sie angehimmelt,hofiert bis sie nun seine Bitte erhörte und zusagte. Endlich hatte er es geschafft die Frau, die seit Monaten in seinem Kopf spukte und wann immer er seine Augen schloss, vor ihm stand, zu einem Rendezvouse zu überreden.
    Alles sollte perfekt sein. Seine Junggesellenwohnung hatte er schon seit gestern auf den Kopf gestellt, geputzt, gewischt, geräumt,verstaut, gerückt und gerichtet. Wenn sein Kumpel Max vorbei käme, würde der wohl rückwärts wieder hinaus laufen, weil er vermutete falsch gelandet zu sein. So wie heute hatte es bei ihm noch nie ausgesehen.
    Er war sogar einkaufen und hatte sich den ganzen Nachmittag in die Küche gestellt um für sie beide "Gratin Florentiner Art" zuzubereiten. Als Dessert sollte es Vanilleeis mit frischen Erdbeeren und Sahne geben. Bei dem Gedanken schmunzelte er und stellte sich vor, wie sie sich gegenseitig die Erdbeeren in den Mund stopften, mit einem Klecks Sahne dran........

    Nun war es gleich soweit, Punkt 19 Uhr wollte sie bei ihm sein. Er hatte sogar eine weiße Tischdecke für den kleinen Tisch besorgt, um sie in eine Tafel zu verwandeln. Prüfend schaute er sich noch einmal um. Die Weingläser waren poliert, der silberne Kerzenleuchter hatte pfirsichfarbene Kerzen bekommen. Die dazu passenden Servietten lagen auf den Tellern, das Besteck genau ausgerichtet. Für die einzelne Rose musste er extra eine Vase kaufen, denn sonst hatte ihm ja ein leeres Einweckglas oder eine Flasche genügt, falls seine Mutter mal zu Besuch kam und meinte, sie müsse etwas Farbe in die Wohnung bringen und irgendwelche bunten Sträuße anschleppte. Den Wein hatte er vorsorglich geöffnet und in eine Karaffe gegossen, weil er sich erinnerte gehört zu haben, dass dieser vor dem Genuss noch atmen müsse.
    Sein Hemd hatte er mühsam gebügelt und immer wieder mit den Falten gekämpft. Aber Daniela war dies alles wert! Schlank,dunkel gelockt und wunderschön sah er sie wieder vor sich. Die Hose war nach Flecken überprüft. Mit klopfendem Herzen, feuchten Händen aber sichtlich zufrieden stand er in seinem Wohnzimmer und staunte nicht schlecht über sich selbst, was er für eine Frau zustande gebracht hatte.

    Doch plötzlich stockte ihm der Atmen. Oh nein, nicht jetzt! Eine dicke Spinne mit haarigen Beinen saß oben an der Wand über der Gardinenstange, direkt neben dem festlich gedeckten Tisch. Das Tier muss sofort beseitigt werden, dachte er und erinnerte sich, wie Daniela einmal laut kreischend ihr Eis fallen ließ und weg rannte. Damals hatte er es geschafft sie auf ein Eis am Imbis einzuladen. Sie hatte panische Angst vor Spinnen und das wollte er um alles in der Welt heute vermeiden.
    Also ging er in die Küche und holte den alten Schemel der dort immer rum stand. Der sollte genügen um an sie heran zu kommen. Auf keinen Fall darf ihm das Vieh entwischen, es muss gefangen und aus der Wohnung verbannt werden. Nichts und niemand sollte die Stimmung an diesem lang ersehnten Abend zerstören.

    Er stieg hinauf und streckte vorsichtig den rechten Arm aus, denn er wollte sie nicht verschrecken. Mit der linken Hand griff er an das Ende der Gardinenstange um Halt zu haben. Noch ein paar Zentimeter und dann hatte er sie, vorsichtig, gaaaanz langsam. Gerade als er zugreifen will rutschte er auf der glatten Oberfläche des Schemel mit dem linken Fuß ab, kam ins wanken und griff die Gardinenstange fester. Diese lockerte sich und ihm fiel schlagartig ein, dass er sie mit einem viel zu kurzen Dübel befestigt hatte, weil er keine Lust mehr an dem Abend hatte noch einen passenden zu kaufen, sondern die Bude mit Max genießen wollte. Die Stange hielt er zwar fest in der Hand, aber am anderen Ende löste sie sich ebenfalls aus der Verankerung und sauste samt Gardine auf den Boden. Dabei verlor er weiter den Halt und rutschte mit dem Fuß gänzlich vom Schemel, prallte dabei gegen den Tisch. Durch den Stoß kippte der Kerzenleuchter um und fiel in Richtung Teller, geradewegs auf eine Serviette, die sogleich Feuer fing. Um Schlimmeres zu verhindern, ließ er die Gardinenstange los und wollte nach dem Leuchter greifen, merkte aber zu spät, dass er mit dem Ellenbogen auf der Tischdecke lag, zog diese dabei mit und riss die Karaffe mit dem Wein und die Vase um. Mit der linken Hand war er aber nicht schnell genug um diese aufzuhalten. Die rote Flüssigkeit und das Blumenwasser ergoss sich über den Tisch, seinen Hemdsärmel und tropfte nun auf den Boden. Vor dem Tisch halb kniend sah er fast in Zeitlupe wie das Unglück seinen Lauf nahm. War es Wut? Ärger? Panik, die ihm sachte ein paar Tränen in die Augen trieb? Wie erstarrt schaute er über den doch so liebevoll gedeckten Tisch, der nur noch das reinste Chaos war. Das Rinnsal aus Wein und Blumenwasser tropfte inzwischen weiter auf den Boden und weichte seine Hose am Knie auf. Ganz langsam ballte er seine Hand zu einer Faust, die er so fest drückte, dass seine Knöchel begannen sich weiß zu färben.

    Grimmig schaute er zur Spinne, die genau in dem Moment durch das leicht geöffnete Fenster verschwand als es an der Wohnungstür schellte.....

  • von Merle_Perle


    „Kommst du denn dann?“- „Klar komme ich, schöne Frau!“ lächelt er mich an und umarmt mich zärtlich.


    „Wer kommt denn noch?“ fragt er neugierig.
    Ich grinse geheimnisvoll: „Oh ...viele...!“
    „Also dann...“, langsam löst er sich von mir und streichelt mein Gesicht.
    Dann drückt er mir einen kleinen Kuss auf die Wange.
    „Du darfst dir jetzt was wünschen...!“ , flüstert er.
    „Eine Rose ...“, sage ich leise, „eine rote Rose...“.
    Aber er ist schon weg.


    Langsam setze ich mich und werfe einen Blick auf die Uhr. Fünf vor vier. Ich bin glücklich.
    Fünf nach vier. Viertel nach vier.
    Langsam werde ich unruhig.
    Zwanzig nach vier. Halb fünf.
    Er hat den Bus verpasst, er hat seinen Schlüssel verloren, er muss sich noch die Haare föhnen. Ich bin mir ganz sicher.
    Ich hole mir eine Cola und nippe vorsichtig daran.
    Zwanzig vor fünf. Er kommt noch. Ich weiß das.
    Einsam sitzen meine Cola und ich in einer Ecke.
    „Wollte dieser Alex nicht kommen?“, fragt eine Freundin.
    „Ja.“, sage ich leise und gehe.
    Ich will nach Hause. Ganz allein sein.
    Es regnet. Ich weine. Der Wind bläst in mein Gesicht und ich friere.
    Plötzlich klingelt mein Handy.
    Ich will nicht, schreit mein Kopf.
    Trotzdem tasten meine kalten Hände nach meinem Telefon.
    Alex, sagt der Display.
    Schnell lasse ich das Handy in meine Tasche zurückgleiten und renne. Ich weiß nicht wohin. Ich renne einfach. Das Handy verstummt.
    Ich will weg, einfach weg von hier.
    Ich renne und die Tränen laufen mir stumm die Wangen hinunter.
    Mein Handy klingelt wieder.
    Laut. Lange. Hartnäckig.
    Ich setze mich aufs nasse Gras. Ich zittere am ganzen Leib. Die Tränen lassen nach.
    Wie lange ich regungslos an einen Baum gelehnt saß, bis mein Handy erneut schellte? Ich weiß es nicht.
    Wieder wühle ich zitternd meine Tasche durch.
    „Hallo?“ sage ich leise.
    „Du.... es tut mir Leid. Ich musste kurzfristig weg. Bist du sauer?“
    Nichts kaputt machen , bloß nichts kaputt machen...
    „Ähh... nein, ich ...“ , beginne ich vorsichtig.
    „Gut. Ich dachte schon, meine Liebe. Ich muss dann jetzt auch wieder. Bis bald.“
    Tut-tut-tut.
    Weg ist er.
    Wütend trete ich gegen einen Mülleimer. Ganz fest.
    Eine Rose fällt heraus.
    Welk, und mit durchgebrochenem Stängel.
    Vorsichtig hebe ich die auf und betrachte sie.
    Sie ist rot. Aber sie ist kaputt.

  • von Nasenbär


    Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.
    Sie wusste nicht, ob sie erleichtert sein sollte oder doch lieber in Tränen ausbrechen.
    Dabei war es ihr Wunsch, ihr Wille gewesen, dass er geht.
    Sie hatte auf die Trennung gedrängt. Ihn so lange getriezt, bis auch er nicht mehr bei ihr bleiben wollte.
    Sie hatte ihn angeschrieen, an seinen kleinen Macken, die sie einmal so geliebt hatte, herumgemäkelt und zu guter Letzt gar nicht mehr mit ihm gesprochen.
    Und nun war er weg.
    Endgültig.
    Sie wusste nicht, wie lange sie am Küchentisch gesessen hatte, bis ihr wieder eingefallen war, warum sie ihn aus dem Haus haben wollte.
    Langsam erhob sie sich und ging ans Regal. Dort fand sie direkt, wonach sie gesucht hatte.
    Das Fotoalbum.
    Langsam schlug sie die erste Seite auf und blickte sofort in sein Gesicht.
    Frank.
    Auf diesem Bild musste er etwa achtzehn sein. Es war auf der Klassenfahrt nach München aufgenommen worden. In der Frauenkirche hatte er zum ersten Mal ihre Hand gehalten. Und nach dem traditionellen Besuch im Hofbräuhaus waren sie hinter den anderen zurückgeblieben und hatten sich geküsst.
    Das war der Anfang ihrer Beziehung gewesen.
    Während sie weiter die Bilder betrachtete, wurden immer mehr Erinnerungen wach.
    Erinnerungen, von denen sie geglaubt hatte, sie wären nach der Trennung für immer aus ihrem Gedächtnis gestrichen worden.
    Sie hatten sich nicht getrennt, weil sie sich nicht mehr geliebt hatten. Es war vielmehr eine Trennung aufgrund der Entfernung gewesen.
    Frank war nach dem Abitur in eine andere Stadt gezogen, weil ihn sein Studium dorthin verschlagen hatte.
    Sie jedoch war in der alten Heimatstadt geblieben.
    Eine Zeitlang hatte sie versucht eine Fernbeziehung zu führen. Aber wenn man jung ist, will man nicht nur am Wochenende einen Partner haben.
    Man will sein Leben genießen und Spaß haben.
    Nach und nach waren die Telefonat weniger geworden. Genauso wie die Besuche bei den Eltern und bei ihr.
    Nach etwa einem halben Jahr hörte sie nichts mehr von Frank. Gar nichts mehr.
    Doch auch sie hatte jemanden kennen gelernt. Er war zwar nicht wie Frank, aber er war zärtlich, romantisch und hatte Humor.
    Sie war glücklich.
    Glücklich, bis zu dem Tag, als sie zum Klassentreffen ging.
    Dort traf sie Frank wieder und es war, als wären sie nie getrennt gewesen.
    Sie konnten immer noch so wunderbar miteinander reden wie früher. Noch immer spürte sie ein Kribbeln, wenn er ihr in die Augen sah. Ihre Knie wurden weich, als sie nach dem Treffen gemeinsam die Straße entlang gingen.
    Tief in ihrem Innern wusste sie, dass Frank der Mann war, mit dem sie zusammen sein musste.
    Und sie spürte, dass es auch ihm bewusst war.
    Als Frank ihr dann erzählte, dass er seit einiger Zeit wieder in der Stadt sei, war dies der Moment, in dem sie beschloss ihren Freund zu verlassen.
    Alles zog sie zu Frank. Und obwohl sie an diesem Abend nichts weiter taten, als reden, konnte sie ihr Leben an seiner Seite genau sehen.

    Nun war es also soweit.
    Sie war frei und ungebunden. Sie konnte Frank anrufen und ihm berichten, dass sie endlich ihr gemeinsames Leben beginnen konnten.
    Nichts und niemand würde ihnen im Weg stehen. Dafür hatte sie gesorgt.
    Noch einmal blätterte sie das Album von vorne nach hinten durch. Doch dieses Mal beherrschten nicht die Erinnerungen ihre Gedanken, sondern die Zukunft.
    Sie würde ihn anrufen und ihm mitteilen, dass sie von nun an keinen Tag mehr getrennt sein würden.
    Sie wusste, dass von nun an alles anders sein würde.
    Besser. Viel besser als vorher.
    Frank.
    Sie sprach seinen Namen. Leise, flüsternd, zärtlich.
    Bald würde er es hören.
    Ein Geräusch ließ sie aufschrecken.
    Der Briefträger hatte die Post durch den Briefschlitz in der Tür gesteckt. Schnell stand sie auf und holte die Post.
    Werbung. Rechnungen.
    Und dann machte ihr Herz einen Sprung.
    Ein Brief von ihm. Von Frank.
    Mit zitternden Hände öffnete sie den Briefumschlag und eine Karte fiel zusammen mit einem Zettel heraus.
    Die Worte auf dem Zettel stachen ihr in die Augen.

    Liebe Bianca,
    da wir uns auf dem Klassentreffen so wunderbar verstanden haben, möchte ich dich herzlich einladen, bei meiner Hochzeit...

    weiter kam sie nicht.

    Jetzt stellte sich die Frage, was sie tun sollte, nicht mehr.
    Sie brach in Tränen aus.