Dracyr - Das Herz der Schatten (Fantasy, ab 12) - Susanne Gerdom

  • Susanne Gerdom: Dracyr - Das Herz der Schatten, München 2014, cbj-Verlag, ISBN 978-3-570-40224-5, Klappenbroschur, 510 Seiten, Format: 20,6 x 13,8 x 4,2 cm, Buch: EUR 14,99 (D), EUR 15,50 (A), Kindle Edition: EUR 11,99.


    „Feuer. Sengend und brüllend, tobend und lodernd, Hitze, die alles verbrennt, was ihr zu nahe kommt. Er sieht, wie es aus ihren Augen und ihrem Mund bricht, ihren Körper einhüllt, von ihren Händen tropft, aus ihren Haaren springt, hochauflodernd zur Höhlendecke schlägt, und er zögert keinen Wimpernschlag lang.“ (Seite 323)


    Der Familie des Lordkanzlers Morrin Devrillan wird ihre Königstreue zum Verhängnis. Jetzt ist die Königsfamilie von Albrastor ausgelöscht. Auf deren Thron sitzt der Usurpator Houron Harrynkar, ein mächtiger Dracyr-Magier. Von den Devrillans ist nur noch die 16-jährige Tochter Karolyn übrig. Unter dem angenommenen Namen Kay Donne lässt sie sich auf Harrynkars Burg als Hausmädchen anstellen mit dem Ziel, am Drachenlord und seinem Sohn Damian blutige Rache für den Tod ihrer Familie zu nehmen. Wie genau sie einen hünenaften, Jahrhunderte alten Magier um die Ecke bringen will, ist ihr selber noch nicht klar.


    Von drinnen schaut immer alles ganz anders aus als von draußen. Lord Harrynkar ist zwar genau das skrupellose Scheusal, für den ihn alle halten, aber aus seinem Sohn Damian wird sie nicht recht schlau. Mal ist er ein arroganter, brutaler Kotzbrocken, mal ein freundlicher, fürsorglicher aber schwer traumatisierter junger Mann. Und des Lords Drachenreiter, die mit ihren geflügelten Ungeheuern Angst und Schrecken unter der Bevölkerung verbreiten, wenn sie bei ihren Strafexpeditionen Rebellendörfer in Schutt und Asche legen, sind nichts weiter als eine Bande schnöseliger Schulgören im Teenager-Alter.


    Und die Dracyr? Das sind gefährliche, wunderschöne, hochintelligente und telepathisch begabte Drachen, die Kay schon bald nicht mehr als Tiere betrachten kann. Sie haben es nicht verdient, in einen unterirdischen Pferch eingesperrt und als „Luftwaffe“ missbraucht zu werden! Sie sollten frei sein. Warum sie nicht einfach Feuer spucken und abhauen? Weil sie sich ihre menschlichen Reiter selbst aussuchen und sich dann telepathisch und emotional eng an sie binden.


    In Kay sehen die Dracyr etwas Besonderes. Sie halten sie für eine machtvolle Drachenmeisterin. Sie selbst ist davon am allermeisten überrascht. Aber vielleicht ist ja was dran. Mühelos gelingt es ihr, was außer ihr nur Lord Harrynkar beherrscht: Sie kann permanent mit ihrem Drachen Gormydas im telepathischen Rapport bleiben. Angesichts dieses Talents bleibt dem Lord gar nichts anderes übrig, als die junge Dienstbotin zur Drachenreiterin zu befördern, auch wenn er ihr nicht so recht traut. Die anderen Drachenreiter rümpfen darüber die Nase. Der junge Lord Damian ist, wenn er sich nicht gerade stinkstiefelig aufführt, sehr angetan von der hübschen Kay – und sie von ihm.


    Kays Rebellenfreunde dürfen unter keinen Umständen wissen, wie sehr sie sich schon in das Leben auf der Burg integriert hat. Sie erwarten, dass sie für sie spioniert und die Lords sowie die Drachenreiter durch einen Giftanschlag erledigt. Was sie natürlich jetzt nicht mehr kann. Kay steckt also mitten in einem starken Loyalitätskonflikt und versucht, sich irgendwie durchzulavieren. Das ist gar nicht so einfach. Die Rebellen sind misstrauisch, weil sie von ihrer Beziehung zum jungen Lord Damian gehört haben – und auf der Burg sickert so langsam durch, wer sie wirklich ist.


    Wie wird Kay reagieren, wenn die Dracyrformation das Dorf angreifen muss, in dem ihre engsten Rebellenfreunde leben? Wird sie ihren alten oder ihren neuen Verbündeten beistehen? Was immer sie tun wird, bringt sie selbst Lebensgefahr. Das Dumme ist, dass sie keine wirklich fundierte Entscheidung treffen kann, weil sie nicht die ganze Wahrheit kennt …


    Die Hauptfiguren sind natürlich Menschen: Kay, die zwischen Racheengel und Drachenreiterin schwankt und Damian, der zwischen Traumprinz und Mistkerl mäandert. Abwechselnd wird die Geschichte aus ihrer und aus seiner Sicht geschildert, ihr Teil im Präteritum, seiner im Präsens, was einen beim Lesen bisweilen ein wenig aus dem Konzept bringt. Doch das Faszinierendste in diesem Buch sind die Dracyr – Ehrfurcht gebietende Lebewesen, die dem Menschen mindestens ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen sind. Man ertappt sich dabei, zu bedauern, dass es sie nicht wirklich gibt. Kein Kind würde mehr Superstar oder Topmodel werden wollen, wenn es Drachenreiter gäbe!


    Sobald man mit dem Roman begonnen hat, bedauert man außerdem, dass man noch etwas anders zu tun hat als zu lesen. Die Geschichte entwickelt einen derartigen Sog, dass man aus der Welt der Dracyr gar nicht mehr auftauchen möchte, auch wenn man das Zielgruppenalter (Jugendliche ab 12) bereits deutlich überschritten hat. An dieser Welt und ihren Bewohnern können High-Fantasy-Freunde jeden Alters ihre Freude haben. Und Leser, die eine bildhaft-poetische Sprache lieben.


    Dass man überhaupt ein Jugendbuch liest, merkt man daran, dass die Heldin noch im Teenageralter ist. Das sei ein untrügliches Zeichen, sagt man. Und die Liebesszenen wären in einem Roman für Erwachsene vermutlich auch expliziter. Wie jung die Helden tatsächlich sind, wird einem vor allem gegen Schluss bewusst. Politisch, strategisch und diplomatisch gehen sie derart naiv und ungelenk vor, dass das nur schiefgehen kann. An dieser Stelle hätte man ihnen einen lebenserfahrenen Berater gewünscht, der ihnen hätte zeigen können wie sie mit ihrer Situation umgehen sollen. Aber sie haben niemanden und sind ganz auf sich gestellt. Genau das könnte sich als fatal erweisen. Das wäre dann Stoff für einen Folgeband.


    Von den politischen Fragen abgesehen sind auch noch weitere Punkte offen: Was wurde aus Prinzessin Sian? Und wie gelangte eigentlich Lord Houron Harrynkar „auf die dunkle Seite der Macht“? Stimmt es, dass der Kontakt mit den Dracyr das Bewusstsein der Menschen verändert? Das ließe Schlimmes für Kay und ihre Drachenreiterkollegen befürchten. Wurde der Lord zum rücksichtslosen Despoten, weil er sich mit dem nachtschwarzen Drachen Paindal verbunden hat, den selbst dessen Artgenossen fürchten? A propos Paindal … wohin ist der eigentlich so plötzlich verschwunden?


    Dankenswerterweise enthält das Buch ein Personenregister. Bei personalintensiven Romanen, in denen die Figuren dazu noch komplizierte Namen haben, kann es hilfreich sein, wenn man kurz nachschauen kann, wer wer ist. Man braucht das Verzeichnis hier kaum, aber es ist immer beruhigend, wenn eines da ist.


    Sehr gerne dürfen die Dracyr und ihre Menschen in Serie gehen! Ich wäre auf jeden Fall bei ihren kommenden Abenteuern dabei.


    Die Autorin
    Susanne Gerdom lebt, wohnt und arbeitet im Familienverband mit vier Katzen und zwei Menschen in einer kleinen Stadt am Niederrhein, bezeichnet sich selbst als "Napfschnecke", die ungern ihr Haus verlässt, und ist während ihrer wachen Stunden im Internet zu finden. Wenn sie nicht gerade schreibt. Manchmal auch, während sie schreibt. Sie schreibt Fantasy für Jugendliche und Erwachsene für die Verlage Piper, ArsEdition und Ueberreuter. Man findet sie dort auch unter den Pseudonymen Frances G. Hill und Julian Frost.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Inhalt:


    Eigentlich ist die sechszehnjährige Kay auf die Burg des Dracyrlords Harrynkar gekommen, um den Tod ihrer Familie zu rächen. Um unerkannt zu bleiben, schleust sie sich unter falschem Namen als Dienstmagd ein und hat schon bald das zweifelhafte Vergnügen nicht nur dem Dracyrlord selber, sondern auch seinem beinahe ebenso grausamen Sohn Damian zu begegnen. Und doch scheint es nicht nur zwischen Damian und Kay eine besondere Verbindung zu geben – Kay vernimmt in ihren Träumen immer wieder Stimmen, die aus den Tiefen der Burg kommen: aus den Pferchen der Dracyr…


    Meine Meinung:


    „Dracyr“ ist nicht das erste Fantasybuch, das ich von Susanne Gerdom gelesen habe. Im letzten Jahr konnte mich „Sturm im Elfenland“, das sie unter dem Pseudonym Frances G. Hill geschrieben hat, gut unterhalten, allerdings mochte ich da das Ende nicht so gerne: zum einen war es mir zu abgedreht, zum anderen etwas zu schnulzig. Würde es mir mit dem neuen Fantasyroman für Jugendliche genauso gehen?


    „Das Feuer drängt mächtig gegen die Nüstern. Der Überdruck wird so gewaltig, dass er droht, die Innereien zu zerreißen. Endlich schießt eine Feuersäule aus dem Rachen, deren Flammenzungen in einem Umkreis von zwanzig Fuß alles in Brand setzen, die trockene, dürre Vegetation, die Kleider der Männer, das ungeschützte Haar, das Zaumzeug, die Mähnen der Pferde.“ (S. 7/8)


    Drachen sind faszinierende Fantasywesen und ich lese sehr gerne über sie. Susanne Gerdom gelingt es wirklich hervorragend, den Drachen Eigenschaften zu geben, die sie zu (gefährlichen?) Gefährten machen, ohne sie zu sehr zu vermenschlichen. Kay kommt mit der Einstellung an die Burg, dass alle Dracyr und vor allem ihre Schattenreiter böse und grausame Wesen sind. Erst nach und nach wird sie lernen, dass sie auch hier nicht alle über einen Kamm scheren darf.


    Die Entwicklung, die Kay durchmacht, wie sie mit ihrem Schicksal hadert – ja, die ganze Geschichte ist wirklich spannend und faszinierend geschrieben. Im Gegensatz zu anderen Fantasyromanen, vor allem High Fantasy, liest sich das Buch wirklich schnell und ließ mich gar nicht mehr los. Das liegt vor allem an dem Schreibstil, der eher zu einem Jugendbuch, als zu einem Fantasyschmöker passt.


    Wer also große Worte, bildhafte Schlachten und einnehmende Sprache erwartet, der mag vielleicht enttäuscht werden. Wer aber eine spannende Geschichte lesen möchte, die ein gelungenes Mittelding zwischen Romantasy und High Fantasy darstellt, wer nach mehreren Stunden lesen kaum aus der Geschichte auftauchen möchte, dem empfehle ich „Dracyr – Das Herz der Schatten“. Ich vergebe 8 von 10 Sternen, denn ich habe mich gut unterhalten gefühlt.

  • Je länger ich über dieses Buch nachdenke, desto schwammiger erscheint mir die Geschichte. Im Grunde genommen geht es um die stereotypische Heldin einer YA-Fantasy mit Romance-Elementen, die sich in einen 'Bad Boy' verliebt, der nicht viel davon hält, Frauen würdevoll zu behandeln. Der Antagonist war alles andere als interessant gezeichnet, während die beiden Protagonisten im Laufe der Geschichte immer langweiliger wurden. Auch die Nebencharaktere werden mir über das Buch hinaus nicht im Gedächtnis bleiben.


    Als ich das Buch vor etwas mehr als einem Jahr in der Buchhandlung gefunden und das Cover entdeckt habe, habe ich mich von der Rahmenhandlung und meinen Erwartungen sogleich ansprechen lassen. Man kann tatsächlich einige interessante Passagen über die Drachen erwarten, die in der Tat eine wichtige Rolle in diesem Buch spielen. Dennoch wird der gesamte Plot (sofern man denn einen erkennen mag), in seiner Grundform ohnehin schon hunderte Male zuvor dagewesen, bald voll und ganz auf die sich konsequenterweise anbahnende Romanze verlagert, wie man sie heutzutage in jeder Young Adult-Fantasy-Geschichte findet. Während der Schreibstil malerisch und ansprechend ist, wird dies durch den Plot wieder zunichte gemacht, weshalb ich mich letztendlich nicht dazu durchringen konnte, dieses Buch mit mehr als fünf Sternen zu bewerten.