Die Gottespartitur - Edgar Rai

  • Die Gottespartitur
    Edgar Rai
    ISBN: 978-3827011497
    Berlin Verlag
    302 Seiten, 19,99 Euro


    Über den Autor: Edgar Rai, geboren 1967 in Hessen, studierte Musikwissenschaften und Anglistik. Von 2003 bis 2008 Dozent für kreatives Schreiben an der FU-Berlin. Seit 2012 Mitinhaber der Buchhandlung Uslar & Rai in Berlin. Mit seinem Bestseller »Nächsten Sommer« (2010) gelang ihm der Durchbruch als Autor. Außerdem erschienen »Die fetten Jahre sind vorbei« (Roman zum Film von Hans Weingartner 2004) ), »Vaterliebe« (Roman, 2008), »Salto Rückwärts« (Roman, 2010), »88 Dinge, die Sie mit Ihrem Kind gemacht haben sollten, bevor es auszieht« (Sachbuch zus. mit Hans Rath, 2011), »Sonnenwende« (Roman, 2011), »Wenn nicht, dann jetzt« (Roman, 2012) sowie »Der sixtinische Himmel« (Historischer Roman unter dem Pseudonym Leon Morell, 2012). Er lebt mit seiner Familie in Berlin.


    Kurzbeschreibung: Ein geheimnisumwobenes altes Manuskript, das die letzte Gewissheit liefern soll, fieberhaft gesucht von einem Mann, der meint, er hätte nichts mehr zu verlieren. Aber hat er das wirklich nicht? Der große neue Roman des Erfolgsautors Edgar Rai besticht mit Witz, philosophischer Tiefe und einer packenden Geschichte. Zuerst nimmt Gabriel Pfeiffer den schüchternen jungen Mann nicht ernst, der ihn auf der Buchmesse anspricht: »Es geht um Gott!" – möglicherweise habe er eine bedeutende Entdeckung gemacht. Was soll der erfahrene Literaturagent damit anfangen? Erst als er Tage später in einer Zeitungsnotiz liest, dass ebenjener Seminarist Matthias tot in einer bayerischen Dorfkirche gefunden wurde, zieht ihn die Geschichte in den Bann: in ihrem Zentrum ein geheimnisvolles Manuskript, das schon um 1780 den Wissenschaftler Charles Burney elektrisierte. Auf seiner Suche bereiste der Gelehrte halb Europa, bis ihm das kostbare Stück in Bologna endlich in die Hände fiel. Das Aufsehenerregende ist: Es zog eine Spur des Todes hinter sich her, ein jeder Besitzer verstarb auf mysteriöse Weise. Diese Geschichte lässt Gabriel nicht mehr los. Er recherchiert in den Archiven von London und in dem bayerischen Dorf. Was er findet, ist mehr als eine gute Story: Es geht um Gott, wie prophezeit. Es geht um den Glauben, um Gewissheit und Liebe - und am Ende um Leben und Tod.


    Meine Meinung: Der Name des Autors sagte mir gar nichts und die Kurzbeschreibung ließ mich an die vielen Vatikan-Verschwörungsschinken denken, die mich noch nie begeistern konnten. Doch schon die Leseprobe überzeugt mich, dass dieses kleine Buch hier ganz anders ist, als die Kurzbeschreibung und das unpassende Alpenroman-Cover vermuten lassen.
    Gabriel Pfeiffer ist ein ziemlich desillusionierter Typ, hatte gerade einen Herzinfarkt und hat innerlich eigentlich schon mit seinem Leben abgeschlossen; sein Job als Literaturagent und seine nur mit Whisky zu ertragenden einsamen Abende sind alles, was der Alltag für ihn zu bieten hat. Einzig seine Assistentin erreicht ihn noch, doch auch bei ihr verbirgt er sich hinter einer Maske aus Zynismus. Warum ausgerechnet Gabriel plötzlich Interesse am Tod des jungen Mannes hat, der ihn einige Tage zuvor auf der Buchmesse aufgesucht hat, scheint weder der Leser noch er selbst zu verstehen.


    Allein schon die Andeutung, dass es um Gott gehe, hätte normalerweise bei Gabriel zu einem Asthmaanfall geführt und so ist es sehr erstaunlich, dass er sich auf die Suche nach der Todesursache von Matthias macht, die ihn auch mit dem Trauma seiner Kindheit, konfrontiert.
    Er, der immer noch unter den Erinnerungen an die Heuchelei und Quälerei in einem katholischen Internat leidet, und unglaublich vehement die Existenz Gottes leugnet, sucht ruhelos nach einem Gottesbeweis…Dieser Widerspruch entpuppt sich im Laufe des Buches als sehr geschickt gemachte Geschichte, die viele Interpretationen zulässt.


    Der Sprachstil ist kurz, knapp, präzise und passt zu dem Zynismus, mit dem Gabriel die Welt sieht. Mich hat die sprachliche Präzision mitgerissen und ich wollte immer mehr davon lesen. Viele Leser haben dieses Buch als „Krimi“ bezeichnet, doch das passt meiner Meinung nach so überhaupt nicht zu diesem spannenden Roman mit philosophischen Einschlägen, die aufgrund der Lebenseinstellung der Hauptfigur auf keinen Fall kitschig oder rührselig wirken.


    Außer Gabriels Suche wird sein Beruf als Literaturagent ziemlich genau beschrieben und auch hier dominiert sein sarkastischer Blick auf die Literaturszene. Beim Lesen habe ich mehrmals vermutet, dass einige Andeutungen und Personenbeschreibungen vorhanden sind, die Insider sicherlich wiedererkennen werden.


    Fazit: Dieser sprachlich ästhetische Roman überzeugt mit einer spannend konzipierten Handlung, Ausflügen in die Philosophie und dem speziellen Humor seines Protagonisten und hätte gut und gerne noch ein paar hundert Seiten mehr aufweisen können.

  • Buchtitel und Buchcover hätten mich kaum angesprochen – wenn mich nicht vor kurzer Zeit Edgar Rais „Nächsten Sommer“ gut unterhalten hätte. In der Gottespartitur traf ich nun auf einen ausgebrannten Literaturagenten im Hamsterrad der Frankfurter Buchmesse. Gabriel Pfeiffer hat offenbar persönlich und beruflich seinen Tiefpunkt erreicht. Die Literaturagentur wird inzwischen von seiner Assistentin Leonore allein vermutlich erfolgreicher geleitet als von Gabriel selbst. Wenn Manuskripte aufgrund eines Autorenfotos gekauft und Buchtitel nach Beerenobst genannt werden, besteht für Gabriels einzigartigen Instinkt für erfolgreiche Manuskripte offenbar kein Bedarf mehr. Auch in Gabriels Privatleben herrscht Trostlosigkeit; sein einziges Kind hat Gabriel noch nie getroffen. Der ernüchternde Lauf von Gabriels beruflichem Hamsterrad auf der Messe wird unterbrochen mit dem Auftritt eines Schülers im karierten Hemd, der eine wichtige Entdeckung ankündigt. Doch noch ehe Gabriel sich mit dem Rätsel um die Entdeckungen eines Musikwissenschaftlers im 18. Jahrhundert befassen kann, wird der junge Mann in einem katholischen Seminar (Internat) in Gödelsburg bei Altötting tot aufgefunden. Gabriels Jagdinstinkt ist geweckt; er lässt Buchmesse Buchmesse sein reist sofort an den Tatort. Dort ist der Tote ohne Obduktion in unchristlicher Hast bereits beerdigt worden. Nach einer Phase der Unschlüssigkeit, ob die Handlung sich evtl. Gabriels wenig glücklicher Kindheit zuwenden könnte, fängt Edgar Rais Hauptfigur endlich Feuer und ermittelt in der British Library in London. Im letzten Abschnitt zeigt sich Gabriel von seiner professionellen Seite, nutzt sein berufliches Netzwerk und untersucht die Originalmanuskripte des Charles Burney.


    Wenn der Roman für meinen Geschmack auch im mittleren Teil etwas an Tempo verlor, hat mich Edgar Rai mit seinen höchst ironischen Betrachtungen des Buchmarkts, seinem Blick für schrullige Gestalten und erneut mit seiner leichten Hand für die Figurenzeichnung begeistert. Grundsätzliches Interesse an Büchern, Orgelmusik, Neurophysiologie und ungewöhnlichen Typen vorausgesetzt, wird das Buch mit Sicherheit wieder ein Erfolg für Egar Rai werden – Autorenfoto hin oder her.


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    Zitat
    „Er muss ein Idiot sein. Anders ist schwerlich zu erklären, weshalb er in einem dreizylindrigen Hühnerkäfig sitzt und auf der Autobahn Richtung Süden juckelt, während Leonores A 320 über seinen Kopf hinwegdröhnt und formvollendet nach Norden abdreht.
    Wer denkt sich dreizylindrige Motoren aus? Ein Typ mit drei Nieren? Würde jemand auf die Idee kommen, ein Flugzeug mit drei Turbinen zu konstruieren? Die Natur jedenfalls kann ein dreizylindriges Auto nicht gewollt haben. (S. 123)


    8 von 10 Punkten

  • Ich kann mich den Rezensionen von Eskalina uns Buchdoktor nur anschließen. Dieser Roman ist wunderbar geschliffen formuliert, überzeugt durch pointierte Beschreibungen, tiefgründig-ironische Betrachtungen des Literaturbetriebs und überrascht immer wieder durch seine unerwarteten Wendungen. Ich fand diesen Roman, der krimihafte Züge annimmt, je weiter er fortschreitet, spannend, ich habe ihn in sehr kurzer Zeit durchgelesen. Besonders viel Spaß dürften alle haben, die viel lesen und sich nebenbei auch dafür interessieren, wie es im Literaturbetrieb zugeht.