'Vulkantöchter' - Seiten 001 - 109

  • Zitat

    Original von harimau
    Tatsächlich hat Malaysia, wie Steffi ja auch schrieb, im Gegensatz zu Indonesien herzlich wenig mit Dritter Welt zu tun, sondern liegt in seinem Entwicklungsstand deutlich vor einigen EU-Mitgliedern.


    Warum sind diese beiden benachbarten Länder in ihrer Entwicklung so unterschiedlich? Wahrscheinlich spielen hier sehr viele Faktoren zusammen, aber kann man das an ein paar festmachen? Geographisch müssten sie ja einigermaßen die gleichen Grundbedingungen haben (Klima, Bodenschätze u. ä.), oder irre ich mich hier total?


    Zitat

    Original von Ayasha
    Können eigentlich Muttermale vererbt werden? Dann wäre es evtl. naheliegender, dass es sich um ein solches Mal handelt. :gruebel


    Soweit ich weiß ja. Trägt einer der beiden ein Mutermal oder wurde uns das bisher verschwiegen?

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Ihr Lieben, ich hatte heute zu viel anderes zu tun, deshalb bin ich kaum zum Posten gekommen. Und jetzt verschwinde ich gleich zu einer Lesung (ich höre zu :-])
    Aber morgen bin ich wieder da!
    :wave Eure olle SteffiB

    Ship me somewhere's east of Suez,
    where the best is like the worst,
    where there aren't no ten commandments
    an' a man can raise a thirst


    Kipling

  • Zitat

    Original von SteffiB


    edit: Ich habe gerade dein Posting noch einmal gelesen. Ist Alexandra wirklich dickköpfig? Ich glaube nicht. Zielstrebig ja, aber nicht dickköpfig.


    Hmm, finde ich schon, aber nicht in einem negativen Sinne. Auf mich macht sie den Eindruck einer Person, die nachdenkt, sich dann einen Plan macht und den durchsetzen will, ohne dabei Alternativen akzeptieren zu wollen (da sie ihren Plan grundsätzlich für die beste Option hält). Da sie noch dazu nicht naiv sondern abgeklärt und realistisch ist, kommt sie mit dieser Eigenschaft sicherlich weit. So ganz spontan finde ich bis jetzt sogar, sie ist von allen Figuren in dem Buch die allereinzige, die rein von diesem Charakter her das Zeug dazu hätte im indonesischen Dschungel (und auch sonst überall auf der Welt) zurechtzukommen, wenn sie dort ausgesetzt werden würde. Die anderen machen einen so elegischen Eindruck, dass die in einer harten Realität sofort verzweifeln würden (ich denke Sien und Birgit können sich im Dschungel nur fortbewegen, weil sie schon lange dort sind und ihnen die Umwelt dort gefällt, aber wenn man eine der beiden sonstwo aussetzen würde, wären die nullkommanix weg vom Fenster). Da ich allerdings erst am Anfang des Buches bin, ist davon natürlich viel Spekulation, das ist einfach so mein erster Eindruck. :-)


    Zitat

    Original von Lese Biene
    Warum sind diese beiden benachbarten Länder in ihrer Entwicklung so unterschiedlich? Wahrscheinlich spielen hier sehr viele Faktoren zusammen, aber kann man das an ein paar festmachen? Geographisch müssten sie ja einigermaßen die gleichen Grundbedingungen haben (Klima, Bodenschätze u. ä.), oder irre ich mich hier total?


    das würde mich auch sehr interessieren. Ich kenne nur die Situation der Länder in Borneo sowie Tailand / Laos / Vietnam ein wenig. Erfahren wir auch im Verlauf der Geschichte des Buchs noch etwas mehr über Malaysia und Indonesien im Allgemeinen?

  • Zitat

    Original von Midori


    das würde mich auch sehr interessieren. Ich kenne nur die Situation der Länder in Borneo sowie Tailand / Laos / Vietnam ein wenig. Erfahren wir auch im Verlauf der Geschichte des Buchs noch etwas mehr über Malaysia und Indonesien im Allgemeinen?


    Ich schreibe euch gern etwas dazu, bin allerdings in den nächsten drei Tagen aufgrund meiner Arbeit ziemlich eingespannt. Habt bitte ein wenig Geduld. :wave

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • So, damit das nicht ewig dauert, werde ich versuchen, meinen Bregen nach der langen Nachtschicht nochmals in Schwung zu bringen. Sollte meine Antwort etwas wirr ausfallen, bitte entschuldigen. :grin


    Eine angemessene, dem komplexen Thema gerechte Erklärung für den großen Unterschied zwischen der Entwicklung Malaysias und Indonesiens zu liefern, würde wohl eine mehrseitige Antwort erfordern, weshalb ich es auf die beiden mMn entscheidenden Punkte herunterbrechen möchte: Geographie und Geschichte.


    Wie du richtig vermutest, Lese-rina, ähneln sich die Länder in vielem, z.B. dem Klima und reichen Bodenschätzen wie Öl, Gas, Holz, Mineralien und Metallen, wobei Indonesien proportional zu seiner Größe von allem (außer Zinn) mehr besitzt. Den entscheidenden Unterschied erkennt man beim Blick auf die Landkarte: Während sich Malaysia von kleineren Eilanden abgesehen nur aus den beiden Blöcken Westmalaysia (Die Halbinsel zwischen Thailand und Singapur) und Ostmalaysia (Dem nördlichen Teil Borneos ohne Brunei) zusammensetzt, handelt es sich bei Indonesien um ein auf die holländische Kolonialherrschaft zurückgehendes Kunstgebilde gigantischen Ausmaßes. Von der Ost-West-Ausdehnung entspricht Indonesien der Entfernung vom Nordkap bis nach Marrakesch, verteilt auf über 17000 Inseln, auf denen heutzutage 240 Millionen Menschen leben, die etwa 360 verschiedenen Völkern angehören und ungefähr 740 Sprachen sprechen. Eine Nationalsprache gab es ursprünglich nicht, sie wurde erst nach der Unabhängigkeit auf der Basis einer aus Sumatra stammenden Handelssprache geschaffen, die dem Malaiischen sehr ähnlich ist. Für viele, wenn nicht die die meisten Indonesier ist "Bahasa Indonesia" eine Zweitsprache, die sie oftmals erst in der Schule lernen.


    In diesem Land eine funktionierende Infrastruktur schaffen zu wollen, ist schlichtweg ein Albtraum. Wir reden nicht nur von unglaublichen Entfernungen und dem Problem, die vielen, z.T. weit auseinanderliegenden Inseln miteinander zu verbinden, sondern auch von Hindernissen wie Bergketten, Sümpfen, Regenwald, Erdbeben, Vulkanausbrüchen und einem jährlichen Monsun, der regelmässig die meisten Straßen beschädigt oder einfach fortspült. Bis zum heutigen Tag sind manche Regionen (wie im Roman geschildert) nur unter enormen Zeitaufwand und großer Mühsal zu erreichen.


    Verglichen damit sind die Probleme Malaysias übersichtlich. Das Land wird heute von einem Netz hervorragender Autobahnen durchzogen und von mehreren Airlines bestens versorgt. Das Reisen und der Warenverkehr sind, von eher seltenen Überschwemmungen abgesehen, so einfach wie bei uns.


    Historisch betrachtet waren das heutige (West-)Malaysia und speziell Sumatra, aber auch Java, Sulawesi und mit Abstrichen Borneo kulturell auf das Engste verbunden, während zum heutigen östlichen Indonesien nur Handelskontakte bestanden. Eine unnatürliche Trennlinie wurde erst gezogen, als Malaysia ab dem 19 Jahrhundert unter englischen Einfluss geriet, während sich Holland den Rest einverleibte und als Kolonie gründlich ausquetschte. Den malaiischen Sultanaten blieb weit mehr Eigenständigkeit, obwohl die Engländer ganz sicher ebenfalls auf ihre Kosten kamen. Die riesigen, aus der Ausbeutung der Bodenschätze und dem Pflanzen von Kautschuk entstandenen Gewinne flossen in beiden Fällen überwiegend nach Europa ab.


    Der Zweite Weltkrieg und die von unvorstellbaren Gräueltaten geprägte Besetzung durch japanische Truppen läutete in beiden Ländern das Ende der Fremdherrschaft ein. Die Holländer versuchten nach der Niederlage der Japaner ihre Kolonie wiederherzustellen, mussten Indonesien aber 1949 nach einem langen und blutigen Guerillakrieg die Unabhängigkeit zugestehen. Zurück ließen sie ein schlecht organisiertes Land in Trümmern. Die Euphorie im Lande verflog schnell, und Präsident Soekarno, obwohl ein echter Visionär und Volksheld, versuchte das Land durch abenteuerliche, von Großmannssucht, aber auch dem Geist der Zeit geprägte Außenpolitik nach Innen zu einen.


    Als sich Indonesien Mitte der 60er Jahre zunehmend von den USA distanzierte und China annäherte, putschte das Militär und setzte General Suharto an die Spitze der Regierung, der die folgenden 30 jahre damit verbrachte, den immensen Reichtum an Rostoffen weltweit zu verscherbeln, um sich, seiner Famile und seinen Freunden mit unglaublicher Dreistigkeit die Taschen vollzustopfen, statt damit die drängenden Probleme der Bevölkerung wie Bildungsnotstand, mangelnde Krankenversorgung u.a. zu bekämpfen.


    Während sich andere Länder der Region entwickelten, verharrte Indonesien im Stillstand; vor allem die außenliegenden Regionen wurden von der Zentralregierung auf Java nur um ihre Rohstoffe erleichtert und ansonsten sträflich vernachlässigt. Der jahrelange Kampf der Provinz Aceh um Unabhängigkeit geht, neben religiöser Motivation, auch auf diese Behandlung zurück. Wer Veränderung wollte oder nur auf seine Rechte pochte, bekam das Militär geschickt. Erst 1998 sorgte eine drastische Erhöhung der Benzinpreise dafür, dass das Volk rebellierte und den General entmachtete. Seitdem versuchten mehrer gewählte Präsidenten mit mehr oder weniger Eifer und Erfolg, die Lage zu verbessern, was einer Sisyphosaufgabe gleichkommt.


    Obendrein gehört Indonesien nach wie vor zu den korruptesten Ländern der Welt, was sich im täglichen Leben der Indonesier von ganz oben bis nach ganz unten auswirkt. Eine Freundin von uns hat z.B. vor einigen Jahren einen Pass beantragt, für den sie laut Gesetz eine relativ niedrige Gebühr zu zahlen hätte. Sie musste in der Praxis noch einige Monatsgehälter drauflegen, um ihn zu bekommen, weil ihr klar gesagt wurde, dass sie ansonsten mehrere Jahre darauf warten müsse. Busfahrer zahlen bei Polizeikontrollen Schmiergeld, um nicht willkürlich schikaniert zu werden, Industieaufträge werden von Regierungsbeamten verkauft, und und und. Dies sind keine kleinen Unsitten, sondern gravierende Mängel im System, die Ungerechtigkeiten schaffen / erhalten und jeden Fortschritt blockieren.


    Malaysia erreichte seine Unabhängigkeit nach großen innenpolitischen Schwierigkeiten (Es gab eine sehr starke, über Jahre agierende kommunistische Untergrundbewegung, die das Land in bürgerkriegsähnliche Zustände riss) erst 1957, übernahm von den Engländer allerdings gut funktionierende Verwaltung und Rechtssystem sowie ein Heer gut ausgebildeter Beamter. Im Vergleich zu Indonesien verlief der Übergang relativ reibungslos. Die Regierungen, die ich hier sicher nicht als glorreiche Vorbilder hinstellen möchte, trieben die Entwicklung des Landes und vor allem der eher traditionellen / wirtschaftlich zurückgebliebenen Landesteile an der Ostküste der Halbinsel voran (Hier saßen ihre Wähler!). Entscheidend nach vorn ging es unter Premierminister Mahatir (1981 - 2003). Der Mann ist sicher kein Engel, aber ein Visionär, der sein Land ohne den Umweg über die industrielle Revolution von einem Agrarstaat und Rohstofflieferant ins IT-Zeitalter schießen wollte. Viel, viel Geld wurde in Infrastruktur und Bildung investiert, ausländische Großkonzerne mit günstigen Bedingungen ins Land gelockt. Mercedes baut LKW, Siemens, Bosch und Intel schafften hochqualifizierte Arbeitsplätze für Malaysia. Man sieht im Land so gut wie keine qualmenden Schornsteine, stattdessen hat sich Malaysia u.a. zum führenden Halbleiterhersteller der Welt gemausert. Noch einmal: Ich will hier kein Paradies schildern, ich lasse bewusst viele, viele Probleme außen vor, aber der Unterschied zu Indonesien wird damit hoffentlich klar.


    Ein letzter Punkt ist vielleicht darin zu sehen, dass Malaysia in den 60ern einen chinesischen Bevölkerungsanteil von annähernd 50% hatte (Chinesen lebten als Händler seit Jahrhunderten auf der Halbinsel, aber die Engländer haben sie etwa ab 1880 in riesiger Zahl als Arbeitskräfte für die Minen und Plantagen ins Land geholt). Es mag übertrieben klingen, aber diese Leute haben mit ihrem Ehrgeiz, ihrer Arbeitsethik und ihrer in dieser Region eher ungewöhnlichen Energie das Land mit sich gerissen. Ganz ehrlich: Wären die Malaien für sich geblieben, wäre der Vorsprung vor Indonesien niemals so groß geworden. Was aber nichts darüber aussagt, dass sie mit die freundlichsten, sympatischsten und liebenswertesten Menschen der Welt sind. So wie die Indonesier. :-)


    So, nun habe ich doch einen ziemlichen Schwall abgesondert und hoffe, euch damit nicht zu langweilen.


    LG harimau :wave

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    Andreas Altmann

  • Guten Morgen in die Runde!
    Ich habe noch ganz kleine Äuglein, aber das Hirn funktioniert einigermaßen, also, los geht's.


    harimau : DANKE, DANKE, DANKE! Der Abriss ist fantastisch!


    @midori: Deine Einschätzung von Alexandra ist auf den Punkt – so habe ich sie vor meinem inneren Auge gesehen. Allerdings gibt es einen Punkt, der Birgit in Ländern wie Indonesien überlebenstauglicher macht als Alexandra. Dort braucht es nämlich eine gehörige Portion Langmut, um nicht zu sagen Fatalismus, um weiterzukommen. Alexandra neigt zur Ungeduld, will Dinge schnell und effizient erledigt wissen und stößt sich dabei ständig die Nase blutig. Die Einheimischen lassen sie einfach abprallen und es klappt überhaupt nichts, während Birgit (und auch Martin!) das Zeug hat, alles auszusitzen und sich nicht aufzuregen. Über kurz oder lang würde Alex durchdrehen (naja, das tut sie ja schon ;-) ). Ich spreche aus Erfahrung: harimau nimmt es hin, wenn was nicht klappt (und das ist viel), ich kann an schlechten Tagen wunderbar ausrasten über die vermeintliche und reale Lethargie, Unfähigkeit und Unbekümmertheit der Indonesier (und manchmal der Malaien). Helfen tut das allerdings gar nichts. Die verständnislosen Blicke, die man nach einem für einen selbst durchaus berechtigten Wutausbruch erntet, sind entwaffnend. Und das Telefon ist immer noch nicht angeschlossen, der Bus dreht eine weitere Runde durchs Dorf, um auch den letzten kurzentschlossenen Fahrgast einzusammeln, der Tankwart, der mit offenen Benzinfässern hantiert, nimmt die Zigarette nicht aus dem Mund, die Musik bleibt auf der Lautstärke von startenden Düsenjets… die Liste ist endlos :grin

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    Kipling

  • Super Harimau!!! :anbet Vielen, vielen Dank für die äußerst ausführliche und sehr interessante und aufschlussreiche Antwort! Extra Danke, dass du dir sogar nach einer anstrengenden Nachtschicht dafür noch Zeit genommen hast.


    Jetzt bleibt nur noch eine Frage: Wer oder was ist ein "Bregen"? :-)

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  • Ich habe noch nicht nachgelesen, was hier so alles geschrieben wurde... nur so viel:
    liebe Steffi, Du bist nicht ganz unschuldig daran, dass ich die letzten Tage mit gruseligen Augenringen durch die Gegend gelaufen bin.


    Ich werde von der Geschichte immer so in den Bann gezogen, dass ich nicht auf die Zeit achte... aber Schlaf wird sowieso überbewertet... ;-)

  • Liebe Samtpfote, herzlich willkommen! Klasse! Augenringe bei Leserinnen sind ein seeeehr gutes Zeichen :grin Ich freue mich, dass es dir gefällt!
    :wave SteffiB

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