Über das Buch:
Oliver Janz zeigt den Ersten Weltkrieg erstmals als eine historische Katastrophe, die sich nicht nur auf Europa beschränkt hat. Aus Feldpostbriefen, Propagandaschriften, Aufzeichnungen von Kriegsdienstverweigerern, Episoden aus dem Frontbordell, Lokalzeitungen von der Heimatfront oder den Berichten einer Kämpferin aus Schanghai gewinnt er eine faszinierend neue, globale Perspektive auf den Großen Krieg, dessen Folgen uns auch heute noch beschäftigen.
Über den Autor:
Oliver Janz ist Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin. Zahlreiche Bücher und Aufsätze zur deutschen und europäischen Geschichte veröffentlichte er, leitet zahlreiche internationale Forschungsprojekte zum Ersten Weltkrieg und ist Chief Editor von „1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War“.
Meine Meinung:
Gebundenes Buch, insgesamt 415 Seiten mit zehn den einzelnen Kapiteln vorangestellten Fotos. Nach 358 Seiten Haupttext folgt ein Anhang mit Anmerkungen, Quellen- und Literaturverzeichnis und ein Register.
Der Erste Weltkrieg – mehr als Verdun und die Schlachten an Marne und Somme, mehr als Gasangriffe und unendlich viele Tote. Dass man es sich viel zu leicht macht, diesen Krieg auf die Kämpfe im Westen, auf die Auseinandersetzung zwischen Deutschland, Frankreich und England mit Beteiligung Russlands, ja selbst auf die Zeit allein von 1914 bis 1918 zu beschränken, macht Oliver Janz in seinem mir ganz hervorragend erscheinenden Buch deutlich, er räumt immer wieder auf mit Mythen, die sich durchaus bis in unsere Zeit halten.
Janz erklärt die historischen Hintergründe, unter anderem die Rolle des Sozialdarwinismus und die daraus resultierende immer aggressivere und antiliberalere Nationalisierung in allen Ländern, verdeutlich die Bündnispolitik mit ihrer „zunehmenden Verfestigung und Konfrontation“ (Seite 32) und die selbstverschuldete Isolierung des Deutschen Reiches. Die Vorgeschichte dieses Krieges, Lybien- und Balkankrieg, letzterer mit ungeheuren Kriegsverbrechen an der muslimischen Zivilbevölkerung, die damit einhergehende Destabilisierung der Verhältnisse, ganz besondere seine Ausführungen zur Julikrise haben in mir eine gewisse Ausweglosigkeit angesichts der sich zuspitzenden Situation aufkommen lassen – auch wenn Janz wiederholt darauf hinweist, dass das, was dann eskalierte, nicht in dieser Größenordnung resp. Globalität gewollt, geplant oder vorhergesehen war, sondern aus „zahlreichen Fehleinschätzungen“ (Seite 62) der Reichsleitung herrührte, was letztlich zu dem Schluss zwingt, dass sie „die Hauptschuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs“ (Seite 62) trifft. Gewollt, so Janz, habe den Krieg niemand, aber es habe ihn auch keiner verhindert, er wurde in Kauf genommen.
Die Ausführungen zu Zeit, buchstäblich globaler Auswirkung, Entgrenzung und Totalisierung in jedweder Hinsicht, sei es in wirtschaftlicher, in moralisch/ethischer, in gesellschaftlicher und die Rolle der Frau betreffender, in kultureller und politischer, ganz besonders in militärischer, ziviler und intellektueller Hinsicht erscheinen mir schlüssig und zwingend; Janz weiß brillant zu erklären. Mit besonderem Interesse habe ich seine Erklärungen zu einem der großen Mythen gelesen, nämlich der Kriegsbegeisterung. Dass man auch hier differenzieren muss, war angesichts der immer wieder aufgestellten Behauptung, alle Deutschen hätten voller Begeisterung für den Krieg gestimmt, die Soldaten wären lachend und blumenbekränzt in den Krieg gezogen, mangels Nachprüfbarkeit so einfach nicht und habe zumindest ich immer wieder beiseitegeschoben, zu eindeutig und überzeugend waren die Stimmen, deuteten Fotos solches an. Janz gibt sich hier wie überhaupt an keiner Stelle mit dem Offensichtlichen und allzu Bekanntem zufrieden, er bietet mehr als lesenswerte Differenzierungen und Details, macht die Unterschiede, so sie denn gegeben sind, von Land zu Land, von Stadt- und Landbevölkerung, von Jung und Alt, von Mann und Frau deutlich. Janz schreibt bewundernswürdig klar, er hat immens viel zu sagen und sagt das in aller Deutlichkeit. Von den drei Büchern, die ich bisher zur Thematik Erster Weltkrieg gelesen habe, erscheint mir sein Buch das wertungsfreieste zu sein.
Dieses Buch habe ich mit einer gewissen Spannung, besser gesagt Anspannung gelesen, aber auch mit zunehmendem Entsetzen, zu genau beziffert er das Versagen von Politik und gesellschaftlicher/intellektueller Elite, ein Versagen, man ahnt es, das 1918 nicht schlagartig aus der Welt geschafft war. Die Auswirkungen selbst bis in unsere Zeit, die Mythenbildung (nicht nur, was die Dolchstoßlegende betrifft) mit all den fatalen Reaktionen, die ihnen auf dem Fuß folgten, haben in mir nicht nur großes Bedauern, sondern auch viele Fragen ausgelöst; sie betreffen nicht nur die allzu dünne Tünche der Zivilisation, die so leicht abfällt, sie betreffen auch Friedenswillen und Geschäftemacherei, Ehrgeiz, Neid und übersteigerten Egoismus und natürlich den Nationalismus, der heutzutage wieder so stark im Kommen ist. Man muss sich wohl an die kleinen Begebenheiten halten, zum Beispiel die Menschen, die trotzdem Frieden wollten, die auch und trotzdem zu finden waren, um dem Gedanken, dass man nicht froh werden kann bei Betrachtung nicht nur jener Zeitläufe, nicht allzu viel Raum zu geben.
Janz Buch bietet eine solche Fülle an Details, dass es mir unmöglich erscheint, auf alles einzugehen; mir erscheint es ein sehr fundiertes und gut lesbarer Buch über Vorgeschichte, Kriegsgeschehen – und zwar weltweit! – und dem, was danach geschah. Allein diese Bemerkung sei noch erlaubt: Seine These, der Krieg habe nicht – nur – von 1914 bis 1918 gedauert, klingt in seiner Argumentation, besonders wenn man den globalen Aspekt dieses Krieges nicht aus den Augen verlieren will, plausibel. Gleichwohl glaube ich nicht, dass sich an der Zeitangabe irgendetwas ändern wird, zu festgeschrieben erscheint sie, zu sehr ist immer noch der europäische Aspekt und die westeuropäische Sicht auf diesen Krieg vorherrschend.
Punktabzug gibt es einzig aus zwei Gründen:
1. Zu den Fotos hätte ich gerne nähere Erläuterungen gehabt, auch wenn sie die Darstellung aus dem folgenden Kapitel erschließt.
2. Als Laie bin ich naturgemäß nicht unbedingt in der Lage, die Formulierungen der Historiker genau zu benennen und zu erkennen. Gleichwohl sei es mir erlaubt zu bemerken, dass ich über Druckfehler sowie mir nicht schlüssig erscheinende Formulierungen stolperte, z. B. Seite 263 „Eine Krönung zum König Böhmens lehnte Karl ab und begab sich damit der Möglichkeit, die Sympathien der Tschechen zu gewinnen“ oder Seite 149: „Ervon dem australischen Kreuzer Sydney empfangen …“.
Marginalien, sicherlich, dennoch habe ich sie als störend empfunden und von einem Buch des Campus-Verlages nicht unbedingt erwartet.
---