T. C. Boyle: "Dr. Sex"

  • Langweiliges Buch über einen diktatorischen Erbsenzähler


    Boyle legt mit "Dr. Sex" (OT: "The Inner Circle") seine dritte halbfiktive Biographie vor. Im Gegensatz zum überbordenden und unglaublich lustigen "Wassermusik" - über den Nilquellen-Entdecker Mungo Park - etwa markiert "Dr. Sex" eher das untere Ende der Skala, wenn man Boyles bisheriges Gesamtwerk betrachtet.


    Indiana, die späten Dreißiger. Amerika bereitet sich auf den Krieg vor, während ein Zoologe eine echte Revolution plant: Der Gallwespenforscher Albert C. Kinsey untersucht das Sexualverhalten der Amerikaner, akribisch und hochwissenschaftlich - er stellt tausenden Menschen Fragen zu außerehelichem Sex, über Begegnungen mit dem anderen Geschlecht, mit Tieren und Gegenständen, er dokumentiert das Masturbationsverhalten, die Abmessungen der Genitalien, all diese Dinge, über die selten zuvor öffentlich gesprochen wurde. 1948 wird er die geschockten U.S.A. mit seinen erhellenden Abhandlungen über "Das Sexualverhalten des Mannes" beglücken. "Dr. Sex" erzählt vom Weg dorthin, vor allem aber über Professor Albert C. Kinsey, genannt "Prok", über den kleinen Kreis von Menschen, die am Projekt beteiligt waren, und von denen der Ich-Erzähler John Milk einer ist bzw. war. Jedenfalls in diesem Buch, denn John Milk gab es nicht wirklich.


    Was vor knapp sechzig Jahren noch schockte, haut heute natürlich niemanden mehr vom Hocker, und die Tabus, die Kinsey damals reihenweise brach, sind heutzutage eher umgekehrt die Einstiegsschwelle etwa für Talkgäste in dussigeligen Nachmittagsshows. Deshalb versucht Boyle auch überhaupt nicht, das Tabu zu skizzieren, zu konkretisieren - auf "heiße Szenen" wird man in diesem unglücklich betitelten Buch vergeblich hoffen. Er bemüht sich vielmehr, den enormen Paradigmenwechsel zu veranschaulichen, der dem Werk Kinseys zugrunde lag und durch ihn ausgelöst wurde. Gegenstand von "Dr. Sex" ist Kinsey als Person, dieser energische, beherrschende, selbstbewußte, engstirnige, eloquente, vereinnahmende und auf seltsame Art intolerante Wissenschaftler, der sein Denken all jenen aufzwang, die mit ihm zu tun hatten, der den "inneren Kreis" gottgleich beherrschte und bei mancher menschlichen Katastrophe Pate stand.


    Leider ist dieser Dr. Kinsey vollkommen unsympathisch, ein diktatorischer Erbsenzähler, und auch seine Helfer - allen voran John Milk - verfügen über das Identifikationspotential eines gebrauchten Kondoms. Die Konflikte in diesem Buch sind vorhersehbar und nur leidlich dramatisch, beziehungsweise eigentlich überhaupt nicht, denn Boyles schwach erzählender Protagonist greift ständig vorweg, so daß etwa die Implikationen des durch "Prok" geförderten Partnertauschs unter seinen Mitarbeitern flach und unspannend bleiben. Und überhaupt ist "Dr. Sex" ein langweiliges, sehr durchschnittlich erzähltes Buch, dessen Protagonist zwar Revolutionäres geleistet hat, als Mensch aber völlig uninteressant gewesen zu sein scheint.

  • Ich hatte das Buch vorhin noch in der Hand und habe gedacht,nee warte mal auf TB.Jetzt warte ich erstmal auf weitere Kommentare und Bewertungen der Eulen.
    T.C.Boyle ist einer meiner Lieblingsautoren,wäre schade,wenn er nachlässt.

  • Hallo, Buttercup.


    Zitat

    T.C.Boyle ist einer meiner Lieblingsautoren


    Das gilt für mich eigentlich auch. :-) Manch ein Projekt funktioniert einfach nicht, und jeder noch so gute Autor darf auch mal Mist schreiben. "Riven Rock" fand ich nicht sonderlich gut, "Ein Freund der Erde" war m.E. auch eher durchschnittlich, "Drop City" schon wieder etwas besser. Boyle wird schon wieder kommen. :-)

  • Mit Riven Rock ging es mir ähnlich und Ein Freund der Erde liegt noch auf dem SUB,aber Wassermusik,und Road to Wellville und die anderen sind einfach großartig.Lustig,traurig und mit jeder Menge Sozialkritik.
    Nur World´s End kriege ich nicht geregelt,ich habe das schon dreimal angefangen und komme irgendwie nicht über den Anfang hinaus,aber ich werde es wieder versuchen :cry

  • Ich bin jetzt auch durch.


    Hm, also vom Hocker geworfen hat mich das Buch nicht. Ich kann es zwar nicht mit Wassermusik vergleichen (das liegt noch am SUB), aber ich hab schon bessere Boyles gelesen. Kinsey war ein Ekel, Milk war ihm zu hörig, um wirkliche Konflikte und Überraschungen aufkommen zu lassen. Die Handlung wiederholt sich, die Story hätte ruhig kürzer sein können. Und der Titel ist mEnicht sehr gut gewählt.
    Andererseits muß ich aber dazusagen, daß ich schon bei weiterem schlechtere Bücher gelesen hab - nur ist die Erwartung bei einem Boyle´schem Werk eben doch eher hoch. Die Lektüre war all in all keine Zeitverschwendung, aber eben auch nicht der Hit.

  • Ich lese das Buch auch aber irgendwie komme ich mit dem Buch nicht recht vorwärts. Ich werde es aber noch zu Ende lesen. :-(
    Es ist übrigens mein erstes Buch von T.C Boyle.

    Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht. (Abraham Lincoln, 12.02.1809 - 15.04.1865)

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  • Ich lese es gerade und bin jetzt aber schon froh, dass ich es nur aus der Bücherei habe und nicht gekauft.
    Es ist ganz gut zu lesen aber Prok ist mir irgendwie unsympatisch weil eklig und Milk zu flach.

  • 311 Seiten von 469 habe ich gelesen und den Epilog, jetzt reicht es definitiv.


    Das Buch ist langweilig.
    Langweilig, weil es viel zu wenige von Boyles genialen Wortspielchen enthält.
    Langweilig, weil es zu viele Details beschreibt, die vielleicht einer persönlichen Erzählweise sehr nahe kommen, die aber aber einfach nur nerven.
    Und ebenso langweilig, weil es viel zu langatmig geschrieben ist. 100 Seiten weniger hätten auch ausgereicht.


    Die Geschichte ist irgendwann einfach nur noch abstoßend, ich bin wahrlich keine Person, die Probleme hat, über Sex zu reden, auch nicht über den eigenen. Aber dieses Buch ist grotte. Natürlich soll das Sexualverhalten wissenschaftlich betrachtet dargestellt werden. Aber dieser ewige Partnertausch, immer nur um des Triebes willen, da fehlt mir einfach der Zauber von einem leidenschaftlichen Blick, einer unbewussten Geste, eines knisternden Augenblicks.
    Natürlich habe ich nicht mit erotischer Literatur gerechnet, sondern mit einer Geschichte zum Kinsey- Report. Aber in einem Buch, wo es fast nur um Sex geht, muss doch nocht alles nur wissenschaftlich betrachtet werden.
    Irgendwann ist es für mich auch einfach nur noch abstoßend gewesen.


    Prok ist ekelhaft, fast sogar pervers. Unsympatisch alleine durch seine Skrupellosigkeit und seinen Egoismus sowieso.
    Milk ist einfach nur ein naiver Bekloppter.
    Iris eine furchtbare selbstverliebte Zicke.
    Mac eine widerliche fruchtbarkeitsgöttinähnliche Mutter.
    Die Personen sind flach, leer und irgendwie genauso langweilig wie der Rest des Buchs.


    Die Geschichte hätte gut sein können, sehr gut sogar.
    Aber T.C. Boyle hat es vergurkt.


    Ich würde zu T.C. Boyles Ehre raten, die Finger von diesem Buch zu lassen, lest lieber ein anderes von ihm, wenn ihr keinen falschen Eindruck bekommen wollt.

    Bücher sind nur große Briefe an Freunde. [Antoine de Saint-Exupéry]

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