Die Prinzessin mit den roten Haaren – Paul Biegel (ab. ca. 11 J.)

  • Die Prinzessin wird zwölf und der Tag soll in der Hauptstadt ganz groß gefeiert werden. Das freut das ganze Volk, denn noch nie hat jemand die Prinzessin zu Gesicht bekommen. Man weiß nur, daß sie rote Haare hat.
    Die Prinzessin freut sich auch, sie hat nämlich in ihren ganzen zwölf Jahren noch nie jemanden außerhalb des Palasts gesehen und die Welt da draußen auch nicht. Die Welt aber ist gefährlich. Denn kaum ist die Kutsche unterwegs, wird sie überfallen und mitsamt der Prinzessin entführt. Drei böse Räuber haben sich das ausgedacht. Für die Freilassung der Prinzessin verlangen sie nichts weniger als einen Sack Gold und einen Sack Silber.
    Das Königspaar ist entsetzt. Die Bevölkerung erschüttert. Die Prinzessin dagegen hält das Ganze für ein einziges herrliches Abenteuer. Bis sie sich über die Räuber ärgert und davonläuft. In der Stadt dagegen regt sich in manchen Köpfen der Gedanke, ob man vom Verschwinden der Prinzessin nicht profitieren könnte. Das Königspaar fürchtet um seinen Ruf, wenn die Prinzessin nicht bald wieder auftaucht. So kommt es zu einem fiesen Handel.
    Die Prinzessin sucht währenddessen den Weg nach Hause. Das ist schwierig, denn niemand glaubt ihr, daß sie die Entführte ist.


    Diese Geschichte ist ein Märchen und Lehrstück und ist zugleich nichts davon. Es ist ein ausgefallenes, ganz eigentümliches Abenteuer, spannend, witzig und zugleich albtraumhaft. Es enthält viele Einsichten in menschliches Verhalten, aber was immer wie eine Lehre beginnt, endet im Leeren. Es gibt Moralisches, doch ganz sicher keine Moral. Wer sich hinauswagt, war draußen, sagt die Geschichte, aber wieviel und ob überhaupt das etwas im Innern ändert, ist schwer zu entscheiden.


    Biegels Geschichte lebt von der Abfolge von Ereignissen, die einer auf den ersten Blick vertraut erscheinen, nur um sich im nächsten Moment völlig unerwartet weiterzuentwickeln. Über die spannende Frage hinaus, ob die Prinzessin denn nun wieder nach Hause findet, entsteht so eine untergründige Spannung, die an Grundfragen des Lebens rührt, etwa, inwieweit man planen kann, wie verläßlich die Gegebenheiten sind, wie sehr Gutes und Schlechtes miteinander verwoben sind. Daß Schreckensszenen dazu gehören, versteht sich.


    Ungewöhnliche Märchengeschichte, die auf Spontaneität, instinktives Empfinden und schiere Lust am Erzählten baut und dem eigenen Vorstellungsvermögen viel Raum läßt, weil das Ende so ungewöhnlich ist, wie das ganze Märchen. Mit den dazu passenden schönen und zugleich unheimlichen Illustrationen von Linde Faas.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus