Bei mir gibt es die "Zwei alten Frauen" auch. Und danke, Lipperin, für den Hinweis auf "Ich hörte die Eule...". Das möchte ich gerne mal lesen.
'Die Stadt der Blinden' - Seiten 075 - 142
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Zitat
Original von Herr Palomar
Ich persönlich glaube ja nicht, dass sich ein Blinder bei den anderen ansteckt.
Ich vermute, es ist ein gesellschaftlich bedingtes Phänomen, dass die Betroffenen schicksalhaft befällt. Und das hat die Regierung inklusive Regierung wohl kaum erkannt, da so eine Situation außerhalb der Norm liegt.Ich glaube auch nicht an eine Ansteckung im eigentlichen Sinne, nicht an eine Übertragung von Mensch zu Mensch, sondern sehe die Infektion eher auf mentaler Ebene. Ein gesellschaftlich bedingtes Phänomen, wie du schon sagst.
Deshalb konnten auch Katastrophenpläne nicht greifen, denn wie soll man eine Erkrankungswelle einzudämmen versuchen, die sich nicht durch die Weitergabe von Erregern fortpflanzt...
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Wie kommt es aber dann, daß es mit dem Mann im Auto anfängt, der nächste der Autodieb ist und dann jeder, der mit dem ersten Blinden, dann mit dem Autodieb ( und immer so weiter ) in Berührung kommt? Wenn es nur ein gesellschaftlich bedingtes Phänomen wäre, würden dann nicht auch nur bestimmte Gesellschaftsschichten erblinden?
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Christine, wir wissen ja nicht, ob es da wirklich angefangen hat. Da hat unsere Geschichte angefangen.
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Gut, wir wissen nicht, ob unser erster Blinder auch wirklich der allererste Blinde war. Aber ab seiner Erblindung kamen mir die nächsten Erkrankungen ( wenn man es denn so nennen mag ) schon wie eine Kettenreaktion vor.
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Zitat
Original von Rumpelstilzchen
Solange das Militär in der Lage ist, die Leute einzusammeln und in diese Anstalt zu bringen, kann es so schlimm nicht sein mit der Desorganisation.
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Genau das habe ich im letzten Abschnitt schon kritisiert. Es dürfte nur sehr wenig Zeit kosten, einen menschenwürdigen Zustand der Anstalt herzustellen. Zumal man eine Ansteckung durch Schutzanzüge etc. vermeiden könnte. Außerdemist die direkte Ansteckung nur eine Vermutung. Ich empfinde den Umgang mit den Erblindeten als menschenverachtend.ZitatOriginal von -Christine-
Das erinnert mich an "Der Herr der Fliegen" ... für mich kaum vorstellbar, aber wer weiß, wie wir in Extremsituationen reagieren. Ich empfinde die Situation teilweise überzogen, aber das mag auch daran liegen, daß ich mir partout nicht vorstellen kann, jemals in solch eine Lage zu geraten. Das übersteigt definitiv mein Vorstellungsvermögen.
An dieses Buch habe ich auch schon gedacht. Nur dass es diesmal Erwachsene sind. Hier empfinde ich die "Verrohung" noch viel schneller. -
Zitat
Original von Lipperin
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Mir gehen etwas während des Lesens nicht aus dem Kopf:
Ein Buch, es heißt „Zwei alte Frauen“ und ist von Velma Wallis. Eine andere Form von Ausgrenzung, weil die beiden Frauen von ihrem Stamm, ihrer Gesellschaft nicht mehr von Nutzen sind, weil sie zur Last fallen, weil nicht genug für alle da ist. Vergleichbar bedingt mit hier, mit einem wesentlichen Unterschied aber: Die Frauen bleiben gewissermaßen in ihrer vertrauten Umgebung, die Natur kennen sie und wissen sich in ihr zu bewegen und mit ihr zu leben. Anders bei Saramago, in der zivilen Gesellschaft, die Menschen werden aus ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen, in eine Umgebung „verpflanzt“, die jeglichen Komfort, jegliche Vertrautheit vermissen lassen, nichts ist so, wie sie es kennen und erwarten, sie müssen sich orientieren in einer Welt, die auf einmal hell und grell für sie ist und die in Kombination mit der „Massenhaltung“ (tut mir leid, ein anderer Begriff fällt mir da nicht mehr ein) ein Gefühl der Ohnmacht, aber auch des Ausgeliefertseins und der Überwachung vermittelt, wohl auch vermitteln soll. Alles unter Kontrolle, sozusagen, um zu kaschieren, dass nichts unter Kontrolle ist.
Du glaubst gar nicht, welche Freude du mir gerade mit deinem Post bereitet hast.
Dieses Buch habe als nächstes Buch für meinen Literaturkreis ausgesucht. Jetzt freue ich mich noch mehr darauf und denke, dass es eine gute Wahl war. -
Zitat
Original von Rumpelstilzchen
Bei mir gibt es die "Zwei alten Frauen" auch. Und danke, Lipperin, für den Hinweis auf "Ich hörte die Eule...". Das möchte ich gerne mal lesen.
Ein tolles Buch, ich mag es auch sehr. -
Zitat
Original von Rumpelstilzchen
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Manchmal habe ich den Eindruck, da führt jemand ein Experiment durch. Wozu kann man Menschen treiben, wenn sie Angst haben. Und ich meine nicht die Blinden, sondern die übrige Gesellschaft.
Dazu passt dieses Zitat, das ich mir angestrichen habe:ZitatZum ersten Mal seit ihrer Ankunft kam die Frau des Arztes sich vor, als blicke sie durch ein Mikroskop und beobachte das Verhalten von Wesen (...) und plötzlich erschien ihr dies unwürdig, obszön, (...)
S. 85
Eine weitere Stelle, die ich mir angestrichen habe, beschreibt das schlechte Gewissen des Autodiebes:
Zitat(...) ein Blinder ist etwas Heiliges, einen Blinden bestiehlt man nicht (...)
Diesen Gedanken finde ich interessant. Sind beeinträchtigte Menschen als Opfer für Verbrechen tabu?ZitatOriginal von Herr Palomar
Ich persönlich glaube ja nicht, dass sich ein Blinder bei den anderen ansteckt.
Ich vermute, es ist ein gesellschaftlich bedingtes Phänomen, dass die Betroffenen schicksalhaft befällt. Und das hat die Regierung inklusive Regierung wohl kaum erkannt, da so eine Situation außerhalb der Norm liegt.
Das denke ich auch, gestützt durch ein Zitat auf Seite 109:Zitat(...) aber wer sagt uns, dass diese weiße Blindheit nicht ein Übel des Geistes ist, und wenn dies so ist, nehmen wir an, dass dieser Geist dieser Blinden niemals so losgelöst war wie jetzt, (...) deshalb ist er freier zu tun, was er tun möchte, vor allem etwas Böses (...)
Ich verstehe das als eine soziale Blindheit oder eine empathische Blindheit, die die Menschen befallen hat. -
Etwas erstaunt hat mich dann diese genauere Beschreibung der Blindheit auf S. 114:
ZitatFür sie bedeutete die Blindheit nicht, einfach von Finsternis umgeben zu sein, sondern sie lebten im Inneren einer leuchtenden Herrlichkeit.
Das klingt für mich fast nach einer Art Erlösung. Sonst im Buch empfinde ich die weiße Blindheit als Bedrohung, den Begriff "Herrlichkeit" verbinde ich mit dem Leben nach dem Tod.Später wird genau das Gegenteil beschrieben, nämlich als der Augenarzt zur Toilette muss und sich beschmiert. Auch eine sehr entwürdigende Situation, die mir die Tränen in die Augen getrieben hat.
Zitat(...) und er ertappte sich bei dem absurden Gedanken, dass das Licht und das Weiß dort stanken. Wir werden hier noch vor Entsetzen verrückt, dachte er. (...= Es gibt viele Arten, zum Tier zu werden (...)
S. 117/118
Die junge Frau mit der Brille ist sehr empathisch. Sie kümmert sich um den Jungen, es wird beschrieben, dass sie sich unter anderem ihre Augen tropft, um ihre Tränen zu vertuschen. Berührt hat mich die Szene als die Frau des Artzes weint, weil ihre Uhr stehen geblieben ist und sie sie trösten will. Saramago beschreibt das mit einer Zartheit, die sehr wohltuend in all dem Elend war.
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Regenfisch, was mir erst jetzt durch den Kopf geht ist, die sehende Frau ist ja doppelt ausgegrenzt. Sie ist zusammen mit den Blinden eingesperrt, ist aber durch ihre Fähigkeit zu sehen auch nicht wirklich ein Bestandteil dieser Gruppe.
Ihre Einsamkeit und Verlorenheit wird ja auch wiederholt beschrieben. -
Zitat
Original von Regenfisch
Etwas erstaunt hat mich dann diese genauere Beschreibung der Blindheit auf S. 114:
Das klingt für mich fast nach einer Art Erlösung. Sonst im Buch empfinde ich die weiße Blindheit als Bedrohung, den Begriff "Herrlichkeit" verbinde ich mit dem Leben nach dem Tod.Später wird genau das Gegenteil beschrieben, nämlich als der Augenarzt zur Toilette muss und sich beschmiert. Auch eine sehr entwürdigende Situation, die mir die Tränen in die Augen getrieben hat.
S. 117/118
Gut, dass du das erwähnst. Ich habe die Stelle noch nachgelesen.
"Herrlichkeit" erinnert mich sehr an christliche Motive, warum auch immer.
Man kann ja in vieler Hinsicht blind sein, blind im materiellen Sinn, was zu diesen katastrophalen Zuständen führt, aber auch blind für Äußerlichkeiten, was die wahren Werte sichtbar macht.ZitatOriginal von Regenfisch
Die junge Frau mit der Brille ist sehr empathisch. Sie kümmert sich um den Jungen, es wird beschrieben, dass sie sich unter anderem ihre Augen tropft, um ihre Tränen zu vertuschen. Berührt hat mich die Szene als die Frau des Artzes weint, weil ihre Uhr stehen geblieben ist und sie sie trösten will. Saramago beschreibt das mit einer Zartheit, die sehr wohltuend in all dem Elend war.
Ja, Gott sei Dank gibt es diese Stellen mit dieser wunderschönen Zartheit (das ist genau das richtige Wort dafür). -
Zitat
Original von Rumpelstilzchen
Regenfisch, was mir erst jetzt durch den Kopf geht ist, die sehende Frau ist ja doppelt ausgegrenzt. Sie ist zusammen mit den Blinden eingesperrt, ist aber durch ihre Fähigkeit zu sehen auch nicht wirklich ein Bestandteil dieser Gruppe.
Ihre Einsamkeit und Verlorenheit wird ja auch wiederholt beschrieben.
Ja, stimmt, du hast recht. Ich stelle es mir zudem wirklich schlimm vor, diese katastrophalne Zustände und die Leichen zu sehen. Gut, dass sie sich mit ihrem Mann so gut versteht.