Ostende - Volker Weidermann

  • 1936 - Sommer der Freundschaft


    160 Seiten, gebunden
    2014


    Kurzbeschreibung:
    Ostende, 1936: ein Strand, ein paar Schriftsteller und ein Sommer, wie es keinen mehr geben sollte


    Ein belgischer Badeort mit Geschichte und Glanz: Hier kommen sie alle noch einmal zusammen, die im Deutschland der Nationalsozialisten keine Heimat mehr haben. Stefan Zweig, Joseph Roth, Irmgard Keun, Kisch und Toller, Koestler und Kesten, die verbotenen Dichter. Volker Weidermann erzählt von ihrer Hoffnung, ihrer Liebe, ihrer Verzweiflung – und davon, wie ihr Leben weiterging.
    Stefan Zweig reist mit seiner Geliebten Lotte und der Schreibmaschine an, Joseph Roth kommt trotz Schnapsverbot, um Ferien mit seinem besten Freund zu machen und zu schreiben. Er verliebt sich ein letztes Mal: in Irmgard Keun, die bloß wegwollte aus dem Land der Bücherverbrenner. So sonderbar die Freundschaft zwischen dem Millionär Zweig und dem begnadeten Trinker Roth ist, so überraschend ist die Liebe zwischen Roth und der jungen, leidenschaftlichen Keun.
    Es kommen noch mehr Schriftsteller nach Ostende. Sonne, Meer, Getränke – es könnte ein Urlaub unter Freunden sein. Wenn sich die politische Lage nicht täglich zuspitzte, wenn sie nicht alle verfolgt würden, ihre Bücher nicht verboten wären, wenn sie nicht ihre Heimat verloren hätten. Es sind Dichter auf der Flucht, Schriftsteller im Exil.


    Präzise, kenntnisreich und mitreißend erzählt Volker Weidermann von diesem Sommer kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, in dem Zweig, Roth und Keun noch einmal das Leben feiern, wie es nur die Verzweifelten können.


    Über den Autor:
    Volker Weidermann, 1969 in Darmstadt geboren, studierte Politikwissenschaft und Germanistik in Heidelberg und Berlin. Er ist Literaturredakteur und Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und lebt in Berlin. Von ihm erschienen bei Kiepenheuer & Witsch: Max Frisch. Sein Leben, seine Bücher (2010), Das Buch der verbrannten Bücher (2008) und Lichtjahre (2006).


    Mein Eindruck:
    Ein schmales, aber ganz besonderes Buch ist im Verlag Kiepenheuer und Witsch erschienen.


    Ein Buch über die deutschen Literaten im Exil zur Zeit des Nationalsozialismus. Der Schriftsteller Stefan Zweig ist die im Vordergrund stehende, handelnde Figur.
    Ist das nun ein Roman, eine Biographie oder ein Essay? Nach meiner Leseauffassung nach ist es eine Mischung aus allen, dazu eine höchst genaue und informative.


    Stefan Zweig war als Literat zeitweise sehr erfolgreich und berühmt. Ein Beststeller-Autor, dessen Bücher aber in Deutschlands schwärzester Zeit verbrannt wurden.


    Volker Weidermann macht auch deutlich, das Stefan Zweig eine ambivalente Figur war. Manchmal politisch unentschlossen. Mit seiner Frau führte er einen Rosenkrieg. Um sich davon zu erholen reist er mit seiner Sekretärin und potentiellen Geliebten 1936 nach Ostende.


    Auch Joseph Roth, Autor des Radetzkymarsch und Freund von Stefan Zweig hat eine Rolle im Buch. Es war eine wichtige, aber auch schwierige Freundschaft. Dieses Joseph Roth-Portrait hat mich sehr überzeugt.
    Weitere bekannte Schriftsteller-Persönlichkeiten sind Irmgard Keun, Ernst Toller, Egon Erwin Kisch und Hermann Kesten. Sie alle treffen sich in Ostende


    Alle Figuren, mit denen Weidemann in diesem Buch arbeitet, sind anscheinend historisch belegt. Schließlich hat er sich schon oft mit der deutschsprachigen Literatur der Vergangenheit beschäftigt.


    Ostende ist ein sehr interessantes Buch geworden.
    Spontan habe ich mir nach Beendigung der Lektüre gleich noch ein Buch von Volker Weidermann bestellt.


    ASIN/ISBN: 3442748917

  • Zitat

    „Die Welt, die Literatur, die Politik – wie schön wäre es, von alldem nicht mehr wissen zu müssen. Welcher Ort könnte fern genug von alldem sein? Welcher Ort konnte das Mausloch für diesen Sommer sein?Ein Strand in Belgien weiße Häuser, Sonne, eine breite Promenade, kleine Bistros mit Blick aufs Meer. Er will nach Ostende.“ (S. 38/39)


    Im belgischen Küstenort Ostende treffen sich im Sommer 1936 Stefan Zweig und Joseph Roth, um dort gemeinsam die Ferien zu verbringen. Ich kenne die Biografien der beiden Literaten und habe immer wieder Probleme, mir diese beiden völlig unterschiedlichen Männer als Freunde vorzustellen. Joseph Roth zähle ich zu meinen Lieblingsautoren und auch Stefan Zweigs Werk schätze ich sehr. Die Runde wird durch Irmgard Keun, Hermann Kersten, Ernst oller und Egon Erwin Kisch komplettiert. Sie sind Emigranten, weil sie – bis auf Irmgard Keun – Juden sind, weil ihre Bücher in Deutschland nicht mehr verlegt werden. So nah sie sich im Geiste sind, so sehr unterscheiden sie sich in ihrem Leben. Ost-Jude, West-Jude, Nicht-Jude, armer Jude, reicher Jude, Trinker und Pazifist, Liebende, Lebende, Verzweifelte sind sie. Und sie sind Freunde, wenn auch diese Freundschaft, insbesondere die zwischen Zweig und Roth, argen Belastungsproben ausgesetzt ist.


    Zitat

    „Wieder einmal sitzen alle im Fleure, die Gesellschaft der Stürzenden, die in diesem Sommer noch einmal versucht, sich als eine Art Urlaubsgesellschaft zu fühlen. Noch einmal versucht, Sorglosigkeit zu simulieren. Was ist es letztlich anderes als eine große, lange Urlaubsreise, auf der sie sich seit Jahren befinden? Fern der Heimat, mit Freunden unterwegs, in Paris, Nizza, Sanary-sur -Mer, Amsterdam, Marseille, Ostende. Und irgendwann eben wieder zurück. Nur wann? Die Frage wird, je drängender sie ist, umso weniger gestellt. Mit jedem weiteren Tag, den dieser Urlaub andauert, wird eine Rückkehr unwahrscheinlicher. Alle wissen es. Aber man spricht nicht darüber. Es herrscht die Pflicht zum Optimismus. Den Strick hat man im Koffer, darüber wird nicht geredet.“ (S. 90).


    Diesen Roman habe ich sehr genossen. Ich fühlte mich Roth, Zweig und den anderen so nah, wie ich es durch das bloße Lesen ihrer Biografien nie war. Beeindruckend dabei ist, das Volker Weidermann mir dieses Leseerlebnis auf nur 160 Seiten bescherte. Es gibt keine überflüssigen Worte oder Dialoge und schon gar keine Längen. Die Urlaubsidylle ist jedoch nur scheinbar. Das wird sehr deutlich, wenn man von jedem der Protagonisten mehr Hintergrundinformationen erhält. Dieser Rückzugsort ist wie ein Mantel des Schweigens, der ihre eigentlichen Sehnsüchte verhüllt. Sein besonderes Flair hat Ostende nur durch die Gemeinschaft. Als Joseph Roth sich im Jahr 1937 den Sommer noch einmal in Erinnerung rufen will und dort allein - ohne Stefan Zweig – anreist, schreibt er:


    Zitat

    Ostende ohne Sie. Die gleichen Lokale und alles anders. Sehr vertraut und sehr fremd. Beides in schrecklicher Gemeinsamkeit.“ (S. 145)


    Für mich war es sehr interessant, ein wenig an den Gedanken und Gefühlen dieser literarischen Gemeinschaft teilhaben zu können. Ich habe ihre Hoffnungen, Wünsche, Abgründe und ganz persönliche Tragik erkennen können. Darüber hinaus bekam ich so ganz nebenbei einen kleinen Einblick in die Werke der Autoren und „Meine Freunde, die Poeten“ von Hermann Kersten ist sofort auf meinen Wunschzettel gewandert, weil es diesen Roman, den ich sehr gern weiterempfehle, noch einmal vertieft.

  • Nach Beendigung des Buches bin ich nach wie vor beeindruckt, dass es dem Autor gelungen ist, alle wichtigen Gedanken und Emotionen (ohne jegliche Form von Kitsch) auf 157 Seiten unterzubringen.


    Natürlich weiss man (prinzipiell) um die Tragik der Emigranten zur Nazizeit. Aber, man fühlt wirklich mit Zweig, Roth, Toller usw. und spürt ihre Ohnmacht der Ausweglosigkeit förmlich.
    Ich habe mir bewusst 8 Tage Zeit genommen für die Lektüre dieses wunderbaren Buches, da es sich eigentlich sehr zügig lesen lässt und binnen 2 Tagen für mich komplett lesbar gewesen wäre. Aber, so habe ich immer mal eine halbe Stunde darin gelesen, um dann das Gelesene sacken zu lassen. Es ist ein nachdenklich stimmendes Buch und dennoch ein Lesegenuß, sehr empfehlens- bzw. lesenswert!

  • Die 150 Seiten habe ich an 2 Tagen gelesen. Der distanziert-deskriptive Stil des Autors sorgt dafür, dass der Leser exakt die Stimmung einfängt, in der die Emigranten sich damals befunden haben: Hoffnungslosigkeit gepaart mit Existenzängsten.


    Im Mittelpunkt steht die Freundschaft zwischen Stefan Zweig und Joseph Roth. Im Laufe der Seiten verschiebt der Fokus sich immer mehr auf den langsamen Untergang von Joseph Roth, des ständig betrunkenen Dichters in engen Offiziershosen.


    Ein Buch, das ich bestimmt nochmal lesen werde.

  • Das was mich an dem Büchlein am meisten fasziniert hat ist, dass es dem Autor tatsächlich gelingt diese Atmosphäre, die doch mit meinem eigenen Erleben nichts zu tun hat so nah zu schildern, als wäre man dabei. Ein Buch das eine Situation in quasi- dokumentarischem Stil beschreibt, das aber nichtnichten disztanziert und unbeteiligt beschreibt. Tief beeindruckend.