Jonathan Tropper: Der Sound meines Lebens

  • Charts-Pop


    Silver ist Mitte vierzig und lebt in der abgerissenen Appartmentanlage "Versailles", zusammen mit anderen Mitvierzigern, die - wie er - gescheiterte Ehen hinter sich haben und auf neue Chancen hoffen, ohne etwas dafür zu tun. Silver war mal der Schlagzeuger einer erfolgreichen Rockband, die sich aber aufgelöst hat, weil der Frontmann Solowege ging, seitdem spielt er bei Bar-Mitzwas und Hochzeiten. Eine solche steht demnächst an, denn seine Exfrau Denise will ihren neuen Freund Rich heiraten.


    Kurz davor wird bei Silver ein lebensbedrohliches Aneurysma an der Herzarterie diagnostiziert, ausgerechnet von seinem potentiellen Nachfolger als Ehemann von Denise. Silver blickt auf sein Leben und stellt fest, dass es wertlos ist, also beschließt er, sich nicht operieren zu lassen, sondern demnächst zu sterben. Ein paar Dinge - der Roman heißt im Original "One Last Thing Before I Go" - will er aber noch tun, zum Beispiel ein besserer Vater werden (seine achtzehnjährige Tochter Casey ist ungewollt schwanger) und sich verlieben.


    Jonathan Tropper wiederholt sein Konzept: Ein liebenswerter Underdog mit leicht verschrobener Weltsicht wird mit einer Grenzsituation konfrontiert, weshalb er sein Leben überdenkt. Das funktionierte exzellent in "Der Stadtfeind Nr. 1", ganz gut in "Zeit für Plan B", eher nicht so perfekt in "Mein fast perfektes Leben" und absolut hervorragend im Vorgänger des aktuellen Romans, "Sieben verdammt lange Tage". "Der Sound meines Lebens" allerdings hat mich weniger überzeugt. Das liegt vor allem daran, dass Silvers Entscheidung an keiner Stelle nachvollziehbar wird, wie Tropper wohl auch bemerkt hat, denn er versucht unaufhörlich, diese Entscheidung zu begründen, was gründlich misslingt. Überhaupt hapert es an der Glaubwürdigkeit seiner Hauptfigur, in der man vergeblich nach Gründen für den tiefen Absturz sucht. Diesem Umstand und der doch recht vorhersehbaren Dramaturgie trägt der Autor dadurch Rechnung, dass er den Roman mehr oder weniger offen enden lässt, was mich schlicht geärgert hat, aber vermutlich hätte mich ein Friede-Freude-Eierkuchen-Ende noch mehr geärgert.


    Liebenswürdig und witzig wird "Der Sound meines Lebens" an den Stellen, an denen Silver - offenbar als Folge der Erkrankung - seine Gedanken munter ausplappert, ohne das zu merken. Aber das lenkt höchstens ein bisschen davon ab, dass die Figuren sehr oberflächlich und klischeehaft gezeichnet sind, praktisch unaufhörlich weinen und sich in etwas ermüdenden Dialogen ständig das gleiche sagen. Dem Roman fehlen Originalität und Drive; er ist wie ein ganz guter, aber schnell vergessener Popsong, der es in die Charts geschafft hat, ohne dort oder in den Ohren (gar den Herzen) der Hörer lange zu verweilen. Im Vergleich zum Vorgänger ein deutlicher Rückschritt.

  • Silver, die männliche Hauptfigur in diesem Roman, ist ein Arschloch. Ein gescheiterter Popstar, der sich nach Auflösung seiner Band als Drummer auf Hochzeiten verdingt, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Seine Frau hat er verlassen (oder sie ihn? Jedenfalls hat es zwischen den beiden nicht funktioniert), die kostbare Zeit der Kindheit und des Heranwachsens seiner Tochter versäumt und seine besten Jahre ungenutzt hinter sich gelassen. Er fristet sein Dasein in einer abgehalfterten Appartementanlage, stellt jungen Studentinnen nach und suhlt sich im Selbstmitleid, wird doch seine große Liebe bald nochmal heiraten. Als er die Diagnose einer unheilbaren Krankheit erhält, beschließt er, sich dem Tod kampflos zu stellen. Nachdem er ein besserer Vater geworden ist, seiner ungewollt schwanger gewordenen Tochter zur Seite steht und sich nochmal verliebt hat.


    Mit "Der Stadtfeind Nr.1 (Kleinstadthölle)", hat Jonathan Tropper alle meine Empfindungssynapsen aufs Empfindlichste freigelegt. Die Geschichte ging nicht besser, deshalb habe ich mich auf dieses sozusagen heißhungrigst gestürzt. Der Sound meines Lebens hat mich zwar nicht enttäuscht, aber auch nicht umgehauen. Es wirkt im direkten Vergleich eher oberflächlich, wie der dritte Aufguss einer wirklichen guten Infusion, weswegen man es immer noch genießen kann. Der Geschmack ist vielleicht nicht mehr ganz so stark, das Aroma aber immer noch fein. Es bleibt für mich beispielsweise immer noch im Dunkeln, weshalb Silver genau eigentlich ein solches Arschloch ist. Was ist vorgefallen?


    Dennoch schreibt Tropper einfach irre gut. Damit meine ich auch ( wie in bisher jedem Roman) die Sex- und Liebesszenen, die so selbstverständlich und unkompliziert geschrieben sind, dass Fremdschämen ausbleibt. Überhaupt schafft es der Autor, mich zu fesseln mit seinem Schreibstil, manchmal macht beim Lesen einfach irgendwas in mir pling und lässt mich schlucken, lachen, weinen. In diesem Buch zwar nicht so ausgeprägt, wie sonst, aber immerhin.


    Der Typ weiß, wo meine Schaltungen liegen.


    Edit: Und diese "The Twilight Zone" Folge habe ich als Jugendliche auch gesehen. Wie im Buch von Tropper beschrieben, genau so ging es mir auch. Noch heute grusele ich mich, wenn ich daran denke.


    Immer wieder gerne. Ich freue mich über und auf jedes neue Buch.

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von rienchen ()

  • Es gibt sie noch - Bücher von Jonathan Tropper, die ich noch nicht gelesen habe. "Der Sound meines Lebens" war bis vor Kurzem eines davon. Es hat mich - wie alle anderen Bücher von Jonathan Tropper begeistert. Es mag komisch klingen, aber Jonathan Tropper ist für mich so eine "männliche Jodi Picoult". Der Plot der Romane ist meistens gleich bzw. sehr ähnlich, die Dialoge bzw. viele Aussagen treffen mich aber bis ins Mark und berühren mich einfach sehr. Auch wenn ich mich mit seinen Hauptfiguren nicht identifzieren kann (und auch selten mit den weiblichen "Nebenfiguren"), so leide und fühle ich durch die Art des Schreibstils immer wieder mit ihnen mit. In diesem Buch war es nicht anders - ich hätte Silver hin und wieder hauen können, aber direkt nach dem Hauen hätte ich ihm am liebsten liebevoll über den Kopf gestrichen. :lache


    Dennoch hat mir in diesem Buch etwas gefehlt und ich wusste nicht so genau, was es ist. Als ich ebens Tom Rezi las, wurde es deutlicher - möglicherweise fand ich die Charaktere in diesem Buch etwas oberflächlich, was ich von Tropper so nicht gewohnt bin. Dennoch mochte ich das Buch sehr und erlaube mir hier, rienchen zu zitieren, denn das erfasst ziemlich gut meine Gefühle diesbezüglich. :-)


    Zitat

    Original von rienchen
    Dennoch schreibt Tropper einfach irre gut. Damit meine ich auch ( wie in bisher jedem Roman) die Sex- und Liebesszenen, die so selbstverständlich und unkompliziert geschrieben sind, dass Fremdschämen ausbleibt. Überhaupt schafft es der Autor, mich zu fesseln mit seinem Schreibstil, manchmal macht beim Lesen einfach irgendwas in mir pling und lässt mich schlucken, lachen, weinen. In diesem Buch zwar nicht so ausgeprägt, wie sonst, aber immerhin.


    8 von 10 Punkten.

    With love in your eyes and a flame in your heart you're gonna find yourself some resolution.


    *Bestellungen bei Amazon bitte über Forumlinks (s. Eulen-Startseite) tätigen, um so das Forum zu unterstützen.*

  • Zitat

    Dennoch mochte ich das Buch sehr und erlaube mir hier, rienchen zu zitieren, denn das erfasst ziemlich gut meine Gefühle diesbezüglich. 


    Na das ehrt mich aber sehr, dankeschön :-)


    Ich glaube, ich lese nochmal ein Tropper Buch... Habe ich grade mal wieder so richtig Lust drauf. ;)

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)