Ihm in die Augen sehen - Sabine Dardenne

  • Zu der Autorin:


    Sabine Dardenne, geboren 1983, wurde im Mai 1996 von Marc Dutroux entführt.
    Heute setzt sie auf eine Zukunft, eine hoffentlich friedliche Zukunft, auch wenn sie das Erlebte nicht vergessen kann.


    Zum Buch (Klappentext):


    "Manchmal, im Film, entführen Verbrecher das Kind des Polizisten. Und man kann es nicht glauben, man sagt sich, das passiert nur den anderen, das ist nur ein Film, nicht die Realität. Und doch befand ich mich in genau solch einem Film."


    Für Sabine Dardenne wurde grausame Wirklichkeit, was andere nur aus dem Kino kennen. Als sie am 28. Mai 1996 auf dem Weg zur Schule entführt wird, ist ihre Kindheit mit einem Schlag zerstört. Der Mann, der ihr das antut, ist für die Polizei kein Unbekannter: Marc Dutroux war bereits einschlägig verurteilt und wegen "guter Führung" vorzeitig entlassen worden. Als man ihm endlich auf die Spur kommt, macht die "Affäre Dutroux" europaweit Schlagzeilen - doch über dem Skandal droht in Vergessenheit zu geraten, welches Schicksal Sabine Dardenne und die anderen Opfer erlitten haben.


    Mit einer an Infamie nicht zu überbietenden Legende hat Marc Dutroux Sabine nicht nur physisch, sondern auch seelisch zu seiner Gefangenen gemacht: Er machte ihr weis, sie sei gekidnappt worden, um von ihren Eltern 3 Millionen Francs zu erpressen. Weil die Eltern die geforderte Summe nicht aufbringen könnten, wolle "der Chef" Sabine töten. Nur er, Dutroux, könne sie beschützen.


    Sabine vertraut dem Mann, der bereits vier andere Mädchen getötet hat, und versucht sich mit der Lage zu arrangieren, achtzig schreckliche, endlose Tage lang. Sie ahnt nicht, dass alles nur eine Lüge ist, dass er nicht ihr Schutzengel ist.


    Täglich macht Sabine Dardenne Notizen und hält fest, was mit ihr geschieht. Sie schreibt Briefe an ihre Eltern, Hilferufe, Beschwörungen. Es sind Briefe, in denen sie auf kindliche Weise erzählt, was sie erlebt. Sie ist krank, ihr tut alles weh, sie wird gehalten wie ein Tier..........


    Acht Jahre hat es gedauert, bis Sabine Dardenne von er schlimmsten Erfahrung ihres Lebens sprechen kann. Jetzt bricht sie das Schweigen. Sie will aufklären, will aufrütteln, damit sich nie wiederholt, was sie durchmachen musste.



    Meine Meinung:


    Zuerst vorweg: Sabine Dardenne erzählt ihre Geschichte auf relativ distanzierte Weise ohne grosse Gefühlsbewegungen. Auch werden keine Details ihrer Leidensgeschichte offen gelegt. Dies ist in meinen Augen auch gut so.
    Denn es ist so schon schlimm genug zu lesen, geschweige denn sich die Geschehnisse vorzustellen. Es ist unglaublich, wie Sabine diese Zeit überstanden hat.
    Sie wurde von Dutroux dermassen manipuliert , dass sie als damals 12-Jährige glaubte, er wäre eigentlich derjenige, der sie retten will.
    Am erschütterndsten waren für mich die Briefe, die sie während ihrer Gefangenschaft an ihre Familie schrieb ( es wurden einige im Haus gefunden ). Sie war teilweise so von ihrer eigenen (Mit)schuld überzeugt, dass sie sich tausend Dinge überlegte, die sie in Zukunft besser machen würde ( mehr lernen, das Geschirr spülen usw. ) - wenn sie nur endlich befreit werden würde! Denn schliesslich wurde ihr ja eingeredet, dass ihre Familie kein grosses Interesse an ihrer Befreiung hätte.


    Für mich ist es bewundernswert, wie Sabine diese Zeit und die Zeit danach bis zum Prozess überstanden und gelebt hat.

  • Hm...wieder so ein Buch.... da muß ich mir richtig Zeit für nehmen und auf jeden Fall muß Tarzan in der Nähe sein, aber lesen will ich das auf jeden Fall noch.

  • Ich habe das Buch in der Bibliothek ausgeliehen und nachdem ich es durch hatte musste ich es sofort wieder zurückbringen, denn jedesmal wenn ich nur schon das Titelbild sah lief mir ein Schauer über den Rücken...


    Auch ich finde es bewundernswert, wie Sabine Dardenne sich ihrer Vergangenheit und dem Geschehenen stellt und dass sie auch noch den Mut hatte sich allem nocheinmal zu stellen und dieses Buch zu schreiben...


    lg
    happy

  • Hui, das gibt es jetzt auch als TB? Eigentlich hatte ich mir ja vorgenommen, das Buch nicht zu lesen, da ich schon genug jeden Tag mit Frauenschicksalen konfrontiert bin, aber irgendwie hatte ich es auch schon so oft in der Hand...
    Auf jeden Fall finde ich es absolut bewundernswert und mutig von S.A., dass sie ihr Schweigen bricht und ihre Geschichte aufgeschrieben hat. Es ist ja wirklich unvorstellbar, dass so etwas in unserer Nachbarschaft passiert, und niemand kriegt es mit :fetch

  • Ich hab das Buch auch gelesen..


    Mich hat zeitweise gestört das sie sich oft wiederholt hat... aber sie ist ja nunmal keine Krimiautorin sondern erzählt von ihrem Leid..


    Zwischendurch musste ich immer mal wieder Pause machen.. und hab mir ins gedächnis gerufen, das dies mal kein krimi ist sondern eine wahre geschichte.. und dann ist es einfach unbegreiflich.. Selbst wenn man daran denkt das die anderen beiden mädchen 17 und 19 waren.. es passiert also nicht nur kleinen kindern..


    echt heftig..


    Respekt für den Mut...

  • Ich habe mir nun endlich die Zeit genommen und das Buch gelesen. Speziell für mich war es nicht immer einfach, ich mußte Pausen machen, es zur Seite legen, mich wieder mit meiner Realität beschäftigen.


    Es ist ein aufrüttelndes Buch, ein anrührendes und ein sehr wichtiges Buch.
    Sabine (seltsam für mich ist sie die kleine Sabine und nicht Fräulein Dardenne ) spricht eine einfache Sprache. Sie wiederholt sich hier und da, manche Sätze sind ein wenig holperig, aber das ist bei dieser Art Buch wohl mehr als verzeihlich.
    Wichtig finde ich, daß dieses Buch zeigt, wie stark ein Opfer nach außen hin erscheinen kann und wie mitgenommen es innerlich doch ist.


    Ich selbst habe zu dem Fall damals eine ganz besondere Bindung. 1996 war ich selbst 15 und befand mich mit meiner aus Belgien stammenden Familie im Urlaub in Belgien. In jedem Restaurant, an jeder freien Wand, überall hingen Bilder von Sabine und sogar auch noch von An u Eefje. In diesem Sommer wurde überall nach ihnen gesucht.
    Wir selbst durften uns nicht so frei bewegen, wie in den Sommern davor. Die Dünen waren ohne einen Erwachsenen tabu, ich durfte nicht wie in den Jahren vorher morgens alleine am Strand entlang zum Bäcker und wir wurden nahezu überallhin von mindestens einem Erwachsenen begleitet.
    Wir Kinder fanden das alles natürlich schrecklich ätzend und fürchterlich nervig, trotzdem werde ich nie das Bild von Sabine auf den "Fahndungsplakaten" vergessen und das Aufatmen, das in unserer Familie herrschte, als Dutroux endlich das Handwerk gelegt wurde.


    Beim Lesen dieses Buches war ich immer wieder überrascht, wieviele dieser Einzelheiten von damals ich noch immer wußte, wie sehr ich mich offenbar trotz (oder gerade wegen?) meines jugendlichen Alters mit Sabines Schicksal auseinander gesetzt hatte.


    Dieser Fall hat uns damals alle aufgerüttelt, hat uns die Perversionen, die es in unserer Gesellschaft gibt ungeschminkt vor Augen geführt und dieses Buch faßt dies alles noch mal pointiert und gut zusammen.
    Ich freue mich, daß Sabine sich "erneut und freiwillig in diesem Buch eingesperrt hat" und ich hoffe dieses Buch hat ihr, wie sie erhofft hat, Erleichterung verschafft.


    Übrigens gibt es das gebundene Buch zur Zeit für weniger als 5 Euro bei Amazon! :chen

  • Ich habe mir das Buch nur geliehen und würde eigentlich nicht es als Kaufbuch empfehlen. Das Ganze wirkt wie mehrere Langinterviews aneinandergestückelt und ich habe große Teile übersprungen. Von den Verhandlungen habe ich damals nicht so viel mitbekommen und fand deshalb vor allem das Ende interessant. Aber genau da gab es einige Teile, die ich relativ unschlüssig fand und die sehr im Raum stehengelassen wurden. Sabine schreibt nämlich, wie sie die Einstellung der Öffentlichkeit und vor allem der Eltern der ermordeten Mädchen ihr gegenüber empfindet. Es heisst, dass sie bei den Verhandlungen nicht mehr als "die kleine Sabine" gilt sondern "Fräulein Dardenne" und dass die anderen Angehörigen ihr insgeheim nicht gönnen überlebt zu haben. Aber das ganz wird so kurz im Text erwähnt, so dass ich mir schon etwas mehr Ausführlichkeit gewünscht hätte. Oder es hätte weggelassen werden sollen.
    Außerdem fand ich die Übersetzung etwas altbacken und holprig. Ich glaube in ihrer Danksagung, bedankt sich Sabine bei ihrem Freund, das wird aber mit "Gefährten" übersetzt. Hätte man da nicht einfach "Freund" sagen können? Das gibt mir zu denken, was vielleicht sonst noch merkwürdig im Text übersetzt wurde.

  • So, ich hab es gestern fertig gelesen. Ziemlich in einem Rutsch durch. Puhh, es bewegt mich immer noch.
    Man liest das Unfassbare und macht sich immer wieder klar, dass dies wirklich geschehen ist. Unglaublich, was so eine kleine Menschenseele ertragen kann.
    Sabine berichtet eher sachlich und distanziert von ihrer Entführung und der Gefangenschaft. Von den Briefen, die sie an ihre Familie geschrieben hatte, wurden einige nach ihrer Befreiung von der Polizei in Dutrouxs Haus gefunden. Es werden viele Passagen, die die Misshandlungen im Detail beschreiben, weggelassen, dennoch fand ich diese Briefe sehr ergreifend.
    Es sind Momentaufnahmen der Gefangenschaft und zeigen auch die emotionale Verfassung von Sabine.


    Ich wünsche Frau Dardenne, dass sie ihre Geschichte wenigstens ein bisschen mit diesem Buch in ein Regal abstellen kann.

  • Ich hab das Buch vor einem Jahr gelesen. Ich wollte es unbedingt. Ich hab sehr oft schlucken müssen....Als diese ganze Geschichte rund um Dutroux bekannt wurde war ich irgendwie noch zu jung um das zu begreifen. Ich habe zwar mitbekommen das da was ganz schreckliches passiert ist und das die Mädchen alle ungefähr in meinem Alter waren, aber mehr hab ich davon nicht mitbekommen. Als ich erfahren habe das es ein Buch darüber gibt, geschrieben von einem Mädchen die das durchgemacht hat, wußte ich direkt das ich das unbedingt lesen muss um richtig zu begreifen was da damals passiert ist. Ich hab nicht lang für das Buch gebraucht, es hat mich sehr bewegt.


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    Ich lese
    :lesend Chris Mooney - Victim
    :lesend WB Sofie Cramer - SMS für dich


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  • Dieses Buch hatte ich vor einigen Jahren schon einmal gelesen - allerdings in der französischen Originalversion. Dies schien mir ein guter Zeitpunkt, den Versuch erneut zu wagen, zusammen mit dem Buch eines wesentlich prominenteren Leidensgenossen (Reemtsma). Doch ich kann letztlich nicht wirklich sagen, ob der Versuch geglückt ist. Ich hatte beinahe das Gefühl, ein anderes Buch zu lesen als damals, und ich frage mich, woran das liegt.


    Natürlich muss ich meine Bewertung, die ich letztlich bei einer etwas ratlosen mittleren Bewertung ansiedele, ein wenig relativieren. Ich bewerte keinesfalls das, WAS der jungen Sabine Dardenne widerfahren ist, noch ihre Gefühle hierzu. Möglicherweise hat es dem Buch auch ganz einfach nicht gut getan, dass ich den Reemtsma (und vor einiger Zeit das Buch von Natascha Kampusch) unmittelbar zuvor gelesen hatte. Der Kontrast war so einfach zu groß.


    Zunächst einmal hat mir der deutsche Titel überhaupt nicht gefallen. "Ihm in die Augen sehen - Meine verlorene Kindheit", also bitte! Es stimmt zwar, beide Zitate kommen so in dem Buch vor. Aber sie beschreiben überhaupt nicht die Absicht der jungen Autorin, und treffen auch nicht ihren wirklichen Schreibstil. Der Originaltitel lautete "Ich war 12 Jahre alt, nahm mein Fahrrad, und fuhr zu Schule"; und genau das Lakonische, Beiläufige dieses Titels finde ich viel (!) charakteristischer für den Charakter und Schreibstil dieser jungen Frau, die durch den Pädophilen Marc Dutroux traurige Bekanntheit erlangte.


    Mein zweiter Kritikpunkt, bzw. meine zweite Anmerkung betrifft die Tatsache, dass man in diesem Buch doch sehr deutlich merkt, dass es eine Co-Autorin gab. Allerdings erfährt man nur deren Namen ("mit Marie-Thérèse Cuny"), nicht deren Beruf oder Herkunft. Der Aufbau des Buches ist einfach, bei genauem Hinlesen, so vorhersehbar, so erwartbar bei einer Entführung. Und manche Sätze (bitte entschuldige, Sabine, nix für ungut!) sind einfach reinstes Bild-Zeitungs-Niveau. Da sollte beim Leser ganz kräftig auf die Tränen- und Mitleidsdrüse gedrückt werden.


    Oder kann es an der Übersetzung gelegen haben? Aus meiner damaligen Lektüre habe ich einfach nicht diese platten Wendungen und ständigen Wiederholungen in Erinnerung. Im deutschen Buch heißt es jedenfalls immerzu "das Schwein", und "der Mistkerl", und es wird so getan, als handele es sich dabei um die schlimmsten Beschimpfungen. Ich möchte beinahe wetten, dass im Original hier andere Ausdrücke gestanden haben!


    Man kann das Buch als reine Information allerdings recht gut lesen. Wie die Entführung ablief, aus welchem Umfeld Sabine Dardenne stammte. Was genau sich während der Gefangenschaft ereignete, wie der Täter sie psychisch manipulierte (sie war ja erst 12!). Und welche Vorwürfe sie sich machte, als er ihr schließlich eine "Freundin" besorgte, Laetitia Delhez. Allerdings werden diese Selbstvorwürfe bis zum Erbrechen wiederholt, wobei dem Leser eigentlich klar ist, dass Dutroux IMMER so vorging: paarweise.


    Die letzten Kapitel scheinen auf Anraten der Co-Autorin angefügt worden zu sein. Hier geht es um den Prozess, und um das Aufsehen und die Theorien, die der Fall Dutroux in Belgien auslöste. Diese Kapitel habe ich nun wirklich mit Spannung und Interesse verfolgt. Ganz Belgien verfiel ja sozusagen in eine Kollektiv-Neurose, wohingegen Sabine aber behauptet, Dutroux habe die Theorie des "Netzwerkes" nur erfunden, um seine eigene Haut zu retten. Nun ja. Das wird nie zu klären sein. Gewaltverbrechen bieten eben wunderbaren Spielraum für Spekulationen, und Verschwörungstheorien.


    Was kann ich als Fazit zu diesem Buch nur sagen? Sicher ist es insofern einzigartig, als Sabine Dardenne eine der wenigen Überlebenden ist. Es ist ein kleines Stück Zeit- und Kriminalgeschichte. Es bietet einen recht guten Einblick in Sabines Persönlichkeit, die eben immer schon recht robust, frech, und, hm, eher einfach gestrickt ist. Doch möglicherweise habe ich diesen Eindruck eben auch nur im direkten Vergleich zu Kampusch und Reemtsma. Diese beiden schreiben doch wesentlich "literarischer", und genau das sollte man eben wissen, wenn man zu diesem Buch greift.