José Saramago, Das Evangelium nach Jesus Christus

  • Das Evangelium nach Jesus Christus
    José Saramago


    rororo 1995, Taschenbuch, 511 Seiten
    Portugiesischer Originaltitel: O Evangelho segundo Jesus Cristo
    ISBN 3499223066


    José Saramago ist als Sohn einer Landarbeiterfamilie 1922 in Portugal geboren. Trotz seiner offenkundigen Begabung konnte er wegen der Armut seiner Familie nur zwei Jahre lang ein Gymnasium besuchen. Er arbeitete als Mechaniker, Journalist, Verlagsmitarbeiter und wurde Portugals bekanntester Autor. 1998 erhielt er den Literatur Nobelpreis. Er starb 2010 auf Lanzarote.


    Erzählt wird hier die Geschichte des Jesus von Nazareth. Sohn der Maria und des Zimmermanns Josef. Es ist eine alltägliche Geschichte armer Leute in jenen Tagen. Auch hier erhält Maria ungewöhnlichen Besuch, kaum dass sie von ihrer Schwangerschaft weiß. Aallerdings verläuft dieser Besuch anders, als wir ihn bisher erzählt bekamen.
    Jedenfalls wächst dieser Jesus in einer ganz normalen Familie mit vielen Kindern auf. Wird, wie alle Jungen, in der Synagoge unterrichtet. Bis sein Vater Josef von den Römern am Kreuz hingerichtet wird. Nur weil er aus reiner Menschlichkeit seinen verletzten Nachbarn retten wollte. Von da an hat Jesus schlimme Träume. Erfährt von der Mutter Dinge, über die sie, eine gehorsame jüdische Frau, die nicht spricht, wenn sie nicht gefragt wird, bisher geschwiegen hat.
    Und Jesus verlässt seine Familie, geht nach Jerusalem und Bethlehem. Wandert jahrelang mit einem geheimnisvollen Hirten. Begegnet Gott, trifft Maria von Magdala und zieht Wunder wirkend mit ihr durchs Land. Letztlich stirbt er am Kreuz.


    Fast alles so, wie wir es aus den verschiedensten Evangelien erfahren. Hier allerdings stellt Jesus andere Fragen. Sich selbst, dem geheimnisvollen Hirten und Gott. Und die Antworten, die er erhält, machen aus diesem Buch eine ungeheuerliche, skandalöse Erzählung. Es sind Fragen, die jeden von uns umtreiben, über Schuld und Vergebung, Gut und Böse, Freiheit und Gehorsam. Über Gottes Allmacht und warum die Welt so ist, wie sie eben ist. Und die Antworten, die Saramagos Gott gibt, stimmen mit den Aussagen des Alten und des Neuen Testaments nicht überein.


    Es ist schwierig, dieses Buch zu lesen. Saramago schreibt in Sätzen, die mitunter über zwei Seiten reichen. Wörtliche Rede ist nicht gekennzeichnet, ein wenig hilft, dass mitten im Satz großgeschrieben wird, wenn der Sprecher wechselt. Die Perspektive ist manchmal eine distanziert betrachtende, die nicht verbirgt, dass der Erzähler mehr weiß, als der Mensch, dessen Leben da beschrieben wird. In einer anderen Szene ist man wieder ganz nah bei Jesus und seinen Gefühlen. In wieder einer anderen Szene werden philosophische und moralische Betrachtungen zu einer Situation angestellt. Ich bin jedenfalls froh, dass ich nicht aufgegeben habe. Mir hat es übrigens geholfen, wenn die Sätze mal wieder gar lang und unübersichtlich wurden, sie laut vorzutragen. Herr Rumpelstilz hat sich zwar sehr gewundert…..
    Es gibt über das Buch auch ein Hörspiel, das glaube ich vom NDR produziert wurde und an Ostern ausgestrahlt wurde. Falls einmal wieder die Gelegenheit besteht, es lohnt sich sehr, es anzuhören.

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Es gibt über das Buch auch ein Hörspiel, das glaube ich vom NDR produziert wurde und an Ostern ausgestrahlt wurde. Falls einmal wieder die Gelegenheit besteht, es lohnt sich sehr, es anzuhören.


    Saramagos Bücher kann ich mir schlecht als Hörspiel vorstellen, daher würde ich das Hörspiel gerne einmal hören. Aber leider bekommt man das nicht immer so mit!

  • Inhalt
    Wie der Titel schon sagt, geht es um das Leben Jesu. Dabei springt der Autor in die zeitlichen Lücken, die die Bibel bietet.
    In der ersten Hälfte des Buches steht Josef, Jesus' Vater, im Mittelpunkt. Es geht um seine persönliche Schuld, aber auch um die Erbsünde, die den Wert der Frau als zweitrangig begründet. Auch die Beziehung der Eheleute Josef und Maria funktioniert nach dem alttestamentarischen Muster.


    Im zweiten Teil liegt der Fokus auf Jesus.
    Er "erbt" die Schuld seines Vater und macht sich auf den Weg, um mehr darüber herauszufinden. Er befreit sich davon und wird schließlich (trotzdem) von Gott auserwählt.


    Die Geschichte nimmt seinen Lauf, wie wir sie aus den Evangelien im Prinzinp kennen, doch Saramago unterlegt die Ereignisse mit eigenen Deutungen. Er gibt Hinweise, wie Legenden durch Unwissenheit und Naivität und durch Vermischungen von Fakten und Lebensläufen im Lauf der Zeit entstehen.
    Doch Gott und auch der Satan sind für ihn nicht so, wie es gerne dargestellt wird. Das wird besonders im Dreier-Gespräch zwischen Gott, dem Teufel und Jesus deutlich. Er spart nicht mit Kritik an Gott. Oder vielmehr an dem Bild, das die Menschen sich von Gott machen und von einigen auch instrumentalisiert wurde. Auch die Neugründung der christlichen Religion betrachtet Saramago aus seinem eigenen Blickwinkel.


    Meinung
    Es ist doch immer wieder ein Genuss, Saramago zu lesen, auch wenn es, wie bereits oben geschrieben wurde, nicht einfach ist. Doch dieser Roman fiel mir leichter als andere von ihm.
    Er erzählt ohne Punkt, aber mit viel Komma, so entstand bei mir phasenweise der Eindruck eines Plaudertones.
    Gelegentlich greift er bei seiner Wortwahl auf biblische Vorbilder ("wahrlich, ich sage euch"; "es begab sich") zurück. Er schafft es, durch Landschaftsbeschreibungen Stimmungen wiederzugeben, die auch ganz besonderen Augenblicken angemessen sind, wie z. B. des erwachenden Tages bei Jesus' Zeugung. Und gleichzeitig verschleiert er, ob das der Blickwinkel des Autors oder der beobachtenden Romanfigur ist, die später vielleicht diese Stimmung mit dem zu diesem Zeitpunkt stattfindenden Ereignis verknüpft, als Ausdruck vom Wirken Gottes.


    Da man als Leser nicht weiß, wie die vom Neuen Testament bekannten Personen und Ereignisse von Saramago umgedeutet werden, bleibt es immer spannend.
    Es gibt viele Punkte, um sich seine eigenen Gedanken zu machen, zu Schuld, Gut und Böse, Religionen und ihr Missbrauch, Wunder und Legenden.
    Zwar verspürte ich einen Bruch zwischen dem ersten Thema "Schuld" und dem zweiten "Jesus' Auftrag", was aber dem Lesegenuss keinen Abbruch tat.