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'Die Stadt der Blinden' - Seiten 001 - 074
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Also, das ist ja echt anstrengend. Saramago schreibt ohne Punkt und dafür mit viel Komma. Die Dialoge reihen sich ohne Anführungszeichen oder sonstige Trennung aneinander. Da muss ich manchmal zweimal schauen, wer was sagt. Aber auch der restlichen Text ist nicht nur eine Aneinanderreihung von Sätzen, sondern noch dazu verschachtelt.
Ich habe das von der englischen Übersetzung nicht so in Erinnerung. -
Ein paar Punkte habe ich schon gefunden, aber wirklich nicht viele.
Davon abgesehen finde ich Saramagos Stil gerade im ersten Abschnitt sehr effektiv und mit großen Bildreichtum gestaltet. -
Das ist mir bisher noch gar nicht so aufgefallen. Ich werde ab jetzt mehr darauf achten. (Bin mit dem ersten Abschnitt noch nicht fertig.)
Andererseits ist mir aufgefallen, dass ich kaum eine optische Vorstellung der Personen habe. -
Ich habe mit der Stadt der Blinden noch nicht angefangen, aber im Evangelium nach Jesus Christus ist es auch so, seitenlange Sätze, aber die wörtliche Rede erkennt man dort daran, dass bei einem Sprecherwechsel groß weitergeschrieben wird.
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Zitat
Original von made
Andererseits ist mir aufgefallen, dass ich kaum eine optische Vorstellung der Personen habe.
Die Figuren haben keine Namen, wie sie aussehen wird auch nicht beschrieben.
Dadurch werden sie so eine Art Jederman.Vermutlich bezweckte Saramago damit, eine leichte Identifikation des Lesers mit der Situation zu erreichen.
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Ich muss dir recht geben, der Schreibstil ist wirklich sehr ungewöhnlich. Die Dialoge sind nicht durch Anführungszeichen gekennzeichnet, das Satzende oft nicht einmal durch einen Punkt. Anfangs fand ich es auch etwas verwirrend, da ich manchmal nicht folgen konnte, wer gerade spricht. Das ist ein Stil, auf den man sich einlassen muß.
Des weiteren ist mir aufgefallen, daß alle Personen namenlos bleiben. Ich frage mich, welche Absichten der Autor damit verfolgt? Will er damit unterstreichen, daß es sich um eine Fiktion handelt? Sollen wir eine gewisse Distanz zu den Menschen in diesem Roman behalten?
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Zitat
Original von Herr Palomar
Die Figuren haben keine Namen, wie sie aussehen wird auch nicht beschrieben.
Dadurch werden sie so eine Art Jederman.Vermutlich bezweckte Saramago damit, eine leichte Identifikation des Lesers mit der Situation zu erreichen.
Du meinst, indem ich eine gewisse Distanz zu den Figuren behalte? -
Ja, man fragt sich, ob man auch zu den Erblindeten gehören würde und aus welchem Grund.
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auf S. 14/15 steht:
"... es war aber auch so, als würde sich alles in einer seltsamen Dimension ohne Richtung auflösen, ohne Anhaltspunkte, ohne Norden und Süden, ohne Unten oder Oben."Bei diesem Satz kam mir spontan der Gedanke, dass das genau auf den Schreibstil passt, ohne (Anhalts-)Punkte, ohne Anfang und Ende.
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Zitat
Original von made
Das ist mir bisher noch gar nicht so aufgefallen.
made, kann sein, dass da aus mir auch nur der Fan spricht!
Stellen wir den Roman also tatsächlich noch mal auf den Prüfstand! -
Zitat
Original von made
auf S. 14/15 steht:
"... es war aber auch so, als würde sich alles in einer seltsamen Dimension ohne Richtung auflösen, ohne Anhaltspunkte, ohne Norden und Süden, ohne Unten oder Oben."Bei diesem Satz kam mir spontan der Gedanke, dass das genau auf den Schreibstil passt, ohne (Anhalts-)Punkte, ohne Anfang und Ende.
Und jetzt spinne ich mal den Gedanken noch etwas weiter:
Beabsichtigt der Autor eine Art Vernebelungstaktik, ganz dem Titel angemessen? Der Leser fühlt sich genauso in einem "milchigen Meer" wie die Blinden. Deshalb auch keine Namen?
Oder ist das viel zu weit hergeholt? -
Ein Abschnitt zur Moral und Gewissen des Autodiebes (S. 28)
Hätte der Autodieb den Diebstahl nicht begangen, wenn sein Opfer ihm vorher sein Vertrauen ausgesprochen hätte, indem er das Angebot des Diebes angenommen hätte, dass er ihm Gesellschaft leisten könnte?
Ich glaube, er wäre spätestens, wenn er wieder auf der Straße gestanden hätte, schwach geworden.Warum ist der Autodieb so nervös? Aus Angst und schlechtem Gewissen? Ich dachte, der wäre Profi! Aber vermutlich hatte er noch nie so einen Fall gehabt, dass er seinen Beklauten auch noch nach Hause fährt.
Das Thema Moral wird wohl in diesem Buch noch eine größere Rolle spielen. Menschen in Ausnahmesituationen werden sicher vor neuen Entscheidungen stehen, was gut und böse ist.
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Die Frau des Augenarztes finde ich sehr bemerkenswert. Sie entscheidet sich sehr schnell dafür, ihren Mann zu begleiten, obwohl sie einkalkulieren muss, dass ihr innerhalb kürzester Zeit das gleiche Schicksal widerfahren würde wie ihrem Mann. Dann wäre sie ihm auch keine Hilfe mehr. Im Gegenteil hätte sie davon ausgehen müssen, dass sie mehr für ihn tun könne, wenn sie zu Hause und sehend bleibe. Im Endeffekt war ihre Entscheidung richtig, aber das konnte sie zu diesem Zeitpunkt nicht wissen.
Ich weiß nicht, ob ich mich genauso entschieden hätte.Bei der Einlieferung in die Isolationsanstalt reagiert die Frau des Augenarztes sehr weitsichtig, indem sie ihre Nichtblindheit geheim hält. Hat sie schon eine konkrete Vorstellung davon, was ihr blühen würde, wenn die anderen wüssten, dass sie sehen kann? Man könnte fast den Eindruck bekommen, sie kann ein bisschen die Zukunft voraussehen.
Sie beweist Geistesgegenwart, als sie die Neuankömmlinge fragt, wieviele sie sind.
Ich finde das höchst erstaunlich in solch einer Ausnahmesituation, sich so in einen Blinden hineinzuversetzen. -
Was ist das für eine Anspielung auf Homer? (S. 42/43)
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Zitat
Original von made
Warum ist der Autodieb so nervös? Aus Angst und schlechtem Gewissen? Ich dachte, der wäre Profi! Aber vermutlich hatte er noch nie so einen Fall gehabt, dass er seinen Beklauten auch noch nach Hause fährt.
Ich denke, das ihn schon das schlechte Gewissen quält, weil er die Notlage eines Menschen so schamlos ausgenutzt und einem Blinden das Auto gestohlen hat. Auch wenn er sich das nicht eingestehen mag.Interessant fand ich in diesem Zusammenhang zwei Äußerungen, einmal des Diebes zu dem Blinden: "...heute Sie, morgen ich ..." und später die Frau des Blinden zu ihrem Mann:"... ich schwöre dir, daß ich ein Jahr dafür geben würde, damit dieser Halunke auch erblindet." Worte, die so leicht dahingesagt wurden, ohne jegliche Vorahnung, daß sie sich sehr schnell bewahrheiten werden.
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Zitat
Original von made
Die Frau des Augenarztes finde ich sehr bemerkenswert. Sie entscheidet sich sehr schnell dafür, ihren Mann zu begleiten, obwohl sie einkalkulieren muss, dass ihr innerhalb kürzester Zeit das gleiche Schicksal widerfahren würde wie ihrem Mann. Dann wäre sie ihm auch keine Hilfe mehr. Im Gegenteil hätte sie davon ausgehen müssen, dass sie mehr für ihn tun könne, wenn sie zu Hause und sehend bleibe. Im Endeffekt war ihre Entscheidung richtig, aber das konnte sie zu diesem Zeitpunkt nicht wissen.
Ich weiß nicht, ob ich mich genauso entschieden.
Ich kann mir vorstellen, daß das einfach eine spontane Reaktion der Frau war, sie wollte einfach nur bei ihrem Mann sein, ohne an die Konsequenzen zu denken und und dafür bewundere ich sie sehr! Ich kann mir nicht annährend vorstellen, wie ich an ihrer Stelle reagiert hätte ... -
Die Mutter des Jungen wird als nicht so schlau bezeichnet, weil sie sich nicht blind gestellt hat. Es steht nicht zur Debatte, ob sie überhaupt eine Wahl hatte, ihren Sohn zu begleiten oder nicht. Vielleicht hatte sie ja noch mehr Kinder. Für Saramago gibt es keinen Zweifel: Die Frau des Augenarztes hat richtig gehandelt, die Mutter des Jungen nicht.
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Die Situation am Ende dieses Abschnitts, als die Blinden in der Anstalt herumirren, hat schon was Makaberes. Mich erinnerte das an ein Gemälde von Brueghel mit einer Kette von Blinden, die alle einem Abgrund zustreben.
Und die junge Frau behandelt ihre Bindehautentzündung. Da fragt man sich schon, wozu denn noch. Aber das drückt doch auch Hoffnung aus, schon so etwas wie Normalisierung zum Alltag.
Schön ist auch, wie sie sich um den Jungen kümmert. Sie hatte bestimmt mit Vorurteilen wegen ihres Lebenswandels zu kämpfen. Das klang ja früher schon mal an. -
Zitat
Original von Herr Palomar
Die Figuren haben keine Namen, wie sie aussehen wird auch nicht beschrieben.
Dadurch werden sie so eine Art Jederman.Vermutlich bezweckte Saramago damit, eine leichte Identifikation des Lesers mit der Situation zu erreichen.
Genau so habe ich es auch empfunden. Die Figuren kommen mir so viel schnelle näher, so dass ich ihre Panik und ihre Beklemmung intensiver empfinde.
Mir gefällt Saramagos Stil übrigens wirklich gut, gerade auch die langen Sätze. Ich liebe so etwas ja, besonders, wenn es gut gemacht ist.