Über das Buch:
Verdun 1916 – längste Schlacht der Weltgeschichte, Sinnbild des totalen Krieges, Markstein für das 20. Jahrhundert. „So furchtbar kann nicht einmal die Hölle sein“, entsetzte sich ein Augenzeuge. Nie wieder starben mehr Soldaten auf so engem Raum. Olaf Jessen zeichnet auf der Grundlage vergessener Dokumente ein neues Bild von der Schlüsselschlacht des Ersten Weltkrieges. Sein glänzend erzähltes, unter die Haut gehendes Buch ist ein „Muss“ für alle, die den Großen Krieg aus Sicht der Frontsoldaten, Generäle und Politiker beider Seiten neu kennenlernen wollen.
Über den Autor:
Dr. phil. Olaf Jessen wurde 1968 geboren. Er ist Historiker und Publizist, unter anderem des Buches „Die Moltkes“.
Meine Meinung:
Gebundenes Buch, ausgestattet mit Lesebändchen und Schutzumschlag. Insgesamt 66 Fotos und 8 Karten verteilen sich auf den 496 Seiten resp. den 348 Seiten umfassenden Haupttext. Vorangestellt ist ein Inhaltsverzeichnis und ein Verzeichnis der Hauptpersonen, abgeschlossen wird das Buch mit einem umfangreichen Anhang, bestehend aus einem Dank und Darstellung der Quellen, Anmerkungen, Bildnachweisen, Quellen- und Literatur-Angaben, Personen- und Ortsregister sowie einer Inhaltsübersicht.
Vom 21.02.1916 bis zum 20.12.1916 dauerte eine der blutigsten und brutalsten Schlachten nicht nur des Ersten Weltkriegs, die über 700.000 Soldaten das Leben kostete. Ungezählt sind die an Leib und Seele Verwundeten, ungezählt die Verluste an Hab und Gut. „Urschlacht“, dieses Wort hört und liest man immer wieder, wenn die Sprache auf die Kämpfe um Verdun kommt. Olaf Jessen listet in seinem Buch fast schon minutiös die Entwicklung, die zu dieser Schlacht führte, und die Entwicklung der Schlacht selbst. Zu Wort kommen lässt er Generäle und Angehörige der Stäbe, Offiziere und Soldaten.
Deutlich wird, was Verdun eigentlich bedeutete, was es anstieß, welche Auswirkungen sich anschlossen: Von der Weiterentwicklung zum Beispiel der Flugzeuge, zumal derjenigen, die Tod und Vernichtung brachten, der Kanonen, der Degradierung des Menschen zum „Menschenmaterial“, über das nach Belieben und – gedachter, angenommener – Fortune zu entscheiden war, über die Absetzung der beiden maßgeblich beteiligten Heerführer, auf französischer Seite des Generalissimus Joseph Joffre, auf deutscher Seite des Chefs des Generalstabs des deutschen Feldheeres (das hieß wirklich so, darunter ging es nicht) Erich von Falkenhayn, bis zur Installierung des Gespanns Hindenburg-Ludendorff als militärische Machthaber, immerhin mit der Koppelung an den „Retter“-Mythos, der, man mag es glauben oder nicht, auch in heutigen Tagen nicht völlig aus der Welt geschafft ist. Doch damit nicht genug: Jessen weist eindrücklich darauf hin, dass die Generalität mit ihren Offizieren (auf deutscher Seite) maßgeblich identisch war mit der Führung der Wehrmacht zu Zeiten des Nationalsozialismus, was deutliche Folgen in der „Bekräftigung des Angriffsdogmas und Entwicklung einer Doktrin der Totalisierung“ (Seite 336) hatte.
Jessens Buch zeigt, und das ist vielleicht das Besondere, dass die Schlacht von Verdun keineswegs als das geplant war, als was sie seit jeher zu stehen scheint, nämlich als eine Vernichtungsschlacht, die zum „Ausbluten“ des Gegners führen sollte. Blutig genug war sie, daran kann ja kein Zweifel bestehen, Jessens intensive Auswertung der Quellen weist auf ein anderes Moment hin: Geplant war ein schneller Angriff und „Wegnahme“ der Festung mit Möglichkeit zum „Durchstoß“, alles selbstverständlich zügig vorgetragen, was dann letztlich auf ein rasches und – natürlich – siegreiches Ende des Krieges zielte. Die wenigen Tage, die veranschlagt wurden in den Rechnungen der militärischen Führung, deuten auf einen mir bedingungslosen, aber dennoch überhöhten Glauben an die Fähigkeiten und Möglichkeiten der eigenen Armee hin, negierend selbstverständlich, welchen Belastungen und Aderlassen sie bis dahin ausgesetzt war. Jessen erklärt genau und akzentuiert, wie und mit welchen Worten in den Jahren nach Kriegsende der Schlacht von Verdun gedacht wurde, welche Eigenschaft ihr beigegeben wurde. Ebenso genau und akzentuiert schlüsselt er die Quellen auf, widerlegt, was zu widerlegen ist und stellt die sich ihm präsentierende Lage vor.
Das Buch ist durchaus lesenswert. Jessen scheut sich nicht davor zurück, klare Worte zu gebrauchen. Dennoch habe ich sein Werk zunehmend mit einem Gefühl gelesen, das ich nur als Unbehagen bezeichnen kann. Dieses gilt nicht nur den Fakten an sie, die sind wahrlich unbehaglich genug; es gilt auch dem Umstand, den ich so in einem Sachbuch nicht unbedingt erwartet hätte: Jessen wahrt mir schlicht ein wenig zu wenig Distanz. Auf mich wirkte es stellenweise so, als sei Jessen von seinem Thema förmlich mitgerissen, als wenn er sich fast an die Seite der jeweiligen Protagonisten stellte und sie hin und wieder auf andere, bessere Möglichkeiten hinweisen wollte, was natürlich durchaus an den Formulierungen resp. meiner Interpretation derselben liegen kann. Ob damit das im Klappentext attestierte „meisterhaft beherrschte kinematographische Erzählen“ Jessens umfasst ist, das „die Grausamkeit der Kämpfe und das Ringen der Heerführer so anschaulich werden“ lassen „wie in einem guten Film“, kann ich nicht entschlüsseln. Mit manchen Ausdrücken jedenfalls hatte ich so meine liebe Müh und Not, ich war mir unklar darüber, ob sie nicht hin und wieder einem mir unbekannten militärischen/militärhistorischen Terminus zugehörig sind. Wenn ich beispielsweise lesen muss, die „vornehmste (sic!) Aufgabe“ der „Heerführer der Aufklärung“ sei die „Einhegung militärischer Gewalt“ (Seite 342) gewesen, so löst das bei mir nur Fassungslosigkeit aus. Fraglich erscheint mir in diesem Zusammenhang, ob der Gedanke erlaubt ist, dass ein Verzicht auf Krieg nicht die völlige „Einhegung“ solcher Gewalt bedeutet hätte, auch unter dem Gesichtspunkt, dass Jessen einen General von Rüchel zitiert, wonach „die Kunst zu kriegen“ eine „Wohltat für das Menschengeschlecht“ sei. (Seite 342). Gut, dass Jessen in diesem Zusammenhang zweimal den Hinweis „Zeitalter der Vernunft“ (Seite 237 und 342) anbringt, man hätte sonst seine Zweifel haben können.
Deutlich werden lässt Jessen für mich aber eines: Es ist eine mir doch manchmal seltsam erscheinende Diskrepanz in dem Verhalten der damaligen – deutschen – höheren Militärs, die auf der einen Seite den Damen des Gegners durchaus mit Charme zu begegnen wussten, aber nicht den geringsten Skrupel hatten, diesen selbst brutalster Kampfmethoden auszusetzen; man denke nur an die berüchtigte Grünkreuz-Granaten. Da wird seitens eines Generals schwadroniert, dass „der liebe Gott es gut gemeint habe“ mit den Deutschen, obwohl sie ihm doch „den Feiertag ordentlich mit Blut verschandelt haben“ (Seite 287). Dass sie für den Tod von Hunderttausenden verantwortlich waren, scheint sie nicht so sonderlich belastet zu haben, jedenfalls lese ich davon in dem Buch wenig bis nichts. Bedauert werden allenfalls die gefallenen eigenen Leute, fraglich wurde für mich allerdings, ob das nicht mehr aus dem Grunde geschah, weil sie schlicht in den Planungen fehlten. Dass laut Jessen die Militärführer der anderen beteiligten Nationen – Franzosen und Briten – letztlich um keinen Deut besser waren, tröstet mich nicht im Mindesten.
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