Barry Lancet: Japantown

  • Barry Lancet: Japantown
    Heyne Verlag 2014. 592 Seiten
    ISBN-13: 978-3453437807. 9,99€
    Originaltitel: Japantown
    Übersetzer: Joannis Stefanidis


    Verlagstext
    Mein Name ist Jim Brodie. Ich bin in Tokio aufgewachsen, lebe in San Francisco und verbringe meine Zeit vor allem damit, antike Vasen zu reparieren. Ab und zu helfe ich der Polizei. Heute Nacht haben sie mich nach Japantown gerufen. Eine japanische Familie wurde auf brutale Weise hingerichtet. Doch das ist nicht alles. Am Ort des Verbrechens fand ich ein japanisches Schriftzeichen – dasselbe Zeichen, das vor drei Jahren bei meiner ermordeten Frau entdeckt wurde. Dies wird der Fall meines Lebens, der Fall, den ich lösen muss, koste es, was es wolle ...


    Der Autor
    Barry Lancets große Liebe zu Japan nahm vor über 30 Jahren ihren Anfang. Nach einer ersten Asienreise beschloss Lancet, seine Heimat Kalifornien zu verlassen und für längere Zeit in Tokio zu leben. Er blieb über 20 Jahre in Japan, arbeitete bei einem großen Verlag und entwickelte zahlreiche Bücher vor allem über die japanische Kunst und Kultur. Als Lancet eines Tages aufgrund eines Missverständnisses stundenlang von der Tokio Metropolitan Police verhört wurde, beschloss er, einen Thriller zu schreiben: Japantown war geboren.


    Inhalt
    Jim Brodie lebt zwischen zwei Kulturen. Als Kind amerikanischer Eltern ist er in Japan aufgewachsen und hat nach dem Tod seines Vaters dessen weltweit vernetzte Ermittlungsagentur in Japan übernommen. Parallel dazu betreibt Brodie in San Francisco Handel mit japanischen Antiquitäten und ist alleinerziehender Vater einen kleinen Tochter. Als in San Franciscos Japantown eine japanische Touristenfamilie offensichtlich von Profis ermordet wird, zieht die Mordkommission Brodie als Experten für die japanische Kultur zu dem Fall hinzu. Brodie kennt Japan und pflegt dort seit seiner Kindheit ein effektiv funktionierendes Netz aus einander verpflichteten Freunden und Mitarbeitern. „Er hat ein breites Gesicht“, sagt man dazu in Japan. Als Kampfsportler ist Brodie darüber hinaus eine faszinierende Figur, deren Handeln durch das Ineinandergreifen von Kopf, Hand und Instinkt gesteuert wird. Ein am Tatort gefundenes japanisches Kanji (Schriftzeichen) konfrontiert Jim mit der Tatsache, dass der Mord an der japanischen Familie mit weiteren Taten zusammenhängt, auch mit dem Tod von Brodies Frau, den er bisher für einen Unfall gehalten hatte. Zu Jims Netz von Informanten in Japan zählt auch ein Kalligraphie-Experte, der aus dem Pinselstrich des Kanji Rückschlüsse auf die körperliche und psychische Verfassung des Schreibers ziehen kann. Brodies Reise zu Ermittlungen nach Japan lässt ihn erkennen, dass er sich mit einem äußerst mächtigen Gegner angelegt hat, der in Auftrag gegebene Morde mit großem Geschick wie Unfälle aussehen lässt.


    Fazit
    Mit extrem kurzen Kapiteln und schnellen Schnitten ist Lancets zum großen Teil in Japan spielender Krimi sehr actionlastig. Dennoch übernimmt sich das Buch m. A. mit der Bezeichnung Thriller; es ist ein Krimi für Leser mit Interesse an Japan. Das Setting in zwei verschiedenen Kulturen und mit einer Hauptfigur, die Kopf und Hand geschickt miteinander zu kombinieren weiß, ist für einen Serienauftakt klug gewählt. In der ersten Hälfte vermittelt der Autor nicht nur erstes Wissen über die japanische Schrift, er erläutert für Leser aus dem Westen am Beispiel von zwei konkreten Naturkatastrophen auch sehr eingängig, welche Werte dem japanischen Verhalten in der Öffentlichkeit zugrunde liegen, das Menschen aus dem Westen zunächst befremdet. Sehr eindrucksvoll finde ich Lancets Darstellung des Netzes aus gegenseitigen Verpflichtungen, das man selbst problemlos bis in mafiöse Strukturen weiterdenken kann.


    Lancet begibt sich mit seiner geplante Krimi-Reihe auf das Terrain von Barry Eisler und von Sujata Massey, die in ihren Krimis ebenfalls eine Kunsthistorikerin ermitteln lässt. Leider ufert Lancets Handlung in der zweiten Hälfte des Buches aus, ohne die Aufklärung des Mordfalls voranzubringen. Lancet nutzt die spezielle Sichtweise seiner Hauptfigur als Kampfsportler und Vater zu wenig. In der Darstellung des Jim Brodie behauptet er zu viel und zeigt zu wenig. Das Vater-Tochter-Verhältnis und die Dialoge der beiden wirken auf mich unglaubwürdig. Auch seine Beschreibungen von Stimmungen könnten atmosphärisch dichter sein, um Krimileser anzusprechen.


    Barry Lancets Auftakt zu einer neuen Serie erfüllt die Erwartungen an einen Thriller kaum, seine Handlung hat mich nur in der ersten Hälfte des Buches gefesselt, in der der Autor seine Kenntnisse über die japanische Kultur einbringt. Krimi-Lesern mit Interesse an Japan empfohlen, Leser mit Kenntnissen der japanischen Kultur werden eher enttäuscht sein.


    Knappe 7 von 10 Punkte

  • Jim Brodie, in Japan geboren und in San Francisco mit seiner kleinen Tochter lebend, ist eigentlich Kunstkenner und Restaurator alter Vasen. Er hat aber auch, als Erbe seines Vaters, eine 50 Prozentbeteiligung an einer Ermittlerfirma in Tokio. Dadurch und wegen seiner umfassenden Kenntnisse der japanischen Kultur wurde er vom SFPD zu den Ermittlungen in einem Mordfall herangezogen. Eine japanische Familie wurde förmlich hingerichtet und am Tatort fand man das gleiche Kanji, das auch beim unaufgeklärten Mord an Brodies Ehefrau, drei Jahre zuvor, am Tatort gefunden wurde.


    Ein wenig schwer tat ich mich damit, mich in das Buch einzulesen. Durch viele Rückblenden auf den ersten 100 Seiten, kam zunächst nicht der richtige Lesefluss auf. Aber die interessanten Beschreibungen der japanischen Kultur ließen mich weiterlesen und das habe ich letztendlich nicht bereut. Jim Brodie ist schon ein harter Hund, er kann körperlich vieles wegstecken, was den normalen Menschen wohl umgehend in die Notaufnahme eines Krankenhauses bringen würde, er beherrscht mehrere Kampfsportarten und hat auch oft das berühmte Quäntchen Glück. Als dann auch noch seine kleine Tochter ins Visier der japanischen Geheimorganisation kommt, wird es für Brodie eng. Dennoch ist er nicht der typische Superheld.


    „Japantown“ ist ein actionreicher und spannender Thriller mit nur wenigen Längen, den ich nach ein paar Startschwierigkeiten sehr gern gelesen habe. Er ist blutig und brutal, zu zart besaitet sollte man beim Lesen nicht sein. Wirklich beeindruckt haben mich aber die Ausführungen zur Kultur und Mentalität der Japaner, die ideenreich in die Handlung impliziert wurden. Er ist logisch aufgebaut, jeder Ermittlungstag entspricht einem Kapitel.


    Ich bin mit Jim Brodie gern zwischen Japan und San Francisco gependelt. Wer gute, spannende Unterhaltung sucht und auch Interesse an der japanischen Kultur hat, wird mit diesem Thriller gut beraten sein.