OT: The Mouseproof Kitchen
Über den Autor
Saira Shah wuchs in England als Tochter eines afghanischen Schriftstellers und Gelehrten und einer indischenMutter auf. Sie studierte Persisch und Paschtun in London, bevor sie im Alter von 21 Jahren zum ersten Mal Afghanistan besuchte. Internationales Aufsehen erregte sie 2001 mit ihrem unter Lebensgefahr gedrehten Dokumentarfilm Im Reich der Finsternis , der mit dem renommierten Peabody Prize ausgezeichnet und als »Dokumentarfilm des Jahres« gekrönt wurde. 2003 erschien ihr Buch Die Tochter des Geschichtenerzählers. Meine Heimkehr nach Afghanistan . Die Autorin lebt mit ihrem Mann und einer behinderten Tochter in London und im Languedoc.
Kurzbeschreibung
Ein bewegender Roman über das, was im Leben wirklich wichtig ist Das Leben entwickelt sich nicht immer so, wie man es sich vorstellt. Was ist, wenn das Schicksal alle Träume und Ziele zu zerstören droht? Wenn man etwas wirklich will, muss man es sorgfältig planen. Davon sind Tobias und vor allem Anna überzeugt. Sie haben große Pläne. Wenn ihr Kind geboren ist, wollen sie England verlassen und in die sonnige Provence ziehen, wo Anna ein Restaurant eröffnen möchte. Doch Freya kommt behindert zur Welt. Und alles ist infrage gestellt. Gegen alle Vernunft kaufen sie kurz nach der Geburt ein baufälliges, einsames Anwesen im Languedoc, weil die Provence einfach zu teuer ist. Im Dorf leben exzentrische Einheimische, die den englischen Neuankömmlingen anfangs mit Misstrauen begegnen. Anna kämpft – um die Unterstützung ihres Mannes, der sich nicht an Freya binden, sie nicht lieben will; gegen das Ungeziefer, das sich im Haus breitmacht; um die Kontrolle über ihr Leben und die eigenen widersprüchlichen Gefühle gegenüber ihrer Tochter. Je verzweifelter sie gegen alles anrennt, desto mehr stemmt sich das Leben gegen sie. Bis sie erkennt, dass es auch im Unglück Glück gibt, dass es letztlich von ihr selbst abhängt, was aus ihrem Leben wird. Ein ergreifender Roman voller Herzenswärme und Humor, der einen zum Nachdenken bringt, der einen rührt und bewegt.
Meine Rezension
Anna und Tobias werden Eltern. Sobald das Kind da ist, wollen sie nach Südfrankreich ziehen und dort ein Restaurant eröffnen. Doch das Leben hat andere Pläne mit ihnen: ihre Tochter Freya kommt schwerstbehindert auf die Welt.
Sie kaufen dennoch ein Anwesen in Frankreich, allerdings im Languedoc, da sie sich die Provence nicht leisten können. Das Haus entpuppt sich als baufällig und von Ratten und Ungeziefern beherrscht.
Und ihr Leben mit Kind? Hier ging mir nahezu pausenlos der Hut hoch. Tobias ist abweisend und kalt. Er sagt, er kann das Kind nicht lieben und bezeichnet sie sogar einmal als Tamagotchi. Er flüchtet sich in seinen Beruf als Komponist und scheut jede Verantwortung für sich, seine Familie oder die Instandsetzungsarbeiten am Haus. Alles bleibt an Anna hängen, die nach außen hin Aktionismus verbreitet, aber innerlich völlig überfordert mit allem ist. Die Situation spitzt sich immer mehr zu … doch mehr möchte ich hier auch nicht über den Inhalt erzählen.
Man möchte Anna und Tobias schütteln: warum reden sie nicht miteinander? Warum haut keiner auf den Tisch? Warum suchen sie sich keine Hilfe? Warum treiben sie nur einfach so durch ihr Leben und lassen vieles einfach „darauf ankommen“? Die beiden sind schließlich keine Teenager mehr, die völlig überraschend mit einem Baby dastehen. Sie sind planlose und verantwortungslose Eltern, die viel zu lange einfach nur den Kopf in den Sand stecken, anstatt sich der Realität zu stellen und das Beste daraus zu machen.
Die anderen Protagonisten sind anschaulich und sympathisch geschildert, sogar Annas anstrengende Mutter mag man. Auch Lizzy, die ich als anstrengend naiv empfand, hat sympathische Seiten.
Die Grundfrage des Buches ist eine sehr interessante: Wie geht man damit um, wenn die Wünsche auf eine ganz andere, unerwünschte Art erfüllt werden als gedacht? Wie geht man damit um, wenn man weiß, daß das eigene Kind kaum Perspektiven in seinem – wahrscheinlich eher kurzen – Leben haben wird? Wie gehen die anderen mit einem selbst und dem Kind um? Was macht so ein Schicksal aus einem selbst und seiner Beziehung?
Sicher wirft einen so ein Schlag aus der Bahn und keiner wünscht sich das. Aber lange Zeit habe ich der kleinen Freya gewünscht, sie wäre in eine andere Familie hineingeboren worden.
Was mich bei diesem Buch auch besonders berührt hat, war die Tatsache, daß man auf der einen Seite das ganz normale Leben mitbekommen hat: die beiden bemühen sich, aus ihrem Anwesen etwas zu machen und wursteln sich durch den Alltag. Sie knüpfen neue Freundschaften im Ort und bekommen Besuch von alten Freunden. Ein ganz normales Leben also und auch genau so erzählt.
Auf der anderen Seite bekommt man Freyas spezielle Bedürfnisse und ihre Anfälle auch mit und das steht so ganz im krassen Gegensatz zu den leichten Alltagsschilderungen.
Für mich ist es hier der Autorin ganz ausgezeichnet gelungen, diesen Spagat zwischen „Alltag und Wahnsinn“ einzufangen und dem Buch trotz der ernsten Problematik doch auch Leichtigkeit zu geben.
Die Autorin hat selbst ein schwerbehindertes Kind mit einer ähnlichen Diagnose wie Freya und hat in deren Beschreibung wohl auch eigene Erfahrungen mit einfließen lassen. Das Verhalten von Anna und Tobias, das stellt sie im Nachwort klar, ist allerdings rein fiktiv.
Ich habe dieses Buch, obwohl mir wirklich an vielen Stellen das Blut in den Adern gekocht hat, sehr gerne gelesen. Ich würde hier auf jeden Fall 9 von 10 Eulenpunkten vergeben.