'Als wir unsterblich waren' - Seiten 158 - 226

  • Mit nicht einmal 70 Seiten ein sehr kurzer Abschnitt.
    Bei mir blieben, abgesehen davon, dass ich mich weiterhin sehr wohl mit diesem Buch fühle, zwei Gedanken übrig:
    Zuerst eine Frage:
    Auf Seite 163 heisst es:
    "Seither bestürmte Meike sie mit Anrufen!"
    Aber war es nicht so, dass Meike neulich, als Alexandra, nachdem sie Oliver Schramm am Mauerfallabend in die Arme gefallen war und vorerst nicht heimfahren wollte, von Alex angerufen und gebeten wurde, zu Momi zu fahren und Bescheid zu sagen? Wie ist Alexandra denn auf einmal erreichnbar? In der Wohnung, die Momi und Alex nach meinem Verständnis teilen, wird doch nicht so schnell ein Anschluss gelegt worden sein? Oder hab ich in meiner nächtlichen Marathon-Lesung etwas falsch verstanden?
    Und ein Wundern, wie Clemens sein "aufrichtiges Bedauern" in den letzten Zeilen dieses Abschnitts meint... dass ihm seine tatsächliche Verabredung nicht zusagt - oder dass er tatsächlich mit der Kellnerin...
    Seine Mutter hat ganz gewiss auch ihr eigenes Schicksal, und sie liebt ihren Sohn zweifellos, ist aber eine Nervensäge.
    :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Stimmt, Maikaefer - da haben wir ein bisschen zu eifrig gekuerzt. "Mit Anrufen bei Frau Rimbach" haette es heissen sollen.
    Dass man ueber seine Nachbarin erreichbar war, war in meiner Kindheit (obwohl westgeboren) noch ganz normal ...


    Die Frage nach Clemens und der Kellnerin kann ich leider nicht beantworten. Das koennte nur Clemens. Und der wird sich hueten.


    Alles liebe von Charlie

  • Alex und ich werden keine Freundinnen mehr, glaube ich. Sie durchlebt ja jede Emotion in Sekundenschnelle. Momi liegt im Krankenhaus und Alex scheint der Gedanke, dass Momi die Welt verlassen könnte, gar nicht zu behagen. Was heißt behagen? Sie stemmt sich regelrecht dagegen. Nachvollziehbar irgendwo, aber dennoch für so ein verhuschtes Mäuschen eine extreme Situation.


    Der Abschnitt mit Paula hat mir hingegen wieder sehr gut gefallen. Die Kriegserklärungen sind raus, Männer melden sich freiwillig und nur wenige behalten einen kühlen Kopf. Dass Harry sich freiwillig meldet, hätte ich nie gedacht. Er müsste es doch besser wissen.


    Die Mutter von Clemens ist auch nicht ganz beieinander. Was muss sie durchlebt haben um so an ihrem Sohn zu hängen? Und woher kommen Clemens tiefe Selbstzweifel? Nur durch Vater und Onkel? Oder war da noch mehr?

  • Ich hätte jetzt nicht vermutet, dass Clemens mit der Kellnerin...


    ABer die Szene mit der Mutter, nun ja, Mütter und vor allem solche, die nur einen Sohn haben, reagieren oft irrational und sind sehr besitzergreifend, ja einengend.


    Ich kann Alex auch vertehn, dass sie entsetzt ist, ihre Großmutter so zu sehen, denn sie war ja schließlich immer ein Fels in der Brandung. Dass da mehr sein muss, weil alex ja ncihts über ihre wahren Eltern weiß ist naheliegend.


    Der Arzt gefällt mir, dass er nicht unnötig an der alten Frau rumschnipselt und es Ales ans Herz legt sie gehen zu lassen.


    Ja und auch Joachims Motive sich anzupassen, mit dem Strom zu schwimmen.
    Glücklicherweise greift Paula ihn auf und wäscht ihm den Kopf.


    Alllerdings auf Seite 189 fiel mir ein Wort auf, das vielleicht nciht ganz zeitgemäß ist oder gab es damals schon PULLUNDER?


    tja und so hab ich heut nacht gelesen und gelesen und schwupps wr ich mitten im nächsten Abschnitt.


    Was schade ist, denn das ist wieder so ein Buch, das man sich aufheben will, möglichst lange etwas davon haben will gleichzeitig aber so in die Geschichte eintaucht, dass man alles um sich rum vergisst bis zum Schluss.

  • Fuer den Autor ist das aber sehr sehr schoen, wenn das Buch so gelesen wird, Findus ...


    Das Wort Pullunder ist - wie viele andere englische Worte fuer Bekleidung - in der Epoche gebraeuchlich. Ich bin kein Modekenner und lerne so etwas dann immer erst bei der Detailrecherche, ich finde das aber amuesant und auffaellig, dass gerade in der Herrenmode so viel englisches als chic galt. Heute ist das ganz anders, oder?


    Das, was logan-lady zu Harry anmerkt, finde ich sehr wichtig. Ja, der besonnene Harry haette es besser wissen sollen - aber so wie ihm ging es vielen juedischen Maennern und darauf war auch abgezielt worden: Der Wunsch, dazuzugehoeren, sich voll zu assimilieren, zu den Waffen gerufen zu werden wie die anderen (die Erlaubnis, eine Waffe tragen zu duerfen, als Zeichen von Manneswuerde mag sehr archaisch anmuten, aber solche Ueberreste finden sich ja in uns allen), war schier uebermaechtig.

  • Zitat

    Original von Findus
    Was schade ist, denn das ist wieder so ein Buch, das man sich aufheben will, möglichst lange etwas davon haben will gleichzeitig aber so in die Geschichte eintaucht, dass man alles um sich rum vergisst bis zum Schluss.


    Findus, so ist es mir ergangen. Ich wollte es ja nicht, aber ich bin dem Sog dieses Buches einfach erlegen.
    Es macht mir aber auch jetzt am Anfang die Teilnahme an der Leserunde ein bißchen schwer. Ich habe immer Angst schon zu viel zu verraten, weil die Abschnitte bei mir "verschwimmen".


    Drei Dinge gefallen mir übrigens besonders gut:
    Die Zitate von Brecht und Biermann und die Verbindung zwischen den Paula- und Alex-Abschnitten, indem der jeweils letzte Satz, den Anfang des neuen Teils bildet. Es hängt alles zusammen.


    Ich weiß gar nicht, wen ich von Clemens Familie schlimmer finde, seine Mutter, den Onkel oder den Vater. Seine Mutter tut mir allerdings auch leid. Sie wurde verbogen bis man sie zerbrochen hat. Wenn man dem eigenen Kind mit Selbstmord droht, um es dazu zu zwingen etwas zu tun, muss man sehr krank sein. Der Vater hat schon in frühen Jahren festgestellt, dass das Kind zu nichts zu gebrauchen ist, ohne ihm jemals eine Chance zu geben. Und der Onkel lässt die Enttäuschung über das eigene Leben an diesem unschuldigen Kind aus.
    Für mich ist Clemens Handeln, seine Leidenschaft, den Hang dazu auszubrechen, aber sich auch ständig getrieben zu fühlen und nach Anerkennung zu lechzen, sehr, sehr verständlich. Er ist ein sehr zerbrechlicher Mensch, in dem viele aber nur seine auch vorhandene Stärke sehen. Gerade in dieser Szene tut er mir unfassbar leid. Für ihn habe ich sowieso viel Mitleid empfunden, während des Lesens.


  • Das wollte ich auch noch lobend erwähnen. :knuddel1

  • Das finde ich sehr schoen beschrieben.
    Und mir ist es auch so gegangen. Er war mir sehr nahe und es tat mir um ihn weh. Um ihn und um seinesgleichen.


    Alles Liebe von Charlie

  • Clemens ist eine tragische Figur, ich finde überhaupt seine Familiengeschichte gelicht einer griechischen Tragödie.


    so und nun ein dickes Dankeschön zwischendurch :knuddel1 ich habe schon lange keine so engagiert begleitete Leserunde erleben dürfen wie hier mit Charlie. Das macht richtig viel Freude. :anbet

  • die Freude ist ganz meinerseits, und das ist kein hingeschwafeltes Rueckhand-Kompliment. Mit den Fragen: Wie nehmen das die Leser an (vor allem auch die, die meine anderen Buecher kennen), wie weit kann man gehen, etc. befasse ich mich jetzt seit Monaten praktisch ununterbrochen. Fuer mich ist das auch ein Weichen-stell-Moment. Und ihr seid sozusagen mein erster Live-Versuch ...
    Und der macht solchen Spass!


    (Dass ich jetzt gerade gar nicht zum Arbeiten gekommen bin, nehme ich gerne in Kauf. Das ist ein Teil von meiner Arbeit, und der ist mir wichtig. Wenn man kein Echo hoert, was nuetzt das In-den-Wald-Schreien?)


    Vielen Dank!
    Charlie

  • Zitat

    Original von logan-lady
    War denn der Hass auf Juden auch schon vor dem ersten Weltkrieg so stark? Ich meine mich zu erinnern, dass sie gern hergenommen wurden, wenn was schief ging. Aber auch schon im ersten Weltkrieg? Oh mann, ich hätte in Geschichte mal besser aufpassen sollen :lache


    Die Juden sind der Sündenbock der Menschheit seit Geschichte existiert. Pogrome in Russland, gettobildung in Deutschland und vorgeschriebene Berufe, immer wenn bei den Menschen etwas schief lief waren die Juden schuld.


    Denk doch nur an Spanien auch da wurden sie verfolgt, aus ihren Häusern verjagt, ermordet, was weiß ich nicht alles.
    Bei der Gründung des Staates Israel war es das erste Mal, dass sie ein eigenes Land hatten und das hat auch nur funktioniert, weil die Welt gesehen hatte was mit ihnen passiert war und sich jeder schuldig fühlen musste. Denn kein Land wollte sie bei sich haben obwohl relativ früh bekannt wurde was in Deutschland mit ihnen geschah.


    Ach, in Geschichte lernt man nichts darüber

    "Leute die Bücher lesen, sind einfach unberechenbar." Spruch aus "Wilsberg "
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  • Zitat

    Original von logan-lady
    War denn der Hass auf Juden auch schon vor dem ersten Weltkrieg so stark? Ich meine mich zu erinnern, dass sie gern hergenommen wurden, wenn was schief ging. Aber auch schon im ersten Weltkrieg? Oh mann, ich hätte in Geschichte mal besser aufpassen sollen


    Deine Frage finde ich sehr interessant und fuer die spaetere Entwicklung wichtig, logan-lady. Und ich zumindest habe darueber leider auch nichts im Geschichtsunterricht gelernt ...
    Sicherlich war das spaete Kaiserreich eine Zeit, in der das Zusammenleben zumindest auf einen oberflaechlichen Blick sehr gut funktionierte. Assimilation war - so gewuenscht - gut moeglich, und gerade auf den Gebieten von Kultur und Wissenschaft wirkten Menschen juedischer Herkunft praegender als je zuvor (das sollte sich ja auch noch fortsetzen und steigern). Der latent dennoch vorhandene Antisemitismus hatte jedoch erst kuerzlich neue Nahrung erhalten, und wurde von verschiedener Seite instrumentalisiert. Interessant ist hierzu der Boersenkrach, der die Gruenderkrise ausloeste (1873) - durch dieses Ereignis, das die deutsche Finanzwelt nachhaltig erschuetterte und dem "Boom" der Gruenderzeit ein Ende setzte, wurde das Bild vom Juden als wuchernden, raffgierigen, arbeitsscheuen Spekulanten kraeftig geschuert. Antisemitische Gruppierungen fanden jaehen Zulauf und sammelten sich schliesslich in der "Berliner Bewegung", die sich mit ihren diffusen Programmen gegen jegliche liberale Tendenz kaempfte, die erstarkenden Sozialdemokraten fuerchtete und auf voelkische Parolen setzte (das ist jetzt alles ein bisschen hastig zusammengefasst, darueber gibt es aber jede Menge Literatur, falls es eingehender interessiert). Damit trafen sie wiederum einen Nerv in bestimmten Bevoelkerungsschichten, denen all das Neue Angst machte - immer ein guter Naerhboden fuer Rassismus. Die Gruppierungen, die sich aus der Berliner Bewegung speisten, zogen auf allen Ebenen in die politischen Gremien ein. Kuebelweise Wasser auf die Muehlen schuettete dann der Historiker Treitschke mit seinem Aufsatz "Unsere Aussichten" (1879), der sich geradezu wie ein Lauffeuer verbreitete. Viel Gedankengut, das Hitler und Goebbels aufgriffen und sich zurechtrueckten, stammt aus diesem Aufsatz - am bekanntesten ist zweifellos die Parole "Die Juden sind unser Unglueck". Treitschke redete dabei einer vollstaendigen Assimilation das Wort. Wo diese fehlschlug oder nicht gewollt war, sah er juedischen Einfluss als gefaehrlich fuer das von ihm propagierte Deutschtum an. Treitschke ist wesentlich fuer den massiven Einzug antisemitischer Ueberzeugungen in die deutsche Studentenschaft verantwortlich, auch wenn er weder der einzige noch der radikalste Urheber war. Man kann soweit gehen, zu behaupten, dass er federfuehrend den Antisemitismus innerhalb der Mittelschichten gesellschaftsfaehig machte.


    Diese massiv spuerbaren Tendenzen waren in der direkten Vorkriegszeit offenbar deutlich abgeflaut. Der antisemitische Waehleranteil war deutlich zurueckgegangen, viele Bewegungen hatten sich im Sande verlaufen. Der Alldeutsche Verband, der zu dieser Zeit sehr erstarkte und noch eine entscheidende Rolle spielen sollte, fungierte jedoch ein wenig als Sammelbecken und entwickelte sich damit rasant in antisemitische Richtung.


    Unter der Oberflaeche gaerten ohnehin Ressentiments aus verschiedenen Richtungen weiter (zu erwaehnen waere unbedingt gerade in Berlin die Zuwanderung sogenannter Ostjuden, die als fremd empfunden und als rueckstaendig und in obskuren Brauchtum gefangen propagiert wurden). Die Mobilisierung, bei der mit voller Absicht ein "Jetzt gehoeren wir ALLE zusammen"-Gefuehl verbreitet wurde, verschaffte vielen Menschen, die sich zuvor als an den Rand gedraengt empfunden hatten, den Eindruck, diese Gegensaetze und Ressentiments wuerden sich mit einem Schlag aufloesen. Eine Sehnsucht, die sich allzu leicht instrumentalisieren liess.


    Herzliche Morgengruesse von Charlie

  • Zitat

    Original von Findus


    Das wollte ich auch noch lobend erwähnen. :knuddel1


    Ich auch. :write :anbet
    (Bei mir segeln andauernd Schiffe mit 8 Segeln und mit 50 Kanonen, zwischendurch unterbrochen von Vulkantänzer Gustav Gründgens, im Kopf
    :lache)

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Zitat

    Original von Findus
    Die Juden sind der Sündenbock der Menschheit seit Geschichte existiert. Pogrome in Russland, gettobildung in Deutschland und vorgeschriebene Berufe, immer wenn bei den Menschen etwas schief lief waren die Juden schuld.


    Denk doch nur an Spanien auch da wurden sie verfolgt, aus ihren Häusern verjagt, ermordet, was weiß ich nicht alles.
    Bei der Gründung des Staates Israel war es das erste Mal, dass sie ein eigenes Land hatten und das hat auch nur funktioniert, weil die Welt gesehen hatte was mit ihnen passiert war und sich jeder schuldig fühlen musste. Denn kein Land wollte sie bei sich haben obwohl relativ früh bekannt wurde was in Deutschland mit ihnen geschah.


    Ach, in Geschichte lernt man nichts darüber


    Das ist leider allzu wahr! :-(



    Ansonsten fällt mir zu diesem Abschnitt nur extrem auf: Die Mutter von Clemens hätte ich nicht so gern als Schwiegermutter! So, wie sie ihren Sohn vergöttert und verehrt, kann keine gut genug sein... Diese Figur finde ich einen Tick zu überzeichnet, und die Reaktion von Clemens darauf eigentlich auch, wenn gerade noch nachvollziehbar.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Mit der Ansicht bist Du nicht alleine. Auch eine der klugen Testleserinnen fand die Mutter "too much". Darueber denke ich nach, ja?


  • Genauso geht es mir auch mit dem Buch, auch wenn ich es geschafft habe, pünktlich am Abschnittsende aufzuhören.


    Zitat

    Original von killerbinchen
    Ansonsten fällt mir zu diesem Abschnitt nur extrem auf: Die Mutter von Clemens hätte ich nicht so gern als Schwiegermutter! So, wie sie ihren Sohn vergöttert und verehrt, kann keine gut genug sein... Diese Figur finde ich einen Tick zu überzeichnet, und die Reaktion von Clemens darauf eigentlich auch, wenn gerade noch nachvollziehbar.


    Die Frau wünscht sich bestimmt niemand zur Schwiegermutter!
    Ich finde sie als Romanfigur aber gelungen und nicht überzeichnet. Genauso wie die Reaktion von Clemens, ich hätte es nicht erwartet, aber der Schönling schafft es doch tatsächlich Pluspunkte bei mir zu sammeln. Dass er sich immer noch um seine ziemlich durchgeknallte Mutter sorgt, rechne ich ihm hoch an.


    Zitat

    Original von Sayia
    Drei Dinge gefallen mir übrigens besonders gut:
    Die Zitate von Brecht und Biermann und die Verbindung zwischen den Paula- und Alex-Abschnitten, indem der jeweils letzte Satz, den Anfang des neuen Teils bildet. Es hängt alles zusammen.


    Die drei Dinge gefallen mir auch sehr gut!



    Ich hatte zum Glück in der Oberstufe im Geschichte LK einen phantastischen Lehrer, der, wenn er gemerkt, dass ein Thema auf besonderes Interesse stößt auch mal den Lehrplan Lehrplan sein gelassen hat und so hatten wir uns wesentlich ausgiebiger als vorgesehen mit dem Thema Judenverfolgung im Laufe der Jahrhunderte beschäftigt.