'Als wir unsterblich waren' - Seiten 158 - 226

  • Was ich jetzt schon einmal sagen kann ist, dass mir 1989 weniger Lesefreude bereitet, als 1914. Harry ist wirklich eine interessante Figur; mir hat es aber auch Clemens angetan, dessen Eltern wohl ziemlich genau jenem bürgerlichen Brei aus Unfreiheit, Geldgier und Dummheit entstammen, die gerne ganze Völker gegeneinander aufhetzen. Alexandra kommt mir etwas diffus rüber. So ein Theater mit Oliver zu veranstalten, obwohl er sicher nichts für Momis Infarkt kann. Gut, es ist über lange Zeit ihre einzige Bezugsperson gewesen, ist schon klar, aber ein bisschen mehr Hirnschmalz hätte ich ihr schon zugetraut. Und dann, dieser Arzt, der Alexandra rät die Momi entschlafen zu lassen, ich bin da hin-und hergerissen, ob ich das der Figur so ganz glauben kann. Momi kann noch nicht loslassen. Das finde ich interessant, klingt ein bisschen esoterisch, gibt dem Buch aber auch noch eine schöne Note! Bin gespannt, wohin die Geschichte laufen wird!

  • Zitat

    Original von Luc
    dessen Eltern wohl ziemlich genau jenem bürgerlichen Brei aus Unfreiheit, Geldgier und Dummheit entstammen, die gerne ganze Völker gegeneinander aufhetzen.


    Die Formulierung finde ich brillant.
    Schreib ich mir auf!


    Esoterik ist mir extrem fremd (und soll's auch bleiben). Tatsaechlich beobachtet man solche Phaenomene aber haeufig bei Sterbenden, und die lassen sich auch physisch erklaeren (ich bin da Laie, aber mein hoechst pingeliger Arztbruder beraet mich). So kaempfen z.B. Todkranke gegen das Sterben an, bis die Angehoerigen eintreffen. Danach erlahmen die Lebenskraefte, und der Tod setzt ein. Aerzte raten deshalb Nahestehenden haeufig, den Sterbenden loszulassen, ihm zu sagen, dass alles in Ordnung ist, dass sie zurechtkommen etc. Damit dieses Sich-Straeuben gegen das Sterben aufhoert.

  • Zitat

    Original von killerbinchen
    "Und Johnny zog in den Krieg" bzw. "Süß und ehrenvoll"... das Buch habe ich schon seit Ewigkeiten auf der WL, aber olle, zerfledderte Taschenbuchausgaben waren immer noch so unverschämt teuer, dass ich auf die jetzt endlich erschienene Neuausgabe gewartet habe. Selbstverständlich konnte man das nur als teures HC rausbringen - ob es eine neue Taschenbuchausgabe geben wird, bleibt fraglich. Aber auch an dieses Buch musste ich wieder oft denken.


    Ich hatte natürlich auch nachgeguckt, auch die Hilsenrathbücher und viele der hier genannten und/ oder auch zum Thema Armeniene sind unverschämt teuer, sicher sind sie es wert aber es gibt halt auch Leute die rechnen müssen. :-( :-(

  • Wir muessen auch rechnen. Sehr.
    Wir rechnen, seit wir zwei Studenten mit kleinen Kindern waren, vor allem am Monatsende immer so:
    "Was meinst du - essen wir heute Hardcover oder Paperback?"


    Meine Kinder fuehre ich immer an den Regalen an saemtlichen Waenden vorbei und erklaere: Schau's dir gut an. Das ist dein Erbe. Sonst nix.

  • Ja, aber deine Süßen werden Bücher von dir selber dazwischen stehen haben, und das ist doch mehr wert, als alles Geld der Welt.
    (OT: Meine Tochter (5) hat aber auch schon gefragt, ob sie all meine Bücher bekommt, wenn ich mal tot bin :lache)

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Für den dritten Abschnitt habe ich im Gegensatz zu den ersten beiden jetzt doch recht lange gebraucht. Dies kann ich mir nur so erklären, dass trotz der zweifellos tollen Story die meisten Charaktere irgendwie ein wenig blass bleiben. Natürlich möchte ich jetzt gerne wissen, über welches Geheimnis Momi noch wacht ob alle Jungs aus der Clique den Krieg überlegen werden. Richtig gepackt hat mich aber bisher leider keiner der Protagonisten.
    Die Mutter von Clemens kann ich schon überhaupt nicht leiden. Sie scheint eine sehr schwache Persönlichkeit zu sein. Auch Alexandra erscheint mir nicht sehr glaubwürdig. Ich verstehe nicht wie sie sich Hals über Kopf in eine Beziehung stürzen kann, es ist ja angeblich die seit langem gesuchte große Liebe, nur um dann nach der Reaktion ihrer Großmutter kein Wort mehr mit ihm zu wechseln ohne die Hintergründe zu kennen.
    Dies sind aber wirklich nur kleine Kritikpunkte, die mich nicht davon abhalten mich auf den vierten Abschnitt zu freuen.

  • Zitat

    Original von killerbinchen
    Ja, aber deine Süßen werden Bücher von dir selber dazwischen stehen haben,


    Das sag ich denen mal!!!


    Quasselstrippe, das ist natuerlich schade. Ich hoffe, dich kann spaeter noch der eine oder andere fuer sich gewinnen. Wenn nicht, schafft es hoffentlich die naechste Romanbevoelkerung dafuer umso mehr.
    Bitte durch dieses Buch nicht quaelen. Wer es abbrechen will, bricht es ab und basta. Es gibt zu viele unwiderstehliche Buecher, um eins zu lesen, das uns nicht im Nacken packt.
    Finde ich.


    Alles Liebe von Charlie

  • Zitat

    Original von Quasselstrippe
    Auch Alexandra erscheint mir nicht sehr glaubwürdig. Ich verstehe nicht wie sie sich Hals über Kopf in eine Beziehung stürzen kann, es ist ja angeblich die seit langem gesuchte große Liebe, nur um dann nach der Reaktion ihrer Großmutter kein Wort mehr mit ihm zu wechseln ohne die Hintergründe zu kennen.


    Also meiner Empfindung nach hat sie diese "große" Liebe nicht gesucht, es ist einfach passiert. und sowas kommt vor. Wirklich.


    Allerdings kennt sie ihre Momi schon sehr lange aber Oliver noch nicht. dass da eher der Vertrautheit der Vorzug gegeben wird ist verständlich, wobei ich da auch schlucken musste, denn normalerweise wird da das althergebrachte über den Haufen geworfen.


    Ich vermute mal, um für die Handlungen und Reaktionen der Protagonisten etwas Verständnis aufzubringen braucht es doch etwas an Lebenserfahrung

  • Woher kam diese Kriegsbegeisterung? Selbst mit ganz viel Propaganda ist es sehr schwer nachzuvollziehen, wie die Männer damals (und wahrscheinlich wären sie es auch heute noch) so dumm sein konnten.


    Aus Paula Thomas wird irgendwie Frau Liebermann. Aber wenn Paula Sätze sagt wie : "Freunde sind zum Leben da.Wenn sie nur zum Sterben taugen, sollen sie dich küssen, wo du schön bist." (S. 186) Das ist ein Satz der ganz genau auch zu Momi passen würde.


    Es ist noch etwas zu früh um Alex Mutter zu zeugen, mittlerweile habe ich im Verdacht, dass Momi vielleicht nicht die Grossmutter ist, sondern die Urgrossmutter. Alex weiss anscheinend gar nichts über Momis Vergangenheit und auch nicht sehr viel über die eigene.


    @killerbienchen und Charlie: Ich finde die Mutter von Clemens nachvollziehbar und leider nicht überzogen. Psychologische Erpressung, ein Leben lang geübt. Wie soll Clemens da rauskommen, er wurde in diese Situation hineingeboren.

  • Zitat

    Original von xania


    @killerbienchen und Charlie: Ich finde die Mutter von Clemens nachvollziehbar und leider nicht überzogen. Psychologische Erpressung, ein Leben lang geübt. Wie soll Clemens da rauskommen, er wurde in diese Situation hineingeboren.


    Das kann ich sogar soweit auch unterschreiben, aber: mir war es einfach ein Liebling und Funkelstern zu viel.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Es war schön mal wieder in die Welt von Alex einzutauchen. Ich kann nicht sagen warum, aber Alex fesselt mich mehr als Paula.
    Ich hab irgendwie das Gefühl sie ist lebendiger.
    Schlimm mit Momi, ich bin gespannt darauf, was sie nicht loslassen kann und sie so quält.


    Clemens Mutter mag ich gar nicht, sie ist total schwach. Will auf einer Seite ihren Sohn mit ihrer Liebe ersticken und auf der anderen Seite mit ihm prahlen.
    Aber andererseits hat auch sie es nicht leicht mit ihrem Leben.
    Da gibts bestimmt noch was.

  • Zitat

    Original von killerbinchen


    Das kann ich sogar soweit auch unterschreiben, aber: mir war es einfach ein Liebling und Funkelstern zu viel.


    Da ging es mir wie dir, killerbienchen. Das viele "Funkelstern" und auch das "Mein Sternenkind mit deinen schwarzen Augen", das war mir auch zu viel.


    Das ist aber auch das Einzige, das ich an der Mutter von Clemens als überzeichnet bezeichnen würde. Solche Mütter gibt es leider tatsächlich.

  • Ich hoffe das Momi noch mal aufwacht und Alex alles erklären kann.
    Das muss ja ein besonderer Schock gewesen sein,als sie Oliver sieht, das sie da gleich einen Herzinfarkt bekommt.


    Alle jungen Männer ziehen in den Krieg, ich wundere mich auch immer wieder wie jubelnd die in den Krieg ziehen. Vielleicht ist es auch Galgenhumor, weil sie es sonst nicht ertragen können.
    Clemens Mutter ist schon ein Kapitel für sich. Aber sie wurde spät Mutter, da ist die Beziehung oft schwierig für das Kind.

  • Zitat

    Original von Deichgräfin
    Alle jungen Männer ziehen in den Krieg, ich wundere mich auch immer wieder wie jubelnd die in den Krieg ziehen. Vielleicht ist es auch Galgenhumor, weil sie es sonst nicht ertragen können.


    Ich glaube, das ist wie beim Kinderkriegen: Du weißt vorher einfach nicht wirklich, worauf du dich einlässt.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Das waren arme Menschen, die keine Ahnung hatten, was auf sie zu kam, die froh waren, ihr mühsames Leben für einige Zeit zu verlassen um ein Abenteuer zu erleben und denen man eingetrichtert hatte, sie würden zu Helden werden. Ich denke, der Jubel war bei den meisten schon echt.

  • Das, was hier gesagt wird, kann ich alles unterschreiben:
    Viele - besonders junge - Menschen sahen den Krieg als Chance, als Abenteuer, wussten nicht, auf was sie sich einliessen (das wusste niemand - World War I ist ja mit keiner bis dato abrufbaren Erfahrung vergleichbar), wurden massiv durch (bereits lange vorbereitete) Propaganda in einen allgemeinen Jubeltaumel gerissen und erlebten auch moralischen Druck.


    Was Deichgraefin schreibt, stimmt natuerlich, das geht mir auch so: Wir koennen uns das heute eigentlich nicht mehr vorstellen, diesse Fussballstadion-Atmosphaere, weil es ans Toeten und Sterben geht. Wir verfuegen aber auch ueber Zugriff auf andere historische Erfahrungen.


  • Entschuldige bitte, aber woher willst Du wissen, dass das Unverständnis für einige Handlungen der Protagonisten bei mir auf mangelnde Lebenserfahrung zurückzufürhen ist? Du weißt weder wie alt ich bin, noch welche Lebenserfahrungen ich habe. Drück Dich bitte in weiteren Posts weniger persönlich aus.

  • Zitat

    Original von Charlie
    Das, was hier gesagt wird, kann ich alles unterschreiben:
    Viele - besonders junge - Menschen sahen den Krieg als Chance, als Abenteuer, wussten nicht, auf was sie sich einliessen (das wusste niemand - World War I ist ja mit keiner bis dato abrufbaren Erfahrung vergleichbar), wurden massiv durch (bereits lange vorbereitete) Propaganda in einen allgemeinen Jubeltaumel gerissen und erlebten auch moralischen Druck.


    Was Deichgraefin schreibt, stimmt natuerlich, das geht mir auch so: Wir koennen uns das heute eigentlich nicht mehr vorstellen, diesse Fussballstadion-Atmosphaere, weil es ans Toeten und Sterben geht. Wir verfuegen aber auch ueber Zugriff auf andere historische Erfahrungen.


    Mich hat umgekehrt überrascht, dass Paula so genau weiß, dass sie sich vor dem Krieg und den Auswirkungen so sehr fürchten muss. Wo nimmt sie ihre Erfahrungen und irh Wissen her? Den Abenteuergedanken konnte ich mehr nachvollziehen, da ich von meinen Söhnen weiß, wie junge Männer manchmal ticken. Außerdem findet dies auch heute noch in fast allen Kriegen statt - trotz Literatur und Filmen, die anderes erzählen. Auch weil die Jugend ihre Erfahrungen immer selbst machen muss/will/soll/darf.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Zitat

    Original von Quasselstrippe
    Auch Alexandra erscheint mir nicht sehr glaubwürdig. Ich verstehe nicht wie sie sich Hals über Kopf in eine Beziehung stürzen kann, es ist ja angeblich die seit langem gesuchte große Liebe, nur um dann nach der Reaktion ihrer Großmutter kein Wort mehr mit ihm zu wechseln ohne die Hintergründe zu kennen.
    Dies sind aber wirklich nur kleine Kritikpunkte, die mich nicht davon abhalten mich auf den vierten Abschnitt zu freuen.


    Mit diesen heftigen Reaktionen hatte ich auch etwas Probleme. Alex machte ja keinen sprunghaften Eindruck aber ich fand auch, dass sie etwas überreagiert, mal in die eine und dann wieder in die andere Richtung. Ich konnte es mir nur so erklären, dass sie zweimal besonders gebeutelt wurde. Erst durch die überraschend heftige Zuneigung zu Oliver und dann durch die schwere Erkrankung ihrer Momi. Trotzdem war ich hier nicht ganz bei ihr, wie Du auch.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Heumahd - Susanne Betz


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Lebenserfahrung haben wir doch alle. Und dass wir Texte aufgrund unserer Lebenserfahrung beurteilen, ist spannend - denn dadurch werden aus einem Buch viele Buecher. Das ist so wie das Parfuem, das an jedem Koerper anders riecht. Dem einen steht's. Dem anderen zu.


    Ich gebe ehrlich zu, dass ich mit dem Konzept "Liebe auf den ersten Blick" selbst Schwierigkeiten habe.
    Ausdruecken wollte ich eigentlich etwas anderes:
    1.) In dieser Nacht werden die gewoehnlichen Gesetze des menschlichen Umgangs umgestossen. In Berlin hielt das damals tagelang an: Wildfremde umarmten sich, alles duzte sich, alles heulte voreinander los, man nahm fremde Leute, denen das Geld ausgegangen war, mit nach Hause, feierte spontane Partys, zu denen lauter Leute mitgebracht wurden, die man nicht kannte usw. Das ungeheure Pathos, der Gefuehlsueberschwang dieses Mantel-der-Geschichte-Gefuehl (das ist durchaus ironisch gemeint) ist solcher Spontan-Emotion foerderlich. Ich hab mich in der Nacht nicht verliebt, ich war schon verheiratet, aber wir haben in der Nacht spontan beschlossen: Wir machen jetzt ein Kind.


    2.) Alex ist reif. Sie ist faellig. Die Kaefigtuer ist offen, und jetzt geht alles holterdipolter.


    3.) Das kann ich jetzt hier noch nicht sagen. Erst im letzten Ordner. Und hier nur andeuten: Ich bin davon ueberzeugt, dass unsere Entscheidungen fuer oder gegen bestimmte Menschen ganz ganz viel mit unserer Praegung zu tun haben. Auch dann (oder vielleicht sogar erst recht dann), wenn uns die nicht bewusst ist.


    Fuer mich war das so richtig.
    Dass es aber heikel ist und durchaus auch sehr kitschig wirken kann, war mir klar - und damit hatte ich auch ein Problem.


    Herzlich,
    Charlie