Das goldene Notizbuch - Doris Lessing

  • Ich habe den Eindruck, es gibt allerhand, das nicht unbedingt einen Zusammenhang mit allem anderen hat. Das für sich alleine steht oder dessen Bedeutung erst später klar wird.
    Das ganze Buch ist ein ständiger Tanz vor und zurück.
    Ich bin fast versucht, wie in einem Puzzle die Teile zu verschieben, damit eine chronologische Ordnung entsteht.


    Über Liebe und Naivität habe ich auch nachgedacht. Ich finde aber den Gedanken falsch. Jedenfalls dann, wenn man die landläufige, etwas negative Bedeutung übernimmt. Also im Sinne von leichtgläubig, leicht verführbar, unwissend. Zustimmen würde ich bei dem, was ich als den positiven Sinn von Naivität ansehe: dem Anderen wohlwollend und unvoreingenommen entgegenzugehen. Nicht in jedem Wort das Negative suchen.


    Manchmal frage ich mich, ob man das Buch heute überhaupt noch lesen kann. Du hast am Anfang mal geschrieben, die Personen und ihre Aussagen seien dir so fremd wie der Mond. Mir geht das zunehmend so. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass ich auf Dauer für diese intensive Introspektion nicht so viel übrig habe. Es ist ja gut und richtig, über sich selbst nachzudenken. Aber alles in Grenzen. Da passt das mit dem verkopft. Mir kommen die Personen immer mehr so vor als würden sie vor lauter Nachdenken darüber, was richtig und wichtig und gut ist, das Leben vergessen.

  • Ich muss mich rasch entschuldigen, weil ich gestern nichts mehr geschrieben habe. Meine Kollegin hat frei, ich musste um 5 Uhr morgens schon zur Bahn und gestehe, dass ich nach zehn Stunden Dauerstress ohne Mittagspause zu keinerlei geistigen Leistungen mehr in der Lage war. Sofern ich das sonst bin.


    Kann sein, dass ich wirklich erst morgen wieder dazu komme, das Buch zu kommentieren. Das blaue Notizbuch habe ich aber inzwischen auch abgeschlossen.

    Meine Bewertungsskala: 1-4 Punkte: Mehr oder minder gravierende formale Mängel (Grammatik, Rechtschreibung, Handlung). 5/6 Punkte: lesbar. 7/8 Punkte: gut. 9/10 Punkte: sehr gut. Details und Begründung in der Rezi.

  • Josefa, um 5.00 morgens muss ich zum Glück nirgends hin....auch wenn mich gelegentlich die altersbedingte Bettflucht und die ersten Amseln um diese Zeit wecken....ich hoffe, du bekommst wenigstens einen gescheiten Kaffee :wave
    Das Buch eignet sich auch nicht gerade zur entspannenden Lektüre nach einem stressigen Tag. Es schadet auch nicht, es ein paar Tage liegen zu lassen.

  • Nix Kaffee, aber schwarzer Tee.


    Heute war zwar ein ähnlicher Tag wie gestern, aber ich möchte jetzt zumindest kurz etwas zum blauen Notizbuch sagen, bevor ich anfange, die Abschnitte durcheinander zu bringen. Die Klammer, die diesen Part zusammenhlt, sind die Psychotherapie-Sitzungen bei Mrs. Marks. Wurde eigentlich irgendwo mal erwähnt, weshalb Anna da eigentlich hingegangen ist? Also, was konkret sie verarbeiten wollte, falls es so etwas gab? - Mrs. Marks reitet wieder auf dem Problem des "Künstlertums" herum. Das verstehe ich - mal wieder - absolut nicht. Weshalb ist es für die Therapeutin so bedeutend, dass Anna Künstlerin ist? Anna selbst hält es für unwichtig. Mrs Marks möchte sie unbedingt wieder zum Schreiben bringen und hält anscheinend die seelischen Probleme Annas für ein sekundäres Symptom ihrer Schreibblockade. (Oder anders rum?)


    Bin ich überkritisch, wenn ich in diesen seltsamen Dialog auch wieder einen Hauch (Klassen?-)Arroganz hinein lese? Die Frau ist Künstlerin, da kommt das seelische Bauchweh natürlich nicht von den geistigen Darmwinden, wie sie das reguläre Publikum ab und zu so hat :rolleyes Eine ähnliche Passage findet sich auch in "Ungebundene Frauen 2", wenn Anna zugibt, Tommy für "gewöhnlich und zweitklassig" gehalten zu haben. - Was wäre dann bitte "erstklassig"? Jemand wie Anna, der den Tag damit zubringt, in Notizbücher zu schreiben, eher aus Gewohnheit ihre Tochter zu versorgen (die eine erstaunlich kleine Rolle bisher in diesem Buch gespielt hat), Zeitung zu lesen und über oben erwähnte geistige Darmwinde in Hysterie zu verfallen?


    Das blaue Notizbuch endet mit einem Traum Annas, in dem sich ihr Seelenleben (verkörpert in ihrem schriftstellerischen Schaffen, ihrem Streben und Scheitern, für das sich niemand interessiert und das niemand wirklich versteht) in ein boshaftes kleines grünes Krokodil verwandelt.


    Mein Eindruck bisher: wir haben drei Ebenen in diesem Roman. Die politisch-gesellschaftliche, verkörpert durch die kommunistische Idee mit all ihren Facetten und Auswirkungen. Dann eine sehr persönliche, die einer alleinstehenden Frau, die wie alle wenigstens insgeheim dem großen Phantom der Liebe nachspürt. Und die Sache mit der Kunst. Von der ich vielleicht allmählich verstehe, wie sie mit letzterer zusammenhängt: wer schreibt, sucht Anerkennung. Will geliebt werden.


    Dann folgt der Abschnitt "Ungebundene Frauen" 2. Der mit einem ziemlichen Paukenschlag endet, den ich am liebsten ausgesprochen zynisch kommentieren würde, weil mir eigentlich das Einfühlungsvermögen (im Wortsinn - ich kann nicht das fühlen, was die Figuren fühlen) ins Geschehen fehlt. Wenn ich versuche, mich drauf einzulassen, bleibt das rein auf "Kopf"-Ebene.


    Da ist erst mal Tommys Gespräch mit Anna. Wieder wirft er ihr Verantwortungslosigkeit vor. Weil sie sich aus jeder Öffentlichkeit zurückgezogen hat. Weil sie die kommunistische Ideologie (ist es okay, wenn ich es ihre "Ersatzreligion" nenne?) aufgegeben hat. Sie hat den Glauben verloren, oder zumindest den Elan, etwas ändern zu können. Und das wirft Tommy ihr vor.


    Aus Tommys Sicht haben ihm seine Eltern beide Möglichkeiten verbaut: er weiß zu viel und hat zu viel von Annas und Mollys Ideen aufgeschnappt, als dass er sich noch von seinem Vater für eines jener "Charity"-Projekte einspannen ließe, das irgendeine Firma dazu benutzt, Steuern abzuschreiben und sich einen guten Namen zu machen. Aber er hat keinen alternativen Lebensplan, weil Anna und Molly keinen haben. Am gesellschaftlichen Umbruch arbeiten kann er nicht mehr, die kommunistische Revolution hat sich längst selbst korrumpiert und zerstört.
    (Und 'ne Ecke kleiner denken als "wir retten die Welt", das geht natürlich nicht.)


    Dann kommt Marion, Richards leidgeprüfte Gattin, stockbetrunken vorbei, um zu prüfen, ob Anna was mit dem Göttergatten hatte. Ich gestehe, das waren bisher die Abschnitte, mit denen ich am meisten anfangen konnte, weil sie mir so bekannt vorkamen. "Du hast's gut", sagen die verheirateten und/oder geschiedenen Damen dann zu der unverheirateten, der übriggebliebenen. Der, die keiner wollte und über die man sich hinter ihrem Rücken das Maul zerreißt. "Du hast's gut, du bist allein." - Kenne ich alles. Annas Reaktion darauf stört mich etwas, dieses beschwörende "Ich wäre gern verheiratet. Ich lebe nicht gern so." Aber vielleicht gesteht sie sich da auch mehr ein als ich, immerhin ist Selbstbetrachtung offenbar ihre Hauptbeschäftigung. ;-)


    Mehr fällt mir im Moment nicht ein. Außer, dass ich mich schwer an den "Fänger im Roggen" erinnert fühle: ich nicke eigentlich beständig und denke, oh, ja, hübsch beobachtet. Aber es lässt mich mit einem Achselzucken zurück.

    Meine Bewertungsskala: 1-4 Punkte: Mehr oder minder gravierende formale Mängel (Grammatik, Rechtschreibung, Handlung). 5/6 Punkte: lesbar. 7/8 Punkte: gut. 9/10 Punkte: sehr gut. Details und Begründung in der Rezi.

  • Josefa, was meinst du, wann dieser Abschnitt ungebundene Frauen 2 spielt? Da Janet noch klein ist, muss es eine ganze Weile vor 1957 sein, da ist sie schon ausgezogen und lebt in einer eigenen Wohnung. Das heißt aber, dass Tommy zu der Zeit noch ein Schuljunge gewesen sein muss.


    Später mehr, ich kriege gleich Besuch.

  • Bisher bin ich mir bei "Janet", dieser Hoppla-ich-hab'-ja-auch-noch-ein-Kind-Tochter, überhaupt nicht sicher, aus welcher Beziehung sie stammt. Ich hatte unwillkürlich angenommen, sie sei nicht identisch mit dem Kind, das aus Annas einjähriger Ehe hervorgegangen war. Aber natürlich hast du recht. Wenn Tommy tatsächlich noch ein Schuljunge ist, ergibt das Gespräch zwischen ihm und Anna sehr wenig Sinn. Vor allem nicht der abgeklärte, völlig unkindliche Tonfall, in dem Tommy spricht. Was könnte ein Kind (oder meinetwegen ein Jugendlicher) mit Annas Notizbüchern anfangen? Warum argumentiert er bereits genau so wie der zwanzigjährige Tommy im Eingangskapitel? Und würde man ein Kind, das ja erst noch dabei ist, sich zu entwickeln, bereits in die Schublade "zweitklassig" stecken? (Das regt mich unter diesen Umständen noch viel mehr auf!)


    Verstehst du den Grund für dieses Herumschieben von zusammenhanglosen zeitlichen Ausschnitten? Mir fällt kein besserer Ausdruck ein. Gut, es ist erst das halbe Buch rum, aber ich kann bisher keinen Grund erkennen, der dieses Vorgehen rechtfertigen würde.


    Was eigentlich auch dramatisch ist: ich bin völlig unfähig, einen Unterschied zu erkennen zwischen der jungen Anna in Mashopi und der zwanzig Jahre älteren Anna in London. Sie denkt nicht anders und sie benimmt sich nicht anders.

    Meine Bewertungsskala: 1-4 Punkte: Mehr oder minder gravierende formale Mängel (Grammatik, Rechtschreibung, Handlung). 5/6 Punkte: lesbar. 7/8 Punkte: gut. 9/10 Punkte: sehr gut. Details und Begründung in der Rezi.

  • Josefa, ich bin leicht bestürzt über die Uhrzeit!! Aber wenn du schon um 5.00 losfahren musst.


    Ich habe gestern noch nachgelesen und festgestellt, dass ich einen Satz im ersten "ungebundene Frauen" Abschnitt falsch verstanden hatte. Janet war in der Schule....nicht ausgezogen. Wenigstens diese beiden "ungebundene Frauen" Abschnitte scheinen eine chonologische Abfolge zu sein.


    Janet ist das Kind von Max, mit dem Anna ein Jahr verheiratet war.


    Tommy ist also um die 24, was dem Gespräch schon mehr Sinn macht....einem Jungen, der noch zur Schule geht, einen Job anzubieten hätte wohl auch keinen Sinn gemacht.


    Diese zeitlich und inhaltlich unzusammenhängenden Puzzlesteinen sind meiner Meinung nach die Folge von Annas Versuch, durch das Führen von verschiedenen Notizbüchern zu unterschiedlichen Themen (wobei die ja auch nicht sauber eingehalten werden), das Chaos, das ihr sonst vermeintlich droht, zu vermeiden. Für sie, die diese Notizbücher ja schreibt, mag das Sinn ergeben. Ich stelle sie mir vor, wie sie die Bücher auf dem Zeichentisch verteilt hat und von einem zum anderen wandert.
    Für mich ist Annas Thema und größtes Problem, dass sie sich mit ihrer eigenen Zerrissenheit und Ungewissheit nicht abfinden kann. Mit aller Gewalt versucht sie, eine Form von Ordnung zu finden, die aber den Zustand nur verschlimmert.


    Du kriegst dazu noch eine PN


    Ich finde das Buch ganz schwierig zu lesen und habe mir vorgenommen, nach jedem Notizbuch eine Pause zu machen. Ich muss warten, bis die Puzzlesteinchen in meinem Kopf eine gewisse Ordnung gefunden haben....

  • Bei mir gingen schon im schwarzen Notizbuch die Augenbrauen hoch, als es um die (allen Frauen offenbar bestens bekannte) “Phase sexueller Besessenheit" ging.


    Leider sah es heute in der Arbeit nicht anders aus als gestern. Ich versuche, morgen zu antworten, wenn ich meine dreieinhalb Gehirnzellen wieder sortiert habe. Auch auf deine ausführliche und informative PM, Rumpelstilzchen.

    Meine Bewertungsskala: 1-4 Punkte: Mehr oder minder gravierende formale Mängel (Grammatik, Rechtschreibung, Handlung). 5/6 Punkte: lesbar. 7/8 Punkte: gut. 9/10 Punkte: sehr gut. Details und Begründung in der Rezi.

  • Geschlafen habe ich, sortiert fühle ich mich nicht. Aber das wird wohl keinen großen Unterschied machen :lache.


    Nachdem der erschreckend reale Kanonendonner, der uns alle (oder zumindest mich als Leser) aus unserer schön theoretischen, herrlich intellektuellen Nabelschau gerissen hat, verklungen ist und der Pulverdampf sich verzogen hat, finden wir uns - im schwarzen Notizbuch wieder. Und wieder mal im Gespräch mit bösen bösen Filmleuten, die das große Kunstwerk auf eine rein kommerzielle Ebene herab holen wollen, die mit der ursprünglichen Aussage und sogar dem Inhalt des Werks nichts mehr zu tun hat. Es ist alles "erniedrigend und häßlich", und deshalb schreibt Anna nicht mehr. Das zweite Filmangebot, das Anna ablehnt, wird von einer Amerikanerin unterbreitet, die die Geschäftsreise offenbar als Vorwand nutzt, um sich mit ihrem Gspusi im Hotel treffen zu können, und Anna rundum sympathisch ist, bis Anna durchblicken lässt, dass sie Kommunistin ist. Großes Entsetzen. Hehe. Nette Szene. Vermutlich nicht lustig gemeint, aber ich fand's witzig.


    Dann mal wieder rotes Notizbuch. Darf ich sagen, dass mir diese Rumhopserei auf den Wecker geht? Faszinierend für mich, wie ... einfältig (Pardon!) die Grundhaltung gegenüber der Partei letztlich ist: Man sieht die Leichen, das Unrecht, die Morde, man weigert sich, sie wahrzunehmen. Und wünscht sich wider besseres Wissen nichts sehnlicher, als dass Stalin tatsächlich der große Heilsbringer wäre, als der er sich darstellen lässt. Lauter Intellektuelle. Weit klügere Köpfe als ich, die alle gelernt haben, analytisch zu denken - und sie warten auf den Messias?


    Und Hoppsa - gelbes Notizbuch. (Memo an mich: das war das Romanmanuskript. Anna heißt hier Ella.) Ella ist bereits von ihrem untreuen Geliebten verlassen worden (der hieß Paul) und fährt nach Paris, um dort über die Abdruckrechte an Geschichten zu verhandeln, die allerdings für den englischen Geschmack völlig umgeschrieben werden müssten (siehe schwarzes Notizbuch oben). Sie verhandelt mit einem Franzosen, der ihr seine Verlobte vorstellt, und Ella durchschaut binnen zehn Minuten die gesamte Beziehung und kann vorhersagen, wie das weitere Leben dieses Paares sich entwickeln wird.


    Ich muss gestehen, das ist etwas, das mich tatsächlich halb wahnsinnig macht in diesem Buch: wie hier im Schnellverfahren die Leute in Schubladen gesteckt werden. Das findet sich ja an sehr vielen Stellen. Natürlich ordnet man Leute, mit denen man es zu tun hat, unwillkürlich bestimmten Typen und Klischees zu - aber doch bitte immer unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich um einen persönlichen Eindruck handelt und man viele Aspekte der Persönlichkeit seines Gegenübers nicht kennt oder sich schlicht und ergreifend täuschen könnte.


    Beim etwas turbulenten Heimflug mit einer notdürftg reparierten Maschine lernt Ella einen Amerikaner kennen, der verheiratet ist und in London was fürs Bett sucht. Daraus entwickelt sich eine erfrischend unkomplizierte Kurzbeziehung, in der Ella zum ersten Mal das Gefühl hat, die Gebende, nicht die Nehmende zu sein.


    Und hoppsa - blaues Notizbuch. Das war das mit den Psychoanalyse-Stunden und den eingeklebten Zeitungsausschnitten. Jetzt geht es um das sich ankündigende Ende der Beziehung zwischen Michael und Anna, und zum ersten Mal spielt auch Janet wirklich eine Rolle. Versöhnt mich etwas.


    Da habe ich vorerst mal Schluss gemacht. Mal sehen, was ich über die Feiertage noch schaffe.

    Meine Bewertungsskala: 1-4 Punkte: Mehr oder minder gravierende formale Mängel (Grammatik, Rechtschreibung, Handlung). 5/6 Punkte: lesbar. 7/8 Punkte: gut. 9/10 Punkte: sehr gut. Details und Begründung in der Rezi.

  • Nachdem ich jetzt auch den zweiten Durchlauf (unabhängige Frauen 2 und die verschiedenen Notizbücher) gelesen habe, ist mir immerhin der Aufbau des Buches klarer geworden.
    Endlich habe ich durchschaut, dass ich einfach hin und herblättern muss, wenn ich auf Chronologie Wert lege.


    Wieso sich Anna jedesmal überreden lässt, mit den bösen Vertretern des Kommerzes zu verhandeln, wo sie genau weiß, dass sie nicht auf die Angebote eingehen wird, erschließt sich mir so gar nicht. Sie scheint ja auch nicht so verarmt zu sein, dass sie auf ein kostenloses Mittagessen scharf ist.
    Die Szene mit der amerikanischen Dame ist bestimmt nicht lustig gemeint. Die Zustände in der McCarhy Ära können wir uns kaum vorstellen. Da konnte jeder Kontakt zu Kommunisten die Karriere kosten. Kaum vorstellbar in einer angeblichen Demokratie....


    Um tatsächlich etwas sinnvolles zum roten Notizbuch zu sagen, bin ich selber zu jung. Dieser blinde Glaube an eine Partei, an deren Wahrheit ist mir genauso fremd wie dir. Was mir wichtig erscheint: Intelligenz bewahrt nicht unbedingt vor Dummheit. Bei der Szene in der Schriftstellergruppe musste ich an das Gespräch mit Tommy denken. S. 328. Wie erkennt man einen Kommunisten (kann meiner Meinung nach ersetzt werden durch die meisten Ideologien)? Daran, dass die Rettung einzelner nicht erwünscht ist. Entweder das Heil für alle, notfalls durch Armageddon (Ungeahnte Querverbindung zu Frank Schätzing!), ansonsten können alle getrost verrecken.
    Bei dem was du zum Schubladendenken geschrieben hast, fällt mir etwas ein, was mir schon mehrmals bei diesem Buch gedacht habe. Durch das viele Nachdenken und Analysieren neigen alle dazu, alle Phasen ihres Lebens vom Ende her, von den Ergebnissen her zu berichten und auch zu beurteilen. Die Fähigkeit, das eigene Leben (das der anderen natürlich auch) als Prozess zu sehen, als etwas, das von vielen Faktoren beeinflusst ist, scheint kaum jemand zu haben.


    Eine Gemeinsamkeit von Anna und Ella (wieder mal kein Wunder) ist, dass sie dem eigenen Urteil nicht trauen, von der Wertschätzung und Beurteilung anderer abhängen.
    Was mir am blauen Notizbuch gefallen hat, war Annas zutreffende Analyse der Situation "moderner" Frauen. Deprimierend.

  • Ich habe inzwischen den zweiten Abschnitt des blauen Notizbuchs fertig gelesen. Darin beschreibt Anna (zu therapeutischen Zwecken) detailliert einen ganz normalen Tag mit all seinen Facetten, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. War interessant, vor allem aber deprimierend. Humor scheint in Annas Tagesablauf nicht vorzukommen. Freude ja, aber es ist vor allem eine stumme, einsame Freude: sie freut sich, mit ihrem Kind allein zu sein, und sie freut sich darauf, dass abends ihr Freund zu ihr kommen will (der sie prompt versetzt und die Beziehung merklich auslaufen lassen will, ohne sie offiziell zu beenden). Der Rest ist ein Sammelsurium kleiner bedrückender Einzelheiten, bei der Arbeit, in der Beziehung zu ihren Mitmenschen, in der gesamten Art, wie sie die Welt wahrnimmt. Und ihre Tage hat sie auch noch.


    Was mich am meisten deprimiert hat, war, wie sehr eine Frau wie Anna, die sich selbst ja als "progressiv" sieht und die der Roman ausdrücklich "ungebunden" nennt, sich und ihr Wollen und Wünschen eben doch an ihrem jeweiligen Mann ausrichtet. Das geht beim morgendlichen Sex los (den Anna eigentlich in diesem Moment nicht will), setzt sich fort in der Art, wie sie das Kind von ihrem Geliebten fern hält (auf seinen Wunsch hin) und endet bei der Aufregung, mit der sie sich nach einem durch und durch stressigen Tag noch hübsch macht, zwei verschiedene Essen vorbereitet (eins fürs Kind, eins für den Mann) und für den Herrn, von dem sie schon weiß, aber nicht wahrhaben will, dass er sie bald verlassen wird, rundum gleichermaßen attraktive Geliebte wie perfekte Hausfrau und Köchin sein will. Das ist so tpisch "Handbuch für die gute Ehefrau" - man konnte den Fünfziger-Jahre-Mief fast riechen.


    Was Anna zu Marion gesagt hat, ist ganz offensichtlich wahr: sie unterscheidet sich nur insofern von ihr, als Anna bewusst ist, wie zweifelhaft und widersprüchlich sie sich benimmt.


    Ach, nochmals zur Amerikanerin oben: ich weiß, dass die McCarthy-Ära schrecklich gewesen sein muss. Aber das nimmt der konkreten Situation nicht ihre Komik :lache. Da sitzen diese zwei Ladies gemütlich beim Essen, verstehen sich blendend, ein Schlagwort fällt und - plopp. Geplatzt. Einen Moment lang habe ich darauf gewartet, dass die Amerikanerin Knoblauch und Kruzifix aus der Handtasche zieht. - Das ist auch etwas, das ich nicht begreife: wie wenig gelassen Anna an die Dinge herangeht, selbst in der Rückschau. Dass sie in diesem peinlichen Moment nicht fähig ist, die Komik der Situation zu erkennen, ist klar. Aber später? Sie nimmt alles und jeden so ernst, als gäbe es nur eine Betrachtungsweise für die Dinge. Das wäre doch mal ein Moment, in dem man die Dinge von einer "höheren Warte" aus betrachten könnte ...


    (Vielfach editiert, da noch im Halbschlaf - nein, kein Grund zur Beunruhigung, ich arbeite heute nicht. Mein Biorhythmus ist nur total verkorkst.)

    Meine Bewertungsskala: 1-4 Punkte: Mehr oder minder gravierende formale Mängel (Grammatik, Rechtschreibung, Handlung). 5/6 Punkte: lesbar. 7/8 Punkte: gut. 9/10 Punkte: sehr gut. Details und Begründung in der Rezi.

    Dieser Beitrag wurde bereits 3 Mal editiert, zuletzt von Josefa ()

  • Josefa, völlige Humorlosigkeit und Fehlen von Selbstironie scheint ein Kennzeichen von allen orthodoxen Anhängern wovon auch immer zu sein!


    Eigentlich ist Annas Leben noch schlimmer als Marions. Sie ist emotional mindestens genauso abhängig wie sie, muss sich dreimal so viel Arbeit aufladen und ist hinterher genauso alleine. Toller Fortschritt. Und ehrlich gesagt, nach meiner Einschätzung hat sich die Lage vieler Frauen noch immer nicht so arg geändert. jedenfalls, wenn sie versuchen, eine anspruchsvolle Arbeit und Familie unter einen Hut zu kriegen. Manchmal schaue ich hoffnungsvoll auf die Generation meiner Kinder, es wird sich zeigen.....

  • Sehr weit bin ich nicht gekommen, immerhin habe ich ungebundene Frauen 3 geschafft.


    Zwischendurch musste es doch mal ein handfester Krimi sein!


    Es passiert ja recht viel in diesem Kapitel. Anna tritt aus der Partei aus und gibt damit auch ihre Tätigkeit auf. Das war mir gar nicht klar, dass sie zwar unbezahlt, aber doch "richtig" für die Partei arbeitet.
    Die schlimme Situation von Tommy. Oder besser gesagt, die schlimme Situation seiner Mutter und Annas mit ihm. Ich denke, man muss sich hüten, in ihm das arme Opfer zu sehen. Hoch manipulativ, was er da macht.
    Der Besuch bei Richard (ein Vollidiot, mehr ist über ihn tatsächlich nicht zu sagen), eigentlich seltsam, dass dieser kluge Mann gar nicht merkt, was er in seinem Privatleben so treibt. Man wäre ja geneigt zu sagen: "typisch Mann", aber das ist dann doch wieder eine plumpe Verallgemeinerung ;-).
    Marion in neuer Rolle - welche Veränderung. Oder doch nicht? Nur ein neues Ziel?
    Annas Skrupel diesen unangenehmen Ronnie rauszuschmeißen. Kommt mir irgendwie bekannt vor. So ein Minderheitenstatus kann auch schützen - bei den richtigen Leuten.


    Mit dem schwarzen Notizbuch habe ich angefangen. Diese Afrikageschichte gefällt mir aber so überhaupt nicht.....Abhandlungen über das Paarungsverhalten von Heuschrecken???? Und das bei vermeintlich so liberalen jungen Leuten. ?(