'Die Stadt der Blinden' - Seiten 001 - 074

  • Ich bin schon seit gestern fertig mit dem Abschnitt und überlege seitdem, was ich noch zur Leserunde beisteuern kann.


    Mir gefällt der Schreibstil sehr gut. Ich konnte mich gleich zurecht finden- wieder ein neuer Autor, den ich mit euch kennenlernen darf, eine besondere Art des Schreibens und ein ganz eindringliches Thema. Der Erzähler nimmt eine distanzierte Haltung, eine beobachtende Rolle ein, streut jedoch hin- und wieder wertende Sätze ein. Auch das sagt mir sehr zu.


    Zitat

    Original von made


    Und jetzt spinne ich mal den Gedanken noch etwas weiter:
    Beabsichtigt der Autor eine Art Vernebelungstaktik, ganz dem Titel angemessen? Der Leser fühlt sich genauso in einem "milchigen Meer" wie die Blinden. Deshalb auch keine Namen?
    Oder ist das viel zu weit hergeholt?


    :write
    Die Figuren sind eine Art Platzhalter und werden mit nur wenigen Attributen ausgestattet, gerade nur so viel, dass ich sie beim Lesen auseinanderhalten kann. Z.B. "Der, der als erstes erblindete", "die Frau mit der Brille", " der Dieb."


    Mir kam beim Lesen noch der Gedanke, ob das Erblinden als eine Art Gleichnis zu verstehen ist, ähnlich wie im Neuen Testament. Man kann z.B. die Blindheit des Bartimäus auch als eine geistige Blindheit deuten, die in dem Moment aufgelöst wird, als er sich zu Jesus bekennt. Hier ist es nur umgekehrt. Die Erblindeten könnten quasi vor etwas ihre Augen verschließen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Lipperin
    ...
    Was mir noch in den Sinn kam: Die Krankheit ist ohne Zweifel eine Katastrophe, aber das, was die Benachrichtigung der Behörden auslöste, auch. Es setzt sich eine Maschinerie in Gang, die ebenso beängstigend klingt. Schutz der Allgemeinheit – und wer schützt die Kranken? Sie sind sich selbst überlassen, sind ausgesondert, abgeschottet, bewacht. Man darf gespannt sein, ob irgendwann auch die Kosten, die auflaufen, zur Sprache kommen. Die Beschreibung der Irrenanstalt (wieso ein solches Wort – oder ist es genau das treffende, weil die Abschottung dazu führen wird, dass die Kranken zu wahren Bewohnern einer solchen werden, die Anstalt also letztlich ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt wird?) und des Regelwerks bedrückt und erschreckt. Sie haben Parallelen, keine freundlichen, ich nannte sie schon in einem anderen Absatz. Die Kranken haben keinerlei Rückzugsmöglichkeiten, sie bleiben sich überlassen, müssen sich organisieren. Es werden sich neue Strukturen bilden (müssen), neue „gesellschaftlichen Beziehungen“, die in ihrer Komplexität denen in der Welt „da draußen“ in nichts nachstehen werden. Mit dem Unterschied wahrscheinlich, dass sie sich wesentlich schneller ändern können und werden. ...


    Es ist entwürdigend, wie die Blinden eingepfercht werden. Man hätte wenigstens eine angenehme Umgebung schaffen können. So werden die Erkrankten gleich Aussätzigen in ein Drecksloch gesetzt und spricht noch nicht einmal mit ihnen. Nur per Lautsprecher werden Befehle erteilt. Das muss doch in Mord und Totschlag enden.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Um eine angenehme Umgebung zu schaffen, hat die Zeit gefehlt. Genauso wenig hätte man irgendwelche Leute dazu bringen können, persönlich mit den Blinden zu sprechen. Die Krankheit scheint sich ja durch die Luft zu verbreiten. Deshalb der Lautsprecher.
    Dennoch hast recht, die Behandlung ist menschenunwürdig. Auch per Lautsprecher hätte man freundlich mit ihnen sprechen können und zwar im Dialog, nicht nur Befehle austeilen. Vielleicht hätte man ihnen auch einen Psychlogen zur Seite stellen können.

  • Zitat

    Original von made
    Um eine angenehme Umgebung zu schaffen, hat die Zeit gefehlt. Genauso wenig hätte man irgendwelche Leute dazu bringen können, persönlich mit den Blinden zu sprechen. Die Krankheit scheint sich ja durch die Luft zu verbreiten. Deshalb der Lautsprecher.
    Dennoch hast recht, die Behandlung ist menschenunwürdig. Auch per Lautsprecher hätte man freundlich mit ihnen sprechen können und zwar im Dialog, nicht nur Befehle austeilen. Vielleicht hätte man ihnen auch einen Psychlogen zur Seite stellen können.


    Das sind ja alles nur Vermutungen. Die Panik vor einer Epedemie kann ich auf der einen Seite verstehen, nicht aber, warum man keine Putzkolonne durch das Gebäue jagt. Vor allem wundert mich, wie weinig weitsichtig die Behörde handelt. Es ist doch klar, dass Menschen, die Angst haben und die aus dem vollen Leben auf einmal eingesperrt sind mit anderen, die sie im Alltag am liebsten meiden würden, irgendwann aggressiv werden. Zumal sie diese miserablen Zustände vorfinden. Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Regenfisch


    Das sind ja alles nur Vermutungen. Die Panik vor einer Epedemie kann ich auf der einen Seite verstehen, nicht aber, warum man keine Putzkolonne durch das Gebäue jagt. Vor allem wundert mich, wie weinig weitsichtig die Behörde handelt. Es ist doch klar, dass Menschen, die Angst haben und die aus dem vollen Leben auf einmal eingesperrt sind mit anderen, die sie im Alltag am liebsten meiden würden, irgendwann aggressiv werden. Zumal sie diese miserablen Zustände vorfinden. Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht.


    Ich denke nach wie vor, dass man die dort eingepferchten Blinden zum guten Teil vergessen hat im Sinne von "erst einmal untergebracht, und dann sehen wir weiter!. Das "dann sehen wir weiter" hat sich wahrscheinlich als das größte Problem erwiesen. Zum Zeitpunkt der Unterbringung schienen die Behörden noch zu glauben, dass man die Epidemie so eindämmen könnte, den Schaden klein halten könnte. Man rechnete vielleicht nicht damit, dass eben auch diese Behörden erheblich dezimiert werden würden und sich schlicht und ergreifend niemand mehr um die Isolierten kümmern könnte. Das meine ich mit vergessen. Wenn ich an meinem Schreibtisch urplötzlich erblinde, dann denke ich eben an keine Putzkolonne.

  • Zitat

    Original von Regenfisch


    Mir kam beim Lesen noch der Gedanke, ob das Erblinden als eine Art Gleichnis zu verstehen ist, ähnlich wie im Neuen Testament. Man kann z.B. die Blindheit des Bartimäus auch als eine geistige Blindheit deuten, die in dem Moment aufgelöst wird, als er sich zu Jesus bekennt. Hier ist es nur umgekehrt. Die Erblindeten könnten quasi vor etwas ihre Augen verschließen.


    Meine Gedanken! Danke, dass Du sie ausgesprochen hast. :knuddel1

  • Zitat

    Original von Clare


    Ich denke nach wie vor, dass man die dort eingepferchten Blinden zum guten Teil vergessen hat im Sinne von "erst einmal untergebracht, und dann sehen wir weiter!. Das "dann sehen wir weiter" hat sich wahrscheinlich als das größte Problem erwiesen. Zum Zeitpunkt der Unterbringung schienen die Behörden noch zu glauben, dass man die Epidemie so eindämmen könnte, den Schaden klein halten könnte. Man rechnete vielleicht nicht damit, dass eben auch diese Behörden erheblich dezimiert werden würden und sich schlicht und ergreifend niemand mehr um die Isolierten kümmern könnte. Das meine ich mit vergessen. Wenn ich an meinem Schreibtisch urplötzlich erblinde, dann denke ich eben an keine Putzkolonne.


    :write :write :write

  • Zitat

    Original von Regenfisch


    Mir kam beim Lesen noch der Gedanke, ob das Erblinden als eine Art Gleichnis zu verstehen ist, ähnlich wie im Neuen Testament. Man kann z.B. die Blindheit des Bartimäus auch als eine geistige Blindheit deuten, die in dem Moment aufgelöst wird, als er sich zu Jesus bekennt. Hier ist es nur umgekehrt. Die Erblindeten könnten quasi vor etwas ihre Augen verschließen.


    Da grüble ich ja schon lange, was es sein könnte, was die Blinden nicht sehen können/wollen und warum die anderen so in Panik geraten, dass sie die Blinden ausgrenzen.
    Schwarzseher (welch treffende Bezeichnung)
    Oder genau das Gegenteil? Leute, die den Kopf in den Sand stecken? :gruebel