Arcade Fire am 18.06.2014 in Berlin

  • Hier die kurze Zusammenfassung:


    Was für ein Scheißkonzert!


    Hier die ausfühliche Zusammenfassung:


    Es ist ein herrlicher Sommertag. Bestes Open Air Wetter mit 25 Grad und dann treten Arcade Fire auch noch in Berlins schönster Arena auf, der Wuhlheide. Seit Wochen freue ich mich auf diesen Tag, das kann auch der stundenlange Waldmarsch zum Gelände nicht schmälern. Die Vorband spielt schon, als wir unsere Plätze mit Fritten und Cola einnehmen. Sind ganz nett, aber mehr auch nicht. Das Konzert ist nicht ausverkauft, es gibt noch Tickets an der Abendkasse und auch der "Innenraum", also die Wiese des Amphietheaters weist erstaunliche Lücken auf. Da es sich "um eine der besten Livebands überhaupt handelt" (behauptet mein Radiosender immer gerne), verwundert das etwas. Hinzu kommt, dass auf dieser Wiese auch noch eine kleine Innenraumbühne errichtet wurde, die ebenfalls Platz weggnimmt nun von einem Glitzerriesen erklommen wird. Oder auch einem Spiegelritter, einem Mondwesen, was weiß ich. Er glitzert eben. Ein Schelm ist, wer dabei Vergleiche an die frühen Genesis, den Peter Gabriel der Neuzeit oder David Bowie stellt. Auf jeden Fall greift es zum Mikrofon und haucht so etwas wie : "Berlin! Arcade Fire!" Die mittlerweile die richtige Bühne betreten haben und ( hey- originell) mit "Reflektor" loslegen. Ich versuche mal, die nächsten 70 Minuten (denn länger haben wir es nicht ausgehalten) zusammen zu fassen.


    Der Sound ist unterirdisch. Win Butler hat eine Ausstrahlung wie eine Eisenbahnschiene im Mondschein. Sängerin Régine Chassagne ist eigentlich ganz niedlich, uneigentlich hat sie eine furchtbar quietschige Stimme und versucht Cheerleaderqualitäten und Kunsthochschulabschluss zu vereinen. Der Rest der dutzendköpfigen Band ist komplett austauschbar. Es gibt keinen Spannungsbogen, nur ödes Diskogestampfe, das selbst große Hymen a la "No Cars Go", "We Used To Wait" oder "My Body Is A Cage" in Belanglosigkeit verdampfen lässt. Zwischendrin kapern ein paar Realschüler aus der zehnten in Skelettanzugsuniform die Innenraumbühne, um dort ihre Tanzperformance vom letzten Sommerfest aufzuführen, was gründlich misslingt. Oder ist das etwa versteckte Selbstironie? Falls ja, dann ist sie sehr gut versteckt. Spaß gibt es hier ohnehin nicht, nur große Gefühle. Auch im Publikum. Unter uns steht ein hagerer Mittdreißiger, der anscheinend einen Orgasmus nach dem anderen hat, so schmerzverzerrt singt er alle Texte mit, wirft die Arme nach oben und leidet. Und überhaupt. Politisch ganz korrekt werden Teile der Einnahmen an irgendeine korrekte Institution gespendet, wie uns Win Butler wissen lässt. Immerhin, wenigstens mal eine Ansage ans Publikum. Wer lacht, der kricht gescheuert!


    Wir verlassen die Veranstaltung nach Neonbändertanzeinlagen bei Sprawl II. Als die Beatles mit "Komm gib mir Deine Hand" herhalten müssen und missbraucht werden, ist es irgendwie genug der Kuriositäten.


    In der Wuhlheide kann man eigentlich nicht viel falsch machen. Wennn man eine Band mit Frontleuten hat, die das Publikum erreichen können. Die Charisma und das Rampensau- Gen besitzen. Das alles sucht man bei AF vergebens. Man bekommt eine große Portion Pseudointellekt, einen gewollt künstlerischen Anspruch, der in überheblicher Selbstinszenierung mündet und keinen Spaß geboten. Null.


    Selten so ein belangloses, dröges, nichtssagendes Konzert von einer Band gesehen, die sich selber für den ultimativen heißen Scheiß hält und gerne mal Spaßverhaltensregeln in Form von Verkleidungsdresscodes aufstellt, weil es ja so verrückt ist, hahahahaha.


    Nie wieder!

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

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  • Groupie, das Schlimme ist ja, dass ich die (bis auf das aktuelle Album) richtig, richtig mag. Ich liebe die Alben und wirklich viele Songs sind für die Ewigkeit. Um so mehr schmerzt es, wenn live nichts rüberkommt und so aufgesetzt wirkt, wie ein Clown auf einem Kindergeburtstag.


    Und für tolle Songs braucht man kein Livekonzert, da reicht auch ein Sofa. Da war kein Herzblut. :wave

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Arcade Fire sind eine sehr, sehr gute Band, die sich in ständiger Bewegung befindet, sich fast unaufhörlich neu definiert, ohne sich dabei untreu zu werden, wie man so schön sagt. Nicht wenige Fans waren äußerst irritiert, als das letzte Album erschien, und trauerten schon etwas nach, das längst noch nicht gestorben oder begraben war. Gut möglich, dass das nächste Album wieder ganz anders wird, aber es wird auf jeden Fall eines sein, das zur Band passt.


    Nicht so gut zu dieser Band passen Auftritte in Arenen, obwohl die Wuhlheide noch längst nicht das oberste Ende der Skala markiert. Ich halte die Waldbühne übrigens für dramatisch schöner. Aber das ist Geschmackssache.


    Vor drei oder vier Jahren, zum vorigen Album, durfte ich Arcade Fire in der Columbiahalle oder im Tempodrom sehen, also in einer Halle, in die drei-, viertausend Leute passen. Das war die Tour zu "The Suburbs". Eine wirklich schöne, fesselnde Inszenierung, musikalisch perfekt, dazu exzellenter Sound. Win Butler, Régine Chassagne & Co. sind in erster Linie Künstler und erst in zweiter Linie Musiker, gar Livemusiker. Die Band ist eher ein Kollektiv als eine Kapelle, Originalität und Ausdrucksstärke prägen das Werk stärker als ein wie auch immer gearteter Wunsch, besonders erfolgreich zu sein. Aber das sind sie nun einmal, zehn Jahre nach der Gründung und vier, fünf, sechs Jahre nach dem Ende des Geheimtippdaseins.


    Aber hier gehören sie wirklich nicht hin. Die Bühne ist zwar - endlich - groß genug für die Combo, die fast Orchesterstärke erreicht, aber in solchen Open-Air-Arenen werden Feste gefeiert und keine Zeremonien zelebriert. Schade, dass man versucht hat, beides zu verbinden. Und das auch noch mit offenbar scheintoten Tontechnikern und schlechten Beratern, was das Bühnenbild anbetrifft. Und einem Set, das Brücken einreißt, während man gerade draufsteht. Dazu einem Publikum, das einerseits hier sein will, andererseits aber nicht so genau weiß, warum eigentlich. Ich stand in einem Pulk mittelbekannter Fernsehschauspieler, die möglicherweise eine Drehpause genutzt hatten, um sich etwas hippe Mucke zu geben, darunter eine tranige Hippietusse, die ich vermutlich schon in Tatort-Nebenrollen gesehen hatte. Mit ihren schmutzgeschwärzten Barfüßen tanzte sie mir unaufhörlich auf meinen - glücklicherweise beschuhten - herum und sah mich danach jedes Mal an, als geschähe hier etwas, das nur sie verstand. Dabei war da nur eine Kapelle auf der Bühne, die leider versuchte, es allen recht zu machen, obwohl das überhaupt nicht nötig wäre. Die sicher auch überfordert war, ein paar Fehlentscheidungen getroffen hatte (Set, Outfits, Spielort, dramaturgische Elemente) und trotzdem versuchte, sich zu vermitteln. Was einfach nicht gelingen konnte, weil es zu viele Distanzen gab, nicht nur räumliche, akustische und solche die Erwartungshaltung der Zuschauer anbetreffend. Der Gedanke daran, dass sie in zwei Wochen im Londoner Hyde Park spielen, lässt mich schaudern.


    Und dennoch war es ein netter Abend, obwohl mein Lieblingsstück "Intervention" fehlte. Weil man zwischendrin, hin und wieder, manchmal nur für ein paar Minuten zu greifen bekam, was diese Ausnahmemusiker aus Montreal ausmacht. Die eben keine Band sind und erst recht kein Vergnügungsakt an einem Sommerabend in der Parkarena, sondern einfach nur Arcade Fire. Intellektuell ohne den Präfix pseudo, hochmusikalisch, originell, wandlungsfähig, ausdrucksstark und eigentlich auch live sehr gut. Auf den richtigen Bühnen und mit dem richtigen Set. Aber leider muss man ja die Hits spielen. Und es ordentlich knallen lassen. Vielleicht.

  • ich bestreite nicht, dass es in einem Club funktionieren kann. Mit dem richtigen Publikum und dieser nicht greifbaren Magie, die ein Konzert ausmacht. Aber es war eben mein erstes AF Konzert und den Hype darum kann ich nun überhaupt nicht nachvollziehen.


    Zitat

    Aber leider muss man ja die Hits spielen.


    Nein, muss man eben nicht. Kunst untersteht keinem "Muss", sondern nicht anders können. Unbedingt machen wollen. Und grade AF machen auf mich den Eindruck, als wollten sie genau das unbedingt verkörpern.


    Zitat

    Intellektuell


    Ich kann gut damit leben, nicht in die Zielgruppe der Band zu gehören. :wave

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Ich hab es nicht gesehen, irgendwie ist mir das auch egal, ich erwartete nach dem Stilwechsel mit dem letzten Album auch nicht unbedingt die absolute Hammer-Live-Performance von Arcade Fire. Als musikalischer Couch-Potato ist mir das auch relativ egal.


    Aber zu Folgendem muss ich noch was loswerden:


    Zitat

    Intellektuell ohne den Präfix pseudo,


    Das ist richtig, denn "pseudointellektuell" ist ja ein Pleonasmus. In "intellektuell" steckt selbst schon soviel "pseudo" drin, dass man es nicht noch mal extra betonen muss. Intellektueller Rock'n'Roll ist das gruseligste, was ich mir vorstellen kann. Arcade Fire ist zum Glück recht trivial und das gefällt mir an ihnen so.