Der Anspruch des Lesers

  • Der Anspruch des Lesers*


    Im Thread E-Books und Aliens in der FAZ stellte magali die provokante These auf, dass Leser nicht wüssten, was ein gutes Buch sei. In ihrem Beitrag fragte sie weiter nach dem Anspruch des Lesers und endete mit der Behauptung, dass der Leser sich nicht gut genug für ein gutes Buch sei.


    Nachzulesen an dieser Stelle:Büchereule


    Für einige Forumsteilnehmer und mich sind diese Aussagen Anlass genug, darüber zu diskutieren, wie es um den Anspruch des Lesers steht.
    In diesem Strang soll es nicht darum gehen, Unterhaltungsliteratur zu verteufeln oder zum "guten Buch" zu belehren bzw. zu missionieren, sondern zu hochwertiger Lektüre zu ermutigen. Selbstverständlich ist die Erschließung von Unterhaltungsliteratur in Richtung anspruchsvolle Literatur keine Einbahnstraße; Erfahrungen in umgekehrter Reihenfolge sind ausdrücklich erwünscht.


    Ausgehend davon, dass es sich bei der Mehrheit der Forumsteilnehmer nicht um Germanisten, Komparatisten, Literaturwissenschaftler und Angehörige gleichwertiger Berufsgruppen handelt, soll der Austausch weniger auf einer akademischen Basis denn auf Lesererfahrungen erfolgen. Dennoch erlaube ich mir ein paar Kriterien für die Diskussion zu benennen, die Struktur in den Austausch bringen sollen. Die Kriterien sind keineswegs abschließend und wie die Erfahrungen in diesem Forum zeigen, wird es mit Sicherheit die ein oder andere Abzweigung vom Thema geben.


    - Anhand Eurer Lesegewohnheiten schildert bitte Eure Erwartungshaltung an Literatur.
    - Welche Genres lest Ihr?
    - Wie wichtig sind Euch Figurentiefe, Handlungsaufbau, Strukturen etc.?
    - Vergegenhwärtigt Ihr Euch während des Lesens, ob Ihr anspruchsvolle Literatur oder Unterhaltungsliterung lest bzw. welche Überschneidungen es gibt, sofern der Inhalt nicht eindeutig zuzuordnen ist?
    - Habt Ihr im Laufe Eurer Lesekarriere höhere Maßstäbe entwickelt?
    - Seid Ihr mit der Entwicklung des Romanangebots der letzten Jahre zufrieden?
    - Ist das heutige Angebot gut genug für Euch?



    * Für die politische Korrektheit: Wenn in meinem Beitrag vom Leser die Rede ist, so ist das aus Gründen der Einfachheit geschehen. Selbstverständlich schließt diese Form die weibliche Leserschaft mit ein.

  • Für mich muss ein Roman einfallsreich, originell, einmalig sein.
    Sprachlich innovativ, voller Geheimnisse und die Prosa gerne auch lyrisch.
    Gleichzeitig soll das Buch lesbar und stilistisch geschmeidig bleiben.



    Ein wichtiges Thema wertet ein Buch nicht ab!


    Wenn ein Buch jedoch prätentiös wird, gehen wir getrennte Wege!

  • Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich während meiner bisherigen "Lesekarriere" schon so einiges quer durchs Beet gelesen habe. Von Tolstoi über Laymon bis hin zu Wittgenstein und Bettina Wulff. :lache


    Meine Erwartungshaltung an Literatur ist daher nicht wirklich auf einen einzigen Punkt beschränkt. Sagen wir es mal so: Es darf mich nicht langweilen. Wenn jemand 200 Seiten darüber schreibt wie Gras wächst habe ich kein Problem damit wenn der Autor es irgendwie spannend gestaltet. Und verständlich. Ich liebe beispielsweise Bücher zum Thema Astrophysik, obwohl ich das nicht studiert habe. Es gibt aber so viele gute Autoren in diesem Gebiet, welche dieses trockene Thema unterhaltsam (ohne ins Alberne abzudriften) erklären können. Sowas gefällt mir.


    Das heutige Angebot an Romanen finde ich in Ordnung. Man muss sicherlich hin und wieder etwas länger suchen bis man neue und gute Autoren findet, aber irgendwie gehört das für mich auch zum Lesen dazu.


    Habe ich im Laufe der Zeit höhere Lesemaßstäbe entwickelt? Auf jeden Fall. Wenn man einmal Tolstoi oder Dostojewski gelesen hat ist das meiner Meinung nach eigentlich zwangsläufig der Fall. Dann erkennt man nämlich erst wie mächtig auf Papier geschriebene Worte sein können.

  • - Anhand Eurer Lesegewohnheiten schildert bitte Eure Erwartungshaltung an Literatur.


    Meine Erwartungshaltung wechselt von 0-100 je nach dem was ich für ein Buch lese.


    - Welche Genres lest Ihr?


    Außer Fantasie und Erotik fast alles. :yikes



    - Wie wichtig sind Euch Figurentiefe, Handlungsaufbau, Strukturen etc.?


    Die Figuren eines Buches soll gut beschrieben sein. Wobei ich einen großen Unterschied sehe, ob ich jetzt von Pasha im Kühlfach lese oder von Elisabeth. Von einem historischen Roman erwarte ich schon mehr Handlungsaufbau, Recherche etc.



    - Vergegenhwärtigt Ihr Euch während des Lesens, ob Ihr anspruchsvolle Literatur oder Unterhaltungsliterung lest bzw. welche Überschneidungen es gibt, sofern der Inhalt nicht eindeutig zuzuordnen ist?


    Das mache ich eigentlich nicht während des Lesen, sondern vorher. Ich überlege was ich gerade lesen möchte und greife nach einem entsprechenden Buch.



    - Habt Ihr im Laufe Eurer Lesekarriere höhere Maßstäbe entwickelt?


    Eigentlich habe ich nciht höhere Maßstäbe entwickelt, sondern einfach andere.


    - Seid Ihr mit der Entwicklung des Romanangebots der letzten Jahre zufrieden?


    Eigentlich schon. Es gibt so viele Ronane die ich lesen möchte, so dass ich eigentlich zufrieden bin.


    - Ist das heutige Angebot gut genug für Euch?


    Im Prinzip ist das Angebot ausreichend für mich. Ich kann ja sowohl als auch englisch lesen. Es wäre aber schön, wenn mehr deutsche Bücher einen englischen Übersetzer hätten.
    Auch viele Sachbücher gibt es nur in einer Sprache - hier meist nur englisch.

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Mir ist bei einem Buch die Sprache das Allerwichtigste. Wobei ich gestehen muss, dass ich jetzt so auf Anhieb nicht definieren kann, was ich unter "guter Sprache/Stil" verstehe. Aber es ist definitiv so, dass ich ein Buch mit durchaus interessantem Inhalt weglege oder mich sehr mühsam dadurch quäle, wenn die Sprache mich irgendwie nervt und mich das Ganze daher nicht so wirklich erreicht. Umgekehrt sprechen mich Themen, von denen ich dachte: das interessiert mich eigentlich nicht, sehr wohl an und können mich sogar richtig begeistern, wenn es nur "schön geschrieben" ist.


    Es gibt ja häufiger die Diskussion: Unterhaltungsliteratur pfui, anspruchsvolle Literatur hui. Mal plump gesagt.


    Mich stört es leider umgekehrt. Mir wurde in der Schule oder auch in diversen Foren (ja selbst in der Werbung: man denke an die "schwere Kost" die Klitschko erwähnt) regelrecht Angst gemacht vor Autoren wie z.B. Dostojewski. Ich dachte: da muss ich mich sicher durchquälen, nur um am Ende festzustellen, dass ich eh zu blöd dafür bin. Ich brauchte 3 Jahre, bis ich mich nach dem Kauf an "Schuld und Sühne" rangetraut habe - leider abends um 22 Uhr, denn um 4 saß ich immer noch auf der Couch. Einen derart spannenden, fesselnden Roman hatte ich bis dahin noch nie gelesen. Und das Einzige, was ich anstrengend fand, war das mit dem Vatersnamen, da brauchte ich eine Weile, bis ich raushatte, wer wer ist und warum jede dritte Iwanowna heißt. :lache


    Was ich damit sagen will ist, ich empfinde anspruchsvolle Literatur häufig nicht als anspruchsvoll, sondern als höchst unterhaltsam.


    Und ich wage zu vermuten, dass es vielleicht Vielen so gehen würde, wenn man Ihnen nicht eintrichtern würde, dass man solchen Autoren mit Ehrfurcht zu begegnen hat und sich die "schwere Kost" hart erarbeiten muss.


    Was mir an einem Buch auch noch wichtig ist: dass es mir in Erinnerung bleibt. Das, was gemeinhin als "Unterhaltungsliteratur" gilt, lese ich auch, aber da hab ich die Bücher meist nach 4 Wochen komplett vergessen. Das ist dann wirklich nur "Unterhaltung für den Moment", was ja auch nicht verkehrt ist.

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

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  • Für mich ist nur wichtig, dass mich das Buch packt. Ich muss immer wissen wollen, wie es weiter geht. Dabei ist es mir egal, ob es anspruchsvoll ist oder nicht. Obwohl ich im Alltag zu nicht so anspruchsvollen Büchern tendiere, weil mein Job anspruchsvoll genug ist.


    Mittlerweile lese ich auch fast alle Genres quer Beet.


    Mir ist auch völlig egal, ob andere nur Romanheftchen lesen oder Ulysses ;-)
    Hauptsache, die Menschen lesen überhaupt was.

  • Wie definieren wir „anspruchsvolle“ Literatur? Meistens synonym mit „schwer lesbar“ und „langweilig“. Man kann über dieses Thema sicherlich lange und trefflich streiten, ohne je eine Einigung zu erzielen.


    Ich habe mich schon vor langer Zeit von Überlegungen wie dieser verabschiedet, es spielt für mich keine Rolle.


    Ich lese querbeet, alles was mich interessiert, und das schon recht lange. In der Zeit zwischen der Pubertät und den frühen Zwanzigern habe ich recht wahllos „jeden Scheiß“ konsumiert, eine Phase die zur Entwicklung meines „Buchgeschmacks“ – so sehe ich das im Rückblick – notwendig war.


    Eine Definition dessen, was ein gutes Buch für mich ausmacht ist ausgesprochen schwammig, jede meiner Aussagen schließt das ein oder andere Buch eindeutig aus und führt eine Definition also ad absurdum. Das Buch sollte originell sein, der erzählten Geschichte angemessen geschrieben und in sich schlüssig sein.


    Das Buch muss allerdings auch „gerade passen“, es gibt Zeiten in denen mir ein eher anspruchsloser, rein unterhaltender Text mehr Vergnügen bereitet, da ich mich gerade nicht auf sprachliche Finessen einzulassen vermag.


    Ich denke jeder Leser wird irgendwann feststellen, das ihn das ein oder andere Buch des bevorzugten Genres, welches er ein bis zwei Jahre vorher für gut befunden hätte, plötzlich langweilt. Zumindest geht es mir so. Je mehr man liest, je mehr man „schon kennt“, desto schwerer wird es unter Umständen etwas wirklich Originelles Neues zu finden.


    Aber – und damit zu den letzten beiden Punkten – es gibt immer noch jede Menge Nachschub! Das Auskotzen des immer gleichen Einheitsbreis der großen Publikumsverlage erweckt zwar auf den ersten Blick den gegenteiligen Eindruck, doch selbst in dieser Brühe schwimmen immer wieder einige zu beachtende Brocken mit.
    Dann gibt es – und ich denke ihre Bedeutung wird stetig zunehmen – eine unüberschaubare Menge an großartigen innovativen Kleinverlagen, die sich literarische Nischen suchen und sich dort festklammern.


    Und muss es immer was neues und aktuelles sein? Der internetale Gebrauchtbuchmarkt hält ganze Schatzkammern literarischer Kleinode bereit, für jeden der bereit ist ein wenig zu buddeln.

  • Provokant zurückgefragt: muss das Buch nicht gut genug für den Leser sein?


    Intensiv lese ich seit meinem 16. Lebensjahr und ich denke schon, dass sich seitdem sowohl meine Maßstäbe als auch meine Ansprüche an ein Buch geändert haben. Ich lese viele Thriller und will daher bei solchen nicht immer wieder die gleiche Handlung, das gleiche Motiv und die gleichen Opfer lesen. Daher kann es durchaus sein, dass ein Thriller, den ich vor Jahren genial gefunden hätte, heute in der Ecke landet.


    Dadurch, dass ich immer mal wieder Bücher als Rezensionsexemplare bekomme, habe ich mich auch an für mich ungewöhnliche Stile oder Geschichten herangewagt. Warum denn nicht? Nur so kann ich doch merken, ob mir etwas gefällt oder nicht. Das ist wie beim Essen: man muss es probieren, bevor man bäh sagen darf.


    Neben dem Stil sind für mich auch tolle Figuren wichtig. Was nicht heißt, dass sie mir sympathisch sein müssen. Dennoch will ich nachvollziehen können, warum die Figur so agiert und welche Beweggründe sie hat.


    Ich halte von der Unterscheidung "anspruchsvoll" und "anspruchslos" nicht viel. Was für den einen den Spaß seines Lebens bedeutet, kann für einen anderen schon eine hart zu knackende Literaturnuss sein.

  • Wie gut ein Buch ist, hängt für mich zunächst davon ab wie sehr ein Buch den eigenen Ansprüchen gerecht wird. Was hat der Autor versucht? Was hat er erreicht? Ein guter Krimi ist für mich besser als ein mittelmäßiges Stück Hochliteratur.


    Darüber hinaus stelle ich mir folgende Fragen:


    Wie gut oder wie ansprechend ist ein Buch gebaut? Wenn ein Roman ein Stück Architektur wäre, würde ich mich an ihr erfreuen, würde ich sie gerne betreten, halte ich sie für effektiv und sieht sie auch nicht so aus als würde sie beim ersten Windstoß zusammenbrechen? Kurz: ist ein Buch gut gebaut?


    Resonanz: über die offensichtlichen Ziele oder der klaren Message des Autors hinaus, erzeugt der Autor einen Interpretationsraum? Stellt sich der Leser Fragen, an die der Autor nie so direkt gedacht hat? Setzt das Buch Gedankenprozesse in Gang.


    Originalität/Notwendigkeit: irgendwas muss ein neues gutes Buch der Bücherwelt hinzufügen. Das kann auch nur eine Kleinigkeit sein. "Alle Geschichten wurden schon geschrieben" ist ein Mythos, den phantasielose Verleger und Autoren künstlich am Leben halten. Aus den Gesetzen der Kombinatorik ergeben sich praktisch unendlich viele Möglichkeiten. Die Hauptmotivation des Autores ein Buch zu schreiben sollte sein: wenn ich das Buch nicht schreibe, schreibt es ja sonst niemand.

    Das alles ist vollkommen Genre-unabhängig.

  • Als "gut" empfinde ich ein Buch dann, wenn es eigenständig, originell und in einem angenehm zu lesenden Schreibstil verfasst ist. Ich erwarte nicht, dass es "leicht" zu lesen ist, aber ich möchte nicht in jedem zweiten Absatz über schludrige Formulierungen und hinkende Vergleiche stolpern.
    Und ich möchte nicht den gleichen Plot immer und immer wieder lesen – das ist der Hauptgrund, weshalb sich meine Lesegewohnheiten in den letzten Jahren immer weiter vom Romankonsum weg- und hin zu den Sachbüchern entwickelt hat.
    Es ist mir zu mühsam geworden, einen (für mich) lesbaren Roman aufzutreiben. Der Markt wird überschwemmt mit Duplikaten. Mir graut inzwischen vor dem Erscheinen eines Bestsellers – denn ich weiß dann, einen Besuch im Buchladen kann ich mir für die nächsten Wochen/Monate sparen. Dort werden nur noch Bücher liegen, die in Inhalt und Erscheinung dem Bestseller zum Verwechseln ähnlich sind.
    Es ist wesentlich einfacher, ein gutes Sachbuch zu finden, obwohl meine Anspruchshaltung daran noch höher ist als an einen Roman. Das könnte vielleicht einfach am Mengenverhältnis liegen. (Unterhaltungs-)Romane sind meist schnell konsumiert, also muss auch schnell was Neues her. Das könnte das Problem vieler Autoren sein: Markt und Verlag verlangen Nachschub, möglichst viel und möglichst schnell. Hierbei immer originell und einfallsreich zu bleiben ist wohl ein Ding der Unmöglichkeit.
    Ich persönlich lese dann lieber etwas weniger und dafür "besser".

  • Magalis These halte ich nicht für provokant. Viele Leser verschwenden sich, indem sie immer wieder mehr oder weniger die gleiche *** lesen. Wer niemals sein Schundgenre überwindet, für den gibt es kein Werden und er wird niemals derjenige, der er sein könnte. Aber magali formuliert ein Sollen, ein Ideal, dem wir nicht immer gerecht werden können. Jedermann wird ab und zu in den Schund flüchten und sich im Schmalz suhlen. Aber warum auch nicht, wenn es guttut? Und es gibt Schund, der tatsächlich gut gemacht ist, an dem wir uns erfreuen können, der uns sogar eine neue Perspektive aufzeigen kann … und den wir morgen bereits vergessen haben. Hands up who cares?


    Ob Love Story, Historienschinken, Schmöker, Weltliteratur …, ob figurenbetont oder handlungsbetont, ob Ich-Erzähler, neutraler- oder allwissender Erzähler, ob Klischeefülle- oder Mangel, ob reduziertes Erzählen oder fulminantes Ausschmücken … - letztendlich spielt das für meinen Lesegenuss keine Rolle. Es muss mich packen – nicht mehr und nicht weniger.

  • Viele interessante Fragen.


    Ich lese eigentlich alles außer deutschen Regionalkrimis und Science Fiction und versuche, Bestseller zu vermeiden (da viel sell, aber wenig best).
    Für mich muss ein Buch in erster Linie unterhaltsam sein und sprachlich so solide, dass ich nicht alle zwei Seiten über Formulierungen stolpere. Sobald mir Wortwahl, Satzbau und Co. bewusst werden und mich von der Story ablenken, ist ein Buch für mich nicht mehr lesbar.


    Neben einer unterhaltsamen Handlung wünsche ich mir auch ebenso unterhaltsame Figuren. Ich würde sogar sagen, dass mir originelle und ungewöhnliche Figuren wichtiger sind als eine originelle Handlung. Die Menschen, um die sich eine Geschichte dreht, müssen mich fesseln. Ich muss sie nicht mögen, sie aber zumindest hinreichend interessant finden.


    Ob ich anspruchsvolle Literatur oder Unterhaltungsliteratur in der Hand halte, mache ich mir beim Lesen weniger bewusst. Wenn ich mir beim Lesen schwer tue und ein Buch mich einfach nicht in seinen Bann zieht, lasse ich es gut sein, auch wenn es noch so toll, anspruchsvoll oder sonst was sein soll. Ehrlich gesagt, möchte ich auch gar nicht unterscheiden, ob ich nun ein besonders "anspruchsvolles" Buch lese oder nicht. Nach diesem Kriterium suche ich ein Buch nicht aus.
    Das Buch muss mir gefallen, mich ansprechen - das ist für mich maßgeblich. Und wenn ich dadurch zufällig an etwas "Anspruchsvolles" gerate - auch okay.


    Im Laufe meiner Lesekarriere habe ich sicherlich ein schärferes Auge vor allem in Hinblick auf schlecht geschriebene Bücher entwickelt.
    Mit der Entwicklung des Romanangebots insbesondere in Deutschland in den letzten Jahren bin ich als solches nicht sehr zufrieden. Ich habe den Eindruck, dass da Stories, die früher als so genannte Heftromane verlegt wurden, aufgeplustert und mit hübschem Einband versehen als "Romane" verkauft werden und inzwischen vor allem auf Quantität statt Qualität Wert gelegt wird. Praktisch jeder kann heute etwas schreiben und bekommt es auch veröffentlicht, solange er damit gerade irgendeinen Trend bedient. Handwerkliches Können - Nebensache. Klischees erwünscht.


    Deprimierend ist besonders der Rückgang wirklich guter historischer Romane. Ich habe dieses Genre immer sehr gern gelesen, finde aber überhaupt nichts Adäquates mehr in dieser Richtung und schon gar nicht aus deutscher Feder. Der Leser wird auch hier mit historischen Regionalkrimis, Huren und Henkern in einem fiktiven deutschen Mittelalter oder fürchterlichen Auswanderersagas überschüttet.
    Wo ist der große klassische historische Frauenroman mit Drama, Abenteuer und faszinierenden Heldinnen, die nicht still vor sich hinleiden, bis sie in Hosenrollen schlüpfen oder sich Berufe zulegen, um irgend etwas darzustellen, sondern sich zeitgemäß in ihrem Umfeld behaupten?
    Nein - das heutige Angebot ist in dieser Hinsicht alles andere als gut.


    Ich habe insgesamt den Eindruck, dass der Buchmarkt nicht nur viel schnelllebiger geworden ist, sondern auch ganz klar die Richtung des Privatfernsehens und Blockbusterkinos eingeschlagen hat: Man orientiert sich nach unten, liefert allenfalls mittelmäßige Belanglosigkeit und Serien en gros, und die Folge davon ist, dass man die wirklich guten Bücher (die es hier und da nach wie vor gibt) suchen muss wie die Nadel im Heuhaufen.

    :flowersIf you don't succeed at first - try, try again.



    “I wasn't born a fool. It took work to get this way.”
    (Danny Kaye) :flowers

  • Zitat

    Original von Salonlöwin
    Der Anspruch des Lesers*


    Im Thread E-Books und Aliens in der FAZ stellte magali die provokante These auf, dass Leser nicht wüssten, was ein gutes Buch sei. In ihrem Beitrag fragte sie weiter nach dem Anspruch des Lesers und endete mit der Behauptung, dass der Leser sich nicht gut genug für ein gutes Buch sei.


    Als abgrundtief dummer Mensch stimme ich Magali natürlich zu - wenigstens was meine Person betrifft.
    Natürlich weiß ich nicht was ein gutes Buch ist. Ich weiß nur, ob mir ein Buch gefällt oder nicht gefällt.
    Und da bin ich selbstverständlich unglaublich dankbar dafür, dass es Menschen gibt, die in ihrer Unfehlbarkeit mir sagen was ein gutes oder was ein schlechtes Buch. Denn wie sollte ich ohne diese Menschen sonst die literarische Welt verstehen.


    Ich bin immer wieder verwundert, dass Menschen meinen, sie könnten die Kriterien für "gut" und "schlecht" festlegen und bestimmen. Diese Dinge kann doch eigentlich nur jede/jeder für sich selbst festlegen.
    Und ich bezweifle zudem, das es objektive Kriterien für eine solche Festlegung gibt.


    Ich darf hier mein Lieblingsbeispiel anführen:
    Thomas Mann ist für viele die Ikone der deutschen Literatur. In meinen Augen ist er nichts anderes als ein selbstgefälliger, egomanisch veranlagter und gefühlskalter Schwätzer.


    So, wer hat nun Recht?
    Keiner! Denn es sind Meinungsäußerungen. Und nur weil 90 Prozent der Leser eben diesen Thomas Mann für genial halten - stellt das nicht einmal ansatzweise eine objektive Sichtweise dar.


    Für mich ist ein gutes Buch das Buch, welches mir gefällt und welches ich gern gelesen habe - selbst dann, wenn andere dieses Buch in die Tonne treten würden.


    Glücklicherweise ist mir auf vielen Gebieten die Meinung der Anderen absolut egal........


    ........wobei das natürlich nicht für Magalis Ansichten gilt. Denn sie gibt uns Richtung und Weisung wie die Welt zu verstehen ist. :anbet

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Thomas Mann ist für viele die Ikone der deutschen Literatur. In meinen Augen ist er nichts anderes als ein selbstgefälliger, egomanisch veranlagter und gefühlskalter Schwätzer.


    Kollege Voltaire, warum sollte das allergrößte A*** nicht schreiben können?


    Ich mag seine Erzählungen "Tonio Kröger", "Mario und der Zauberer" und "Dr. Faustus" ist ganz großes Kino. Mit seinem Bürgerkram kann ich nix anfangen. Aber schreiben konnte er, keine Frage.


    Im Übrigen kämpfst du nicht auf verlorenen Posten, denn ein Kritiker schrieb unmittelbar nach der Veröffentlichung des "Meisterwerkes" Buddenbrooks:


    In den zwei dicken Bänden … werden uns die wertlosen Geschichten wertloser Menschen in wertlosem Gerede vorgeführt. Thomas Mann kann kein deutsch, seine Muttersprache versagt ihm für die einfachsten Ausdrücke…

  • Die größten Schwierigkeiten macht mir die unüberschaubare Flut von Neuerscheinungen. Ehrlich gesagt wäre ich verloren, gäbe es nicht ein paar Leute, deren Meinung zu Büchern ich schätze und die ähnliche Vorlieben haben.


    Mein Kriterium ist: fesselt mich irgendwas an dem Buch, das ich da in der Hand habe? Bringt es mich zum Lachen, Nachdenken, Weinen oder lerne ich etwas Neues? Ist es so spannend, dass ich es kaum weglegen mag? Ist die Sprache besonders schön, reich an Bildern, kurz und knapp?


    Bei mir hat sich besonders verändert, dass ich mich nicht mehr lange mit Fehlkäufen aufhalte. Was nach 30 Seiten nicht gefällt, landet in der Ecke und dann im Sozialladen. Manche Bücher bekommen eine zweite Chance, das ist aber eher die Ausnahme.
    Ich lese auch gerne wieder "Bewährtes". Unsere Bücherregale sind voller Schätze, an die ich mich 20,30 Jahre nach dem ersten Lesen kaum mehr erinnere. Solche Bücher nehme ich mir inzwischen öfter wieder vor.

  • Zitat

    Original von Voltaire



    Für mich ist ein gutes Buch das Buch, welches mir gefällt und welches ich gern gelesen habe - selbst dann, wenn andere dieses Buch in die Tonne treten würden.


    Das unterschreib ich einfach mal..


    Ich hab gestern schon überlegt was und ob ich überhaupt schreiben soll, aber Voltaire hat es ziemlich gut zusammengefasst...

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen



    Bei mir hat sich besonders verändert, dass ich mich nicht mehr lange mit Fehlkäufen aufhalte. Was nach 30 Seiten nicht gefällt, landet in der Ecke und dann im Sozialladen. Manche Bücher bekommen eine zweite Chance, das ist aber eher die Ausnahme.
    .


    JO so isses bei mir auch, wobei ich meist bis Seite 100 lese und dann eher verkaufe oder tausche...vll gefällt es ja jemand anderem...

  • Ich denke das was Voltaire schrieb kann man ohne Probleme unterschreiben.


    Es ist wie beim Essen, die einen finden es absolut genial für eine paar Stückchen Karotte und ein streifen Fleisch bei einem Starkoch einige hundert Euro auszugeben und die anderen gehen zum Italiener um die Ecke und haben den Teller voll, beides sind unterschiedliche Herangehensweisen an den Anspruch "ich hab Hunger"

  • Ich zitiere hier einmal die Äußerung magalis im anderen Thread, denn ich denke, daß es eigentlich um etwas ganz anderes ging - nämlich die Auswahl des Buches:


    Zitat

    Original von magali
    Ein weiterer Punkt ist das Lektorat/Korrektorat: auch das rettet die Geschichten nicht, wenn das Talent fehlt.
    Daß so etwas trotzdem verkäuflich ist, liegt nicht einmal unbedingt an dem niedrigen Preis. Leserinnen zahlen auch neun oder neunzehn Euro für untaugliche Produkte aus Verlagen.


    Und warum tun sie das?
    Weil sie nicht wissen, was ein gutes Buch ist. Auf das Publikum allein kann man sich nämlich auch nicht verlassen. Entweder lockt der geringe Preis oder das todschicke Proficover eines Publikumsverlags bzw. gleich die Bestsellerliste.
    Der Anspruch der LeserInnen ist einfach zu gering. Die Enttäuschung darüber kann man dann bei amazon in Form von sog. Rezensionen nachlesen. Dabei sind die LeserInnen oft selbst schuld. Sie sind sich nicht gut genug für ein gutes Buch.


    Es ging nicht um hochgeistige Literatur, sondern ganz banal um die Auswahl der Lektüre. Und vor allem ging es eben nicht darum, daß die Leser eben “diesen Anspruch” nicht hatten – die von magali genannten enttäuschten Rezensionen auf Amazon sind doch gerade das Indiz, daß die Bücher dem Anspruch nicht gerecht wurden.


    Vor meiner Eulenzeit bin ich in Buchläden selbst überwiegend an den Bergen gleicher Bücher auf den Tischen hängen geblieben. Ich habe mich von Klappentext, Cover und ähnlichem zum Kauf verleiten lassen und mich auf ein Angebot von 10 oder 20 Büchern beschränken lassen, statt mir die Zeit zu nehmen, mich zu informieren und mal etwas zu “schürfen”. Die große Mehrheit der Gelegenheitsleser würde beim Kauf eines Buches keinen Unterschied erkennen bezüglich Inhalt des Buches. Und das war meiner Ansicht nach der Kern von magalis Leserschelte.


    Es stellt sich natürlich die Frage, wie lange der Gelegenheitsleser denn überhaupt Lust hat, sich mit dem Wust an Büchern auseinanderzusetzen, um das richtige zu finden.


    ---


    Zitat

    Original von Voltaire
    Ich bin immer wieder verwundert, dass Menschen meinen, sie könnten die Kriterien für "gut" und "schlecht" festlegen und bestimmen. Diese Dinge kann doch eigentlich nur jede/jeder für sich selbst festlegen.
    Und ich bezweifle zudem, das es objektive Kriterien für eine solche Festlegung gibt.


    Mit Verlaub, das ist Unsinn. Natürlich gibt es objektive Kriterien. Ich als Konsument erkenne einen gravierenden Unterschied zwischen BILD und FAZ, zwischen RTL2 und arte, und das gleiche gilt für Bücher. Man muß nicht vom Fach sein, um bestimmte Kategorien festzulegen. Dabei ist es selbstverständlich möglich, bei einzelnen Autoren unterschiedlicher Meinung zu sein. Das kommt sogar unter Literaturkritikern vor – es ist schließlich am Ende, wie von Dir schon klargestellt, in erster Linie eine Meinung.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Zitat

    Original von LeSeebär



    Mit Verlaub, das ist Unsinn. Natürlich gibt es objektive Kriterien. Ich als Konsument erkenne einen gravierenden Unterschied zwischen BILD und FAZ, zwischen RTL2 und arte, und das gleiche gilt für Bücher. Man muß nicht vom Fach sein, um bestimmte Kategorien festzulegen. Dabei ist es selbstverständlich möglich, bei einzelnen Autoren unterschiedlicher Meinung zu sein. Das kommt sogar unter Literaturkritikern vor – es ist schließlich am Ende, wie von Dir schon klargestellt, in erster Linie eine Meinung.


    Mit Verlaub, das ist nun aber hanebüchender Unsinn. Natürlich gibt es gravierende Unterschiede zwischen FAZ und BILD und zwischen Arte und RTL II. Aber will denn ernsthaft sagen, das eine sei schlecht und das andere sei gut?
    Da kommt es doch erst einmal auf die persönlichen Prioritäten an.


    Es gibt Menschen die finden die BILD besser als die FAZ. Wer will sich da nun anmaßen zu sagen, das wäre falsch. Weil eben jede/jeder für sich die Kriterien festlegt nach denen er beurteilt.


    Im Recht gibt es den "objektiven Dritten" - in Geschmacksfragen gibt es ihn nicht.


    Und insofern kann es auch in Geschmacksfragen keine objektiven Kriterien geben.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.