"Flash Boys: Revolte an der Wall Street" - Michael Lewis

  • Titel der amerikanischen Originalausgabe: "Flash Boys"


    Das Buch beginnt im Jahr 2006 als Brad Katuyama, ein Aktienhändler der Royal Bank of Canada, feststellt, dass die Aktienkurse auf seinem Bildschirm nicht wie bisher den Markt abbilden. Jede Mal, wenn er eine Kauforder gibt, schießen die Preise in einem bis dahin ruhigen Markt in die Höhe, so als würde irgendjemand antizipieren, was er beabsichtigt. Nachdem er alle Systemfehler ausschließen konnte, findet er einen Hedge Fund Manager, dem es ähnlich geht und er macht sich auf die Suche nach einer Erklärung für das Phänomen. Dabei findet er heraus, dass der Börsenhandel nichts mehr mit dem Bild zu tun hat, dass die meisten Leute noch in den Köpfen haben und dass einem auch immer noch zum Beispiel von CNBC suggeriert wird, nämlich, dass da irgendwo an der Börse schwitzende Männer in bunten Jacken schreiend und gestikulierend Aktienkäufe und -verkäufe tätigen. Tatsächlich findet der Handel überwiegend elektronisch ab und Käufer und Verkäufer werden per Computer zusammengeführt.


    Der Autor schildert wie High Frequency Trader ("Flash Boys") andere Investoren (und hiermit sind nicht nur Kleinanleger, sondern auch große Banken und Hedge Funds gemeint) ausbeuten, indem sie Schlupflöcher und technische Vorteile zur Arbitrage und zum Front Running von Kauf- und Verkaufaufträgen auszunutzen. Arbitrage, also das Ausnutzen von Preisunterschieden gleicher Waren (Aktien/Devisen/...) gab es schon immer, aber man muss sich lösen von dem Bild, das ich noch miterlebt habe, nämlich, dass man zwischen zwei Telefonhörern hockt und wenn man Glück hat und schnell genug reagiert, kann man links niedriger kaufen als man rechts verkaufen kann. In diesem Fall reden wir aber nicht von menschlichen Reaktionsgeschwindigkeiten, sondern von Mikrosekunden, also um eine vieles schneller als ein Augenblinzeln und Reaktionszeiten, die nur ein Computer, der mit einem Handelsalgorithmus gefüttert ist, erreichen kann. Die ausgenutzten Kursdifferenzen sind winzig, aber das schiere Volumen bringt den High Frequency Tradern Milliardengewinne ohne jegliches Risiko. Eine Firma im Buch berichtete, in fünf Jahre lang jeden Tag Gewinnen gemacht zu haben.


    High Frequency Trading nutzt im Grunde aus, dass Kauf- und Verkaufsaufträge von Aktien in der Regel nicht am Stück an einer Börse abgewickelt werde können, sondern von Brokern in Teilaufträgen an verschiedene Bösen weitergeleitet werden. Aufgrund der unterschiedlichen Entfernungen der einzelnen Börsen voneinander und von den Marktteilnehmern und unterschiedlich schnellen Datenleitungen entstehen Latenzzeiten von Sekundenbruchteilen, die High Frequency Trader ausnutzen, indem sie einmal ihre Computer dichter an die Börsen rücken als Investoren und zum zweiten schnellere Leitungen bauen. Dadurch können sie zum Beispiel einen Teilauftrag einer Kauforder eines Investoren an einer Börse schon "sehen" und an einer anderen Börse antizipatorisch kaufen und an den Investor zum höheren Preis wieder verkaufen, ohne ein eigenes Risiko einzugehen. Praktisch eine Gelddruckmaschine. Und das geht nur, weil Börsen die Plätze dicht an ihren Servern verkaufen, weil Banken High Frequency Tradern einen Zugang zu ihren Dark Pools (wenig transparenter, bankinterner Handel außerhalb der offiziellen Börsen) ermöglichen und ihren Kunden-Flow verkaufen, und weil Broker dafür belohnt werden, ihre Kauf- und Verkaufsorders je nach Art an bestimmte Börsen zuerst weiterzuleiten.


    Am 6. Mai 2010 kam es durch High Frequency Trading an der New Yorker Börse zum sogenannten Flash-Crash des Dow-Jones-Industrial-Index. Innerhalb von Minuten stürzte der Markt um fast 1000 Punkte ab, die meisten Aktien erholten sich innerhalb weniger Minuten wieder. Was aber zu spät ist für diejenigen, deren Stop-Loss-Orders auf dem Weg nach unten ausgeführt wurden. High Frequency Trading macht die Märkte volatiler, die Preise unfair und nimmt eher Liquidität, als dass es die Märkte liquider macht.


    Das Buch folgt neben anderen Figuren vor allem Brad Katsuyama, der zunächst für die RBC ein Programm entwickelt, das dafür sorgt, dass Teilaufträge bei allen Börsen zur selben Zeit ankommen, um zu verhindern dass HFT die unterschiedlichen Latenzzeiten für sich ausnutzen. Später gründet er dann mit anderen eine transparente und faire Börse, die IEX, die zunächst von vielen Marktteilnehmern boykottiert wird.


    Das Buch ist ziemlich aktuell, die IEX wurde ja erst im Oktober 2013 eröffnet und kam erst im Dezember mit der Unterstützung von Goldman Sachss so richtig in Gang. Ich hab die ganze Zeit gedacht, wie er es noch schaffen kann, den Rest der Geschichte zu erzählen, da Oktober 2013 gefühlt gerade erst war. Aber die Geschichte geht ja eh immer weiter...


    Ich bin ja eher pessimistisch. Nun haben wir die faire IEX, der Bundestag will den Hochfrequenzhandel entschleunigen, aber dann gibt es bald halt wieder ein neues Schlupfloch und ein neues Spiel. John Schwall, einer der Mitbegründer der IEX hat die Geschichte der Wall Street zurück bis 1800 recherchiert und herausgefunden, dass jede jeder systematische Missbrauch im Markt daraus entstand, dass jemand ein Schlupfloch in einer Regelung fand, die einen vorherigen Marktmissbrauch korrigieren sollte. Das wird auch dieses Mal wieder so sein. Das der Kleinanleger im Grunde keine Ahnung hat, was wirklich im Markt passiert und hinterherrennt, ist nichts Neues. Was ich hier spannend fand war, dass auch der Hedge Fund-Manager mal hinterher rannte.


    Insgesamt ein spannendes Buch, das ich in zwei Tagen verschlungen habe. "The Big Short" fand ich vielleicht noch ein Tickchen besser, da es komplexer war und hier und da fand ich einige Marktteilnehmer ein bisschen sehr idealisiert dargestellt. Aber es hat mir einen guten Update gegeben, ich bin ja seit 2001 zum Glück raus und hab auch noch ein etwas angestaubtes Bild im Kopf, dem diese Auffrischung ganz gut tat.


    Ich habe die englische Ausgabe gelesen, aber wie passend: Morgen kommt die deutsche Übersetzung raus, sehe ich gerade. Hochgeschwindigkeitsübersetzung. ;-)


    Über den Autor


    Michael Lewis ist Princetonabsolvent, Wirtschaftsjournalist, Exinvestmentbanker, Sachbuchautor und vor allem ein begnadeter Erzähler. Sein Buch »The Big Short« stand monatelang auf Platz eins der Bestsellerliste der New York Times. Jetzt kehrt Lewis in die Finanzwelt zurück. Seine Leser bekommen den Logenplatz, wenn die größte Story seit Jahren einschlägt.
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