Späte Freundschaft in Briefen - Carl Zuckmayer, Karl Barth

  • Wohin gehören Briefwechsel? Da ich keine passendere Rubrik gefunden habe, sortiere ich es hier ein.



    Das Buch:
    Kartoniert, insgesamt 96 Seiten, augenfreundlicher Druck.
    Nach einem Vorwort von Hinrich Stoevesandt der Briefwechsel, darin einige Abbildungen, ein Gedicht („Den Vätern ins Stammbuch“) Zuckmayers sowie von Barth die „Lebensregeln für ältere Menschen im Verhältnis zu jüngeren“. Abgeschlossen wird der Band von einem Brief Zuckmayers an Eberhard Busch (Schüler, Sekretär und Mitarbeiter, Freund und Biograf Barths) und seinem „Bericht von einer späten Freundschaft“, der im Januar 1970 in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlicht wurde, sowie Anmerkungen von Hinrich Stoevesandt.


    Meine Meinung:
    Muss man sie vorstellen, die beiden Briefpartner? Carl Zuckmayer, geboren 1896, gestorben 1977, etwa, den Schöpfer des „Schinderhannes“, „Des Teufels General“, des „Fröhlichen Weinbergs“ und Autors von „Als wär’s ein Stück von mir“? Karl Barth (geboren 1886, gestorben 1968) heute vielleicht schon eher: Ein großer und streitbarer Theologe, der daran erinnern musste, wer Gott sei und wer der Mensch, der nicht Ruhe gab in seinem Fragen an und nach Gott, der Kirche und dem Menschen, der sich engagierte im Widerstand, sei es in der Zeit des Nationalsozialismus, sei es später unter anderem in der Friedensbewegung.
    Der Name Stoevesandt ist Interessierten der Thematik „Bekennende Kirche“, „Kirchenkampf“, dem Briefwechsel Karl Barths und vielleicht auch der protestantischen Theologie ein Begriff; Karl Stoevesandt war Barth freundschaftlich verbunden, es ist sein Sohn Hinrich, Theologe und langjähriger Leiter des Karl-Barth-Archivs, der für Vorwort und Anmerkungen sorgte.


    Er war ein Briefeschreiber vor dem Herrn, der Karl Barth, der, so scheint - und wohl nicht nur – mir, süchtig war nach Dialog, nach einem Gesprächspartner, der das Gegenüber brauchte wie die Luft zum Atmen. Am 16.05.1967 begann er ein neues Gespräch, schrieb er also einen Brief, seinen Dank für Buch und Lektüre dem Autor von „Als wär’s ein Stück von mir“ aussprechend. Er hält es für nötig – oder kokettiert er? -, Zuckmayer darüber aufzuklären, wer er denn sei, seinen Namen, so gesteht er ihm zu, habe er „vielleicht nur gelegentlich gehört“ (Seite 11), dann eben vergessen. So gibt er sich selbst die Möglichkeit, in schöner, aber nicht zu ausufernder Ausführlichkeit, die immerhin neugierig machen könnte, sich darzustellen. Und zum Beweis, er sei auch Autor, legt er zwei Bücher bei, unter anderem das über Mozart. Und damit beginnt ein munterer Austausch von Briefen, der nur ein Jahr dauern kann; der letzte Brief von Zuckmayer vom 06.10.1968 erreichte Barth kurz vor seinem Tod am 10.12.1968.


    Zweimal haben sie sich getroffen, ansonsten lebte diese besondere Freundschaft in den Briefen. Was mir ganz erstaunlich ist: Wie schnell diese beiden Briefpartner vom puren Höflichen zu einem wirklichen Gespräch kamen, wie schnell sie Problematiken erörterten, die einerseits der Zeit verhaftet waren, andererseits um Glauben, Theologie und Liturgie und Werk sich drehten. Sie waren intellektuell wahrscheinlich ebenbürtig, zumindest nicht weit auseinander, sie waren aneinander und an dem, was der Andere zu sagen hatte, interessiert. Es berührt, Barth dabei zuzuhören, wie er Zuckmayers Glauben zu „berichtigen“, vielleicht auch zu lenken bzw. zu verdeutlichen sucht, wie beide über ihr Wohl- oder Krankheitsbefinden parlieren, über Alter bzw. Älterwerden und Jugend, über Schriftsteller wie Raabe und Sartre oder Reisen sich austauschen. Es ist ein Briefwechsel, der erkennbar von Männern verfasst wurde, die im Herbst ihres Lebens stehen, sich ihres Wertes bewusst sind und das Hören auf den Anderen nicht verlernt haben. Gleichwohl hatte es für mich fast durchgehend den Anschein, dass Barth „die Richtung“ vorgebe, „tiefer“ gehe und dadurch auch durchdachte und nicht einfach hingeschriebene Antworten einforderte.


    Die Briefe leuchten, trotz des mir so nüchtern erscheinenden Tons, in dem sie verfasst sind, auf eigene Weise. Die Empathie ist deutlich spürbar, auch wenn Barth Zuckmayer das eine oder andere Mal zu berichtigen weiß. Sie sind, ich wiederhole mich, berührend, auch wenn dieses Berühren dem Leser vielleicht – wie das bei mir der Fall war – nicht immer angenehm ist.


    Die Briefe sind Gespräch, privates Gespräch. Andererseits wurden sie aufbewahrt, dokumentiert, archiviert. Die Briefe Barths an Zuckmayer wurden schon früher veröffentlicht (Gesamtausgabe, Abteilung V, „Briefe 1961 – 1968“). Die Veröffentlichung des vollständigen Briefwechsels erfolgte 1977 nach Zuckmayers Tod. Dieses Einerseits und Andererseits hat mich in manchen Teilen von Barths Briefen – hier wie in anderen Briefbänden – oft darüber nachdenken lassen, wie viel ausschließlich für den Briefpartner und wie viel schon im Hinblick auf eine spätere Veröffentlichung formuliert wurde. Ganz besonders wurde mir die Frage präsent, als es um die Thematik des Widerstandes gegen Hitler, gegen den Nationalsozialismus ging. Zuckmayer berichtete in einem Brief von 10.04.1968 über den Plan einer entsprechenden Arbeit, er fragte nach Bonhoeffer, nach Delp (Seite 42). Die Antworten Barths (Briefe vom 07.05.1968, besonders Seite 53, und vom 29.06.1968, besonders Seite 66 f.) haben mich gelinde gesagt unangenehm berührt. Hätte er – Barth – sich nur und nicht unbedingt positiv über Bonhoeffer geäußert, dessen kritische Auseinandersetzung (an der Thematik Interessierten genügt wahrscheinlich das Stichwort „Offenbarungspositivismus“) Barth vielleicht nicht gleichgültig gewesen ist, obwohl sie sich doch auch in ihrem Denken befruchteten, hätte mich der Gleichmut nicht verlassen. Barth-Leser und -Hörer werden sich an das eine oder andere Wort erinnern, das Bonhoeffer galt und nicht nur von purer Freude über den Kollegen, sein Denken und sein Wirken, erst recht seine Wirkung zeugte.
    Es war nicht der „erste Schmerz“, den Barth mir versetzte, „der aber traf“ (Adelbert von Chamisso) ganz besonders, nämlich seine Ansicht über das Erinnern an den Widerstand, der immerhin beinhaltete, Zuckmayer zum Überdenken seines Planes zu bringen. „Bis auf bessere Belehrung selbstverständlich“ – das wenigstens gesteht er zu. Seine Begründung dazu ist, so scheint mir, nur scheinbar der tagespolitischen Aktualität geschuldet (die Stichworte unter anderem „Vietnam, Biafra“ und „Bonn“ sollten seine Argumentation stützen), seine Ablehnung scheint mir doch tiefer zu gehen und das hat eben doch auch wieder mit dem Namen Bonhoeffer zu tun. Dessen Engagement, das ihn unter anderem wiederholt in die Schweiz und auch zu Barth führte, verstand dieser vielleicht nicht oder nicht als das, was es war, nämlich auch praktizierte Mitmenschlichkeit. Das Ringen des (ausdrücklich auch von Barth gegenüber Zuckmayer angesprochenen) Kreisauer Kreises um Wesen und Möglichkeit des Widerstands gegen zutiefst als falsch Erkanntes bis hin zur Frage des Tyrannenmords, die Frage und der Plan nach einem „Nachher“, nach tragfähigen (und muss man nicht hinzufügen: menschenfreundlichen?) Strukturen, sind das wirklich Themen, die einem Theologen gerade 1968 gleichgültig sein konnten?


    Das Buch habe ich - trotz des vorstehend Gesagten – wiederholt und mit Gewinn gelesen. Karl Barth widmete sich in seinen Briefen ganz dem Gegenüber. Und doch erscheint es mir oft, als wenn nicht nur hin und wieder ein Moment aus seinem Leben, Denken und Wirken in ihnen anklingt, was für Leser, die Barth nicht kennen, kaum erkennbar sein wird, das wird, so glaube ich, auch für Zuckmayer gelten. Dass er sich trotzdem beschenkt fühlte, wird deutlich.
    Haben sich da also Zwei gesucht und gefunden? Diese späte Freundschaft im Leben Barths scheint verblüfft zu haben, nicht zuletzt Barth selbst. Mir kam es ganz besonders für Barth wie ein unverhofftes Geschenk vor, dass sich diese neue Gesprächsfreundschaft auftat. Denn: 1967, da machte sich Barth schon Sonntag für Sonntag auf und das seit einem Jahr, um Charlotte von Kirschbaum zu besuchen, die aufgrund einer Krankheit (ob man sie nun Gehirnzersetzung, Alzheimer oder Demenz zu nennen hat, scheint strittig zu sein, wird aber letztlich zu nichts führen, die Auswirkungen waren verheerend) in einem Heim untergebracht war, jene Frau, die sehr lange Jahre mehr als seine Assistentin, vielmehr seine Vertraute, Dialogpartnerin und Hausgenossin war. Barth scheint mir jemand gewesen zu sein, der nicht nur den Dialog brauchte, sondern in ganz erheblichem Maße zur Freundschaft befähigt war. Nun wäre zwar Zuckmayer, so glaube ich, niemals in der Lage gewesen, das Gespräch mit von Kirschbaum zu ersetzen, aber es tat sich eine neue Möglichkeit auf, die sich für Barth immens darstellende Lücke vielleicht nicht ganz so groß erscheinen zu lassen. Das mindert nicht im Mindesten den Wert der Briefe, ist mir nur ein weiteres kleines Detail zum Verstehen des Menschen Karl Barth.


    Und Zuckmayer? Er präsentiert sich in den Briefen genau so, wie ich es aus der Lektüre einiger seiner Bücher erwartet habe. Ein wenig besser meine ich ihn schon kennengelernt zu haben. Er bleibt für mich eine unverzichtbare Stimme der deutschsprachigen Literatur.
    Karl Barth wird, auch wenn der Riss im Lack sich ein klein wenig vertieft hatte, doch einer meiner „unverlierbaren Toten“ (Hilde Domin) bleiben.



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