Der Vater bin ich – Joachim Wohlgemuth (ab ca. 14 J.)

  • Mit Zeichnungen von Regine Schulz


    Erstmals erschienen 1977


    Roderich – er heißt wirklich so -, ist knapp siebzehn und lernt Industriemaler. Das interessiert ihn nicht besonders, allerdings kann er sich auch sonst für wenig begeistern, angefangen von der Schule. Er ist der Jüngste einer kinderreichen Familie, drei seiner Schwestern wohnen immer noch zuhause und behandeln ihn wie ein Kleinkind und einen Patriarchen zugleich. Roderich muss keinen Finger rühren und sich auch sonst nicht anstrengen. Das genießt er.


    Was er auch genießt, ist, daß er groß und breitschultrig und ziemlich gutaussehend ist. Die Leute halten ihn in der Regel für mindestens zwanzig. Auch die Frauen. Das hat ihm ein Verhältnis mit der zweiundzwanzigjährigen Grete eingebracht. Seit einiger Zeit geht Roderich das Verhältnis aber gewaltig auf die Nerven. Grete stellt Ansprüche. Roderich versteht die Welt nicht mehr, schließlich liebt er sie doch gar nicht.
    Die erforderliche Liebe erwischt ihn unvermutet, bei einem Diskoabend. Da erscheint Gabi. Sie ist schon achtzehn und lernt Zootechnikerin. Zudem ist sie mit einem Bauleiter verbandelt. Wenn Roderich die Liebe seines Lebens erobern will, muss er aktiv werden. Es ist seiner Sache auch keineswegs zuträglich, dass Gabi ihn, wie alle, für älter als sechzehn hält.


    Roderichs (und Gabis) Liebesgeschichte(n) sind richtig spannend. Wohlgemuth erzählt aus einem Kosmos, der sich aus klassischen Konflikten zwischen Alt und Jung, ländlich-bäuerliche Welt versus moderne, industrialisierte Welt, dem Gegensatz zwischen Männern und Frauen, Individuum und Gesellschaft speist. Seine Figuren werden dabei nie zu Typen, sie bleiben lebendig, mit allen Konsequenzen. Dazu gehört die Szene, in der im Standesamt Roderich erfährt, daß er mit sechzehn gar nicht heiratsfähig ist, ebenso, wie kleine Seitenhiebe gegen übereifrige FDJlerinnen (aus Sachsen!), die von heute auf morgen die Welt verbessern wollen oder die sehr genau beobachteten Verhältnisse in kleinbürgerlichen Familien, die noch nach tradierten Rollenvorstellungen leben.


    Die Figuren sind fast alle sympathisch, noch in ihren Irrtümern. Die sind keineswegs klein, es geht um moralische Fragen, voreheliche Schwangerschaften, Ehebruch, Schlampereien in Betrieben, Betrügereien. Es fließt auch Blut und kleine Tiere werden getötet, ehe die gewünschte Einsicht sich durchsetzt und es zu einem ungewöhnlichen Ende kommt.


    Gut erzählte Geschichte über das Erwachsenwerden in einer Gesellschaft, in der Alt und Neu noch kräftig miteinander ringen.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus