Der Roman „Als wir unsterblich waren“ von Charlotte Roth spielt auf zwei Zeitebenen. Bei der Maueröffnung 1989 drängelt eine von Neugierde und Bierseligkeit geleitete Menschenmenge die Ostberliner Studentin Alexandra mitten in die Arme von Oliver aus dem Westteil der Stadt. Es ist, wie könnte es anders sein, Liebe auf den ersten Blick. Doch die Wende konfrontiert Alexandra gleichzeitig mit der Vergangenheit ihrer Großmutter, die den Traummann der Enkelin irgendwoher zu kennen scheint und einen Herzinfarkt erleidet.
Der weitaus umfangreichere Teil des Romans beginnt kurz vor dem 1. Weltkrieg mit einer ganz ähnlichen Figurenkonstellation, wenn es auch zur gegenseitig bekundeten Liebe noch ein Weilchen hin ist. Die junge Paula und der charismatische Clemens träumen von einer gerechteren Welt und finden in der Frauen- und Arbeitnehmerbewegung und der erstarkenden SPD eine Heimat. Doch der Krieg frisst seine Kinder und die Nackriegs-Ära, jene goldenen Zwanziger, die wohl nur für begüterte Kreise halbwegs auszuhalten gewesen sein müssen, erweist sich als eine Sackgasse, die Liebe zum Randgeschehen verkommen lässt. Verrat, Brutalität und Dummheit scheinen zu obsiegen.
Dass sich ein Roman ausgerechnet diese wahrlich unrühmliche Epoche deutscher Geschichte und der Proteste einer heute längst erschlafften Volkspartei, der SPD, widmet, verdient ein Lob. Soviel Chuzpe muss eine Autorin erst einmal haben. Und tatsächlich gelingt es Charlotte Roth den Leser in die Kaiserzeit zu entführen und mitfühlen zu lassen, beim Hungern, revoltieren, töten, retten und feiern. Die wenigen Passagen, an der Westfront fand ich außergewöhnlich gut geschrieben. Negativ aufgefallen sind mir die etwas schablonenhaft wirkenden Figuren, wie ins Korsett eines Unterhaltungsromans gepresst, der mehr Wahrheit einfach nicht verträgt. Auch konnte ich nicht immer alle Handlungs- und Denkweisen nachvollziehen. Die Kohlköpfige Wendezeit dient als reiner Stichwortgeber und um die Vergangenheitsgeschichte mit einer fulminanten Überraschung aufzulösen. Aber das sind relativ leichte Schwächen, die dramaturgisch nicht ins Gewicht fallen.
Das Buch ist klug durchdacht, inhaltlich sehr unterhaltsam, glänzend recherchiert und informativ, ohne sich in geschichtlichen Details zu verheddern. Weitere Stärken sind der gefühlvoll prägnante Schreibstil und die anhaltende Spannung bis zum Schluss.