Unsere Singvögel - Matt Sewell

  • Matt Sewell: Unsere Singvögel, OT: Our Songbirds, aus dem Englischen übersetzt von Gabi Krause, München 2014, Frederking & Thaler, ISBN 978-3-95416134-8, Hardcover, 128 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen, Format: 19,7 x 14,8 x 1,5 cm, EUR 16,99.


    „Die Garderobe der Turteltaube stammt aus Großmutters Zeiten: weiße Spitzen, durchbrochenes Schultertuch und pastellfarbene Kniehosen.“ (Seite 56)


    Manchmal wäre es gut, wenn man schon ein bisschen was über den Autor und die Entstehungsgeschichte eines Buchs wüsste, ehe man es zur Hand nimmt. Sonst kann es passieren, dass man ziemlich verwirrt in die Seiten schaut. Bei diesem Werk ist es mir so ergangen.


    UNSERE SINGVÖGEL wird vom Verlag als Bestimmungsbuch angepriesen. Wenn man es aufschlägt, findet man niedliche Vogel-Aquarelle wie aus einem Kinderbuch und kurze, launige Textporträts der gefiederten Sänger: „Mein Mathelehrer hat mich mehrmals gefragt, wie ich ohne Zähne Witze erzählen wollte. Ähnliches gilt für den Fichtenkreuzschnabel. Wie soll er mit seinem Kreuzschnabel singen? In beiden Fällen lautet die Antwort: schlecht.“ (Seite 113). Über den Trauerschnäpper schreibt der Autor: „Ein wirklich entzückender Vogel, der mit seinem heiteren Zwitschern unser Ohr erfreut, allerdings sehr viel seltener zu hören ist als der mit ihm verwandte, weniger spektakuläre Grauschnäpper, der mehr wie eine rostige Schubkarre klingt.“ (Seite 80)


    Das ist amüsant, aber besonders wissenschaftlich ist das nicht. Von einem Bestimmungsbuch erwartet man etwas anderes. Zahlen, Daten, Fakten. Und Vogelbilder, die es einem ermöglichen, das Tier in freier Wildbahn zu erkennen.


    Wenn jemand weiß, wie die Vögel in natura ausschauen, erkennt er sie auf Sewells stilisierten, karikaturartigen Bildern auch wieder. Das habe ich zusammen mit einem Vogelfreund getestet. Aber ob es andersherum auch funktioniert? Kann ich, sagen wir mal, eine Rohrdommel oder eine Wasseramsel, die mir in der Natur begegnen, anhand der Darstellungen in dem Buch zweifelsfrei identifizieren? Das wird eher schwierig ...


    Ich hatte den Verdacht, dass dieses Werk nie als Bestimmungsbuch konzipiert worden ist und bin zunächst mal der Frage nachgegangen, wer eigentlich Matt Sewell ist. Hat er nur den Text geschrieben oder auch die Bilder gemalt? Welchen Hintergrund hat er? Welche Absicht steckt hinter dem Buch?


    Zum Glück gibt’s Internet, und bald war ich schlauer: Ein Vogelfreund ist er zweifellos, doch in erster Linie ist er Bildender Künstler. In seiner Heimat Großbritannien weiß man das vielleicht auch so, im deutschsprachigen Raum ist er wohl eher unbekannt.


    Sewell scheint als Street-Art-Künstler angefangen zu haben – also mit Graffiti. Seine Werkschau im Internet zeigt jedenfalls diverse Mauern, die er gestaltet hat. Und immer wieder tauchen Vogelmotive in seiner Arbeit auf: http://mattsewell.co.uk/


    Seit 2009 hat er auf der Internetseite Caught by the River – www.caughtbytheriver.net - regelmäßig in Wort und Bild einen „Vogel der Woche“ vorgestellt, was sich bei den Besuchern der Seite großer Beliebtheit erfreut. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis ein englischer Verlag auf die Idee kam, diese unterhaltsamen Wochenporträts zu einem Buch zusammenzufassen. 2013 erschien OUR SONGBIRDS bei Ebury Press, einem Imprint von Random House. Wenn Wochenporträts die Basis für das Buch waren, wird auch klar, warum genau 52 Vögel in dem Band vorgestellt werden: einer für jede Woche des Jahres.


    Frederking und Thaler in München hat das Bändchen nun auf Deutsch auf den Markt gebracht, doch leider ohne ein Wort über den Künstler zu verlieren, dem wir es zu verdanken haben. So steht man als Leser erst ratlos vis-a-vis und fragt sich, was das ganze soll. Wenn man es weiß, wird man schnell Gefallen an dem skurrilen Buch finden. Für einen Vogelfreund, der sich schon sehr gut in der Materie auskennt, ist das mit Sicherheit ein nettes Geschenk. Einen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn sollte man sich davon aber nicht versprechen.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner