'Als wir unsterblich waren' - Seiten 227 - 298

  • Nicht viele Seiten... aber dafür schwerwiegende und schwer verdauliche.
    Schwups, schon war ich gedanklich wieder in einem anderen Roman, nämlich in "Im Westen nichts Neues", welches wir ja gerade letztes Jahr gelesen haben und das mir immer noch nachhängt. Klar, dass das bei dem Thema auch immer wieder hochkommt.


    Was ich nicht so ganz nachvollziehen kann, ist dieser unsäglich Hass von Paulas Vater auf Clemens. Nur weil er ihn für einen Hochstapler hält?


    Nun, es hat zwar Vaters Leben gekostet, aber ich bin froh, dass er nicht auf dem Sofa beim Weinbrand sitzen geblieben ist und kann seine Entscheidung absolut verstehen!


    Nun stellt sich die Frage, ob Clemens Entscheidung, ihn, den Vater, abtransportieren zu lassen, was ihn ja letztendlich das Leben gekostet hat, noch Auswirkungen auf seine, also Clemens, Beziehung zu Paula haben wird.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Die Kriegsschilderungen waren wirklich hervorragend. Eindringlich und doch irgendwie auch ganz nüchtern. Man merkt, dass die Männer bereits ob der Gräuel abstumpfen. (Wie Clemens den Verletzten erschießt...) In Arte läuft seit letzter Woche die Reihe "14 Tagebücher...". Da wurde letzte Woche auch das Thema Schützengräben behandelt. Mit vielen grausigen Bildern. Das geht über jede Vorstellungskraft in Friedenszeiten hinaus. Egal auf welcher Seite man war. Alle haben gleich viel gelitten. Und das über mehrere Monate und Jahre.


    Außerdem war ich deprimiert, dass scheinbar alle Daheimgebliebenen Männer - naja, nicht alle aber viel zu viele - ihre Frauen schlagen und malträtieren. Ob das in diesen Zeiten wirklich mehr waren als in Friedenszeiten? :gruebel


    Schlimm, dass es viele als "normal" angesehen haben oder zumindest als entschuldbar. :-(

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Ninni Schulman - Den Tod belauscht man nicht

    Hanna Caspian - Im Takt der Freiheit


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • @ logan-lady: Ich war ganz sicher, irgendwo eine Antwort gelesen zu haben, weiß aber nicht mehr, wo (oder ich habe das geträumt. So etwas kommt vor, wenn mich ein Buch stärker beschäftigt. Und Letzteres ist bei allen Charlie-Büchern, bei diesem aber ganz besonders der Fall).
    Was das Misshandeln von Frauen betrifft: Ich denke, das kommt uns nur so auffallend häufig vor, weil sich die Problematik um Paula und ihre Beschäftigung damit zwangsläufig häuft. Gleiches gilt mE für die irgendwann irgendwo von irgendwem hier angesprochene Tatsache, dass wir es hier mit einer politisch extrem interessierten Gruppe Jugendlicher zu tun haben. Hätten sie nicht so viele Gemeinsamkeiten, hätten sie sich auch nicht so viel zu sagen und wären vermutlich auch nicht so eng befreundet.

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Zitat

    Original von hollyhollunder


    Außerdem war ich deprimiert, dass scheinbar alle Daheimgebliebenen Männer - naja, nicht alle aber viel zu viele - ihre Frauen schlagen und malträtieren. Ob das in diesen Zeiten wirklich mehr waren als in Friedenszeiten?


    Die Frage finde ich sehr gut (auch wenn ich nicht den Eindruck erwecken wollte, dass das alles tun), und sie spricht ein wichtiges Thema an. Dadurch dass so viele Maenner einfach nicht mehr da waren, stroemten jaeh Frauen in lauter Gebiete die Maenner bisher als ihre Domaene gesichert glaubten. Da wackelten Machtgefuege, ganz abgesehen davon dass der Kampf um Frauenrechte ohnehin entbrannt war. Hinzu kam, dass Maenner, die "zu Hause blieben" oft ohne Ansehen der Person und ihrer Gruende als Feiglinge und Drueckeberger gebrandmarkt wurden. Die Frustration war enorm hoch, das Gefuehl fuer Selbstwert litt - und so etwas ergibt ja leider immer eine Saeure, die die Decke, die wir Zivilisation nennen, sehr duenn und zerbrechlich macht. Der Fall der aus dem Fenster "gefallenen" Nachbarin von Stefanie ist ein echter, den ich fuer diesen Roman recherchiert und verwendet habe. Solche Geschichten, in denen Gewalt eskaliert, weil Entwuerdigung, Entfremdung und Verstoerung irgendwann ein Ventil platzen lassen, gab es zuhauf und sie machen ziemlich hilflos. Ich habe mich gewundert, wie schwer ich es manchmal (!) fand, Schuld zuzuweisen.

  • P.S.: Damit, dass Gewalt gegen Frauen zu dieser Zeit noch viel weitreichender toleriert - oder sogar gutgeheissen wurde - hast du natuerlich ausserdem recht.

  • Zitat

    Original von Charlie


    Die Frage finde ich sehr gut (auch wenn ich nicht den Eindruck erwecken wollte, dass das alles tun), und sie spricht ein wichtiges Thema an. Dadurch dass so viele Maenner einfach nicht mehr da waren, stroemten jaeh Frauen in lauter Gebiete die Maenner bisher als ihre Domaene gesichert glaubten. Da wackelten Machtgefuege, ganz abgesehen davon dass der Kampf um Frauenrechte ohnehin entbrannt war. Hinzu kam, dass Maenner, die "zu Hause blieben" oft ohne Ansehen der Person und ihrer Gruende als Feiglinge und Drueckeberger gebrandmarkt wurden. Die Frustration war enorm hoch, das Gefuehl fuer Selbstwert litt - und so etwas ergibt ja leider immer eine Saeure, die die Decke, die wir Zivilisation nennen, sehr duenn und zerbrechlich macht. Der Fall der aus dem Fenster "gefallenen" Nachbarin von Stefanie ist ein echter, den ich fuer diesen Roman recherchiert und verwendet habe. Solche Geschichten, in denen Gewalt eskaliert, weil Entwuerdigung, Entfremdung und Verstoerung irgendwann ein Ventil platzen lassen, gab es zuhauf und sie machen ziemlich hilflos. Ich habe mich gewundert, wie schwer ich es manchmal (!) fand, Schuld zuzuweisen.


    Nach längerem Nachdenken habe ich mich gerade erinnert, dass zur gleichen Zeit in England die Sufragetten in England für die Frauen und das Frauenwahlrecht gekämpft haben. Das wurde in dem Buch "Der letzte Sommer in Mayfair" recht anschaulich aufgegriffen. Also an allen "Fronten" haben die Frauen um Selbstbestimmung und ihre Rechte gekämpft.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Ninni Schulman - Den Tod belauscht man nicht

    Hanna Caspian - Im Takt der Freiheit


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Ja, das war die Zeit, in der Sufragetten das Fürchten lehrten. In Deutschland verlief die Bewegung wesentlich unspektakulärer, aber die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern waren aufgewühlt. Das ist ja alles nicht als Entschuldigung gedacht, aber es hilft - finde ich - beim Begreifen.

  • Zitat

    Original von hollyhollunder
    Die Kriegsschilderungen waren wirklich hervorragend. Eindringlich und doch irgendwie auch ganz nüchtern. Man merkt, dass die Männer bereits ob der Gräuel abstumpfen. (Wie Clemens den Verletzten erschießt...) In Arte läuft seit letzter Woche die Reihe "14 Tagebücher...". Da wurde letzte Woche auch das Thema Schützengräben behandelt. Mit vielen grausigen Bildern. Das geht über jede Vorstellungskraft in Friedenszeiten hinaus. Egal auf welcher Seite man war. Alle haben gleich viel gelitten. Und das über mehrere Monate und Jahre.


    Ich fand das sehr eindringlich geschildert, jeder stumpft angesichts solch sinnloser Gewalt ab, Clemens hat ihn aber "Nur" erlöst.


    Es gibt ja auch sehr viele Kriegsfilme, die da nichts beschönigen bzw. verherrlichen

  • Zitat

    Original von hollyhollunder


    Nach längerem Nachdenken habe ich mich gerade erinnert, dass zur gleichen Zeit in England die Sufragetten in England für die Frauen und das Frauenwahlrecht gekämpft haben. Das wurde in dem Buch "Der letzte Sommer in Mayfair" recht anschaulich aufgegriffen. Also an allen "Fronten" haben die Frauen um Selbstbestimmung und ihre Rechte gekämpft.


    Da kam mal ne Dokumentation über das Erkämpfen des Frauenwahlrechts in den USA, diese Bewegung ging ja sozusagen um die ganze Welt, genützt hat es zwar nicht überall.
    nein, ich fand das ziemlich brutal welche Methoden angewandt wurden um die Frauen vom demonstrieren und vom Hungerstreik abzuhalten, die wurden zwangsernährt, geprügelt, verhaftet, ich weiß nicht was noch alles.



    Dass Frauen die Arbeit der Männer übernahmen und die Männer damit nicht klar kamen war ja nach dem 2 WK genauso.

  • Zitat

    Original von hollyhollunder
    Die Kriegsschilderungen waren wirklich hervorragend. Eindringlich und doch irgendwie auch ganz nüchtern.


    :write Genauso habe ich das auch empfunden.


    Ein paar Mal hatte ich sogar feuchte Augen, so sehr haben mich diese Schilderungen bewegt. Ich war richtig dankbar für die humorvollen Wortwechsel zwischen Kutte und Clemens. Diese Art Galgenhumor kam mir ähnlich vor wie das Kriegslachen der Mädels an der Heimatfront.

  • Zitat

    Original von Charlie


    Die Frage finde ich sehr gut (auch wenn ich nicht den Eindruck erwecken wollte, dass das alles tun), und sie spricht ein wichtiges Thema an. Dadurch dass so viele Maenner einfach nicht mehr da waren, stroemten jaeh Frauen in lauter Gebiete die Maenner bisher als ihre Domaene gesichert glaubten. Da wackelten Machtgefuege, ganz abgesehen davon dass der Kampf um Frauenrechte ohnehin entbrannt war. Hinzu kam, dass Maenner, die "zu Hause blieben" oft ohne Ansehen der Person und ihrer Gruende als Feiglinge und Drueckeberger gebrandmarkt wurden. Die Frustration war enorm hoch, das Gefuehl fuer Selbstwert litt - und so etwas ergibt ja leider immer eine Saeure, die die Decke, die wir Zivilisation nennen, sehr duenn und zerbrechlich macht. Der Fall der aus dem Fenster "gefallenen" Nachbarin von Stefanie ist ein echter, den ich fuer diesen Roman recherchiert und verwendet habe. Solche Geschichten, in denen Gewalt eskaliert, weil Entwuerdigung, Entfremdung und Verstoerung irgendwann ein Ventil platzen lassen, gab es zuhauf und sie machen ziemlich hilflos. Ich habe mich gewundert, wie schwer ich es manchmal (!) fand, Schuld zuzuweisen.


    Wieder was dazu gelernt! :anbet
    Ich war bisher der Meinung, dass die geschilderte Problematik hauptsächlich NACH der Rückkehr der Männer (so sie denn zurückkehrten) aus dem Krieg aufgetreten ist, wie zB das Nichtzurechtfinden vom Vater des kleinen Jungen im "Wunder von Bern" nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich zeigt. :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Die Kriegsschilderungen haben mich auch mitgeommen, einfach Klasse. Aber auch das bereits angesproche Thema "Gewalt gegen Frauen" fand ich sehr eindringlich beschrieben. Haben die Frauen nicht bereits genug zu "ertragen" indem sie den Alltag für die Familie komplett neu organisieren müssen, um im Krieg durchzukommen, nein sie müssen sich auch noch gegen so was wehren...


    Paula tut mir echt leid, der Verlust des Vaters ist gerade in diesen Zeiten bestimmt nicht leicht wegzustecken. Bei Clemens sehe ich auch die Gefahr von Vorwürfen, dass er nicht alles versucht hat, um das Leben dieses Mannes zu retten. Zudem glaube ich, dass er auch noch daran zu kanbbern haben wird, dass er den verletzten Kameraden erschossen hat.


    Freue mich sch aufs Weiterlesen, vor allem das jetzt wieder ein "Alexandra"-Abschnitt kommt :wave

  • Der sinnlose Wahnsinn des 1. Weltkriegs ist richtig gut geschildert. Das Paulas Vater hier zufällig auf Clemens trifft ist ein schöner Zufall, der allerdings einen stark negativen Touch erhält, weil Papi seiner passiven Jammerlappenrolle treu bleibt und den aktiven Clemens ins Zwielicht einer verdorbenen Persönlichkeit rücken muss. Die starke Frauen Geschichte mitten in Berlin gefällt mir ebenfalls. Das ist alles stimmig und interessant erzählt.

  • Zitat

    Original von Luc
    Der sinnlose Wahnsinn des 1. Weltkriegs ist richtig gut geschildert. Das Paulas Vater hier zufällig auf Clemens trifft ist ein schöner Zufall, der allerdings einen stark negativen Touch erhält, weil Papi seiner passiven Jammerlappenrolle treu bleibt und den aktiven Clemens ins Zwielicht einer verdorbenen Persönlichkeit rücken muss. Die starke Frauen Geschichte mitten in Berlin gefällt mir ebenfalls. Das ist alles stimmig und interessant erzählt.


    Ich habe das ganz genauso empfunden. Was hat Clemens nur getan, dass die Abneigung von Paulas Vater gegen ihn so groß ist?

  • Ich glaube von Kaffee-Kutte wurde der Familienname nie genannt. Zusammen mit dem Schild, das in Momis Wohnung hing, könnte er vielleicht Herr Liebermann sein. :gruebel


    Diese Szenen in den Gräber habe ich schon in verschiedenen Büchern gelesen, aber sie sind immer wieder deprimierend. So viel vergeudete Leben. Selbst die Überlebenden waren keine Sieger oder Helden, sondern litten ein Leben lang weiter. Ich frage mich nur, was Clemens getan haben soll. Oder bekommt er nur die Schuld, weil sein Vater etwas verbrochen hat. Clemens selbst scheint nicht zu wissen, was Paulas Vater gegen ihn hat.


    Komisch fannt ich Paulas Reaktion nach ihrer missglückten Revolution. Die Mutter ist tot, die andere Frau wurde verhaftet und sie ist zu müde sich um die Kinder zu kümmern. Komisch! Allerdings wird nirgends beschrieben wie alt die Kinder sind, ich hatte mir Kleinkinder vorgestellt.

  • An dieser Stelle Stelle muss ich sagen, ich les ja schon häufiger (und liebendgern) solche Bücher wie diese hier. Und ich find die Kriegszeiten ausgesprochen gut beschrieben. Man fühlt sich direkt als wäre man mittendrin.
    Sehr gefallen hat mir auch, daß sowohl Paulas Sicht als auch Clemens Sicht geschildert würde, das macht das ganze für mich noch realer.
    Wobei ich ja denke das Gespräch zwischen Clemens und dem Vater von Paula wird noch eine tragende Rolle spielen und ich glaub auch Stefanie wird noch wichtig für ihre Geschichte werden.
    Schlimm Heinz und Paulas Dad sind tot. Wobei ich mir das mit Paulas Dad schon gedacht habe. Man hatte ja ne gewisse Andeutung dazu in Alex´ Zeit erhalten.


    Mhm, bei Manfred weiß ich auch nicht so recht, er scheint mir sehr verändert.

  • Zitat

    Original von Selma
    Ich war richtig dankbar für die humorvollen Wortwechsel zwischen Kutte und Clemens. Diese Art Galgenhumor kam mir ähnlich vor wie das Kriegslachen der Mädels an der Heimatfront.


    Das find ich richtig erfrischend, das lockert das ganze für mich noch etwas auf.